Fr 01.12.2000
Angesichts der objektiven Schwäche der Widerstandsbewegung in Österreich ist die Frage der Alternativen zu blauschwarz zentral. Vor allem für jene, die "Neuwahlen" fordern stellt rot-grün eine dar. Angesichts der Entwicklung der SPÖ, ihrer Verantwortung für den Aufstieg der FPÖ und ihrer Unfähigkeit sie zu bremsen ist für die Sozialistische LinksPartei der Aufbau einer neuen ArbeiterInnenpartei ein wichtiger Schritt für den Aufbau einer effektiven Gegenbewegung. Der Kapitalismus beweist tagtäglich seine Unfähigkeit die Menschheit weiterzuentwickeln - er bedeutet Ausbeutung, Hunger, Elend, Krieg und Unterdrückung. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit seines Sturzes und der Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft. Dies wird nur durch eine revolutionäre Veränderung, getragen von der ArbeiterInnenklasse, geschehen. (Mehr zum Thema Revolution und Sozialismus im Vorwärts Extra Nr. 2)
Das Bewusstsein darüber ist heute aber keineswegs weit verbreitet. Dieses entwickelt die Klasse in konkreten Kämpfen, nicht zuletzt durch das bewusste Eingreifen von RevolutionärInnen. Nicht durch schulmeisterliches Danebenstehen, sondern durch den gemeinsamen Kampf in Klassenkämpfen, im Zuge dessen aktuelle Fragen und Ereignisse mit einer Analyse des Systems und dem Entwickeln einer sozialistischen Alternative verbunden werden.
Wie und wo entsteht dieses Bewußtsein insbesondere in Österreich, einem Land mit einer extrem niedrigen Rate von offenen Klassenkämpfen? Einerseits in verschiedenen Ein-Punkt-Bewegungen. Andererseits in den Organisationen der ArbeiterInnenklasse, in den Gewerkschaften und den ArbeiterInnenparteien.
Aber welche Teile der Klasse beteiligen sich heute an Kämpfen, bzw. werden in künftigen eine zentrale Rolle spielen? Wo sind diese kämpferischsten Teile der Klasse organisiert bzw. sind sie überhaupt organisiert?
Die vollständige Verbürgerlichung der Sozialdemokratie
Rund 100 Jahre war die Sozialdemokratie DIE Partei der österreichischen ArbeiterInnenklasse. Trotz ihrer Politik im Sinne des Kapitals (1914, 1918, 1950 aber auch 1927, 1934 und 1945) wurde sie von der Klasse lange als "ihre" Partei gesehen. Für den größten Teil des 20. Jahrhunderts war sie eine bürgerliche ArbeiterInnenpartei, das hat sich in der letzten Periode verändert.
Der Charakter einer Partei ist von einer Reihe von Faktoren bestimmt, die in ihrer Gesamtheit, ihrer Wechselwirkung und in ihrer Entwicklung betrachtet werden müssen. Berücksichtigt werden muß Geschichte und Tradition, ihr Programm, ihre Politik, ihre Mitglieder-, FunktionärInnen- und WählerInnenbasis, ihre Verbindung zu den Gewerkschaften und nicht zuletzt, wie sie von der ArbeiterInnenklasse selbst gesehen wird. Eben weil nicht nur ein Faktor zur Charakterisierung reicht sind weder die FPÖ mit ihrer stark proletarischen WählerInnenbasis, noch die US-Demokraten mit ihrer Gewerkschaftsunterstützung ArbeiterInnenparteien.
Reformen zu wessen Gunsten?
Seit Ende der 70er Jahre wurden die ökonomische Spielräume für Zugeständnisse an die ArbeiterInnen enger und es kam zur Umverteilung von unten nach oben. Die SPÖ war in den 80ern und 90ern treibende Kraft neoliberaler Politik. Das Ergebnis ist, dass sich ArbeiterInnen und Jugendliche von der SPÖ abwenden und ein wachsender Teil sie nicht mehr als "ihre" Partei sieht. Ein weiterer Unterschied ist das Fehlen einer relevanten, organisierten Parteilinken die in der Vergangenheit Attraktionspol für kämpferische ArbeiterInnen war.
Diese Veränderung der SPÖ ist insofern nicht abgeschlossen, als sich nach wie vor ArbeiterInnen in ihr befinden und auf diese orientieren (sie als das "kleinere Übel" sehen), sie ist insofern abgeschlossen, als die Richtung der Entwicklung eindeutig ist und ein "back to the roots" ausgeschlossen werden kann.
Die Mitglieder der jetzigen SLP haben seit Anfang der 80er Jahre in der SPÖ gearbeitet, nicht als unkritische Anpaßler, sondern als kritische und kämpferische Opposition. Wir haben mit den kämpferischsten Jugendlichen, die sich damals in der Sozialistischen Jugend organisierten, zusammengearbeitet und versucht, diese für marxistische Ideen und den Aufbau einer revolutionären Partei zu gewinnen. Wir wurden wegen unserer kritischen Positionen 1992 aus der SJ ausgeschlossen. Unser Ausschluss fiel zusammen mit dem Niedergang der SJ, die seit Anfang der 90er Jahre keine eigenständige kämpferische Politik mehr vertritt sondern nur mehr eine angepaßte Jugendorganisation der SPÖ ist.
