Di 31.10.2006
Solch eine Partei ist notwendig, um die Interessen der breiten Masse der Bevölkerung zu verteidigen. Der Begriff „Arbeiterpartei“ führt allerdings immer wieder zu Missverständnissen. Bei „Partei“ denken die meisten eher an Wahlbetrüger als an ihre Interessenvertretung. Und mit dem Wort „Arbeiter“ verbinden viele einfach Menschen in Blaumännern, die schwere körperliche Arbeit verrichten. Was versteht also die SAV unter einer sozialistischen Arbeiterpartei und wie kann sie entstehen?
Der Arbeiter-Begriff hat im marxistischen Sinne nichts mit der konkreten Arbeit zu tun, die jemand macht. Die Frage ist nicht, ob jemand Hand- oder Kopfarbeit macht, Arbeiter oder Angestellter ist. Im marxistischen Sinne zählen alle zur Arbeiterklasse, die abhängig beschäftigt sind. Außerdem, alle die es einmal sein werden, also die SchülerInnen und Studierenden, natürlich auch die Erwerbslosen und ehemalige Beschäftigte – die RentnerInnen und Rentner. Damit ist auch klar, dass es noch eine Arbeiterklasse gibt, auch wenn diese sich selber zur Zeit nicht unbedingt als „eine Klasse“ sieht.
Echte Arbeiterpartei unbekannt
Mit dem Wort „Partei“ verbinden mittlerweile die meisten Menschen feindliche Organisationen, denn alle großen Parteien machen seit Jahren eine Politik gegen die Interessen der Arbeiterklasse. Auch die vermeintlich linken Parteien, SPD und Grüne. Dass es eine starke Partei geben könnte, die Interessen der Beschäftigten und Erwerbslosen gegen die Angriffe von Unternehmern und Regierung verteidigt, kann sich kaum noch jemand vorstellen. Eine große Partei, die richtig Widerstand organisiert, die nicht bloß Sprüche im Parlament macht, sondern Gelder für streikende Arbeiter sammelt, protestierende Studierende, von Abschiebung bedrohte Flüchtlinge, von Privatisierung betroffene Mieter praktisch unterstützt, eine große Partei, die solch eine Politik macht, hat ja auch noch niemand wirklich erlebt.
Sicher, man hat vielleicht davon gehört, dass die SPD einmal anders war, dass sie in den 70ern mal zumindest einige echte Reformen, also Verbesserungen, gebracht hat. Manch einer wird sich auch noch daran erinnern können. Auch die Grünen, haben ja mal außerparlamentarischen Protest gegen Startbahnen und Atomkraftwerke organisiert. Aber das liegt alles 20, 30 Jahre zurück. Sogar hundert Jahre muss man zurückgehen, um in der damaligen SPD eine Partei zu finden, die den Namen Arbeiterpartei noch verdiente. Damals identifizierte sich die Mitgliedschaft mit dieser Partei, es war eine kämpfende Partei, eine Partei, die den Kapitalismus ablehnte und Sozialismus als Alternative anstrebte. Revolutionäre wie Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg waren damals Mitglieder dieser Partei. (Der rechte Flügel meinte allerdings man könnte schrittweise, ohne Revolution, zum Sozialismus gelangen).
Das ist lange her. Ist die Idee vom Aufbau einer Arbeiterpartei mit sozialistischem Programm deshalb heute reine Nostalgie, illusorisch, überholt? Das Gegenteil ist der Fall. Die Idee ist aktuell, weil nämlich Regierung und Unternehmerverbände zurück zu Verhältnissen wie vor hundert Jahren wollen. Und dagegen muss man sich wehren.
Warum wurden einst Arbeiterparteien in praktisch jedem Land der Welt gegründet? Warum haben sich ArbeiterInnen in diesen Parteien organisiert?
Die elementaren Organisationen der Arbeiterklasse sind die Gewerkschaften. Arbeiter haben sich in ihnen zusammengeschlossen, um ihre unmittelbaren Interessen gegenüber den Unternehmern zu vertreten. Der gewerkschaftliche Kampf beschränkt sich in der Regel auf Fragen des Lohnes, Arbeitszeiten, Arbeitsbedingungen. Im gewerkschaftlichen Kampf stehen sich die Beschäftigten eines Betriebes, eines Konzernes oder einer Branche dem Chef, der Konzernleitung oder dem Unternehmern einer Branche gegenüber, zum Beispiel bei einem Tarifkampf in der Metallindustrie.
Arbeiterklasse gegen Kapitalistenklasse
Es gibt aber eine ganze Reihe von Fragen, bei denen die gemeinsamen Interessen aller Beschäftigten, und Arbeitslosen gegen die gemeinsamen Interessen aller Kapitalbesitzer stehen. Kurz die Interessen der Arbeiterklasse gegen die Interesse der Kapitalistenklasse.
Etwa die Höhe und Dauer des Geldes bei Arbeitslosigkeit, die Fragen höhere Mehrwertsteuer oder höhere Unternehmenssteuern, Studiengebühren oder Bildung für alle. Bei all diesen Fragen, einschließlich den Auslandseinsätzen der Bundeswehr, geht es in letzter Instanz darum, welche Klasse zahlt und welche profitiert. Dass Hartz IV ein Gesetz zum Nachteil der Arbeitslosen und der Noch-Beschäftigten und zum Vorteil der Kapitalisten ist, dürfte sich herumgesprochen haben. Dass bei den Gesundheits- und Renten-“Reformen“ die Arbeiterklasse belastet und die Kapitalisten entlastet werden, braucht hier auch nicht weiter erläutert werden. Wenn es also um die Interessen der einen Klasse gegen die andere Klasse geht, dann handelt es sich um politische Fragen.
