So 01.10.2000
In Italien steht der rechte Block um Medienzar Berlusconi bereits in den Startlöchern, um nach den kommenden Wahlen wieder eine rechte Regierung bilden zu können. In Ostdeutschland marschieren Faschisten auf den Strassen, gleichzeitig erringt die DVU einige lokale Wahlsiege. In Schweden werden AntifaschistInnen von Neonazis ermordet, und in Österreich tritt die FPÖ in die blauschwarze Koalitionsregierung ein. Im folgenden geht Ali Kropf den Ursachen für den Aufstieg des Rechtsextremismus auf die Spur.
Die erste Frage die sich stellt, ist, wie es überhaupt möglich sein kann, dass sich rechtsextremes Gedankengut in den Köpfen der Menschen festigt. Nun, wie wir heute wissen, wird der Mensch in seiner Entwicklung wesentlich von seinem jeweiligen Umfeld beeinflußt. Auf der einen Seite ist das das persönliche Umfeld wie Arbeitsplatz, Wohnbereich, soziale Stellung - sprich, der Lebensbereich. Daneben gibt es aber noch ein allgemeineres Umfeld: die gesellschaftliche Grundstruktur, also nach welchen Gesichtspunkten (Sozialismus od. Kapitalismus) die Gesellschaft aufgebaut und organisiert ist. Das ist deswegen wichtig, weil durch die Gesellschaftsform die Basis für das Zusammenleben und damit die "Erfahrungen" und "Bedrohungen" gelegt wird.
Im Kapitalismus ist eine davon die elementare soziale Unsicherheit, wie z.B. durch die Angst vor Arbeitsplatzverlust. Die "Ellbogentaktik" und damit Entsolidarisierung ist nur ein Resultat aus dieser Angst, selbst unterzugehen. Eine andere ist die Erfahrung der "Fremdbestimmung" der Lebensbedin-gungen. Krieg, Hunger- und Umweltka-tastrophen etc. werden nicht als Resultat des eigenen Willen und Handeln aufgefasst. Es verbreitet sich vielmehr eine Resignation, da man/frau als einzelne/r nichts machen bzw. ändern kann. Daraus resultiert eine zunehmende Passivität und die Hoffnung, dass jemand anderer für einen die Probleme löst. Wir sehen also, dass wir für eine weitere ernsthafte Beschäftigung um eine Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht umhin können.
Der Kapitalismus
Was sind die Eckpfeiler der kapitalistischen Gesellschaftsform? Im Groben der Privatbesitz an Produktionsmitteln und die freie Konkurrenz als treibende Kraft. Ersteres bedeutet nichts anderes, als dass Menschen von der Arbeit anderer Menschen leben. Nun liegt es in der Natur der Sache, dass während die Einen möglichst hohen Lohn anstreben, um ihr Leben gestalten zu können, die Anderen möglichst wenig zahlen wollen, um ihren Gewinn nicht zu schmälern. Um in dieser Auseinandersetzung bestehen zu können und die tödliche Konkurrenz unter den Beschäftigten auszuschalten, bilden sich Gewerkschaften. Auf der anderen Seite entstehen für ein möglichst geeintes Vorgehen Unternehmerverbände (z.B. Industriellenvereinigung etc.). Die Frage nach der Lohnhöhe ist somit ein bestimmender Teil des kapitalistischen Systems und ein permanenter Kampf zwischen Arbeit und Kapital. Diese Auseinander-setzung bildet die Grundlage für den sogenannten "Klassenkampf".
Die freie Konkurrenz geht davon aus, dass die Güter und Waren auf einem Markt gehandelt werden. Auf diesem Markt setzen sich theoretisch mittel- und langfristig nur die Besten durch. Die schlechten oder auch zu teuren Güter verschwinden, weil sie nicht gekauft werden. Daraus ergibt sich die "vorwärtstreibende" Kraft der freien Konkurrenz, die gerade in den letzten Jahren mit dem Neoliberalismus zum unantastbaren Idealbild stilisiert wird, die alle Lebensbereiche durchdringt. Was hat das alles jetzt mit Rechtsextremismus zu tun? Mehr als es auf den ersten Blick erscheinen mag.
