Di 27.06.2006
Victor Adler wollte seine Aussage über die „siamesischen Zwillinge“ – also die untrennbare Einheit von Sozialdemokratie und Gewerkschaft – sogar testamentarisch festschreiben lassen. Doch worauf baute dieser Zusammenschluss auf und was bedeutet er heute?
Von der Kampfgemeinschaft zur Arbeitsteilung
Historisch war die enge Bindung von Partei und Gewerkschaft durch die führende Rolle der sozialistischen Bewegung beim Aufbau moderner Gewerkschaftsstrukturen gegen Ende des 19. Jahrhunderts geprägt. Die ökonomischen und politischen Verhältnisse des Habsburgerstaates machten auch in der Folge eine schematische Trennung des ökonomischen und politischen Kampfes von vornherein unmöglich. Erst mit der Umsetzung des allgemeinen Wahlrechts (1907) und vor allem in der ersten Republik trat für die Sozialdemokratie, im Zusammenhang mit ihrer Wendung zum Reformismus, die strategische Bedeutung von Klassenkämpfen in den Hintergrund. Nach 1945 teilten sich Partei und Gewerkschaft schließlich im Rahmen eines „österreichischen Weges“ der Integration in den kapitalistischen Staat, die Aufgaben und Arbeitsfelder in der Gesellschaft auf. Die SPÖ wurde zur Staatspartei der 2. Republik, die Gewerkschaften im Zusammenhang mit der Sozialpartnerschaft zum undemokratischen und bürokratisierten Ordnungsfaktor in den Betrieben. Gemeinsam wirkten sie in diesem Sinne nicht zuletzt auch auf der parlamentarischen Ebene.
Ende des Aufschwung – Ende der Arbeitsteilung
Das Ende des langen Nachkriegsaufschwungs brachte aber, mit der Verstaatlichten-Krise in den 1980er Jahren und den Sparpaketen in den 1990ern, auch das Ende dieser historischen Arbeitsteilung. Die Sozialdemokratie wandelte sich neoliberal, die Gewerkschaften verloren ihre traditionelle Machtbasis am „grünen Tisch“ des politischen Systems, akzeptierten trotzdem die Privatisierungs- und Kürzungspolitik und gerieten in die Krise. Gewerkschaftsmitglieder stellen spätestens seitdem in der Strategie der Sozialdemokratie bestenfalls Stimmvieh und Wahlkampfhelfer dar. Die Umsetzung gewerkschaftlicher Interessenspolitik spielt demgegenüber keine Rolle mehr für die Sozialdemokratie. Das galt nicht zuletzt gerade für die Gewerkschaftsvertreter die für die SPÖ im Parlament saßen und in etlichen Fällen gegen die Beschlusslagen des ÖGB stimmten.
Neuorientierung gegenüber SPÖ ist überfällig!
Mit welcher Leichfertigkeit Alfred Gusenbauer die aktuelle Krise dazu benutzte, die Verbindungen zu den Gewerkschaften nun offiziell (und medienwirksam) zu kappen, zeigt in Wahrheit, wie lose diese bereits in der Vergangenheit waren. Diese Sichtweise gilt zumindest für die SPÖ-Führung, allerdings weniger für die Gewerkschaftsspitze, die sich noch immer verzweifelt an ihre öffentlichen Ämter klammert. Die eigentliche Frage die sich in diesem Zusammenhang eigentlich stellt ist nicht die, ob Gewerkschafter „schon“ oder „doch nicht“ im Parlament sitzen dürfen, sondern wen, bzw. was sie dort vertreten (und wie viel sie dafür kassieren). In diesem Zusammenhang läge aus gewerkschaftlicher Perspektive die Zukunft wohl nur in einem offensiven Schritt weg von den etablierten, neoliberalen Parteien - also auch der SPÖ - und der Formulierung einer eigenständigen Gewerkschaftspolitik im Interesse der Mitglieder. Eine solche Strategie könnte und sollte durchaus auch die Unterstützung von Kandidaten für öffentliche Ämter beinhalten - wenn diese ArbeiterInneninteressen vertreten und auf Privilegien zugunsten der Bewegung verzichten. Historisch lag darin übrigens ursprünglich das Geheimnis des Erfolgs der Ehe zwischen Gewerkschaften und Sozialismus.