Mo 03.02.2014
Im Kapitalismus wird alles zur Ware. Es gibt nichts, was nicht gekauft werden kann, wenn das nötige Kapital vorhanden ist. Die neoliberale Ideologie-Offensive der letzten Jahrzehnte, laut der „jede ihres Glückes eigene Schmiedin“ ist, traf Frauen besonders hart: Weit von der Befreiung von alten Unterdrückungsmechanismen entfernt, wird Frauen eingeredet, sie müssen ihren Körper dem Markt und seinen Idealvorstellungen völlig unterwerfen, um erfolgreich zu sein.
In den fortgeschritten kapitalistischen Ländern werden Schönheitsideale und Kleidungsvorschriften nicht mittels Gesetzesgewalt erreicht, sondern durch eine gigantische, unpersönliche, scheinbar von der Alltagspolitik abgekoppelte Maschinerie an Magazinen, Fernsehformaten, Ratgebern, Modetrends, Werbungen, Musik usw.. Die US-Soziologin Gail Dines beschreibt die Konsequenzen: „Junge Frauen können sich für zwei Varianten entscheiden: Entweder sie sind sexy oder sie sind unsichtbar.“
Die Übersexualisierung des weiblichen Körpers spiegelt sich am brutalsten in einem der wenigen Wirtschaftszweige wider, der auch in der Krise floriert: Die Pornoindustrie setzt pro Jahr etwa 96 Milliarden Dollar um. Im Porno ist die Frau keine Persönlichkeit, sondern Lustobjekt. Mittlerweile liegt das Durchschnittsalter männlicher Jugendlicher, die zum ersten mal einen Porno sehen, bei elf Jahren. Wer mit solch einem Bild von Sexualität aufwächst, bevor die ersten eigenen sexuellen Erfahrungen gemacht werden und bevor grundlegende Aufklärung stattgefunden hat, läuft Gefahr, keinen Unterschied zwischen Sex und Sexismus zu erkennen.
In einem Artikel zu Dines' Buch „Pornland“ schreibt der Schweizer Tagesanzeiger: „Eine der wenigen Untersuchungen, die es zum Thema gibt, hat vor drei Jahren die 50 populärsten Pornofilme in den USA analysiert: 88 Prozent der Szenen zeigen körperliche und 48 Prozent verbale Gewalt an Frauen.“ Egal wie brutal und frauenverachtend: Wenn es Profit bringt, wird es gefilmt.
Sexuelle Gewalt hat mit erotischen Gefühlen nichts zu tun. Es geht um Machtausübung, um die Unterwerfung eines anderen Menschen. Dies passiert nicht „einfach so“ und ist nicht „natürlich“. Wir leben in einer Gesellschaft, deren Mitglieder durch Lohnarbeit und profitorientierte Warenproduktion geprägt sind. Das bringt uns in ein ständiges Konkurrenzverhältnis. Noch dazu produziert die bürgerliche und religiöse Sexualmoral ein gestörtes Verhältnis zum eigenen Körper und der eigenen Sexualität. So kann sexuelle Gewalt zum Massenphänomen werden. Die Übersexualisierung und Verdinglichung des weiblichen Körpers treibt diese Entwicklung voran. Doch selbst hier wird Frauen die Schuld zugewiesen. „Frauen sollten sich eben nicht wie Schlampen anziehen, dann werden sie auch nicht Opfer [von Vergewaltigungen]“. Dieser Satz des kanadischen Polizeisprechers Sanguinetti vom Jahr 2011 löste weltweit wütende Proteste aus, die „Slutwalks“. Das weit verbreitete Phänomen des „Slut-Shaming“ bedeutet nichts anderes, als dass Frauen, die versuchen, den absurd sexualisierten gesellschaftlichen Normen zu entsprechen, selbst schuld sein sollen, wenn sie Opfer von sexualisierter Gewalt werden.
