Di 25.07.2023
Interview mit einer Aktivistin der kämpferischen Basisgruppe beim FSW Obdach Wien (ODW, eine Tochter des FSW für die Betreuung Obdachloser und Wohnungsloser).
Warum habt ihr euch gegründet?
Es herrscht seit geraumer Zeit eine große Unzufriedenheit im FSW, allerdings hat der letzte KV-Abschluss 2022 die Wut zum Überkochen gebracht und war ausschlaggebend für die Gründung der ODW-Basisgruppe. Prinzipiell fokussieren wir uns auf den Bereich des ODW, allerdings bearbeiten wir auch FSW-weite Themen wie die der Leistungsbewertung, welche ebenfalls eine bedeutende Rolle bei der Gründung spielte, weil sie regelmäßig Konflikte und Unzufriedenheit schürt, da sie dem Sozialbereich eine neoliberalistische Denkweise aufzwingt.
Im Rahmen der Leistungsbewertung werden Beschäftigte von ihrer Führungskraft anhand von 5 Merkmalen (unter anderem „Soziale Kompetenz“ oder „Umgang mit persönlichen Ressourcen“) mittels Punkten von 1-5 bewertet. Anhand dieser Punktezahl bekommt jede/r Beschäftigte eine Leistungsprämie ausbezahlt. Abgesehen davon, dass hier eine subjektive Bewertung stattfindet, fließen zum Beispiel Krankenstände und Mehrarbeit in die Bewertung mit ein und der Algorithmus zur Berechnung ist intransparent, sodass die Prämie von 200€ bis zu 2.000€ reichen kann.
Weitere zentrale Themen sind die unmenschliche Normalarbeitszeit von 40Std./Woche, welche in unserem Bereich häufig 6-Tage-Wochen bedeutet. Außerdem bzw. im Zuge dessen kämpfen wir mit einem konstanten Personalmangel aufgrund fehlender Nachbesetzungen von Langzeitkrankenständen und auch aufgrund der hohen Fluktuation des Personals, da kaum jemand lange unter den bestehenden Arbeitsbedingungen arbeiten kann oder möchte.
Was habt ihr bis jetzt gemacht?
Seit unserer Gründung im September 2022 hat sich die Art unserer Arbeit stets entwickelt. Anfangs galt der Fokus einerseits auf uns als Basisgruppe aufmerksam zu machen, um Personen ins Boot zu holen, sowie andererseits auf Vernetzungen mit z.B. “Sozial, aber nicht blöd”, um Infos und Erfahrungsberichte zu Arbeitskämpfen einzuholen. Relativ bald haben wir dann versucht, den Betriebsrat für den schlechten Abschluss zur Verantwortung zu ziehen und eine Betriebsversammlung genutzt, um Druck aufzubauen. Bei der Konzernbetriebsversammlung überreichten wir als Basisgruppe unsere Forderungen für einerseits eine Nachverhandlung, sowie die Abschaffung der Leistungsbewertung und Umwandlung in eine fixe Jahresprämie sowie Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und Personalausgleich. Unsere Arbeit hat unseren Betriebsrat wachgerüttelt und es gibt stellenweise Kooperationen – z.B. haben wir als Basisgruppe eine Unterschriftenaktion gegen die Leistungsbewertung ins Leben gerufen, die vom Betriebsrat aktiv beworben wurde, welche zurzeit noch läuft und bereits von Bereichen außerhalb des ODW vor Ort angefragt wurde. Wir konnten ebenfalls regelmäßigere Betriebsversammlungen erwirken, da hier Kolleg*innen innerhalb der Arbeitszeit aktiv werden können, was von zentraler Bedeutung ist, da eine 40Std.-Woche kaum Zeit lässt, sich anderweitig politisch zu engagieren.
Was plant ihr für die Zukunft?
Die KV-Verhandlungen für den FSW finden im Mai/Juni statt, weshalb wir zurzeit in einer heißen Vorbereitungsphase sind. Aktuell fokussieren wir uns auf die nächste Betriebsversammlung, da bei dieser die Forderungen des ODW für die kommenden KV-Verhandlungen abgestimmt werden und wir unsere zentralen Forderungen (20% Lohnerhöhung und eine 35-Std.-Woche bei vollem Lohn und Personalausgleich) einbringen und durchsetzen wollen. Außerdem arbeiten wir an Aktionen, mit denen wir auf bestehende Missstände aufmerksam machen und Druck aufbauen können. Die Überlegungen zu diesen Aktionen reichen von Kundgebungen über Kreideaktionen bis hin zu weiteren Unterschriftenaktionen, wir treffen uns 2x im Monat und planen zurzeit unsere nächsten Schritte.
Info:
Der Fond Soziales Wien (FSW) ist verantwortlich für die Vergabe von Förderungen für den privaten Sozialbereich in Wien, d.h. die Entscheidung, welche Vereine wie Pflege, Betreuung oder Jugendarbeit anbieten können. Gegründet wurde er 2000 als Ausgliederung von staatlichen Aufgaben in eine privatwirtschaftliche Organisation mit dem Ziel, den Sozialbereich stärker kapitalistischer Kosteneffizienz zu unterwerfen. Die Förderpolitik des FSW führt zum ständigen gegenseitigen Unterbieten der Vereine - mit katastrophalen Auswirkungen für Klient*innen und Beschäftigte. Während der Pandemie gab es wiederholt Proteste und sogar Streiks gegen die Schließung von notwendigen Unterkünften für Geflüchtete und wohnungslose Menschen durch den FSW. Innerhalb des FSW herrschen teilweise katastrophale Arbeitsbedingungen für die 2.400 Beschäftigten. Seit Sommer 2022 organisieren sich Kolleg*innen bei Obdach Wien dagegen. Die gesamtgesellschaftliche Rolle des FSW macht diese Organisierung besonders wichtig.