Ideologie der Rechten
Auch die Ideologie der Rechten lässt sich im Wesentlichen auf 2 Bereiche zusammenfassen: dem Nationalismus und dem Biologismus. Der Nationalismus fußt auf dem Gedanken, dass jede Nation mit den anderen in einer Art Existenzkampf stünde. Die Nation wird dabei als neutral bzw. an sich wertfrei dargestellt und das nationale Ziel über alle anderen gestellt. Die Solidarität unter den Beschäftigten soll so zugunsten einer vorgetäuschten nationalen Einheit - in der alle an einem Strick ziehen müssen - aufgegeben werden. Und um den Druck auf den/die Einzelne/n noch weiter zu erhöhen, wird mittels Rassismus, Sexismus oder "Generationenkonflikt" ein weiterer Keil in die ArbeiterInnenschaft getrieben.
Selbstredend, dass all jene, die sich nicht diesem "nationalem Konsens" anschließen, wie z.B. SozialistInnen, Gewerk-schafterInnen etc., zu "Staatsfeinden", "Nestbeschmutzern" oder "Volksschädlingen" ernannt werden. Gerade in den letzten Monaten war auch in Österreich viel in diese Richtung zu hören.
Der Biologismus bläst ins selbe Horn. Durch eine Verdrehung der Darwinschen Evolutionstheorie soll nachgewiesen werden, dass sich immer nur die Stärksten durchsetzen - also sowohl innerhalb der Gesellschaft, wie auch zwischen den Nationen. Daher kommt auch die Bezeichnung "Sozialdarwinismus" - eine Umlegung der biologischen Erkenntnisse des 19. Jahrhundert auf das menschliche Zusammenleben. Damit können sowohl eine "Herrenrassenideologie" aber auch kulturelle und soziale Ungerechtigkeiten legitimiert werden. Schließlich beweisen die Tüchtigen, Fleißigen und Leistungs-starken ihre Überlegenheit, indem sie sich gegen andere Konkurrenten durchsetzen. Es kommt also nicht von ungefähr, dass sich gerade rechtsextreme Parteien (wie die FPÖ) auf die Fahnen schreiben, die Vertretung der Fleißigen, Tüchtigen und Anständigen zu sein.
Das politische Spektrum reicht dabei von liberalen über konservative und rechtsextreme Kräfte bis hin zu offen faschistischen. So leiten z.B. konservative Eliten ihre Vormachtstellung durch ihre Herkunft, Tradition und Geschichte ab und liberale über ihre außergewöhnliche Leistung, die es ihnen erlaubt sich über andere zu stellen. Die Stoßrichtung ist diesselbe, der Unterschied liegt in der Radikalität.
Gemeinsamkeiten
Suchen wir nun nach Gemeinsamkeiten, dann finden wir schnell viele Übereinstimmungen zwischen Rechtsextremismus und Kapitalismus. Sowohl der Nationalis-mus wie der Biologismus als wesentliche Standbeine rechter Ideologie sind von dem Gedanken der Konkurrenz durchdrungen. Im "Existenzkampf der Nationen" gilt es sich gegen andere Nationen, im Sozialdarwinismus gegen andere Völker bzw. andere Menschen in einem Konkurrenzkampf durchzusetzen. Übrig bleibt der Stärkere bzw. das "bessere Produkt". Je stärker sich also eine Gesellschaft an den marktwirtschaftlichen Grundmuster orientiert, desto stärker wird sie in allen Lebensbereichen von der Konkurrenz durchdrungen. Wir sehen das an banalen Dingen wie z.B. am Arbeitsmarkt, wo es darum geht, dass sich der einzelne aufgrund seiner Qualifikation oder dergleichen gegen andere behaupten muss, um nicht selbst auf der Strecke zu bleiben.