Trennung der siamesischen Zwillinge
Die SPÖ mußte seit den 70ern einen massiven Verlust von WählerInnen und Mitgliedern hinnehmen. Selbst angesichts des blauschwarzen Kürzungsterrors verzeichnet sie in den jüngsten Umfragen ein Rekordtief. Auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie bei kommenden Wahlen gewinnen kann, so nicht wegen, sondern trotz ihrer Politik. Selbst die AK-Wahlen Anfang 2000 unterstreichen letztlich diesen Trend, da sie doch gerade den Prozess der Trennung Gewerkschaften/SPÖ widerspiegelen. Abgesehen davon, dass im Westen Österreichs der ÖVP-nahe ÖAAB gewonnen hat, darf die enge personelle Verquickung zwischen SPÖ- und FSG-Führung nicht über den Scheidungsprozess hinwegtäuschen.
Als der FSG-Vorsitzende Nürnberger im Jänner die Verhandlungen mit der ÖVP platzen ließ, tat er das aufgrund des enormen Drucks der Gewerkschaftsbasis. Er musste sich zwischen SPÖ und ÖGB entscheiden. In der jüngsten Streik-Diskussion wird deutlich, wie weit diese Trennung bereits fortgeschritten ist - von einer Zusammenarbeit ist nicht die Rede, SPÖ-Vorsitzender Gusenbauer distanzierte sich von HGPD-Vorsitzendem Kaske in seiner Forderung nach Kampfmaßnahmen.
Das zeigt die Entwicklung der Fraktionen im ÖGB - die Mehrheit der BetriebsrätInnen und PersonalvertreterInnen bekennt sich zu keiner Fraktion, die linken Fraktionen UG und GLB haben an Einfluß gewonnen. Für die SLP stellt der GLB in den meisten Fachgewerkschaften jene Fraktion dar, die im Moment am ehesten Attraktionspol für linke, kämpferische GewerkschafterInnen ist bzw. sein kann.
Die Kandidatur eines SLP-Mitgliedes auf der GLB-Liste bei den AK-Wahlen war eine Möglichkeit, innerhalb und außerhalb des GLB unsere Positionen zu vertreten. Zentrale Aufgabe der SLP ist aber, die Zusammenarbeit von Linken über Fraktionsgrenzen hinweg für den Aufbau einer kämpferischen und demokratischen Gewerkschaftsopposition - das bedeutet mit KollegInnen aus GLB, UG und natürlich auch FSG.
Die Verbürgerlichung der SPÖ und der Aufstieg der FPÖ
Der Aufstieg der FPÖ verlief parallel zur endgültigen Verbürgerlichung der SPÖ und hängt eng mit diesem zusammen. Der Erfolg der FPÖ kann nicht auf das Phänomen Haider reduziert werden. Haider war nicht die Ursache für den Aufstieg der FPÖ, wenn er auch die sich öffnenden Möglichkeiten optimal ausnutzte. Die Privatisierungspolitik der SPÖ, die in den ehemaligen Hochburgen der SPÖ mit der Zerschlagung der Verstaatlichten zehntausende Arbeitsplätze vernichtete, der massive Sozialabbau der 90er Jahre, der insbesondere die sozialdemokratischen Kernschichten betraf und die rasisstische Anti-ImmigrantInnenpolitik, die zu Endsolidarisierung führte, waren die Basis für den Aufstieg der FPÖ. Weil wachsende Teile der ArbeiterInnenklasse die SPÖ nicht mehr als "ihre" Partei sahen, konnte die FPÖ bei eben diesen gewinnen.
Klasse ohne Partei
Heute steht die ArbeiterInnenklasse ohne politische Vertretung da. Auch das ist einer der Gründe für den Aufstieg der FPÖ. Gäbe es eine ArbeiterInnenpartei, die als Alternative zu den etablierten Parteien gesehen wird, so könnte sie den Großteil der Nicht- und ProtestwählerInnen auffangen.
Die Situation zeigt Parallelen zu den Anfängen der ArbeiterInnenbewegung. Heute gilt es wieder eine politische Vertretung der Klasse an sich aufzubauen, der Unterschied zum 19. Jahrhundert ist die Fülle von Erfahrungen, eine Gemeinsamkeit das zurückgeworfene Bewußtsein. Auch die Auseinandersetzung um die Frage der Labor Party in den USA Ende der 30er Jahre in der Trotzki die Notwendigkeit einer Klassenpartei unterstrich, selbst wenn sie reformistisch wäre, zeigt Gemeinsamkeiten.
Für RevolutionärInnen ergibt sich heute eine doppelte Aufgabe: einerseits die revolutionäre Partei aufzubauen, die unerläßlich ist für den Kampf für eine sozialistische Gesellschaftsveränderung und andererseits für den Aufbau einer neuen, breiten ArbeiterInnenpartei einzutreten. Der Charakter einer solchen neuen Partei kann nicht vorherbestimmt werden, es ist aber wahrscheinlich, dass dieser reformistisch sein wird. Aber selbst das wäre im Vergleich zu einer Situation, wo die ArbeiterInnenklasse keine unabhängige Massenorganisation hat ein Fortschritt und eine Basis für die Arbeit von RevolutionärInnen.
Entstehung der neuen ArbeiterInnenpartei
Der politische Neuaufbau der organisierten ArbeiterInnenbewegung wird kein einfacher oder geradliniger Prozess sein. Sie wird nicht per Proklamation und nicht nur aus der bereits organisierten Linken entstehen, sondern aus den politischen und sozialen Bewegungen und Initiativen der Zukunft, mit Menschen, die zum großen Teil noch gar nicht organisiert sind. Für die Organisationen ergibt sich verstärkt die Notwendigkeit für Bündnisse. Das bedeutet nicht die Aufgabe der eigenen Organisationen oder Ideen, sondern die Zusammenarbeit in Einheitsfronten. Die SLP und ihre Vorgängerorganisation SOV ist seit Jahren Teil von Einheitsfronten und hat für die Wahlebene - die in Ermangelung von offenen Klassenkämpfen zentraler Punkt politischer Polarisierung war - wiederholt versucht, linke Bündniskandidaturen zu organisieren.
Neben anderen Organisationen haben wir für diese Bündnisse auch die KPÖ angesprochen. Wir halten Bündnisse auch in der Zukunft für sinnvoll, wenn sie die Bewegung stärken und vorantreiben können und Schritte in die Richtung einer neuen ArbeiterInnenpartei darstellen. Für die Wiener Gemeinderatswahl 2001 bedeutet das für uns, dass wir nicht mit der KPÖ gemeinsam antreten werden gerade weil ein Bündnis KPÖ-SLP keine Verbreiterung und somit kein Schritt beim Aufbau einer solchen neuen Partei wäre.
Wo sind die fortgeschrittensten Schichten?
Jene Menschen, die bereits jetzt im Widerstand aber v.a. in künftigen Klassenkämpfen eine Rolle spielen werden, haben zum größten Teil zur Zeit keine politische Heimat. Aus der SPÖ haben sie sich verabschiedet. V.a. für Jugendliche, die die SPÖ nicht mehr in ihrer Periode der Reformpolitik in den 70er Jahren erlebt haben, unterscheidet sich die Sozialdemokratie nicht von anderen bürgerlichen Parteien.
Die Grünen, die für eine gewisse Zeit als linke Alternative erschienen haben einen scharfen Rechtsschwenk gemacht. Die KPÖ ist aufgrund ihrer Geschichte und Arbeitsweise keine Alternative, die restlichen linken/revolutionären Organisationen sind zu klein. Wenn 300.000 der NichtwählerInnen der letzten Nationalratswahl sagen, sie hätten bewußt nicht gewählt, weil es keine Partei gibt, für die sie hätten stimmen können, so zeigt das das Potential für eine solche neue Partei.
Dass diese Menschen unorganisiert sind, ist auch Ausdruck für das zurückgeworfene Bewusstsein. Die dem Zusammenbruch des Stalinismus 1989-91 folgende ideologische Offensive des Kapitals hat Wirkung gezeigt. Bis in die 80er Jahren erhielten viele ArbeiterInnen und Jugendliche eine gewisse ideologische Grundschulung in der Gewerkschaft oder politischen Strukturen. Diese Menschen sind heute immer weniger aktiv, sie sind frustriert und/oder haben sich ins Privatleben zurückgezogen. Jene, die heute und in Zukunft in Kämpfen und Bewegungen stehen sind v.a. "frische Schichten" - Menschen in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen, Jugendliche, Frauen, ImmigrantInnen. Ihnen fehlt jegliche politische Schulung.
Diese Menschen sehen sich durch die SPÖ nicht mehr vertreten, der Schritt, einer revolutionären Partei beizutreten geht ihnen aber noch zu weit. Ihnen dennoch zu sagen, "wählt SPÖ", wie es manche Linke tun, heißt ihr Bewusstsein und ihre Entwicklung negieren. Der Aufbau einer neuen ArbeiterInnenpartei ist ein notwendiger Schritt, um diesen Menschen eine politische Heimat zu geben und das Bewusstsein weiterzuentwickeln.
Die Aufgabe von RevolutionärInnen ist heute vielschichtig: verstärkte Bündnisarbeit, Offenheit für unorganisierte, die sich politisieren, Klarheit über das eigene Programm, Aufbau der revolutionären Partei und einer neuen ArbeiterInnenpartei.