Di 28.06.2011
Die Unternehmen profitieren von der Krise durch den Druck auf ArbeiterInnen. Viele können von ihrem Job nicht leben und mit prekären Beschäftigungen werden Arbeitsrecht und Kollektivverträge umgangen. Gleichzeitig sind Managementeinkommen, BankerInnen-Boni und Unternehmensgewinne gestiegen. Es kann ja nicht sein, dass viele für ihre Arbeit nicht einmal zehn Euro pro Stunde bekommen! Die Herrschenden schwafeln vom „Leistungsprinzip“ und meinen damit Lohnkürzungen und Sozialabbau. Was tun gegen die Hungerlöhne? Dazu gibt es eine Debatte über Kollektivvertrag bzw gesetzlichen Mindestlohn.
Was spricht gegen einen gesetzlichen Mindestlohn?
(Mindest)löhne sind in Kollektivverträgen geregelt, einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn gibt es nicht. Dagegen spricht, dass er dem Gesetzgeber die Materie überlassen und den Gewerkschaften entziehen würde. Außerdem birgt er die Gefahr einer Nivellierung nach unten durch Unterlaufen der Kollektivverträge.
Löhne werden durch Kräfteverhältnis bestimmt und müssen erkämpft werden. Es gibt kein Rezept für entweder - oder
Deshalb darf ein gesetzlicher Mindestlohn keinesfalls an die Stelle von kollektivvertraglich geregelten Löhnen treten. Die Höhe der Löhne ist im bestehenden kapitalistischen System durch das Kräfteverhältnis zwischen ArbeiterInnen und Herrschenden bestimmt, nicht durch Gesetz oder KV. Weil der Gesetzgeber im Interesse von Unternehmen agiert, müssen Löhne erkämpft werden. Dazu braucht es aber kämpferische Gewerkschaften. Weil es daran mangelt, sind die kollektivvertraglichen Löhne viel zu niedrig. Und es bestehen zahlreiche Umgehungsmöglichkeiten: Einerseits werden Arbeitsrecht und Kollektivverträge durch verschiedene Formen prekärer Beschäftigung umgangen. Andererseits existiert für viele Beschäftigten wie etwa ZahnarztassistentInnen kein Kollektivvertrag. Projektbeschäftigung, Befristungen, Werkverträge, Zwangsmaßnahmen für Erwerbslose, Ausbildungs- oder Probeverhältnisse, freie Dienstverträge, Scheinselbständigkeit, Abhängigkeit von illegaler Beschäftigung und Ausgliederungen ermöglichen Niedriglohn- oder gar unbezahlte Arbeit jenseits aller Kollektivverträge. Der ÖGB gibt an, es seien 98 % durch Kollektivvertrag abgedeckt. Diese Zahl stimmt nicht, wenn man alle Umgehungen berücksichtigt. Tatsächlich hat ein wachsender Teil der Beschäftigten von Kollektivvertragslöhnen nichts und ist auch nicht gewerkschaftlich vertreten oder organisiert. Hinzu kommt, dass die Gewerkschaften bei Kollektivvertragsverhandlungen vor Kampfmaßnahmen zurückschrecken. Das führt auch innerhalb der Anwendung von Kollektivverträgen zu Reallohnverlust.
Einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn als Absicherung nach unten und weit darüber liegende KV-Löhne
Um die Niedriglöhne bis hin zu unbezahlter Arbeit abzuwehren, ist ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn als Notmaßnahme nötig. Ein gesetzlicher Mindestlohn kann aber nur einer von vielen Kampfschritten sein. Er kann nur als Sockel dienen, als absolutes Minimum, das nicht unterschritten werden kann. Er kann keinesfalls den Kampf für höhere Löhne in Kollektivverträgen ersetzen, ihn aber antreiben. Ein gesetzlicher Mindestlohn muss zum Leben reichen und „automatisch“ zumindest mit der Inflation erhöht werden. Das bedeutet menschenwürdiges, völlige Teilnahme an der Gesellschaft ermöglichendes, deutlich über der Armutsgrenze liegendes Einkommen. Dieser Mindestlohn muss für alle Beschäftigten gelten, unabhängig von KV-Zugehörigkeit oder rechtlicher Qualifikation der Beschäftigung. Niedriglohn- und unbezahlte Jobs können nur bekämpft werden, wenn auch das Arbeitslosengeld die gleiche Mindesthöhe hat und Zwangsmaßnahmen, die letztlich Billigjobs oder unbezahlte Arbeit darstellen, abgeschafft werden. Warum dann jemand noch arbeiten soll? Weil im Kollektivvertrag weit über dem Mindestlohn liegende Löhne von der Gewerkschaft erkämpft werden.
Mit kämpferischen Gewerkschaften zu höheren Löhnen für alle
Ein gesetzlicher Mindestlohn stellt ein Minimum dar, zusätzlich zur Erkämpfung von höheren Löhnen auf KV-Ebene. Er kann nur als Übergangslösung gegen die momentan schlimmsten Ausbeutungsformen dienen. Gewerkschaften müssen deutlich höhere KV-Löhne erkämpfen. Schluss mit dem Minimieren von Verschlechterungen, die dennoch Verschlechterungen bleiben! Hin zu deutlichen Verbesserungen im Kollektivvertrag – wenn nötig mit Kampfmaßnahmen! Dazu gehören KV-Löhne, die deutlich über einem gesetzlichen Mindestlohn liegen, die Abschaffung sämtlicher Umgehungsmöglichkeiten und die Durchsetzbarkeit der Löhne durch effektive Organisierung und Vertretung. Jene, für die kein KV gilt, müssen auch ohne Existenzbedrohung bessere Bedingungen erkämpfen können. Die Gewerkschaft muss sie, wie auch Erwerbslose, nicht nur auf dem Papier organisieren, sondern mit ihnen gegen Zwangsmaßnahmen kämpfen und den Streikfonds einsetzen. Dann muss branchenübergreifende und lückenlose Anwendbarkeit von KV erkämpft werden. Aber auch ein gesetzlicher Mindestlohn muss erkämpft statt erbeten werden. Auf kollektivvertraglicher Ebene müssen deutlich über dem Mindestlohn liegende und weit über dem jetzigen Niveau liegende Löhne erkämpft werden – wenn es sein muss, mit Streik.