Mo 11.03.2013
In der Linken, speziell in der Partei DIE LINKE, wird in den letzten Jahren stärker die Genossenschafts-Idee diskutiert. Im Erfurter Programm finden sich starke Bezugnahmen auf die sogenannte „Solidarökonomie“. In 2012 konnte die Partei mit der Gründung der Wohnungsgenossenschaft FAIRWohnen öffentliche Aufmerksamkeit erreichen. FAIRWohnen wollte beim Verkauf von 11.300 Wohnungen der TLG Wohnen GmbH durch das Bundesfinanzministerium mitbieten, um zu verhindern, dass diese an einen privaten Finanzinvestor verkauft werden, wurde allerdings vom Bieterverfahren ausgeschlossen.
Hinter diesem Aufgreifen der Genossenschaftsidee steckt, dass es verstärkte Diskussionen in der Gesellschaft darüber gibt, die Macht der Konzerne und Banken zu überwinden. Bei vielen Menschen wächst das Gefühl, dass kapitalistisches Privateigentum ein Problem an sich darstellt, viele sind für solidarische, gemeinsame Eigentumsformen offen.
Aber sind Genossenschaften tatsächlich ein brauchbares Mittel, der Abschaffung des Kapitalismus näher zu kommen, oder, ganz bescheiden, die Macht der Banken und Konzerne zu begrenzen? Dieser Artikel wirft einen Blick auf die Geschichte und beschäftigt sich mit der aktuellen Lage.
Im 2011 beschlossenen Erfurter Programm der LINKEN heißt es unter dem Abschnitt „Solidarökonomie“:
„Genossenschaften und andere Formen solidarischer Selbsthilfe sind der Versuch, bereits im Schoße des kapitalistischen Systems neue ökonomische Strukturen und Praktiken zu entwickeln, die sich am Bedarf und an den Potenzialen der Menschen orientieren. Sie beruhen auf Gemeineigentum und egalitären Nutzungs- und Partizipationsrechten und zielen auf die Erhaltung oder Wiederherstellung menschenwürdiger Lebensbedingungen und solidarischer Beziehungen im Gemeinwesen (…) Solidarökonomie leistet einen wichtigen Beitrag zur kurzfristigen Senkung der Lebenshaltungskosten und zur besseren Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen. Sie ist vielerorts Vorreiter für ökologische Produkte, Recycling und die Realisierung neuer solidarischer Arbeits- und Lebensformen.“
Das ist faktisch nicht korrekt. DIE LINKE hätte formulieren können „es wäre gut, wenn es so wäre“ oder „wir würden diese Entwicklung begrüßen“. Aber es ist schlicht nicht die Wahrheit, dass Genossenschaften und ähnliche Initiativen einen „wichtigen Beitrag“ bezüglich der „Senkung der Lebenshaltungskosten“ und der „besseren Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen“ leisten.
Das tun sie höchstens punktuell, aber auf die gesamte Wirtschaft bezogen, sowohl auf die Wertschöpfung bei Produkten und Dienstleistungen als auch auf die Anzahl der beschäftigten Arbeitskräfte spielt die „Solidarökonomie“ nur eine geringe Rolle.
Im Parteiprogramm wird auch nicht unterschieden zwischen „echten“ Formen alternativer, solidarischer Ökonomie und formal genossenschaftlich verfassten Betrieben, die weit davon entfernt sind, alternative ökonomische Ansätze zu bieten. So sind REWE und EDEKA genossenschaftlich verfasst, unterscheiden sich aber vom privatkapitalistisch verfassten Discounter ALDI nur durch mehr oder weniger höhere Preise.
Der wirtschaftlich wichtigste Bereich des Genossenschaftswesens sind die Volks- und Raiffeisenbanken, die mehr als die Hälfte der gesamten Umsätze aller Genossenschaften erzielen. Sie agieren ähnlich wie kommunale Sparkassen kaum anders als andere Banken und haben in den letzten Jahren eine höhere Rendite erzielt als die Privatbanken.
Bei den über 6.000 genossenschaftlich verfassten Betrieben arbeiten über 600.000 Menschen, circa 1,5 Prozent der Erwerbstätigen. 41 Prozent der Genossenschaften sind ländliche Genossenschaften und damit im am schnellsten schrumpfenden Sektor der Wirtschaft tätig.
Die letzte große Gründerwelle des Genossenschaftswesens hat es nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben, kleinere Wellen in den 70er und 80er Jahren mit dem Aufbau kleiner selbstverwalteter Produktionsbetriebe (z.B. Druckereien) sowie ab Ende der 90er mit der Gründung von stadtteilbezogenen Genossenschaften im Dienstleistungssektor. Dabei handelt es sich sowohl um Zusammenschlüsse von Selbstständigen (z.B. im IT-Bereich) als auch um indirekte Ausgliederungen aufgrund von Privatisierung, im Bereich von Gesundheit und Sozialarbeit.
Auch die Genossenschaften unterliegen der Tendenz zur Monopolisierung. Ihre Zahl schrumpfte von 1960 bis 2000 auf rund ein Drittel, die Zahl ihrer Mitglieder, meistens Bankkunden, hat sich allerdings verdoppelt.
Unter dem Strich dürfte der Bereich der „echten“ solidarischen Ökonomie lediglich zwischen 100.000 und 300.000 Menschen beschäftigen, zwischen 0,25 und 0,75 Prozent der Erwerbstätigen.
