Fr 26.01.2007
Angelobung unter Protesten, hunderte Parteiaustritte und ein neuer Regierungschef den das alles nicht zu kratzen scheint. Was ist mit jener SPÖ passiert, die einen sozialen Kurswechsel versprach, von vielen als zumindest als „kleineres Übel“ gewählt wurde und nun selbst die treuesten Mitglieder vor den Kopf stößt?
Grosse Koalition oder Kuscheln mit den Blauen – nur ein strategisches Dilemma?
Die Verteidiger der großen Koalition in der SPÖ – wie Wilhelm Haberzettl (FSG) - argumentieren (scheinbar) pragmatisch: Die Alternative wäre eine unsichere Minderheitsregierung gewesen, die mit der FPÖ „gekuschelt“ hätte. Auch prominente Vertreter von der oppositionellen Initiative „Wir sind SPÖ“ scheinen sich solchen „pragmatischen“ Überlegungen grundsätzlich anzuschließen und meinen: „Wenn man für die Bildung einer Regierung einen Partner braucht, muss man Kompromisse eingehen.“ (Ex-GPA-Chef Hans Sallmutter). Beschränkt sich somit die Kritik lediglich auf einen schlechten „Verhandlungskompromiss“?
„Alternative“ Minderheitsregierung verpufft
Die vor einigen Wochen artikulierte Forderung von „Parteilinken“ nach einer Minderheitsregierung ist schlagartig in den Hintergrund getreten. Aus gutem Grund: Der Inhalt des von der SPÖ-Führung als „Kurswechsel“ verteidigten Regierungsabkommens hat gezeigt, dass Gusenbauer I zu Schüssel II sicher kein kleineres Übel darstellt. Selbst an die Überheblichkeit seines Vorgängers scheint der neue Kanzler mühelos heranzukommen. K.H. Grasser kommentierte das Programm des neuen Kabinetts zu recht als unmittelbare Fortsetzung des Kurses der letzten sieben Jahre. Eine solche SPÖ hätte zweifellos auch im Falle einer – ihr von der ÖVP-Verweigerungshaltung aufgezwungenen – Minderheitsregierung, keine linke Politik versucht, sondern wohl - wie sie es gerade jetzt tut - eher mit der FPÖ gekuschelt. Das scheinbar strategische Dilemma zwischen Pest (große Koalition) und Cholara (Minderheitsregierung mit FPÖ-Unterstützung), ist in Wahrheit keine Frage von Strategie und Taktik. Vielmehr geht es um den Gesamtzustand der Partei.
Keine ArbeiterInnenpartei mehr
Laut Rechenschaftsbericht 2005 hat die SPÖ 5,84 Millionen Euro an Mitgliedsbeiträgen (Anteil Bundespartei) eingenommen. Mit 60 Euro Jahresbeitrag hochgerechnet, dürfte sie – trotz Abzug der Beitragsteile die in den Ländern und Bezirken verbleiben - somit heute deutlich weniger als die offiziell 300.000 Mitglieder vereinen. Wer heute also von „drin bleiben um zu verändern“ spricht, muss sich im Klaren sein, dass in den letzten 20 Jahren mindestens 300.000-400.000 Menschen die Partei verlassen haben. Dieser Trend blieb bemerkenswerter Weise auch unter Schwarz-Blau/Orange ungebrochen. Der Grund liegt auf der Hand: Im Gegensatz zu den 70er Jahren steht die SPÖ heute nicht einmal für eine positive Reformpolitik, also Verbesserung für die ArbeitnehmerInnen. Ihre Entwicklung zu einer Sozialabbau-Partei war darüber hinaus verknüpft mit einer (bewussten) Ausdünnung der Basisressourcen, sowie der Zurückdrängung des Gewerkschaftseinflusses. Entsprechend abgehoben reagieren die Parteioberen heute auf Kritik jener, welche im Grunde noch die klassische Parteiarbeit tragen. Für Gusenbauer und Co sind diese Menschen und ihre Ideen, höchstens Relikte aus einer Welt, die in den Augen des Kanzlers schon längst untergegangen ist.
Strategiefragen an die SPÖ-Linken
Objektiv sind die Möglichkeiten einer SPÖ-Linken jetzt Einfluss auf den Kurs der Partei zu finden schlechter als je zuvor, da die historische Basis der Partei selbst (also die ArbeiterInnenschaft) das Parteigeschehen des Kanzlervereins längst nicht mehr entscheidend prägt. Nichts desto trotz haben sich binnen kurzer Zeit mehrere hundert linke AktivistInnen aus den Jugendorganisationen und der FSG massiv zu Wort gemeldet und erstmals sogar Ansätze zu einer Vernetzung geschaffen. Die Frage ist: Wohin gehen diese Ansätze? Orientieren sie sich weiter am „Wohl der Partei“ und betonen bei jeder Gelegenheit, dass sie eigentlich dazu da wären, noch mehr Austritte zu verhindern. Oder orientieren sie sich am „Wohl sozialistischer Politik“ und sehen die sozialistischen Kräfte außerhalb der SPÖ als strategische Bündnispartner? Entsteht hier ein organisierter linker Flügel, mit einem sozialistischen Programm der – im Bündnis mit der außerparteilichen Linken - die Machtfrage in der Partei stellt? Oder sind es eher nur Internetforen mit freundlicher Duldung der Parteiführung zum Dampfablassen?
Austritte der VSSTÖ-Spitzen könnten ein Fenster öffnen
Die Parteiaustritte der beiden VSSTÖ-Spitzen Blaha und Kuba könnten etwa anhand der Studentenorganisation im Kleinen zeigen, was im Großen in Zukunft möglich wäre. Der ganze VSSTÖ könnte durch die offizielle Lösung seiner Verbindungen zur SPÖ für linke und kämpferische StudentInnen geöffnet und ein breiter, attraktiver sozialistischer StudentInnenverband werden. Ähnliches wäre für die SJ und der Folge auch Teile von FSG, SPÖ-Bezirksorganisationen etc. möglich. Eine solche Öffnung, die auf den besten Traditionen der (einst marxistischen) Sozialdemokratie aufbaut, könnte nicht nur „Enttäuschte“ ins sozialistische Boot holen. Umgekehrt würde eine solche Entwicklung eine enorme Dynamik in den Gewerkschaften auslösen, AktivstInnen aus verschiednen Bereichen von „Außen“ anziehen und jenen Prozess beschleunigen, der heute in Europa bereits vielfach auf der Tagesordnung steht. Nämlich die Schaffung einer politischen Vertretung für die ArbeiterInnenklasse, einer neuen ArbeiterInnenpartei.
*Der Autor John Evers war in den 1990er Jahren SJ und JG-Vorsitzender, sowie Bezirksparteivorstandsmitglied in der SPÖ Wien 5. Er wurde aus der Sozialistischen Jugend ausgeschlossen.