Fr 01.10.1999
Die Meldung, dass Michelin trotz einer Gewinnsteigerung von 17% im ersten Halbjahr 1999 einen Personalabbau um 7.500 Stellen in den nächsten drei Jahren plant, schlug in Frankreich ein wie eine Bombe. Dies gab Edouard Michelin bekannt, als er die Firma von seinem Vater übernommen hat. Die brutalen Managementmethoden zeigen sich darin, dass es heute zum Image eines gemachten Managers gehört, sich im wahrsten Sinn des Wortes auf Kosten der Belegschaft zu profilieren. Der Marktwert der Manager steigt mit dem Unternehmenswert und der Anzahl von MitarbeiterInnen, die er „freisetzt”. So steigen die Börsenwerte von Unternehmen schon bei Ankündigungen von Personalabbau.
In einer ersten Reaktion verurteilte der sozialdemokratische Premier Jospin den Personalabbau. Gleichzeitig stellte er jedoch klar, daß er nicht daran denke, etwas dagegen zu unternehmen. „Man kann nicht alles vom Staat erwarten. Man kann die Wirtschaft nicht verwalten.” Zwei Wochen später reagierte die Regierung doch auf den Druck der Basis und der linkeren Regierungsparteien (KP, Grüne). Und so änderte sich auch Jospins Meinung auf: „Der Staat muß sich neue, der Realität des Kapitalismus von heute angepaßte Regulierungsinstrumente zulegen.” Interessant und beschäftigungspolitisch richtungsweisend, könnten aber die neuesten Vorschläge Jospins sein, die die französische Regierung aus Anlaß des Peronalabbaus bei Michelin plant:
- Betriebe, die trotz günstiger Auftragslage massive Entlassungen vornehmen, sollen höhere Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zahlen, andere dafür geringere.
- Je mehr Beschäftigte eine Firma kündigt, desto mehr Beiträge soll sie an die Arbeitslosenversicherung abführen.
- Wenn rentable Firmen Kündigungen vornehmen, erhalten sie keine staatlichen Zuschüsse mehr für Frühpensionierungen.
- Betriebe, die in umfangreichem Ausmaß auf Leih- und Zeitarbeitsverträge zurückgreifen, werden im Rahmen eines Bonus-Malus-Systems negativ sanktioniert.
- Der Staat billigt Sozialpläne nur noch, wenn vorher überprüft wird, ob der Personalabbau durch die 35-Stundenwoche nicht verhindert werden hätte können. Dazu muß noch erwähnt werden, dass die „französische” 35-Stundenwoche im Ausgleich zur Arbeitszeitverkürzung weitgehende Flexibilisierung und Deregulierung vorsieht.
Es bleibt freilich abzuwarten, inwieweit diese Vorschläge wirklich so in die Praxis umgesetzt werden, da einige Punkte noch von den Sozialpartnern ausverhandelt werden sollen. Und diese haben auch den Übergang zur 35-Stundenwoche sehr verwässert. Denn die Arbeitszeitverkürzung wurde mit Flexibilisierungsschritten verbunden, die kaum große Beschäftigungseffekte erwarten lassen.Die Unternehmer erhalten pro Angestellten 130 vergünstigte Überstunden im Jahr, das sind fast drei Arbeitsstunden pro Woche. Diese sind nicht wie in Frankreich üblich ein Viertel höher zu bezahlen, sondern nur zehn Prozent. Überstunden müssen also nicht wie anfangs vorgesehen durch Zeitausgleich abgegolten werden. Trotzdem sind die oben angeführten Vorschläge insofern ein Schritt in die richtige Richtung, da sie offensichtlich eine nachträgliche Kurskorrektur darstellen, die auf massiven Widerstand von der Basis zurückzuführen ist. Die ArbeitnehmerInnen wollten die schlichte Tatsache nicht einsehen, dass sich der Staat nicht einmischen kann, wenn gewinnbringende Unternehmen, die oft auch noch mit beträchtlichen öffentlichen Mitteln, also Steuern subventioniert werden. Dieses Beispiel zeigt eines: das „gebetsmühlenartig” den Menschen eingepleute Dogma, der Staat habe sich in die Wirtschaft nicht einzumischen, ist bürgerliche Propaganda. Der Staat hat natürlich sehr wohl noch Gestaltungsmöglichkeiten auch bei einem geringerem „Verteilungsspielraum”; es fehlt lediglich der politische Wille. Warum gibt denn der Staat Subventionen an private Unternehmen, wenn er sich nicht einmischen soll? Wir würden den obigen Maßnahmen noch eine weitere hinzufügen. Wenn gewinnbringende Betriebe Menschen kündigen oder mit Standortverlagerung drohen, sollten sie vergesellschaftet werden. Eine gewinnbringende Produktion ist eine, bei der unter den gegebenen Bedingungen, der Nutzen der Erzeugnisse größer als deren Kosten ist. Die Gesellschaft soll sich diesen nicht von profitmaximierenden Unternehmern vorenthalten lassen.