Im Vergleich sowohl mit den privaten Betrieben und Konzernen als auch mit dem öffentlichen Sektor und dem hierarchisch aufgebauten nicht-kommerziellen Bereich (Wohlfahrtsverbände, kirchliche Einrichtungen) spielt die „solidarische Ökonomie“ lediglich eine Nebenrolle.
Im hier zitierten Abschnitt aus dem Parteiprogramm wird zudem nicht zwischen Wohnungsbau-, Konsum- und Produktionsgenossenschaften unterschieden. Dabei gibt es historisch und aktuell deutliche Unterschiede zwischen diesen Bereichen.
Kritik von Rosa Luxemburg
Wohnungsbau- und v.a. Konsumgenossenschaften waren in der Geschichte der Arbeiterbewegung durchaus erfolgreich, Produktionsgenossenschaften konnten sich nicht einmal im Ansatz durchsetzen und spielten lediglich in der Blütezeit der Konsumgenossenschaften Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts eine bescheidene Rolle im Bereich der Lebensmittel-Produktion und -Zulieferung für die genossenschaftlichen Konsum-Läden.
Schon damals gab es eine Diskussion in der Arbeiterbewegung. MarxistInnen wie Rosa Luxemburg wiesen die Idee zurück, die Genossenschaften als Ansatz zur Überwindung des Kapitalismus zu sehen:
„Was die Genossenschaften, und zwar vor allem die Produktivgenossenschaften betrifft, so stellen sie ihrem inneren Wesen nach inmitten der kapitalistischen Wirtschaft ein Zwitterding dar: eine im kleinen sozialisierte Produktion bei kapitalistischem Austausche. In der kapitalistischen Wirtschaft beherrscht aber der Austausch die Produktion und macht, angesichts der Konkurrenz, rücksichtslose Ausbeutung, d.h. völlige Beherrschung des Produktionsprozesses durch die Interessen des Kapitals, zur Existenzbedingung der Unternehmung. Praktisch äußert sich das in der Notwendigkeit, die Arbeit möglichst intensiv zu machen, sie zu verkürzen oder zu verlängern, je nach der Marktlage, die Arbeitskraft je nach den Anforderungen des Absatzmarktes heranzuziehen oder sie abzustoßen und aufs Pflaster zu setzen, mit einem Worte, all die bekannten Methoden zu praktizieren, die eine kapitalistische Unternehmung konkurrenzfähig machen. In der Produktivgenossenschaft ergibt sich daraus die widerspruchsvolle Notwendigkeit für die Arbeiter, sich selbst mit dem ganzen erforderlichen Absolutismus zu regieren, sich selbst gegenüber die Rolle des kapitalistischen Unternehmers zu spielen. An diesem Widerspruche geht die Produktivgenossenschaft auch zugrunde, indem sie entweder zur kapitalistischen Unternehmung sich rückentwickelt, oder, falls die Interessen der Arbeiter stärker sind, sich auflöst.“ (Aus: Sozialreform oder Revolution, 2. Kapitel)
Damals wie heute argumentieren Reformisten gegen Luxemburgs Ideen und meinen, es wäre prinzipiell möglich, sich zeit- und sektorenweise der kapitalistischen Konkurrenz zu entziehen. Die Fakten quer durch alle Abschnitte der Geschichte und alle Kontinente bestätigen jedoch Luxemburg. Nirgendwo, weder in Deutschland noch international, haben sich im Bereich der Produktion genossenschaftliche Modelle durchsetzen können.
Luxemburg weist in ihrem Buch „Sozialreform oder Revolution“ nach, dass das „Meer der kapitalistischen Bitternis“ nicht durch das „flaschenweise Hinzufügen sozialreformischer Limonade“ in ein „Meer sozialistischer Süßigkeit“ verwandelt werden kann. Man kann bezogen auf die Genossenschaften ableiten: Die Inseln „sozialistischer Süßigkeit“ im kapitalistischen Meer werden irgendwann selbst bitter.
Dreißig Jahre nach Rosa Luxemburg griff der deutsche Kommunist August Thalheimer in seiner Kritik am SPD-Konzept der „Wirtschaftsdemokratie“ die Ideen von Rosa Luxemburg auf und entwickelte sie weiter.
Er verweist darauf, dass selbst die Befürworter der „Wirtschaftsdemokratie“, der Idee, im Rahmen des Kapitalismus mehr und mehr Betriebe nicht allein auf die Erzielung von Profit auszurichten, Ende der 1920er Jahre zugeben mussten, dass die Rolle der Genossenschaften begrenzt ist und zitiert aus einer Denkschrift der „Wirtschaftsdemokratie“-Befürworter:
„Die Produktionsgenossenschaft hat im allgemeinen versagt: Absatzmangel, Kapitalmangel, Disziplinmangel. Erfolgreich war allein das Vordringen der konsumgenossenschaftlichen Eigenproduktion.“
Thalheimer befürwortet die Arbeit der Genossenschaften durchaus. Aber er sieht sie lediglich als begrenzte Mittel, die Situation der ArbeiterInnen kurzfristig zu verbessern und betont, dass das vor allem den Bereich des Konsums betrifft:
„Sie (die Arbeitergenossenschaften, A.d.A.) können, auch rein qualitativ betrachtet, die grundlegenden Gesetze des Kapitalismus nicht durchbrechen, sie benutzen sie vielmehr, um in eng beschränkten Grenzen sie zugunsten der Arbeiterklasse wirken zu lassen. Die Konsumgenossenschaft (…), was tut sie anderes, als die Gesetze des Handelsprofits zugunsten eines Teiles der Arbeiterklasse spielen zu lassen? Die Gesetze des Handelsprofits aber, die die Voraussetzung für die Wirksamkeit der Konsumvereine sind, sind kapitalistisch bestimmt. Die Konsumgenossenschaften können diese Gesetze nicht aufheben, und sie können sich ihrer Wirksamkeit nicht entziehen.“ (Aus: Über die sogenannte Wirtschafts-Demokratie, August Thalheimer, 1928)
Aufstieg der Handelskonzerne
Die Konsumgenossenschaften, die günstige Einkaufsmöglichkeiten von Dingen des täglichen Bedarfs für die ArbeiterInnen anboten, weil sie den Extraprofit des Zwischenhandels ausschalteten, konnten so lange gut funktionieren, so lange der Einzelhandel noch Einzelhandel war, d.h., kleinteilig und zersplittert, solange sie mit Kleinkapitalisten konkurrierten.
Mit der Entstehung großer, kapitalkräftiger Warenhausketten wurde das Ende der Blütezeit der Konsumgenossenschaften eingeleitet. Der Aufstieg der Lebensmitteldiscounter wie ALDI und Lidl hat diese Entwicklung vertieft.
Heute funktioniert es nicht mehr so, dass die Erzeuger die Preise machen und die Lebensmittel-Discounter etwas aufschlagen. ALDI und Co. bestimmen stattdessen mit ihrer gewaltigen Marktmacht die Preise mit, geben den Konkurrenzdruck an die Erzeuger weiter, senken Preise, entscheiden unter dem Strich, was wie produziert wird. Der Konsumbereich ist nicht mehr kleinteilig organisiert, sondern ebenso in der Hand großer Konzerne wie die Industrie.
Das Kapital der Genossenschaften jeder Art basiert theoretisch auf der verfügbaren Gesamtsumme der Löhne. Da die Löhne im Vergleich zum angehäuften Kapital der Kapitalisten jedoch sinken, sinkt auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Genossenschaften wachsen und sich auf dem Markt behaupten können.
Während es Anfang des 20. Jahrhunderts noch möglich war, eine Handelskooperative durch Beitragszahlungen einer Anzahl von ArbeiterInnen in einer Region mit ausreichend Kapital auszustatten, um sich gegenüber örtlichen Lebenshändlern durchzusetzen, müsste heute eine Handelskooperative gewaltige Kapitalmengen einsetzen, um einen Massenmarkt zu erreichen, denn nur das würde ermöglichen, ähnliche Einkaufspreise wie ALDI, Lidl und Co. zu erzielen und die Waren annähernd günstig anzubieten – und gleichzeitig würde es sie zwingen, den Erzeugern gegenüber ähnlich preisdrückend aufzutreten, wie es die großen kapitalistischen Handelsketten tun.
Auch die Zeit der Konsumgenossenschaften ist demnach vorbei, eine Zeit der Produktivgenossenschaften hat es nie gegeben. Die „Solidarökonomie“ sitzt heute in Nischen, es gibt noch Reste von Konsumgenossenschaften, genossenschaftlich verfasste Banken, agrarische Einkaufsgenossenschaften. Aktuell findet eine Gründungswelle von, meist ökologisch motivierten, Energiegenossenschaften statt, bei denen es um den Weiterverkauf von Strom, aber nie um die Erzeugung geht. Eine etwas andere Rolle spielen heute lediglich die Wohnungsgenossenschaften.
Wohnungsgenossenschaften
Angesichts des Quasi-Zusammenbruchs des sozialen Wohnungsbaus und des zunehmenden Mangels an bezahlbaren Wohnungen in vielen Städten und Regionen des Landes stellt sich die Frage, ob Wohnungsgenossenschaften als Bremse gegen diese Entwicklung wirken und sogar der Motor für die Bereitstellung günstiger Wohnungen sein können.
Im Unterschied zu Produktionsgenossenschaften spielen Wohnungsgenossenschaften eine größere Rolle in der Gesellschaft und sind ein stabilerer Faktor. Diese Unterschiede basieren auf den Besonderheiten der Profit-Erzeugung im Immobiliensektor, die im wesentlichen auf dem Besitz an Grund und Boden beruht. Haben sich die ursprünglichen Investitionen – Grundstückskauf, Bau – amortisiert, ist der Zwang, konkurrenzfähig zu sein, recht gering. Schließlich handelt sich es bei Grundstücken und den darauf befindlichen Immobilien in den meisten Phasen des Kapitalismus um eine Mangelware, es sind nicht die Immobilienbesitzer, sondern die potenziellen Mieterinnen und Mieter, die miteinander konkurrieren müssen.
Im Ergebnis unterliegen die Wohnungsgenossenschaften anders als Produktionsbetriebe nicht einem permanenten Konkurrenzdruck und müssen nicht beständig die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft intensivieren.
Die normalen Mieteinnahmen reichen in der Regel aus, die Immobilien zu erhalten, zu modernisieren und dabei einen Profit zu erzielen. Da die Aneignung des Profits durch einen privaten Eigentümer bei den Wohnungsgenossenschaften entfällt, können oft ein relativ guter Service-Apparat sowie günstige bis durchschnittliche Mieten durch die Genossenschaften angeboten werden.
