Nehmt ihr uns eine, antworten wir alle!

von Marlene Erkl, Sozialarbeiterin

Wer in Österreich lebt, weiß: über die sogenannte gemeinsame „Leitkultur“ wird besonders gerne gesprochen. Ebenso gerne wird über Männergewalt geschwiegen. 

Es waren fünf Morde an einem Tag

Fakt ist, beim Thema Frauenmorde gehört Österreich zu den traurigen Spitzenreitern in der EU, wie eine aktuelle Vergleichsstudie von Eurostat zeigt. Schaut man sich die Femi(ni)zid-Zahlen zwischen 2018 und 2023 an, stößt man auf erschreckend hohe Zahlen: pro Jahr wurden bis zu 41 Frauen ermordet. Wie aus der Liste der autonomen österreichischen Frauenhäuser hervorgeht, waren die Täter in nahezu allen Fällen (Ex-)Partner, Ehemänner oder männliche Verwandte. Gewaltschutzerxpert*innen betonen, dass sie oft schon bei der Polizei oder in psychiatrischen Einrichtungen bekannt sind. Verfrühte Entlassungen oder Falscheinschätzung im Gefährlichkeitsgrad der Personen hatten tödliche Folgen für Frauen. Dies zeigt nicht nur einen Mangel in der Versorgungslandschaft für psychisch Erkrankte, sondern auch das Desinteresse der Politik, Gewaltschutz- und Präventionsmaßnahmen mit ausreichend finanziellen Ressourcen auszustatten. 

Im Februar 2024 wurde ein weiterer Tiefpunkt in der Geschichte der Frauenmorde in Österreich erreicht: Vier Frauen und ein Mädchen wurden an nur einem Tag getötet. Die Pandemie der Gewalt ging 2024 jedoch noch auf schreckliche Weise weiter. Mit Stand Juni 2024 zählen wir bereits zwölf Femi(ni)zide. Gerade wenn es um diese extreme Form der Gewalt geht – um die Tötung von Frauen oder Personen, die als solche eingeordnet werden – bleibt die Berichterstattung oft unpräzise. Wir lesen beispielsweise von einem „Einzelfall“ oder einem „tragischen Beziehungsdrama“. Dies verharmlost die Gewalt nicht nur, sondern versucht sie oft sogar zu legitimieren. Zurückzuführen ist dies auf patriarchale Gesellschaftsstrukturen des Kapitalismus. Das bedeutet Strukturen, in denen die Macht zwischen Männern und anderen Geschlechtern ungleich verteilt ist, sie lassen zu, dass Männer sich in ihrer Wertigkeit über andere Geschlechter stellen können und dass dies nicht problematisiert, sondern oft sogar als „natürlich“ angesehen wird.  Wer in der Öffentlichkeit die hohe Zahl der Femi(ni)zide problematisiert, wird schnell mit der Frage konfrontiert, warum man sich nicht in gleichem Maße für die Morde an Männern interessiere. Ein Grund dafür ist, dass Männer in der Regel von Männern getötet werden. Es sollte also ein weiterer Hinweis darauf sein, dass wir dringend über Männergewalt sprechen sollten. Für Gewaltformen Begriffe zu finden halte ich für essenziell. Sprache ist ein Werkzeug, um unsere Wirklichkeit zu beschreiben und Missstände aufzuzeigen. 

Organisieren wir uns gegen Femi(ni)zide 

Den Grundstein für die folgenreichen internationalen Proteste gegen Femi(ni)zide legte die Bewegung „Ni una Menos“ (“Nicht eine weniger”), die ihren Ursprung in Lateinamerika hatte. Auf beeindruckende Weise verbinden sie feministische Forderungen miteinander. Auch in Österreich gehen Aktivist*innen gegen Femi(ni)zide und jede Form von Gewalt auf die Straße. ROSA z.B. organisierte die Protest- und Gedenkkundgebung nach den fünf  Femi(ni)ziden in Wien im Februar oder den Protest gegen den Freispruch nach dem Tod einer Minderjährigen im Juli. Denn auf die Entscheidungsträger*innen in der Regierung können wir uns schon lange nicht mehr verlassen. Darum organisiere dich! (Du findest uns auf Instagram unter @rosa_oesterreich.) Denn eine andere Welt ist möglich. 

 

Info:

Ein Femi(ni)zid ist die vorsätzliche Tötung einer Frau durch einen Mann aufgrund ihres Geschlechts bzw. aufgrund von ‚Verstößen‘ gegen die Rollenvorstellungen, die Frauen zugeschrieben werden.

 

Hilfsangebote:

rund um die Uhr, kostenlos, anonym:
Frauen-Helpline gegen Gewalt 0800 222 555
Die Männerinfo 0800 400 777 

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: