Gewerkschaften im Widerstand

ÖGB: Vertreibung aus dem Paradies?
Michael Gehmacher

Die konkrete Frage, die sich stellt ist, ob Gewerkschaften überhaupt eine wichtige Rolle im "Widerstand" spielen können. Und weiter, ob sich die Gewerkschaftsspitze überhaupt noch ihrer Lage bewusst ist. Zu solchen Fragestellungen veranstalten AK und ÖGB Oberösterreich jährlich das sogenannte "Jägermayer-Forum". Im Herbst 2000 mit dem vielsprechenden Titel: "Provokationen zur Zukunft der Gewerkschaftsbewegung". Unter dem Motto "Vertreibung aus dem Paradies" wurde 3 Tage lang über die Auswirkungen der blauschwarzen Regierung auf den ÖGB diskutiert.

Paradies - aber für wen?

Die ÖGB - Spitze war durch den stellvertretenden Direktor der Wiener AK, Werner Muhm, vertreten. Er meinte sinngemäß: Natürlich ist es unter der alten Regierung kein Paradies gewesen, aber früher waren die Rahmenbedingungen viel besser, und wir haben soviel erreicht für die Menschen. Der ÖGB muss beweisen, dass er nach wie vor zur Sozialpartnerschaft steht, den wenn die SPÖ wider an die Macht kommt dürfe man/frau die neue Regierung und die Wirtschaft nicht brüskieren. Damit stellt sich natürlich die Frage, ob von so einer ÖGB-Spitze überhaupt Widerstand zu erwarten sein kann.
Die alten Zustände waren ein Paradies für die Spitze von AK und ÖGB. Sie konnten aufgrund ihrer guten Verbindung mit der Regierung und der Wirtschaft viele Privilegien genießen von denen Gewerkschaftsspitzen in anderen Ländern nur Träumen können. Eine Hauptaufgabe des ÖGB für Wirtschaft und Politik war und ist das Ruhigstellen der Beschäftigten. Im Gegenzug wurden der Gewerkschaftsspitze ein gewisser Freiraum und gestalterische Möglichkeiten gewährt. Und genau diese werden durch die neue Regierung dem ÖGB genommen.

"Geht's scheissen!"

Die bereits erfolgte Einschränkung des Arbeitsinspektorats, der Versuch der Zerschlagung der Kollektivverträge, die Ankündigung der Senkung der Kammerumlage, setzen die Spitze von AK und ÖGB unter Druck. Der Regierungsleitsatz: "Speed- Kills", bedeutet, dass über Verhandlungen mit der Gewerkschaft drüber gefahren wird. Bezeichnend dafür ist eine Szene des 6.Junie 2000: als eine ÖGB- Delegation dem Wirtschaftsminister eine Protestresolution mit 64.000 Unterschriften überreichen wollte ließ sich der Minister von einem Sektionschef verleugnen. Beim Abwimmeln der ÖGB-Delegation ließ sich der Sektionschef noch zu dem bemerkenswerten Ausspruch " geht's scheißen" hinreißen.
Für Funktionäre die gewohnt waren per Handy mit den Eliten der Macht zu kommunizieren und immer mindestens einen Minister zu stellen, muss diese Szene tatsächlich wie eine "Vertreibung aus dem Paradies" gewirkt haben. Es ist damit zu rechnen, dass diese Spitze wieder zurück in dieses Paradies will. Aber auch dazu wird zumindest ein begrenzte Mobilisierung der Basis notwendig sein. Die mehr symbolträchtigen Aktionen des ÖGB bis jetzt, sind ein konkreter Ausdruck davon.

Ordnungsfaktor und Gegenmacht

Um eine klarere Perspektive für die Zukunft zu haben, ist ein Blick in die Vergangenheit notwendig. Im Aufsatz " Die Gewerkschaften in der Epoche des kapitalistischen Niedergangs" schrieb Leo Trotzky 1940: "Sie (die Gewerkschaften) haben einen zentralisierten eng mit der Staatsgewalt verbundenen kapitalistischen Widersacher zu bekämpfen. Für die Gewerkschaften-soweit sie auf reformistischen Boden bleiben , d.h. sich dem Privateigentum anpassen-entspringt hieraus die Notwendigkeit sich auch dem kapitalistischen Staate anzupassen und die Zusammenarbeit mit ihm anzustreben." und weiter " Die Gewerkschaftsbürokratie sieht ihre Hauptaufgabe darin den Staat aus der Umklammerung des Kapitalismus zu >befreien<, seine Abhängigkeit von den Trusts zu mildern und ihn auf seine Seite zu ziehen."
Auf kaum eine andere Gewerkschaftsorganisation trifft diese Beschreibung mehr zu als auf den ÖGB. Der Weg den "Staat auf seine Seite zu ziehen" ist ab 1945 die herrschende Lehre im ÖGB. Die klassische Rolle einer Gewerkschaft in einem modernen kapitalistischen Staat ist die Doppelfunktion als Ordnungsfaktor und Gegenmacht. Das bedeutet sich einerseits den Herrschenden in Staat und Wirtschaft anzudienen. Das wesentliche Ziel der Gewerkschaftsspitze: an der "Tafel der Macht" mitzuspeisen und einen individuellen sozialen Aufstieg zu erleben, verfolgt die Gewerkschaftsspitze in dem sie sich dem Kapital und der Regierung als Ordnungsfaktor andient. Ordnungsfaktor meint, das bewusste ruhighalten der ArbeiterInnenklasse. Dazu ist es aber notwendig in verschieden Situationen dem Kapital seine Macht als Führung von Arbeitermassenorganisationen zu beweisen. Dieser Beweis wird in vielen Ländern durch Mobilisierung, also durch Demonstrationen und Streiks angetreten.
Die Funktion der Gegenmacht funktioniert also nicht nur als Drohgebärde für das Kapital, die Mobilisierung der Basis dient auch um sozialen Fortschritt zu erreichen. Der Versuch "den Staat ein bisschen auf seinen Seite zu ziehen" muss auch dazu führen dem Staat, Fortschritte für die ArbeiterInnenklasse abzuringen. Das bedeutet aber auch, dass die Einbindung der Gewerkschaftsspitze in die Staatsmacht, nicht nur der persönlichen Bereicherung sondern auch dem sozialen Fortschritt dienen muss.
Vom ÖGB wurde die Einbindung in die Staatsmacht übermäßig betrieben und die soziale Mobilisierung massiv hinten angestellt. 1945 war das Österreichische Kapital schwach. Der ÖGB setzte auf eine stark strukturierte Sozialpartnerschaft und eine Verflechtung der Staatsmacht durch die SPÖ. Als fungierte Gegenmacht eine hohe Zahl an Mitgliedern, als Mobilisierungspotential für den Notfall und eine enorme Machtbasis bei Post, ÖBB und der Verstaatlichten. Klar war, dass diese Strategie mittel- bis langfristig aufgehen kann, wenn zumindest Teile der Beschäftigten dadurch ebenfalls Vorteile erhielten. Auf der einen Seite präsentierte sich die Gewerkschaft als Mittlerin für einen bessere Job, eine neue Wohnung etc. Und auf der anderen konnten der Wirtschaft gewisse Zugeständnisse und Verbesserungen der sozialen Lebensverhältnisse für breite Schichten der Bevölkerung abgerungen werden.

Stellvertreterpolitik

Diese Politik hatte mehrere Schwachstellen. Die größte ist wohl die weitgehende Entpolitisierung der Gewerkschaftsbasis. Eine zweite Schwachstelle ist die Tatsache, dass die "Tore des Paradieses" für Teile der Bevölkerung verschlossen blieben. Die Lohn- und Gehaltsschere wurde immer größer, ImmigratInnen, ArbeiterInnen und Arbeitern vor allem im Gewerbe erlebten schon seit Mitte der 80er einen sozialen Abstieg. Die ÖGB-Spitze hat teilweise bis heute nicht verstanden, dass ihre eigene Zukunft mit einem besserem Lebensstandard der Beschäftigten verbunden ist.
Die Krise begann nicht im Februar 2000, sondern mit der Krise der Verstaatlichten Industrie. Die Privatisierungswelle und die Arbeitsplatzvernichtung hätte nur durch eine starke Mobilisierung verhindert werden können. Das hätte aber einen Bruch mit der SPÖ bedeutet. Die ÖGB-Spitze setzte auf Verflechtung mit SPÖ und Staatsmacht und überließ weite Teile der ArbeiterInnenklasse sich selbst, ein Faktor der den Aufstieg der FPÖ beschleunigte.
Politischer Widerstand in Form von Streiks und Großdemonstrationen gegen die blauschwarze Regierung ist von dieser ÖGB-Spitze nicht zu erwarten. Dazu wäre, ein grundlegender Bruch mit der jetzigen Politik und eine Unabhängigkeit vom Staat notwendig. Eine solche Politik ist nur gegen den Widerstand der jetzigen Führung durch zusetzten.

Wie weiter?

Die Arbeit im ÖGB und mit dem ÖGB ist aber von zentraler Bedeutung. Einerseits werden manche Gewerkschaften immer wieder auf Mobilisierung setzten, um mit den Herrschenden ins Gespräch zu kommen. Doch je mehr normal Berufstätige und Arbeitslose in diese Proteste einbezogen werden, desto mehr wird diese Mobilisierung eine Eigendynamik bekommen. Dazu kommt, dass vor allem bei Streiks die ArbeiterInnenklasse bzw. Teile von ihr ihre Macht spürt. Ein Faktor, der zu einem sprunghaften Anstieg des Bewusstseins führen könnte. Andererseits kann sich die Gewerkschaftsspitze dem Druck der Basis nicht vollkommen entziehen. Und dort, wo der Organisationsgrad hoch ist, wo die Belegschaft sowohl dem allgemeinen Sparpaket als auch einer besonderen Attacke der Regierung ausgesetzt ist wird es zu einem enormen Druck der Basis kommen.

Beispiel LehrerInnenproteste

Typisch dafür sind die LehrerInnen und Lehrer. Anfang Oktober setzte die Gewerkschaftsspitze auf Dienststellenversammlungen und Abstimmungen über Streiks. Also auf Gegenmacht um mit der Regierung verhandeln zu können. Dann wurde den LehrerInnen ein schlechter Gehaltsabschluss und Verschlechterungen der Arbeitszeit präsentiert. Ordnungsfaktor, Botschaft an die Regierung: mit uns könnt ihr besser Verschlechterungen durchziehen.
Doch Teile der LehrerInnenschaft spielten nicht mit und organisierten eigene Widerstandsformen. Sofort sprang die Gewerkschaftsspitze darauf auf, um die Kontrolle zu gewinnen. Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig eigenes politisches Handeln der Gewerkschaftsbasis ist.
Während der Widerstand des Gesamt ÖGB gegen die 2 Belastungspakete eher zahm war, spielten die EisenbahnerInnen eine Sonderrolle. Einerseits durch einen kleinen Streik am 28, Juni andererseits durch die Unterstützung der StudentInnendemonstration im Oktober. Aber auch das ist kein Zufall! Denn durch Sparpakete und direkte Einsparungen und Verschlechterungen bei der Bahn sind sie doppelt betroffen. Bereits unter SPÖ-Regierungen wurden Sparpakete, Stellenabbau und erhöhter Arbeitsdruck bei den ÖBB durchgesetzt. Jedesmal mit dem Versprechen, dass jetzt Schluss sei und die EisenbahnerInnen mit keinen weiteren Verschlechterungen mehr zu rechnen hätten.

Beispiel EisenbahnerInnen

Das hat sich in den letzten Monaten sehr schnell als Lüge der Beteiligten erwiesen. Auf der anderen Seite gibt es mit dem Gewerkschaftlichen Linksblock (GLB) eine linke Fraktion, die allein durch Existenz Druck auf die Gewerkschaftsführung aufbaut. Denn Haberzettl und Co müssen damit rechnen, dass sich der Unmut der Beschäftigten durch eine Stimme für den GLB bei den nächsten Personalvertretungswahlen Ausdruck finden kann.

SLP und Gewerkschaften

Für die SLP ist Politik in Betrieb und Gewerkschaften ein zentrales Element unsere Arbeit. Wichtig in der jetzigen Situation ist zu betonen, welche Macht der ÖGB hätte, wenn er versuchen würde seine Mitglieder zu mobilisieren. Man/frau stelle sich noch vor was passieren würde, wenn etwa die HGPD, die Reinigungskräfte und die Gewerkschaft der Gemeindebediensteten, die Krankenschwestern der wichtigsten Krankenhäuser mobilisieren würde. Klar ist: ohne Streiks wird man/frau die jetzige Politik nicht ändern können.
Ohne eine Unabhängigkeit vom Staat und eine echte Gewerkschaftsdemokratie ist eine kämpferische Politik unmöglich. Unsere Aufgabe ist es möglichst viele Menschen hinter diese Forderungen zu bringen und zu eigenständigen Mobilisierungen zu motivieren. Nur so können wir diese Regierung stürzten und den Grundstein für eine demokratische und kämpferische Interessensvertretung der Beschäftigen legen.