Heute gibt es über 2.000 Wohnungsgenossenschaften mit rund zwei Millionen Wohnungen, bei einem Gesamtbestand von 40,5 Mio. Wohnungen. In Berlin alleine gibt es 188.000 Genossenschaftswohnungen, elf Prozent aller Wohnungen.
Insofern helfen Wohnungsgenossenschaften, wenn auch nicht jede Einzelne, in der heutigen Bundesrepublik, den Mietanstieg etwas zu bremsen, indem sie ein relativ großes Kontingent an zumindest nicht überdurchschnittlich teuren Wohnungen anbieten. Dass diese bremsende Wirkung auf die Gesamtzahl der Wohnungen bezogen nicht allzu groß ist, zeigt ein Blick auf die täglichen Pressemeldungen über steigende Mieten.
Würde dieses Kontingent der Genossenschaften allerdings entfallen und auf den privaten Wohnungsmarkt mit seinen Renditeerwartungen geworfen, würde sich ohne Zweifel der Anstieg der Mieten weiter beschleunigen.
Ist es aber auch möglich, diese bremsende Wirkung auszubauen und durch die Schaffung neuer und die Stärkung bestehender Genossenschaften ein zentrales Instrument gegen den Mangel an bezahlbaren Wohnungen aufzubauen?
Die großen Wohnungsbauphasen
In vielen Ballungsgebieten und wachsenden Städten gibt es schlicht zu wenig günstige Wohnungen. Der Kampf gegen Gentrifizierung oder Luxussanierung ist wichtig, aber das reicht in vielen Städten nicht aus, dem Anstieg der Mieten etwas entgegen zu setzen. Es sind schlicht neue Wohnungen nötig. Wenn Genossenschaften also auf breiterer Front wirksam sein wollten, müssten sie Neubau – oder Umbau von Büro- und Gewerbegebäuden in Wohnungen – in großem Stil betreiben.
Die bestehenden Genossenschaften verwalten jedoch vor allem Altbestände. Die große Mehrheit ist in zwei historischen Phasen entstanden, zwischen 1890 und dem 1. Weltkrieg und nach dem 2. Weltkrieg.
Vor 1890, inmitten der großen Industrialisierung und Urbanisierung, herrschte eine desolate Wohnungssituation in den Arbeitervierteln, viele Wohnungen waren überbelegt, die hygienischen Zustände sehr schlecht. Auch der bürgerliche Staat und die Kapitalisten hatten ein Interesse daran, die Lage auf dem Wohnungsmarkt zu entspannen, um den gesundheitlichen Zustand der Arbeitskräfte zu verbessern. Gleichzeitig waren diese Maßnahmen, wie auch die Bismarcksche Sozialgesetzgebung, der Versuch das Wachstum der Sozialdemokratie als revolutionärer Kraft in der Arbeiterklasse zu bremsen. So wurden auch die Bedingungen für Wohnungsbaugenossenschaften verbessert, z.B. durch günstige Kredite und die Möglichkeit, Genossenschaften mit beschränkter Haftung aufzubauen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten so schnell wie möglich Wohnungen gebaut werden, da enorme Bestände zerstört worden waren. Der bundesrepublikanische Staat entwickelte umfassende Initiativen in diese Richtung. Landes- und kommunale Wohnungsunternehmen wurden gegründet, die öffentliche Förderung privater Investoren eingeführt, der Wohnungsmarkt wurde sozial reguliert, Genossenschaften gefördert. Auch in dieser historischen Situation hatten Staat und Kapital ein Interesse daran, das Wohnungsangebot auszubauen und zu verbessern, um Unterkünfte für die ArbeiterInnen zu schaffen.
Die linke Wohnungsexpertin Ida Schillen schreibt dazu:
„Die Mietpreisbindung war nach 1945 im Zusammenhang mit dem Aufbau der kriegszerstörten Städte eingeführt worden. Mit Milliarden Fördermitteln und Steuersubventionen wurde der Bau sozialer Mietwohnungen angekurbelt. Flankierend bestand eine strikte Wohnungszuweisung und ein rigides Preisrecht unter Beibehaltung des Mieter(Kündigungs)schutzes, um der Wohnungsnot zu begegnen. Der jährliche Anteil neu gebauter Sozialwohnungen erreichte in den 50er/60er Jahren zwischen 40 und 50 Prozent.“
Heute gibt es eine grundlegend andere Situation. Nach kapitalistischen Kriterien gibt es grundlegend ausreichend Wohnungen. Das Angebot, vor allem, im unteren Preissegment, ist knapp, das steigert die Gewinne. Es gibt zwar durchaus vernachlässigte Bruchbuden und üble hygienische Zustände, aber der große Teil der Arbeiterklasse lebt in Bedingungen, die seine Verwendung als Arbeitskraft nicht beeinträchtigen. Immer mehr Menschen müssen vierzig oder sogar fünfzig Prozent ihres Einkommens für die Miete aufbringen, aber aus der Sicht der Immobilienbesitzer ist das kein Problem, denn diese muss als Erstes bezahlt werden. Die Miete der BezieherInnen von ALG2 und Sozialhilfe kommt ohnehin pünktlich und garantiert aus den öffentlichen Kassen.
Der eine oder andere Kapitalist, der Konsumgüter verkaufen möchte, mag auf die Idee kommen, dass die hohen Mieten und Nebenkosten auch ein ökonomisches Problem darstellen, weil zu wenig Kaufkraft für Anderes übrig bleibt, doch diese Kapitalisten werden sich nicht durchsetzen. Das deutsche Kapital sieht unter dem Strich die Exportorientierung und damit die Kostensenkung in der Produktion und die Senkung öffentlicher Sozialausgaben als zentral an.
Staat und Kapital haben daher kein besonderes Interesse daran, neue oder bestehende Wohnungsgenossenschaften so zu fördern, dass diese massiv in den Wohnungsneubau einsteigen könnten.
In manchen Großstädten eskaliert der Mangel aktuell derart, vor allem bei kleineren Wohnungen für Single-Haushalt, dass die Kommunen Handlungsbedarf sehen. Viele Hochschule-Städte fürchten den Ansturm des doppelten Abitur-Jahrgangs auf die Unis im kommenden Wintersemester. Einzelne Kommunen werden vor lauter Verzweiflung Maßnahmen beschließen wie zusätzliche Kredite für den Bau von Sozialwohnungen oder Regeln zu „sozial gerechten Bodennutzung“. Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass Genossenschaften sich im Neubau engagieren können, ändert an den grundlegenden allerdings Verhältnissen wenig.
Mangel an Kapital
Die Genossenschaften müssten demnach aus eigener Kraft, in ihrer ursprünglichen Rolle als Selbsthilfe-Organisationen, aktiv werden. Eigene Kraft heißt aber vor allem eigenes Kapital. Dies würde allerdings vor dem Hintergrund von stark steigenden Grundstückspreisen stattfinden, die mehr und mehr auch zu einem Anlageobjekt für Kapital werden, das aus den Euro-Krisen-Ländern und der riskant gewordenen Spekulation mit Staatsanleihen in das „Betongold“, Immobilien, flüchtet.
Die Genossenschaften sind dabei schlechter aufgestellt als die großen privaten Immobilien-Konzerne, sie haben schlicht nicht genug Kapital in ihrer Kriegskasse, um Grundstücke zu kaufen und Neubauten zu finanzieren. Um ihre Kassen zu füllen, müssten sie die Mieten erhöhen oder den Service reduzieren und würden damit ihre spezielle Rolle verlieren und zu „ganz normalen“ Immmobilien-Unternehmen werden.
Es ist kein Zufall, dass in den letzten Jahren nur wenig neue Genossenschaften gegründet wurden. Bei den neuen Genossenschaften handelt sich meistens auch nicht um große, klassische Genossenschaften, die neue Siedlungen hochziehen können oder wollen, sondern um begrenzte Gemeinschaften, die einzelne Häuser gemeinsam renovieren und beziehen wollen, Menschen, die, statt ein Häuschen im Vorort zu beziehen oder weiter hohe Mieten zu bezahlen, lieber neue Formen des Zusammenlebens in der Stadt ausprobieren wollen. Das mag oft spannend oder erfüllend sein, hat aber wenig mit Wohnungsbaupolitik zu tun.
Auch die „Heuschrecken“ genannten Immobilien-Investoren haben oftmals nicht wirklich genug Kapital, um die großen Wohnungsbestände zu kaufen. Sie leihen sich das Geld und sind in der Lage, die Kreditkosten zu finanzieren, weil sie die Mieten nach oben treiben, die Häuser vernachlässigen und relativ schnell wieder verkaufen. Würden sie wirklich in die Instandhaltung investieren, hätten auch sie finanzielle Probleme.
Erfahrungen aus Köln und Berlin
Der Autor dieser Zeilen bewohnt selbst eine Genossenschaftswohnung und weiß die günstigen Nebenkosten, den Service und die Verlässlichkeit im Vergleich mit privaten Vermietern sehr zu schätzen. Diese Genossenschaft ist eine Besonderheit, weil sie 2005 511 Wohnungen neu gebaut hat. Gleichzeitig verkaufte sie jedoch 381 Wohnungen – zu einem sehr guten Preis – an die Stadt Köln. Der Grund: Diese Wohnungen standen direkt hinter dem Bahnhof Deutz (Barmer Viertel), auf einem attraktiven innerstädtischen Gelände, welche die Stadt zu einer kommerziellen Zone – „Messecity“ – umgestalten wollte (was bis heute nicht geschehen ist, dort befindet sich noch immer „der teuerste Parkplatz Deutschlands“).
Die Genossenschaft – der Erbbauverein Köln eG – profitierte von der Sondersituation, ein sehr begehrtes Grundstück zu besitzen und konnte somit seinen Wohnungsbestand durch Neubau erweitern und auf ein höheres Niveau bringen. Letzteres weist allerdings auch auf eine problematische Entwicklung hin. Während im Barmer Viertel hinter dem Bahnhof Deutz viele Menschen mit niedrigem Einkommen wohnten, darunter viele BezieherInnen kleiner Renten, fand in den Neubauten des Erbbauvereins teilweise ein Austausch der Mieterstruktur statt.
Nach Angaben des Erbbauvereins wurde zur „Vermeidung von sozialen Härten“ die maximale Mietsteigerung für BestandsmieterInnen auf vierzig Prozent begrenzt (!), die durchschnittliche Miete für diese stieg von günstigen 3,68 auf 6,10 Euro pro Quadratmeter. Für neue MieterInnen werden 7,70 und 9,20 Euro fällig.
Inzwischen sind viele ursprüngliche MieterInnen des Barmer Viertels verstorben oder ausgezogen, weil ihnen die neuen, angeblich sozialverträglichen Mieten doch zu hoch sind. Neue MieterInnen mit einem höheren Einkommen sind eingezogen. Zwar kam es nicht zu wirklicher Gentrifizierung, es entstanden auch keine Luxuslofts, aber die meisten neuen MieterInnen dürften eher durchschnittlich als schlecht verdienen.
Gerade im vom Erwerbslosigkeit und Armut geprägten Stadtteil Köln-Kalk, wo ein Teil der Häuser steht, hat dies die Entwicklung Richtung steigender Mieten befördert. Auch diese Art der „langsamen Gentrifizierung“, die Orientierung auf zumindest durchschnittlich oder besser bezahlte Schichten der Lohnabhängigen, ist heute Realität von Wohnungsgenossenschaften.
Die Junge Welt schreibt zu Entwicklungen bei Berliner Wohnungsgenossenschaften:
„Doch mittlerweile agieren die meisten Wohnungsbaugenossenschaften als „normale“ Akteure auf dem Wohnungsmarkt und streben marktübliche Renditen an. Wohnen wird auch in Genossenschaften immer teurer (…) Längst orientierten sich die meisten Genossenschaften an ortsüblichen Vergleichsmieten statt an den Bedürfnissen ihrer Mitglieder. Enorme Preissprünge bei Neuvermietungen seien ebenso an der Tagesordnung, wie Luxusmodernisierungen, Neubauten im oberen Preissegment und die Verdrängung von einkommensschwachen Mietern, die bei Zahlungsverzug aus den Genossenschaften ausgeschlossen werden können und auf diese Weise ihr Wohnrecht verlören.“
Sind Staatsbetriebe besser?
Genossenschaften strahlen auch eine gewisse Attraktivität aus, weil oftmals die Erfahrung gemacht wird, dass Staatsbetriebe nicht „besser“ sind, als private kapitalistische Unternehmen. Wenn sie von Staatsbürokraten und hoch bezahlten Managern nach privatkapitalistischen Prinzipien geführt werden, ist ein Unterschied kaum erkennbar. In Berlin und anderswo spielen die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften eine negative Rolle bei der Mietpreisentwicklung. Tatsächlich treffen viele der in diesem Artikel aufgeführten Argumente für die Grenzen von Genossenschaften auch auf Staatsbetriebe zu, die im Rahmen einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung agieren. Trotzdem gibt es einen wichtigen, zumindest potenziellen, Unterschied. Genossenschaften müssen sich zwangsläufig in Konkurrenz zu privaten Unternehmen rentieren. Bei Staatsbetrieben besteht, auch im Rahmen des Kapitalismus, die Möglichkeit durch politische Entscheidungen steuerfinanzierte Quersubventionen aus Haushaltsmitteln vorzunehmen, um Preise niedrig zu halten oder die Existenz bestimmter Staatsunternehmen zu garantieren. Auch im Rahmen des Kapitalismus kann der politische Druck der Arbeiterbewegung hier eine Wirkung erzielen. Ein Beispiel aus der Vergangenheit ist die staatliche Bundespost, die Postdienst, Telekommunikation und Postbank umfasste und in der die Preise für Postdienstleistungen durch Quersubventionen aus den anderen Bereichen niedrig gehalten wurden.
Neubau durch Bund, Länder, Kommunen
Der Mangel an bezahlbaren Wohnungen wird nicht durch „den Markt“ überwunden werden. „Der Markt“, sprich die Immobilien-Besitzer, profitieren von diesem Mangel. Staatliche Fördermaßnahmen für den sozialen Wohnungsbau versagen. Die Profiterwartungen im Sozialwohnungsbau sind den Investoren in der Regel zu gering. Historisch niedrige Zinsen und verlockende Renditen beim Bau von Büro-Immobilien und höherpreisigem Wohnungsbau lenken Investitionen in diese Richtung.
Auch die Selbsthilfe durch klassische Wohnungsbaugenossenschaften oder neue genossenschaftsähnliche Modelle kann die Eskalation steigender Mieten nicht abbremsen geschweige denn stoppen.
Es sind umfassende Investitionen nötig, um neue Häuser zu bauen, Bestände zu sanieren und Büros in Wohnungen umzuwandeln. Diese Investitionen könnten nur von großen Konzernen geleistet werden – die offensichtlich kein Interesse daran haben, oder müssen durch den Staat – Bund, Länder, Kommunen – vorgenommen werden. Es muss eine Neuauflage des öffentlichen sozialen Mietwohnungsbaus in Form von Gemeinde- und Stadtbauten geben, bei denen die Kommune sowohl als Bauherrin als auch als Vermieterin auftritt.
Wie oben ausgeführt, hat der kapitalistische Staat, anders als in der Nachkriegszeit, kein Interesse daran, den Wohnungsmangel zu beheben. Es werden lediglich Maßnahmen in einzelnen Städten ergriffen, weil sich dort die Tendenz entwickelt, dass sich qualifizierte und benötigte Arbeitskräfte das Wohnen in der Stadt nicht mehr leisten können. Doch wegen der strukturellen Unterfinanzierung der kommunalen Haushalte haben städtische Maßnahmen zur Förderung des Baus günstiger Wohnungen eine sehr beschränkte Wirkung.
