Do 10.05.2007
Das Regierungsübereinkommen (das in wesentlichen Teilen auf einem „Sozialpartner-Papier“ basiert) beinhaltete weitere Flexibilisierungen der Arbeitszeit. Nun haben die Sozialpartner einen konkreten Vorschlag ausgearbeitet, der vor dem Sommer beschlossen und mit Anfang 2008 in Kraft treten soll.
Die ÖGB-Spitze feiert den Deal als Erfolg, vor allem für weibliche Teilzeitkräfte. Bei näherem Blick wird jedoch deutlich, dass die angeblichen Verbesserungen leere Hüllen bleiben, während die Verschlechterungen rasch konkret umgesetzt werden. Bundeswirtschaftskammer und Industriellenvereinigung freuen sich und fordern weitere „Flexibilisierungen“. Die Beschäftigten werden rasch mit Einkommensverlusten konfrontiert sein. Die Gewerkschaftsführung wird die Handvoll Beispiele, die vielleicht davon profitieren, abfeiern und die vielen, die verlieren, unter den Teppich kehren. Manche VertreterInnen der ÖGB-Führung geben zu, dass mit der neuen Regelung ohnehin in der Praxis bereits existierende Schlechterstellungen nun in einen gesetzlichen Rahmen gegossen werden. Das heißt: die ÖGB-Führung hat schon in der Vergangenheit Verschlechterungen bei der Arbeitszeit, die teilweise im rechtlichen Graubereich lagen, akzeptiert. Nun wurden diese mit Hilfe der ÖGB-Spitze legalisiert.
Das Thema Arbeitszeit, welches eng mit der Frage von Arbeitslosigkeit verbunden ist, rückte in den letzten Jahren wieder verstärkt ins Zentrum. Die sinkenden Reallöhne bieten eine gute Grundlage für die Unternehmen, mehr „Flexibilität“ von den Beschäftigten zu erpressen. In ihren Ursprüngen hat sich die ArbeiterInnenbewegung für den 8-Stunden-Tag („8 Stunden Arbeit, 8 Stunden Schlaf, 8 Stunden Freizeit“) eingesetzt. Es ist erschreckend, dass diese Forderung heute wieder so zentral geworden ist. Denn die Praxis der letzten Jahre hat bewiesen, dass durch ein mehr an „Flexibilität“ (die stets nur eine Flexibilität zu Gunsten der Unternehmen und zum Nachteil der Beschäftigten war) keine Arbeitsplätze geschaffen oder auch nur gesichert wurden. Vielmehr wurden sie sogar vernichtet!
Den ohnehin angeschlagenen ÖGB, der an Mitgliedern und Vertrauen verliert, wird dieses neuerliche Packeln mit den UnternehmensvertreterInnen zu Lasten der Beschäftigten weiter schwächen. Die KapitalistInnen haben wieder einmal festgestellt, dass sich mit Hilfe der ÖGB-Führung Angriffe durchführen lassen. Die Beschäftigten müssen einmal mehr sehen, dass diese ÖGB-Führung ihre Interessen nicht vertritt.
Die neuen Arbeitszeitregelungen werden weitere Jobs vernichten
Der ÖGB stellt die Regelung als eine „Win-Win“-Situation dar, von der letztlich alle Seiten profitieren sollen. In der offiziellen ÖGB-Schreibweise wird darauf hingewiesen, dass vieles „eh schon bisher möglich war“, „die Gewerkschaft weiterhin über die KV-Ebene mitentscheiden kann“ und „viel für die Teilzeitbeschäftigten erreicht wurde“. Was umfasst das Paket nun tatsächlich?
· Bei einer Viertagewoche können zehn Stunden Normalarbeitszeit betrieblich oder individuell vereinbart werden. Bisher war dazu der Kollektivvertrag nötig. Das bedeutet eine Schwächung der Gewerkschaft: der/die einzelne kann sich gegen den Druck im Unternehmen, diese Verschlechterung zu akzeptieren, viel schwerer wehren.
· Zehn Stunden Normalarbeitszeit sind nun auch bei Gleitzeitvereinbarungen möglich. Bisher galt das nur in jenen Branchen, in denen der Kollektivvertrag das vorsah. (Auch hier ein Umgehen der Gewerkschaften und eine Abwertung der Kollektivverträge. Wenn die Normalarbeitszeit 10 und nicht acht Stunden beträgt, dann fallen Überstundenzuschläge für die neunte und zehnte Stunde weg, die bisher bezahlt werden mussten.)