Doch parallel zum „Rollback“ gibt es die „Institutionalisierung des Feminismus“. Die Nachwirkungen der Frauenbewegung spiegeln sich in den letzten Jahrzehnten in einer Reihe staatlicher Angebote und Reformen wider. Viele davon bedeuten eine reale Verbesserung und können als Kampferfolge gesehen werden: Notruf-Hotlines, Frauenhäuser, Frauenförderprogramme usw.. Damit einher ging jedoch auch meistens eine „Entradikalisierung“ bzw. Anpassung. So wurden z.B. den früher autonomen Notrufen die Zähne gezogen. Gleichzeitig wird die Illusion gestärkt, dass durch eine Änderung von Gesetzen und Frauen-Förder-Programme die Benachteiligung im Rahmen des Kapitalismus endgültig abgeschafft werden könne. Die Wurzeln dieser liegen aber in der Klassengesellschaft selbst und können nicht durch Reformen beseitigt werden. Der zahnlose grün-sozialdemokratische „institutionalisierte Feminismus“, oft mit bürgerlicher Ideologie angereichert, stellt heute einen Hemmschuh für Widerstand dar.
Von Frauenbefreiung und Gleichberechtigung sind wir noch weit entfernt!
Dramatisch ist hier das Auseinderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit. Frauenministerin Heinisch-Hosek hat schon 2010 ein Verbot sexistischer Werbung gefordert. Gleichzeitig schaltet sie um teures Steuergeld Werbeanzeigen z.B. in der Kronenzeitung (bekannt für die täglichen sexistischen Abbildungen) und stimmt für mehr Schulautonomie, die zu sexistischer Werbung in Schulen führt. Im Regierungsübereinkommen steht: „Absicherung und Ausbau der notwendigen Einrichtungen (z.B. Gewaltschutzzentren, Notwohnungen sowie Frauen und Mädchenberatungsstellen)“. Die gleiche Regierung kürzt bei den „Ermessensausgaben“ um 500 Millionen. Doch das sind jene Töpfe, aus denen u.a. die Gewaltschutzzentren finanziert werden.
Auf der Homepage der Einrichtung frauenberatung.at, die von drei staatlichen Institutionen „gefördert“ wird, springt als erstes der Satz ins Auge: „Wir sind dringend auf Ihre Spende angewiesen, um die Beratungsstelle weiterführen zu können!“
Dies zeigt, dass der Kampf gegen Frauenbenachteiligung nicht von gesellschaftlichen Verteilungsfragen getrennt ist. Alle Lösungsansätze, die nicht zur eigentlichen Ursache vorstoßen, bleiben an der Oberfläche. Ein Verbot sexistischer Werbung und das Anprangern sexistische Kultur kann nur ein Anfang sein. Denn sie sind nur Spiegel eines Systems, das notwendigerweise Sexismus und Frauenbenachteiligung produziert.
Tatsächlich ist die vom Kapitalismus so hoch gepriesene „heilige“ Familie oft der gefährlichste Ort für Frauen und Mädchen. Die meiste sexuelle Gewalt findet in Familie bzw. durch Bekannte statt, oft auch am Arbeitsplatz.
Und gerade hier zeigt sich die Bedeutung von sozialen Forderungen. In der Gastronomie wird von Frauen geradezu erwartet, dass sie mit „vollem Körpereinsatz“ arbeiten. Fürs dringend nötige Trinkgeld soll Grapschen und Anmachen akzeptiert werden. Dem kann man entkommen, aber nur wenn die Jobs ordentlich bezahlt sind und man keine Angst vor Arbeitslosigkeit haben muss – durch Mindestlohn und Arbeitszeitverkürzung. Billige Wohnungen und ausreichend Jobs für alle sind die Basis dafür, dass Frauen es sich leisten können, gewalttätige Partner zu verlassen bzw. nicht in einer gefährlichen Familie bleiben zu müssen. Der Kampf gegen (sexuelle) Gewalt muss immer mit sozialen Forderungen verbunden sein. Es ist kein Kampf Frauen gegen Männer; vielmehr wir hier unten gegen die dort oben. Ja, Sexismus gibt es auch in der ArbeiterInnenbewegung. Ja, auch Frauen der herrschenden Klasse werden Opfer von sexueller Gewalt. Doch der gemeinsame Kampf von Frauen und Männern gegen Sozialabbau, für höhere Löhne, ebenso wie gegen Abschiebungen und allgemein das Profitsystem samt seiner Folgen ist zentral. In solchen Kämpfen wird Sexismus nicht akzeptiert, sondern offen konfrontiert. Das ist die Grundlage, um den Sexismus zu beseitigen. Dieser ist ein Element des Kapitalismus und muss daher gemeinsam mit diesem bekämpft und beseitigt werden.