Daher ist auch der Kampf für den Bau günstiger Wohnungen durch die öffentliche Hand nicht einfach. Dies wird nur durchsetzbar sein, wenn größere Mieterbewegungen entstehen und der Druck auf Gemeindeverwaltungen und Bundesländer zunimmt. Allein gute Argumente werden zu keiner Veränderung der Wohnungsbaupolitik führen.
FAIRWohnen als strategischer Ansatz?
Die Partei DIE LINKE hat durch die Gründung der Genossenschaft FAIRWohnen, zu deren finanzieller Erstausstattung vor allem hauptamtliche PolitikerInnen und MandatsträgerInnen der Partei beigetragen haben, öffentliche Aufmerksamkeit erreicht. Es war zu erwarten, dass die Genossenschaft keine Chance hat, bei der Privatisierung der 11.300 TLG-Wohnungen mitbieten zu dürfen, weil dies die ganze Absicht der Privatisierung – das Werfen der Wohnungen auf den Markt zwecks profitabler Verwertung – konterkariert hätte. Letztendlich wurden die Wohnungen an die Hamburger Wohnungsgesellschaft TAG für 471 Millionen Euro verkauft, die mit den jährlichen Mieteinnahmen von 42,4 Millionen Euro einen guten Schnitt macht.
Positiv lässt sich argumentieren, dass durch die Initiative von FAIRWohnen plastisch gezeigt werden konnte, dass der Staat und die etablierten Parteien überhaupt nicht die Absicht hatten, soziale Standards zu erhalten. Insofern wurde ihr Agieren „entlarvt“, was viele allerdings nicht überraschen dürfte.
Letztendlich kann die Privatisierung von Wohnungen allerdings nicht durch gute PR-Arbeit oder Argumente verhindert werden, sondern nur durch renitente MieterInnen. Die beste Waffe gegen den Verkauf an einen privaten Investor ist die Mobilisierung der MieterInnen. Wenn diese in Bewegung geraten, sich zusammenschließen, gemeinsam alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen und zudem Druck auf die Kommune und die offizielle Politik ausüben, wenn möglich sogar mit Maßnahmen wie Mieterhöhungsboykott drohen, wird es für private Investoren schwieriger, ihre gewünschte Rendite zu erzielen.
1995 sollte die kommunale Wohnungsgesellschaft StäWog im norddeutschen Bremerhaven privatisiert werden, um den städtischen Haushalt zu sanieren. Eine monatelange Mobilisierung der MieterInnen, damals maßgeblich von der SAV initiiert, führte dazu, dass die Stadt Probleme sah, Investoren zu finden. Gleichzeitig standen Kommunalwahlen bevor und die SPD fürchtete, Stimmen an die SAV zu verlieren. Sie positionierte sich gegen den Verkauf, der am Ende nicht zustande kam. Bis heute sind die StäWog-Wohnungen in kommunaler Hand.
Ob eine ähnliche Mieterkampagne im Falle der TLG-Wohnungen möglich gewesen wäre, ist schwer einzuschätzen. Wenn eine Wohnungsgesellschaft auf viele Städte verteilt ist, kann es problematisch werden, einen Kern von Aktiven zu organisieren und eine Bewegung in Gang zu bringen. Eine Schwerpunktsetzung auf die Gründung von FAIRWohnen und den Versuch, den Zuschlag im Bieterverfahren zu bekommen, beinhaltete aber die Gefahr von der Notwendigkeit eines solchen Kampfes eher abzulenken und Hoffnungen in ein eigentlich hoffnungsloses Projekt zu wecken.
Auch ein Zuschlag für FAIRWohnen hätte nur durch eine massive Mobilisierung der MieterInnen erreicht werden können. Wozu aber eine Mobilisierung für einen sozial abgefederten Verkauf, wenn man diese ebenso gegen die Veräußerung des Wohnungsbestandes an sich hätte richten können?
Zudem besteht die Gefahr, dass durch die Debatte um mehr oder weniger „soziale“ Käufer der Akt der Privatisierung selbst verharmlost oder als weniger wichtig erachtet wird. Das beste Mittel, günstige Mieten zu garantieren, wäre der Verbleib der Wohnungen in öffentlichem Besitz.
Die Gründung eigener Genossenschaften wird daher kein zentrales Werkzeug der linken Wohnungspolitik oder des Kampfes gegen Privatisierung werden. Unter dem Strich zählt die Mobilisierung und Organisierung der MieterInnen. Alle Maßnahmen, die dazu beitragen, sind aus linker Sicht zu priorisieren.
Fazit
Die im Erfurter Parteiprogramm der LINKEN formulierte Idee, die „Solidarökonomie leistet einen wichtigen Beitrag zur kurzfristigen Senkung der Lebenshaltungskosten und zur besseren Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen“ klingt zwar nett, entspricht aber nicht der Realität. Traditionelle Genossenschaften und neue Formen der „Solidarökonomie“ führen, mit Ausnahme der Wohnungsgenossenschaften, ein Nischendasein. Sie stören nicht die Kreise der „normalen“ kapitalistischen Betriebe.