· Die Möglichkeiten, bei Überstunden zwölf Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche zu beschäftigen, werden ausgeweitet. (= längere Arbeitszeiten, und das bedeutet die weitere Vernichtung von Arbeitsplätzen.)
· Dazu kommen Erleichterungen bei Schichtarbeit. (Erleichterungen selbstverständlich nicht für die Beschäftigten, sondern die Unternehmen.)
· Leichtere Durchsetzbarkeit der Abgeltung von Zeitguthaben. (Wer schon mal versucht hat, seine seit Ewigkeiten stehenden Überstunden als Freizeit zu konsumieren weiß, dass das meist scheitert. Auch hier gilt: Je mehr auf die betriebliche Ebene verlagert wird, umso schlechter ist die Ausgangssituation für die Beschäftigten. Schon jetzt werden rund 20 % der Überstunden gar nicht bezahlt!)
ÖGB-Vorsitzender Hundstorfer argumentiert: "Geblockte Arbeitszeiten und Gleitzeit sind meist auch im Interesse der ArbeitnehmerInnen. Das hat uns die Zustimmung erleichtert". Tatsächlich erhöhen geblockte Arbeitszeiten das Unfallrisiko. Sie sind meist mit Kinderbetreuung unvereinbar, und Gleitzeiten reduzieren das Einkommen durch den Wegfall von Überstundenzuschlägen. Konkret kann eine Tagesarbeitszeit von 12 Stunden z.B. im Schichtbetrieb in der Industrie plus (unbezahlter) Pausen von einer Stunde und einer „zumutbaren“ Wegzeit von ebenfalls einer Stunde dazu führen, dass ArbeitnehmerInnen 14 Stunden für ihre Arbeit ausser Haus sind. Es mag zynisch klingen, aber davon profitiert wohl auch die Auto-Industrie, weil gerade SchichtarbeiterInnen dadurch verstärkt auf Privat-PKW zurückgreifen müssen, um zur Arbeit zu kommen.
Arbeitszeitverkürzung statt Flexibilisierung
Die Möglichkeit zu längeren Arbeitszeiten wird im Regelfall auch nicht genutzt, um eine 40-Stunden-Woche zu blocken, sondern um noch mehr Überstunden zu verlangen. Schon jetzt wird in Österreich durchschnittlich 44,1 Stunden pro Woche gearbeitet. Eine Untersuchung der Statistik Austria (basierend auf Daten für das 3. Quartal 2005) hat gezeigt, dass in Österreich 748.500 Menschen regelmäßig Überstunden leisten, und zwar durchschnittlich 9,4 Stunden pro Woche. Würden stattdessen neue Jobs geschaffen, würde das rund 175.000 zusätzliche Vollzeit-Jobs bringen.
Dass die Beschäftigten häufig mitspielen hat zwei Gründe: Erstens die sinkenden Reallöhne. Diese sinken unter anderem auch durch die Einführung von Gleitzeitregelungen und den Wegfall von Überstundenzuschlägen und zweitens die Angst um den Arbeitsplatz. Von „Freiwilligkeit“ bleibt letztlich keine Spur.
Die ÖGB-Führung versucht die Auswirkungen der neuen Regelung herunter zu spielen, weil das „eh alles nicht so hart kommen wird“. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen allerdings, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Schon jetzt hat nur die Minderheit der Beschäftigten in Österreich ein „Normalarbeitsverhältnis“ (fixe Anstellung, 5-Tage-Woche, Arbeitszeit von 35 bis maximal 40 Stunden, tagsüber). Der Rest arbeitet prekär, länger, kürzer, Schicht, in der Nacht und am Wochenende und mit wechselnden Arbeitszeiten. Auch bei vergangenen Änderungen (z.B. der Abschaffung des arbeitsfreien 8. Dezembers im Handel, Arbeitszeitgesetznovelle 1997, neue Beschäftigungsverhältnisse ...) hat die Gewerkschaftsführung immer wieder behauptet, es wären nur Ausnahmen, alles sei vorübergehend, und es würde eh nicht so schlimm kommen. Es hat nie gestimmt! Mit der neuen Regelung kann es den Unternehmen gelingen, den 10- bzw. sogar den 12-Stunden Tag im breiten Rahmen durchzusetzen!
