Di 01.12.1998
Als „nicht sehr ambitiös“ bezeichnet selbst die EU-Kommission den österreichischen Beschäftigungplan (NAP). Statt der versprochenen schrittweisen Halbierung der Arbeitslosen-rate, werden auch diesen Winter wieder mehr Menschen, als je zuvor in den letzten vierzig Jahren, ohne Job dastehen. Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit steht für viele politische Parteien und Organisationen im Mittelpunkt: Grüne und Liberale fordern die Grundsicherung, aus GPA und KPÖ kommen Forderungen die sich an die Konzepte der „Linksregierung" Frankreichs anlehnen.
Stellvertretend für die laufende Debatte in der Linken stehen drei neue Publikationen auf dem Prüfstand: „fairteilen“ - Die Grüne Grundsicherung, „Die Wende ist machbar“ - Das Beschäftigungspolitische Konzept der KPÖ und „Arbeitsplätze schaffen - Arbeitszeit verkürzen!“ - Herausgegeben von der SOV.
In allen drei Broschüren wird umrissen, welche gesellschaftliche und soziale Katastrophe das Problem Massenarbeitslosigkeit bedeutet: „Arbeitslose werden ausgegrenzt, Familien gleiten in die Armut, einige wenige werden immer reicher, während immer mehr Menschen immer ärmer werden“ (Grüne). „Insgesamt sind derzeit pro Jahr etwa 700.000 Menschen von Arbeitslosigkeit betroffen“ (KPÖ). „Die Ungleich-heit zwischen reich und arm ist jetzt größer als in irgend einer Zeit in der Geschichte des Kapitalismus. Massenarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung sind jetzt weltweit auf dem selben Niveau wie in den 30er Jahren“ (SOV).
Wer oder was verursacht Arbeitslosigkeit?
Diese „logische“ nächste Frage, wird in sehr unterschiedlicher Weise beantwortet. Bei den Grünen ist bereits hier (bestenfalls) Sprachlosig-keit erkennbar. Sie sprechen in einem einzigen Satz von notwendigen Alternativen zum „Marktradikalismus und Turbokapitalismus“ und geben gleichzeitig zu: „Was die grüne Grundsicherung nicht kann: Arbeitslosigkeit abschaffen, Profitgier und internationalem Kapitalismus die nötigen Schranken setzen.“ Warum die Grünen ein sozialpolitisches Programm zur Arbeitslosigkeit publizieren und bereits auf der ersten Seite zugeben, dieses Problem nicht wirksam bekämpfen zu können, ist eigentlich schwer zu beantworten.
Die KPÖ beschreibt die - ihrer Meinung nach - entscheidenden Ursachen des Problems etwas genauer: Der „Beitritt zur EU und die massiven Privatisierungen“, die „Unterordnung" der offiziellen Politik unter „den Machtanspruch des Kapitals". So sehr der KPÖ beizupflichten ist, daß „diejenigen, die jetzt Krokodilstränen über den Brutalo und Turbokapitalismus vergießen“, tatsächlich „zu seiner Durchsetzung beigetragen haben", greift auch die KPÖ-Analyse zu kurz. Nicht der EU-Beitritt, sondern vor allem die damit verbundene - im Zeichen von Maastricht stehende - Sozialabbaupolitik ist das Problem. Der Maastrichtvertrag wurde übrigens auch von der französischen Linksregierung - in der „KommunistInnen einen starken Einfluß haben“ (Zitat aus der KPÖ-Broschüre) - akzeptiert.
Völlig ausgeblendet wird - wie oft in der Debatte - der Hintergrund der wirtschaftlichen Entwicklung, obwohl dieser die Rahmenbedingungen in denen sich soziale und politische Auseinandersetzungen entwickeln können, vorgibt. Die SOV-Broschüre setzt hier an und beschreibt „Arbeitslosigkeit“ vor allem als Ausdruck der wirtschaftlichen Krise: „Die weltweiten Wachstumsraten sinken kontinuierlich. Anfang der 70er Jahre lagen sie zwischen 4,9 und 6,5 %, Mitte der 80er zwischen drei und fünf Prozent. Die gesamten 90er Jahre wuchs die Weltwirtschaft jährlich unter vier Prozent bzw. stagnierte sogar. Die Arbeitlosenrate in der EU schwoll von unter 3 Prozent (Anfang der 70er) auf offiziell rund 11 Prozent in den 90er Jahren an“.