Im Einzelfall kann das Arbeiten in solchen Betrieben durchaus erfüllender sein als in der Maschinerie eines auf Profit getrimmten, streng hierarchischen Unternehmens. In diesem Sinne wirken Genossenschaften und andere Formen der Selbsthilfe durchaus bremsend auf die Ausrichtung der gesamten Gesellschaft auf den Profit, ähnlich wie der öffentliche Sektor. Allerdings ist dieser weitaus bedeutsamer als die Genossenschaften.
Zudem unterliegen im Kapitalismus auch alle Betriebe, die nicht kapitalistisch sein wollen, den Mechanismen dieses Konkurrenz-Systems. Genossenschaften sind zwar nicht gezwungen, hohe Profite für die Besitzer abzuwerfen, aber auch sie müssen kostendeckend wirtschaften, müssen mit den kostensenkenden Maßnahmen der Konkurrenz mithalten. Am Ende stehen oft kollektiv und freiwillig vereinbarte Niedriglöhne für die Beschäftigten, die gleichzeitig Anteilseigner sind.
Wohnungsgenossenschaften haben eine etwas andere Funktion. Sie stellen in der jetzigen Mangelsituation auf dem Wohnungsmarkt ein relatives Hindernis für den ungebremsten Anstieg der Mieten dar, ähnlich wie die durch Privatisierung massiv verkleinerten Bestände an öffentlichen Wohnungen kommunaler oder landeseigener Gesellschaften. Allerdings ist ihre Wirkung begrenzt, weil ihr Anteil am Wohnungsbestand zu gering ist und weil das Eigeninteresse der Vorstände der Genossenschaften dahin geht, sich an die profitable Konkurrenz anzupassen. Auch die Wohnungsgenossenschaften sind daher kein zentrales Instrument zur Überwindung der Wohnungsnot, sondern können lediglich eine unterstützende Rolle dabei spielen.
Genossenschaften werden nicht der Hebel sein, die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft voranzutreiben. Die Vorstellung, dass sich schon im Kapitalismus sozialistische Wirtschaftsformen entwickeln können, hat sich als Utopie erwiesen. Die sozialistische Transformation im Bereich der Ökonomie lässt sich nur erreichen, wenn es der Arbeiterklasse gelingt, die großen Konzerne und Banken, die „Kommandohöhen der Wirtschaft“, unter ihre Kontrolle zu bringen, zu enteignen und demokratisch geplant zu koordinieren. Dies lässt sich nicht Schritt für Schritt auf dem Boden des Kapitalismus vorbereiten, sondern kann nur das Ergebnis einer revolutionären Zuspitzung der sozialen Widersprüche, einer Massenmobilisierung der lohnabhängigen Bevölkerung sein.
Trotzdem können genossenschaftliche Formen eine Rolle beim Übergang zu einer sozialistischen Ökonomie spielen. Es wird gewiss sinnvoll sein, nicht jedes Unternehmen direkt zu vergesellschaften, wenn es schon andere, gewachsene Ansätze demokratischer Kontrolle gibt. Das trifft vor allem auf kleinere, regional oder lokal agierende Betriebe zu.
Zum Beispiel ist bei der Wohnungsversorgung eine zentrale Bedarfsermittlung nötig, doch es wäre kein Problem, wenn verschiedene Akteure, öffentliche Unternehmen und Genossenschaften, die Planungen umsetzen.
Auch im Bereich der kleinen Selbständigen kann es sinnvoll sein, neue genossenschaftliche Modelle zu fördern. Eine sozialistische Demokratie würde sich zu viel vornehmen, wenn sie zu Beginn versuchen würde, kleine Handwerker, Dienstleister oder Kreative zu öffentlichen Betrieben zusammenzufassen. Genossenschaftliche Organisationsformen könnten in solchen Bereichen ein Mittel sein, die Selbstausbeutung durch lange Arbeitszeiten zu stoppen und die Kleinstunternehmer schrittweise an das gesamtgesellschaftliche Wirtschaften heranzuführen.
Denkbar ist auch, dass bei massiven Krisen des Kapitalismus, die zum teilweisen Zusammenbruch von Produktion und Infrastruktur führen, sich Genossenschafts-Modelle als Nothilfe entwickeln, um bestimmte Dienstleistungen überhaupt anzubieten oder Betriebe vor der Schließung zu retten. Solche Formen „solidarischer Ökonomie“ sind in vielen Ländern Lateinamerikas verbreitet und entwickeln sich gerade verstärkt in Griechenland, in der Landwirtschaft, im Gesundheitswesen und auch in einigen Produktionsbetrieben. Diese Ansätze sind sehr wichtig, es ergibt sich aus ihnen allerdings nicht die offensive Infragestellung des Kapitalismus, sondern sie sind Ergebnis der Defensive der Arbeiterbewegung, der zunehmend unerträglichen Lebensbedingungen der lohnabhängigen Bevölkerung, oftmals der Tatsache, dass Kapitalisten in Betrieben die Produktion beenden und die Fabriken verfallen lassen. Andererseits gibt es keinen unüberwindlichen Graben zwischen defensiven und offensiven Kampfmethoden. Insofern können solche Zusammenschlüsse eine gute Rolle dabei spielen, die Lebensfähigkeit und Würde der Arbeiterklasse zu erhalten und damit bessere Ausgangsbedingungen für zukünftige Kämpfe zu schaffen.