Durch die neue Regelung werden keine Jobs geschaffen, sondern eher Jobs vernichtet. ArbeitnehmerInnen müssen immer länger arbeiten. Zeitausgleich wird dann oft vom Betrieb verordnet; zu Zeiten, die für die Beschäftigten alles andere als attraktiv sind. Wir sehen in den letzten Jahren eine Verlängerung, keine Verkürzung der Arbeitszeiten. Gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit. Das Argument von Kapital-VertreterInnen, dass flexiblere Arbeitszeiten die Wirtschaft konkurrenzfähig halten und damit Jobs schaffen würden, stimmt nicht. Das haben die letzten Jahre bewiesen. Es findet ein Austausch von Vollzeit- durch Teilzeitjobs sowie anderereseits eine Ausweitung der Arbeitszeiten statt. Obwohl der ÖGB eine aufrechte Beschlusslage für eine 35-Stunden-Woche hat, tut die ÖGB-Führung NICHTS, um dorthin zu gelangen. Das Thema wird noch nicht einmal angesprochen. Aber nur eine einschneidende Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn kann Arbeitslosigkeit effektiv bekämpfen und tatsächlich neue Arbeitsplätze schaffen.
Besserstellung für weibliche Teilzeitkräfte?
Als großes Plus wird die Regelung für Teilzeitkräfte präsentiert, die nun einen Zuschlag von 25 % für Mehrarbeit erhalten sollen. Aber warum ist der Zuschlag bei Teilzeitkräften nur 25 %, wo er doch normalerweise 50 bzw. 100 % ausmacht? Hinzu kommt: Die Regelung ist mit so vielen Wenn-und-Abers kombiniert, dass es kaum Teilzeitbeschäftigte geben wird, die tatsächlich davon profitieren:
· Der Zuschlag kommt nicht sofort zur Anwendung. Mehrstunden werden nicht zuschlagspflichtig, wenn sie noch im selben Quartal (oder einem anderen definierten Drei-Monats-Zeitraum) durch Zeitausgleich abgegolten werden. Sind saisonale Schwankungen vorhersehbar, kann jeweils angepasste Arbeitszeit vereinbart werden. (Teilzeitkräfte sind in einer noch schlechteren Verhandlungsposition als Vollzeitkräfte, weil im Regelfall noch abhängiger vom Job. Ihr Recht durchzusetzen wird in der Praxis schwierig sein. Und es wird für Unternehmen ein Leichtes sein, die Mehrstunden-Aufzeichung so zu führen, dass ein Ausgleich innerhalb der 3-Monats-Frist stattfindet.)
· Die Kollektivvertragspartner können den Zuschlag auf die Bedürfnisse der jeweiligen Branche maßschneidern und etwa einen anderen Durchrechnungszeitraum oder einen anderen Zuschlag vereinbaren. Dieser Punkt hebt den vorherigen de facto auf, weil auf KV-Ebene andere, auch schlechtere Regelungen fixiert werden können.
Die Krokodilstränen aus dem Handel, der über die angeblichen Mehrkosten klagt, sind ebenso scheinheilig wie die Lobeshymnen von der ÖGB-Frauenvorsitzenden Csörgits. Warum ist weibliche Mehrarbeit nur halb soviel wert wie männliche? Warum dieser Durchrechnungszeitraum? Welche Möglichkeiten werden die Beschäftigten tatsächlich haben, ihr Recht durchzusetzen? Wir freuen uns über jeden Cent, den Teilzeitbeschäftigte künftig mehr verdienen. Doch wir teilen hier die Meinung des stellvertretende FCG-Vorsitzenden Alfred Gajdosik: "Auch die Regelung für die Teilzeitkräfte ist eine Zumutung. Hier wird es nie zu einer Auszahlung des Zuschlages kommen, da die Durchrechnungszeit ganze drei Monate beträgt.“ (Was nichts daran ändert, dass die FCG ebenfalls nichts für die Verbesserung der Situation von Teilzeitkräften tut.)
Schwächung der Gewerkschaften
Der GPA-DJP-Vorsitzende Katzian meint "Wesentlich ist für uns, dass die Kollektivverträge das zentrale Instrument zur Regelung der Arbeitszeit bleiben und als solches im neuen Abkommen sogar eine Aufwertung erfahren". Worin die Aufwertung liegen soll, ist unklar, da eine Reihe von Regelungen auf der betrieblichen oder sogar individuellen Ebene getroffen werden können. Gefördert wird auch der kollektivvertragsfreie Zustand. Schon jetzt gibt es eine Reihe von Branchen ohne Kollektivvertrag. Das Paket sieht nun vor, das Arbeitszeitregelungen auch dann an die Betriebsebene weiter gegeben werden dürfen, wenn es keine kollektivvertragliche Interessenvertretung auf Arbeitgeberseite geben sollte. Das macht es zusätzlich für die Unternehmen attraktiv, KEINE kollektivvertragliche Interessensvertretung zu haben. Weiters ist vorgesehen, dass per KV die KV-Befugnisse künftig jederzeit auf die betriebliche Ebene delegiert werden können. Auch hier gilt: schon bisher haben diese Regelungen eine Schlechter- und keine Besserstellung gebracht. Der Druck des Unternehmens ist umso größer, je kleiner die Einheit ist, der er gegenübersitzt. Eine Gewerkschaft hat mehr Durchsetzungsmöglichkeiten als eine Betriebsratskörperschaft oder sogar nur einE individuelle BeschäftigteR.
