Mi 01.12.1999
Die SOV versteht sich als revolutionär sozialistische Organisation, in der Tradition und dem Beispiel jener Parteien folgenden, die an der Spitze der Masse der Lohnabhängigen und Ausgebeuteten auf dem Weg zu einer radikalen Veränderung der Gesellschaft standen. Davon, was das für uns bedeutet, handelt dieser Artikel.
“Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.” Dies ist der erste Satz des ersten Kapitels des “Manifestes der Kommunistischen Partei”, des ersten politischen Programms der ArbeiterInnenbewegung, geschrieben 1848, am Vorabend der französischen Februarrevolution, von Karl Marx und Friedrich Engels, im Dezember 1847, also vor mehr als 150 Jahren!
Damals revoltierten die ausgebeuteten Massen von Paris und den Pariser Vororten, als die von den gemäßigten Republikanern (einer der damaligen Parteien der Bourgeoisie) organisierten öffentlichen Bankette für die Erweiterung des Wahlrechts verboten wurden. Der “Bürgerkönig” Louis Philippe von Orléans (während der Julirevolution von 1830 vom konstitutionell-monarchistischen und liberalen Bürgertum gegen die republikanische ArbeiterInnenschaft zum König “gewählt” bzw. eingesetzt) dankte ab und floh nach Britannien.
Als dann aber die Bourgeoisie, die zu schwach war, um ihre eigenen Klasseninteressen alleine durchzusetzen, und zu diesem Zweck einen Verbündeten - hier das zahlenmäßig herausragende Proletariat - benötigt, eben dieses offen verriet, kam es zur “Pariser Juniinsurrektion von 1848 - der ersten großen Schlacht zwischen Proletariat und Bourgeoisie” (Engels 1888), der ersten selbständigen revolutionären Bewegung des Proletariats.
Der subjektive Faktor
Der Aufstand der Pariser ArbeiterInnen, der von 24. bis 26. Juni dauerte, wurde damals durch den Kriegsminister Cavaignac blutig niedergeschlagen. Woran es fehlte - in Frankreich wie in ganz Europa zur Zeit der Revolutionen 1848/49 -, war eine Organisation, welche die Kämpfe bündeln und leiten würde - die “proletarische” oder “kommunistische” Partei.
Die Menschheitsgeschichte hat seit ihrem Bestehen bereits zahlreiche Revolutionen gesehen - gescheiterte wie geglückte. Momente, in denen die Unterdrückten all ihren Mut und ihre gesamte Kraft zusammennahmen, um gegen die ungerechten Verhältnisse und die diese Verhältnisse verteidigende Obrigkeit anzukämpfen. Doch diese Versuche des Umsturzes bzw. der Befreiung waren immer nur dann erfolgreich, wenn 1) die Zeit reif dazu war, d.h. die äußeren Umstände einen solchen revolutionären Ausbruch quasi erzwangen, und 2) die spontanen “Wutausbrüche” sich dermaßen gehäuft (“akkumuliert”) hatten, dass sich die vereinzelten Kämpfe ausweiteten auf einen einzigen großen Kampf und 3) dieser von einer bewussten Führung geplant und vorbereitet wurde. “Die gegenwärtige Krise in der menschlichen Kultur ist die Krise der Führung des Proletariats.” (Trotzki 1938)
Im modernen sozialistischen Sprachgebrauch nennen wir einen solchen Punkt in der Geschichte, an dem die “objektiven Faktoren” gegeben sind, eine „revolutionäre Situation“. Entscheidende Vorraussetzung für eine siegreiche Revolution ist aber durch die Existenz des “subjektiven Faktors” (einer revolutionären Partei). Die Dialektik (i.e. den Zusammenhang) von Spontaneität und Bewusstsein oder Klasse, Partei und Führung zu begreifen und die aus dieser Erkenntnis gewonnenen Resultate richtig anzuwenden, ist eine der vorrangigsten Aufgaben der „Weltpartei des Sozialismus”, wie Trotzki es nannte.
Für den Aufbau dieser Partei haben auch Marx und Engels Zeit ihres Lebens gekämpft: Während der frühen Phase ihrer Zusammenarbeit in der Redaktion der „Rheinischen Zeitung”. Danach im Vorstand des „Bundes der Kommunisten”, der Auftrag für die Herausgabe des „Manifests der Kommunistischen Partei” gegeben hatte. In der Zeit der Reaktion und des Rückfalls der europäischen ArbeiterInnenklasse in zahlreichen (radikalen wie gemäßigten) Publikationen und sich bildenden politischen Formationen. Und zwischen 1864 und 1876, in der auf Initiative britischer und französischer Gruppen in London gegründeten „Internationalen Arbeiter Assoziation” (= 1. Internationale), die „das Fundament zum internationalen proletarischen Kampfe für den Sozialismus” (Lenin) legte.
Die Krise der Führung
Gegen Ende der Zwischenkriegszeit stand das Proletariat weltweit ohne revolutionärer Führung da. So kam es, dass die bürgerlichen Führer der sozialdemokratischen Parteien, wie auch jene der stalinistischen KPn zusahen, wie der Faschismus siegen und sich ausbreiten konnte, oder, wie unter anderem während der spanischen Revolution, sich aktiv an der blutigen Niederwerfung von Volksaufständen beteiligten.
In dieser Zeit führten Trotzki, Weggefährte Lenins bis zu seinem Tod 1924 und gemeinam mit diesem Organisator der sozialistischen Revolution 1917, und seine AnhängerInnen einen unerbitterlichen Kampf um den Aufbau einer schlagfertigen Alternative. Am 3. September 1938 wurde, auf einer geheimen eintägigen Konferenz in einer Scheune die endgültige Proklamation der 4.. Internationale in Perigny, Frankreich bestätigt (offiziell bekannt wurde sie später als „Konferenz von Laussane”).
Dies geschah inmitten der Phase der fatalen „Appeasement-Politik” der Westmächte mit dem deutschen Faschismus und am Vorabend des 2. Weltkrieges, das heißt zu einem Zeitpunkt, an dem das europäische Proletariat an seinem absoluten historischen Tiefpunkt angelangt war. Heute, da diese Internationale den Krieg und den Nachkriegs”boom” nur teilweise überlebt hat (zu einem Teil in unserer Internationale), ist es nötig geworden, diese Traditionen neu aufzugreifen und am Kampf für eine neue Führung aktiv teilzuhaben, aber auch am Aufbau für eine neue Partei der ArbeiterInnen und der Jugend, da es momentan (und das in Wirklichkeit schon seit Jahren) keine reale Alternative auf politischer Ebene gibt. Eine Aufgabe, der u.a. wir uns in Österreich als GründerInnen und UnterstützerInnen der Zeitung Vorwärts (seit 1981) und (seit ihrer Gründung im Mai 1996), deren Organisation, der SOV, verschrieben haben.
Klasse und Bewusstsein
Werfen wir nun noch kurz einen Blick auf die Fragen: „Ist das Proletariat in seiner „ursprünglichen” Form, wie Marx es kannte, überhaupt noch existent?” und „Was ist das Bewusstsein einer Klasse und wie bildet es sich?”
Die klassische wissenschaftliche Analyse des Klassenkampfes und Ausarbeitung des Weges, den das Proletariat in dieser Entwicklung zur Erreichung seiner Ziele durchgemacht hat bzw. noch durchmachen muss, führten Marx und Engels zu folgendem Ergebnis: Vorerst lediglich „Klasse an sich“, die sich in losen ökonomischen und sozialen Verbänden zur Verteidigung gegen die Angriffe des Kapitals organisiert und mit zunehmender Vergesellschaftung und Kollektivierung der Arbeit zusammenrückt zur „Klasse für sich“, zur sich ihrer gemeinsamen Lage bewussten Klasse.
Marx und Engels und nach ihnen Lenin und Trotzki haben bereits zur Genüge die Notwendigkeit der Klassenunabhängigkeit sowie der revolutionären Selbstorganisierung des Proletariats als wichtigste Bestandteile der Revolution in Permanenz zur Erreichung der klassen- und staatslosen Gesellschaft, aufgezeigt.
Die zwei Pfeiler der ArbeiterInnenbewegung
Die Gewerkschaft: Entstanden aus den frühkapitalistischen Selbsthilfegruppen, sowie den mittelalterlichen Gilden - kämpft für die unmittelbaren Interessen der Werktätigen, für ein „gerechtes Einkommen”, einen menschenwürdigen Kranken- und Pensionsschutz, niedrige Arbeitszeiten, Bildung etc., d.h. also für ein lebenswertes Dasein. Letztlich auch zur Schaffung einer besseren Ausgangsposition in diesem Klassenkampf.
Die Partei: Sie muss die Massen weitergehend organisieren und mobilisieren, um einerseits gegen Angriffe des Kapitals gewappnet zu sein und andererseits für die langfristige Erhaltung dieser Reformen zu kämpfen, welche nur durch einen radikalen Bruch mit der kapitalistischen Gesellschaft und den Aufbau einer neuen sozialistischen Gesellschaft auf der Grundlage einer kollektiven Produktionsweise möglich werden wird. Und da jeder Klassenkampf auf eine politische Auseinandersetzung hinausläuft, ist die Partei Ausdruck dieser dominierenden Seite des Kampfes, mündend in die Frage um die Macht!
Doppelte Aufgabe
Wie bereits oben angesprochen, stehen wir heute vor einer doppelten Aufgabe: Dem Aufbau einer breiten Massenpartei und der Schaffung einer revolutionären Führung, wobei das eine nicht ohne das andere zu bewerkstelligen ist und umgekehrt.
Und das ist es auch, was uns Marx und Engels sagen wollten, als sie vor anderthalb Jahrhunderten (!) schrieben: „Aber die Bourgeoisie hat nicht nur die Waffen geschmiedet, die ihr den Tod bringen; sie hat auch die Männer [und Frauen] gezeugt, die diese Waffen führen werden - die modernen Arbeiter. (...) Das Proletariat macht verschiedene Entwicklungsstufen durch. Sein Kampf gegen die Bourgeoisie beginnt mit seiner Existenz.”