Das Grüne „Experten“-Modell
Entsprechend der - nicht vorhandenen - Analyse, bewegt sich das grüne Konzept im „luftleeren“ Raum. Es ist über weite Strecken die Aneinanderreihung einiger - nicht besonders radikaler - Forderungen, die vor allem Frauen, Kinder und Arbeitslose betreffen. Grundsicherung wird als Schlagwort eingesetzt, unter dem z.B. auch die „Grundsicherung von Bildung und Ausbildung“ verstanden wird. In diesem Zusammenhang wird u.a. der freie Bildungszugang und die Rücknahme der Selbstbehalte gefordert. Kernstück der grünen Forderung ist eine finanzielle Grundsicherung von öS 6.000,- plus öS 2.000,- Wohngeld. Diese Grundsicherung soll für Menschen ohne ausreichendes Einkommen - z.B. Arbeitslose, bei Bildungs und Erziehungskarenz, bei PensionistInnen und NiedrigverdienerInnen - vom Staat bezahlt werden. Die Grünen sprechen zwei Hauptprobleme dieses Modells selbst an:
Lohnsubventionierung und Sozialstaatsersatz?
Zum Thema Lohnsubventionierung - also Unternehmer stellen ArbeitnehmerInnen zu einem symbolischen Lohn ein und lassen den Rest über die Grundsicherung abdecken - fällt den Grünen nur ein Satz ein: „In anderen Politikbereichen muß sichergestellt werden, daß Erwerbseinkommen zumindest bei Vollerwerb so hoch sind, daß Menschen davon auch leben können.“ Auch wenn die Grünen ihr Konzept nicht als „System der Lohnsubventionierung“ verstehen wollen, wird es aber unweigerlich zu einem solchen, wenn es nicht in einen Rahmenvorschlag zur Herstellung von entsprechenden Mindestlöhnen, ... eingebettet und mit diesem untrennbar verbunden ist.
Die zweite „Gretchenfrage“ beschreiben die Grünen im Zusammenhang mit dem Grundsicherungs-modell der Liberalen: „Für sie (Anm: das LIF) ist die Grundsicherung eine Abschlagzahlung für die grenzenlose Liberalisierung. Das geben sie indirekt auch zu, wenn sie meinen, daß eben ein Teil der Menschen keinen Platz am Arbeitsmarkt mehr haben wird" Tatsächlich akzeptieren aber auch die Grünen - alleine schon dadurch, daß sie hier kein Konzept vorlegen - das Problem der strukturellen Arbeitlosigkeit. Die Grünen bekennen sich zwar zum Sozialstaat und zur Sicherung staatlicher Infrastruktur. In ihrem Konzept finden sich aber Schlagworte, die jenen der Liberalen gleichen. Auch die Grünen wollen das Sozialversicherungssystem „vereinfachen“ und beantworten die selbst gestellte Frage, ob mit ihrem Modell die Faulen über die „Fleißigen und Anständigen“ siegen: „Die Grüne Grundsicherung gibt es nicht automatisch ... Veweigern sie (die Arbeitslosen) zumutbare Angebote, kann ihnen die Grund-sicherung schrittweise bis auf 4.200 Schilling gekürzt werden.“ Zur Information: Das ist weniger als die Hälfte des zur Zeit durchschnittlichen Arbeitslosengeldes. Der Kreis schließt sich also: Wer nicht damit beginnt, die Verantwortlichen für das Problem Arbeitslosigkeit zu benennen, endet letztlich doch bei der „Ausgrenzung von Arbeitslosen“.
Arbeitszeit verkürzen – warum, wie und wieviel?
Die KPÖ präsentiert als erste Maßnahme zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit die „sofortige und generelle Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, als ersten Schritt zu einer radikalen Arbeitszeitverkürzung“. In einem Nebensatz wird auch die Senkung der Lebensarbeitszeit gefordert. Penibel werden die nicht abgegoltene Produktivitätssteigerung (seit 1995 plus 15 % in der Industrie), die Abnahme der Krankenstände aus Angst vor Entlassungen (minus 2 Tage/p.a.) aufgelistet. Die KPÖ beschreibt selbst, daß die Forderung nach 35 Stunden nicht mehr ausreicht - weil diese nur rund 62.000 neue Arbeitsplätze schafft.
Ihre Schlußfolgerung ist aber nicht eine sofortige, radikalere Arbeitszeit-verkürzung - die SOV fordert hier die 30 Stundenwoche - sondern ein Bündel von anderen Maßnahmen. Neben richtigen und wichtigen Forderungen wie: „Ein Mindestlohn von öS 15.000, 70.000 neue Betreuungsplätze für Kinder, die Ablehnung jeder Zwangsverpflichtung für Arbeitslose, freien Bildungszugang auf allen Ebenen, die vollständige Integration der Berufsausbildung in das öffentliche Bildungssystem“,... finden sich auch einige fragwürdige Ansätze im KPÖ-Programm. Es wird nur ein Privatisierungsstopp (und nicht die komplette Rücknahme aller Privatisierungen) bei staatlichten Betrieben und Einrichtungen, sowie der Rückkauf (!) der Ex-Verstaatlichten gefordert. Warum hat eine Kommunistische Partei offensichtlich Probleme mit der entschädigungslosen Enteignung des Großkapitals? Auch auf der internationalen Ebene ist die KPÖ-Position sehr zaghaft und unterscheidet sich kaum von offiziellen ÖGB-Positionen: „Wir treten für eine Änderung der Prioritätenliste in der EU zugunsten von Beschäftigung und sozialer Grundsicherung ein“. Nicht einmal die sofortige Rücknahme des Maastrichtvertrages und aller damit verbundenen Sparmaßnahmen wird verlangt.
Wer soll bezahlen?
Die Grünen haben für ihre Vorschläge einen „big spender“ vorgesehen: Den Staat. Sie sehen die Kosten für das „Grüne Grundsicherungs-modell“ von rund 30 Milliarden durch einige einfache Umschichtungen im bestehenden Budget gedeckt: Weniger Rüstung, Eintreibung von Steuerschul-den der Unternehmer, Umschichtun-gen bei den Steuern „ohne, daß sich insgesamt eine höhere Steuerbelas-tung ergibt". Der einzige Punkt, wo konkret zur Kassa gebeten wird, ist die völlig asoziale Forderung noch einer einkommensunabhängigen (!) Pflicht-versicherung von öS 200,- p/m. für alle zwischen 19 und Pension.
Die KPÖ setzt damit an, daß 85 % der Staatseinnahmen von den Arbeit-nehmerInnen bezahlt werden und stellt darauf „aufbauend" einige Forderungen, die hier eine eindeutige Umverteilung von „oben nach unten" bedeuten würden: Anhebung der Profit und Kapitalbesteuerung, Wiedereinführung der Vermögenssteuer ...
Allerdings ist z.B. - die durchaus auch im traditionellen gewerkschaftlichen Repertoire enthaltene - Wertschöpfungsabgabe nicht angeführt.
Die gesamte KPÖ-Argumentation läuft allerdings darauf hinaus, zu erklären, daß die beschäftigungspolitische Wende im Rahmen des Kapitalismus - relativ einfach - machbar und nur eine Frage des Willens der verantwortlichen Politik(er) ist. Die Wende der KPÖ wird dadurch äußerst begrenzt: „auch eine solche Politik könnte den laufenden Arbeitsplatzabbau durch Rationalisierungen nicht völlig verhindern“, die Argumentation teilweise fatal. Kritiklos wird das französische Arbeitszeitverkürzungsmodell (und indirekt das italienische) als Beispiel für die einfache „Machbarkeit“ der „Wende“ herangezogen: „Es ist nicht bekannt, daß der französische Kapitalismus durch diese Projekte zusammengebrochen wäre“. Gerade der nur hinhaltende Widerstand der Unternehmer ist ein Beleg für die Fragwürdigkeit dieses Projekts: Diese Arbeitszeitverkürzung ist mit Hinter-türen gespickt, „mit der gleichzeitig weitere Deregulierungs und Flexibili-sierungsmaßnahmen durchgeführt werden. Dieses Gesetz soll nur für Betriebe unter 20 Beschäftigte gelten. Um die Arbeitszeitverkürzung zu umgehen, werden die Unternehmer Subunternehmen gründen und damit die Belegschaft spalten“ - die wöchentlich mögliche Arbeitszeit „liegt weiter bei 48 Stunden“ (SOV). Die italienische „Arbeitszeitverkürzung“ kam überhaupt nur im Abtausch für ein Bündel von Sozialabbaumaßnahmen zustande.
Wie kann Arbeitslosigkeit bekämpft werden?
Die Frage der konkreten Umsetzung der Forderungen ist sowohl im Programm der Grünen, wie auch der KPÖ, der schwächste Punkt. Den Grünen geht es um den „sozialen Frieden“ und „fairteilen“ von Reichtum. Sozialer Frieden und faire Verteilung sind im Kapitalismus (auch ohne Turbo) unvereinbare Wider-sprüche. Mehr noch, diese Forderun-gen in einem Atemzug, sind ein Schlag ins Gesicht jener Menschen, die den „sozialen Krieg“ in Form von Massenarbeitslosigkeit und Armut tagtäglich miterleben und darüber nachdenken, sich zur Wehr zu setzen. Kein Wort findet sich bei den Grünen über soziale und Arbeitslosen-Bewegungen - wohl kein Zufall bei einer Partei, die sich von diesen Bewegungen systematisch abgekoppelt hat. Der KPÖ geht es um Umverteilung von Reichtum. Sie hat zur Umsetzung dieser Forderung auf 20 Seiten allerdings nur zwei Sätze verfaßt: Was von Staat und Regierung vorenthalten wird, muß „selbst erkämpft" werden und „die KPÖ tritt ... für eine aktive und kämpferische Lohnpolitik der Gewerkschaften ein" Beispiele von Bewegungen und Angebote für Aktionen finden sich keine.
Die Kampagne der SOV
Die SOV vertritt ein Gesamtkonzept, daß aus vier Punkten besteht:
- Die 30-Stundenwoche bei vollem Lohn: „Eine sofortige Einführung der 30-Stundenwoche würde das Druckmittel Arbeitslosigkeit derart schnell beseitigen, daß die in den Betrieben verbleibende Arbeit von neu einzustellenden Personen gemacht werden müßte.“
- Der 6-Stundentag: Weil „Flexibilisierung die positiven Effekte einer Arbeitszeitverkürzung beeinträchtigen bzw. aufheben kann.“
- Verkürzung der Lebensarbeitszeit: „Neben den gesundheitlichen Aspekten bringt (das) die Möglichkeit die Erwerbsbiographie selbständiger zu gestalten... - eine Machtverschiebung zugunsten der ArbeitnehmerInnen und zur Hebung der Lebensqualität. Wir wollen das die Kosten vom Unternehmer getragen werde“.
- Nein zur Sonntagsarbeit: „weil gemeinsames soziales Leben wichtiger ist als die Profite der Unternehmer."
Arbeitslosigkeit ist ein Mittel zur Umverteilung: Die Unternehmer entledigen sich durch sie der Kosten für wirtschaftliche Krisen und wälzen diese auf die Masse der Bevölkerung ab. Alle Forderungen der SOV zielen deshalb in eine Richtung: Sie werden als Mittel der Umverteilung von Reichtum und Macht zugunsten der ArbeiterInnenklasse verstanden. Die SOV vertritt die Meinung, daß jede auch nur kleine und kurzfristige Verschiebung zugunsten von Arbeit-nehmerInnen, Frauen, Jugendlichen, ... nur das Ergebnis einer offenen Auseindersetzung mit den Unterneh-mern und der etablierten Politik sein kann und wird. In diesem Sinne werden in der SOV-Broschüre österreichische und internationale Beispiele von Arbeitslosen, Gewerkschafts- und sozialen Bewegungen genannt. Vor allem bietet die SOV auch ihre Arbeitzeitverkürzungskampagne „zum Mitmachen“ an.