Sieg der KapitalistInnen kann gestoppt werden!
Die Forderungen der „Wirtschaft“ mit ihrer Formel „10/12/60/1 bzw. 2“ (10 Stunden Normal- und 12 Stunden Höchstarbeitszeit pro Tag, 60 Stunden Normalarbeitszeit pro Woche, durchgerechnet über 1 Jahr (WKÖ) bzw. 2 Jahre (Industriellenvereinigung)) und die Schwächung der Kollektivverträge durch möglichst viele Regelungen auf betrieblicher Ebene ohne Mitsprache starker Gewerkschaften wurden nun weitgehend umgesetzt. Dass die ÖGB-Führung dabei mitmacht und das noch als Erfolg wertet, ist die Fortsetzung des bisherigen Kurses. Nach Beginn der ÖGB-Krise vor einem Jahr und rund um den ÖGB-Kongress ist deutlich geworden, dass immer mehr Gewerkschaftsmitglieder mit dem Kurs der Führung unzufrieden sind. Bisher ist es aber nicht gelungen, diesen Unzufriedenen eine laute Stimme im ÖGB zu geben, den Unmut zu bündeln und in Widerstand zu verwandeln. Dieser neue Angriff wird neue Wut erzeugen. Rasch wird deutlich werden, dass mit den Verschlechterungen (im Gegensatz zu den Behauptungen der ÖGB-Führung), die v.a. in der Industrie zum Tragen kommen werden, KEINE Verbesserungen für weibliche Teilzeitkräfte einhergehen werden.
Noch ist es nicht zu spät. Noch können diese Verschlechterungen verhindert und echte Verbesserungen für Teilzeitkräfte erkämpft werden! Denn es geht bei Lohn- und Arbeitszeitfragen nicht in erster Linie um juristische Angelegenheiten, sondern darum, wie das politische Kräfteverhältnis zwischen UnternehmerInnen und ArbeiterInnen ist. Schon bisher wurden Gesetze und Rechte einfach ingnoriert und gebrochen; weil die ArbeiterInnenbewegung trotz ihrer potentiellen Stärke derzeit schwach ist. Der beste rechtliche Schutz nützt nichts, wenn es keine ArbeiterInnenbewegung gibt, die für dessen Durchsetzung sorgt. Daher muss der Kampf weg von der juristischen auf die politische Ebene verlagert werden.
· Nein zur Verlängerung der täglichen und wöchentlichen Normal- und Maximalabeitszeit.
· Nein zu für die Beschäftigten nachteiligen Gleitzeitregelungen.
· Volle Überstundenbezahlung für Teilzeitkräfte.
· Arbeitszeitverkürzung auf 30-Stunden pro Woche bei vollem Lohn.
· Verkürzung der Lebensarbeitszeit
· Das Recht auf einen Vollzeitjob bei einem Mindestlohn von 1.100,- netto.
· Verhandlungsergebnisse müssen in Betriebsversammlungen diskutiert und in Urabstimmungen abgestimmt werden.
· Offenlegung der Firmenbücher, damit die Gewerkschaften und die Beschäftigten über die tatsächliche Situation des Betriebes Bescheid wissen und nicht mit der Dauer-Keule „Dem Betrieb geht’s so schlecht“ erpresst werden können.
All diese Forderungen können erreicht werden. Jedoch nicht mit dieser ÖGB-Führung und nicht mit dieser Gewerkschaftspolitik. Dazu braucht es kämpferische und demokratische Gewerkschaften. Die KollegInnen in Betrieben und Dienststellen sowie auch erwerbslose KollegInnen müssen sich organisieren, um für kämpferische und demokratische Gewerkschaften einzutreten. Die bundesweite linke GewerkschafterInnenkonferenz am 19. Mai in Wien ist dafür ein guter Ansatzpunkt! Die Plattform für kämpferische und demokratische Gewerkschaften plant darüberhinaus für Juni Aktionen zum Thema Arbeitszeit und Arbeitslosigkeit; unter anderem mit dem Ziel, eine breite Front gegen die neue Arbeitszeitregelung aufzubauen.