Die "goldenen Jahre"
Nach dem 2. Weltkrieg gab es in weiten Teilen der Welt eine antikapitalistische Stimmung und Bewegungen. Auf der einen Seite war da die Befreiungsbewegung in der kolonialen Welt, wie in Vietnam, Korea oder China. Auf der anderen gab es aber auch einen großen antikapitalistischen Reflex in Europa. Italien, Griechenland und Jugoslawien wurden durch Partisanen vom Faschismus befreit. Und auch in Deutschland selbst wurde die Schuld am Weltkrieg von großen Teilen der Bevölkerung der kapitalistischen Gesell-schaftsform zugeschrieben. So gab es z.B. in Hessen und Sachsen Volksabstimmun-gen, wo sich rund 70% der Menschen für sofortige Sozialisierungsmaßnahmen aussprachen. Damit stand der Kapitalismus mit dem Rücken zur Wand. Dazu aus dem Ahlener Programm der CDU (konservative Partei Deutschlands) von 1947: "Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteres-sen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund auf erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein."
Dieser Umstand und der folgende Wirtschaftsaufschwung bis rund Mitte der 70er ermöglichte es für die Beschäftigten Zugeständnisse in Form von Reformen zu erreichen. Durch de facto Vollbeschäfti-gung und dem Ausbau des Sozialstaates verringerte sich die soziale Existenzgefährdung (z.B. durch Arbeitsplatzverlust) für weite Teile der ArbeitnehmerInnen. Die Konkurrenz als bestimmendes gesellschaftliches Ordnungselement wurde etwas in den Hintergrund gedrängt. Mit dem Abflauen des Wirtschaftswunders in den 70er Jahren verringerten sich aber auch die Spielräume innerhalb des Kapitalismus für eine offensive Sozialpolitik wieder.
Die neoliberale Offensive
Die Diskussion um Lohn-, Wirtschafts- und Sozialpolitik ist spätestens seit den 80er Jahren von zwei Schlagwörtern geprägt: der Standortlogik und der Globalisierung. Beides bedeutet nichts anderes, als dass um den jeweiligen Wirtschaftsstandort nicht zu gefährden, bestmögliche Rahmenbedingungen für die Wirtschaft geschaffen werden müssen. Konkret hieß und heißt das heute, noch niedrigere Lohnabschlüsse und Sozialabbau. Zur gleichen Zeit ist die Massenarbeitslosigkeit wieder zur europäischen Normalität geworden. Millionen von Menschen in Europa sehen sich in ihrer sozialen Existenz bedroht. Gleichzeitig wird die Gesellschaft vollends der Profit- und Konkurrenzlogik untergeordnet. Dazu passt die Aussage Andreas Kohls (ÖVP) zu den Studiengebühren: "Was nichts kostet, ist nichts wert." Die Gewerkschaften haben sich ebenfalls weitgehend mit z.B. "Bündnissen für Arbeit" an der Zerschla-gung des Sozialstaates beteiligt und bieten immer weniger Schutz für die Beschäftigten. Die Folge ist, dass der Druck auf die Menschen steigt; das Motto "jeder ist sich selbst der nächste" greift um sich.
In diese Zeit fällt jetzt auch der rapide Aufstieg rechtsextremer Parteien: der Republikaner, DVU und NPD in Deutschland, der FPÖ in Österreich, der FN in Frankreich und des MSI bzw. der Allianza Nationale in Italien. Es zeigt sich also ein tiefer Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Rechtsextremismus. Je stärker eine Gesellschaft in der kapitalistischen Logik verhaftet ist, desto stärker ist der Druck auf jede/n einzelne/n, und das wiederum ist der Nährboden auf dem Rechtsextremismus gedeihen kann, wenn gleichzeitig die Linke und Gewerkschaf-ten es nicht schaffen, die ideologische Phalanx des Neoliberalismus mittels Solidarität zu durchbrechen.