Do 27.01.2011
Es ist wie beim Kochen: Wenn aus einem Druckkochtopf der Druck keinen Weg findet, dann explodiert das Ganze. Ähnlich ging es dem tunesischen Diktator Ben Ali. Während seiner 23 jährigen Diktatur unterdrückte er Opposition und Gewerkschaften und bekam im Jänner die Rechnung präsentiert. Er wurde trotz versuchter Zugeständnisse von einer unaufhaltsamen Bewegung aus dem Land gejagt.
Welle der Revolte
In Algerien wurden die Proteste gegen Erhöhungen der Lebensmittelpreise, inspiriert durch die Vorgänge in Tunesien, zu Aufständen und Revolten, die schnell das halbe Land erfassten. In der Zeitung „El Watan“ erklärt ein junger Demonstrant: „Nichts wird uns diesmal zurückhalten. Das Leben ist zu teuer und eine Hungersnot bedroht unsere Familien, während Apparatschicks Milliarden beiseite schaffen und auf unsere Kosten reich werden. Wir haben keine Lust mehr auf dieses Hundeleben.“
Im Jemen hissten tausende DemonstrantInnen ein Banner auf dem „Freies Tunis, Sanaa grüßt dich tausendmal“ stand. In Jordanien und Ägypten gibt es Demonstrationen gegen die Regimes. Ein Ägypter formuliert auf Twitter: „Jeder arabische Führer blickt auf Tunesien in Angst und Schrecken, jeder arabische Bürger mit Hoffnung und Solidarität.“
… und was jetzt?
Egal, welche Regierung Ben Alis Gefährten oder die Pseudo-Oppositionsparteien in Tunesien aus dem Hut zaubern, keine kann die grundlegenden Probleme lösen, die zu den Revolten geführt haben. Auf kapitalistischer Basis gibt es nirgendwo eine langfristige Sicherheit für Demokratie, Bildung und Arbeitsplätze. Diktatoren wie Ben Ali sind Garanten für Profite. Billige Arbeitskräfte und unterdrückte Gewerkschaften sind Wasser auf die Mühlen des Kapitals. Welche Clique an der Macht ist und wie sie regiert, ist imperialistischen Ländern meistens egal, Hauptsache die Profite stimmen und das Land ist ein stabiler „Wirtschaftspartner“.
Tatsächliche Demokratie und wirklicher Wohlstand für die Menschen in der arabischen Welt würden die Profite schmälern. Die aktuellen Bewegungen entzündeten sich an sozialen Forderungen, schnell kam der Wunsch nach Freiheit und Demokratie hinzu. Soziale und demokratische Forderungen sind eng miteinander verbunden: Was nützt mir die Freiheit, eine Zeitung herauszugeben, wenn ich arbeitslos bin und mir nicht mal eine leisten kann? Oder die Freiheit zu wählen, wenn ich doch nur die Wahl zwischen Parteien habe, die grundsätzlich dasselbe vertreten? Leider gibt es weder in Tunesien noch im Rest der arabischen Welt eine starke unabhängige Kraft, die die Interessen der Jugendlichen und der ArbeiterInnen vertritt und die Notwendigkeit sieht, mit dem Kapitalismus zu brechen. Hält dieses Vakuum lange an, können reaktionäre Kräfte wie islamische Fundamentalisten hineinstoßen und die Stimmung zu ihren Gunsten missbrauchen, wie im Iran 1979. Allerdings gibt es heute auch die Erfahrungen mit islamistischen Regimes, die dieser Entwicklung entgegenwirken.
In Tunesien bildeten sich Selbstverteidigungskomitees in den Nachbarschaften, Post- und LehrendengewerkschafterInnen setzten sich gegen die korrupte Gewerkschaftsbürokratie durch. In Algerien gibt es unabhängige kämpferische Gewerkschaften von HafenarbeiterInnen und im Gesundheitswesen. All das sind wichtige Ansätze, die die Stärke und Bedeutung der ArbeiterInnenbewegung zeigen. Sie müssen verbunden, koordiniert und zusammengeführt werden, damit neue Organisationen der ArbeiterInnenklasse und der Jugend entstehen können. Basiskomitees in den Nachbarschaften können tatsächlich freie Wahlen garantieren und sicherstellen, dass die Herrschenden keinen Fuß in die Tür bekommen. Es braucht keine Regierung der nationalen Einheit sondern eine „ArbeiterInnenregierung“. Räte oder Komitees in den Betrieben können den Konzernen und Bossen die Produktionsmittel entreißen und beginnen, nach Bedürfnissen statt nach Profit zu produzieren. Nur durch den Sturz des Kapitalismus kann auf lange Zeit der so ersehnte Wohlstand und Frieden gesichert werden.