Die Arbeiterklasse braucht also eine starke Organisation, die ihre politischen Interessen formuliert, also Forderungen stellt, ein Programm entwickelt. Sie braucht eine Organisation, die die Interessen der Arbeiterklasse dann auch konsequent verteidigt, sie braucht also eine Partei. Es muss logischerweise eine Arbeiterpartei sein, da keine Partei gleichzeitig die Interessen der Beschäftigten und der Kapitalisten vertreten kann. Die Interessen von Arbeiterklasse und Kapitalisten sind nun mal gegensätzlich, unversöhnlich, auch wenn das ständig bestritten wird.
Der Begriff der Volkspartei ist in Wahrheit Etikettenschwindel. Das hat mittlerweile auch der Großteil der Arbeiterklasse gemerkt. Deshalb wurden bei Landtagswahlen in Berlin die beiden großen „Volksparteien“ nur noch von unter einem Drittel aller Wahlberechtigten gewählt.
Um gemeinsam für ihre politischen Interessen kämpfen zu können, haben ArbeiterInnen schon früh Arbeiterparteien gegründet. Das kam auch im Namen zum Ausdruck. Die SPD hieß ursprünglich „Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands“, der Name der 1900 in Großbritannien gegründeten Labour Party heißt wörtlich übersetzt „Arbeitspartei“. Beide haben längst aufgehört Arbeiterparteien zu sein. Genau wie praktisch alle großen sozialistischen oder sozialdemokratischen Parteien haben sie ihren Charakter grundlegend geändert und sind zu Interessenvertretungen der Kapitalisten geworden.
Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist aber in der Krise. Um ihre Profitraten auf ihr eingesetztes Kapital jeden Tag neu zu erzielen, sind die Damen und Herren Kapitalisten weltweit zum Angriff auf Löhne, Arbeitszeiten, auf das Gesundheits- und Bildungswesen übergegangen. Kriege und Aufrüstung im Konkurrenzkampf um Absatzmärkte und um die letzten Bodenschätze nehmen zu.
Aus dem Versagen lernen
Eine neue Arbeiterpartei ist notwendig, aber man muss aus dem Versagen der ehemaligen Arbeiterparteien lernen. Der Niedergang der sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien begann mit ihrer Akzeptanz des Kapitalismus und Aufgabe des Sozialismus als Ziel, zunächst in Taten. Dann in Taten und Worten. Ihre Führer wurden damals und heute korrumpiert, durch hohe Einkommen, durch legale und illegale Privilegien. Die Hauptamtlichen „verdienten“ das Vierfache eines durchschnittlichen Arbeitereinkommens.
Der Versuch, Politik im Rahmen des Kapitalismus zu machen, führte in die Katastrophe des 1. Weltkrieges, und wenige Jahre später zur Machtergreifung der Faschisten und zum 2. Weltkrieg. Auch heute versuchen SPD, Grüne die kapitalistische Wirtschaft zu „gestalten“. Das Ergebnis ist – innenpolitisch - Sozialabbau ohne Ende und – außenpolitisch - Bundeswehr in alle Welt. Die Linkspartei PDS beteiligt sich mittlerweile in Berlin und etlichen ostdeutschen Städten und Gemeinden an diesem Versuch.
Die logische Konsequenz aus diesen Erfahrungen wäre, eine neue Arbeiterpartei mit einem klaren sozialistischen Programm aufzubauen. Grundprinzipien dieser neuen Partei müssten, neben dem Ziel Sozialismus, sein: innerparteiliche Demokratie und keine Privilegien für Funktionäre, also zum Beispiel nur einen Durchschnittslohn für die Abgeordneten der Partei. Und sie muss selbstverständlich international sein.
Leider kommt die Arbeiterklasse nicht als Ganzes und nicht gleichzeitig zu diesen Schlussfolgerungen. So erscheint vielen die Idee, zunächst Veränderungen am und im Rahmen des bestehenden Gesellschaftssystem zu versuchen, als der einfachere Weg. Die ersten Ansätze einer neuen linken Partei rufen zudem alle möglichen Kräfte auf den Plan. Darunter nicht wenige Karrieristen. Diese Leute können die Unerfahrenheit der Mehrzahl der Basismitglieder in parteitaktischen-Fragen ausnützen. Als ehemalige SPD- oder Gewerkschaftsbürokraten sind sie mit allen Wassern gewaschen und verfügen über vielfältige Verbindungen. Diese leidvolle Erfahrung haben die Mitglieder der neuen WASG gerade gemacht. Von Sozialismus reden diese Karrieristen, wenn überhaupt, auf Parteitagen am Wochenende und dann auch nur als abstrakte Idee statt als notwendige Alternative. In ihrer kapitalistischen Praxis stützen sie sich auf das verbreitete Misstrauen gegenüber dem Sozialismus als Gesellschaftssystem. Die Verbrechen des Stalinismus haben die Idee des Sozialismus diskreditiert, weil die Machthaber in DDR und Sowjetunion sich zu Unrecht mit dem Etikett „Sozialismus“ schmückten. Das alles macht die Herausbildung einer neuen kämpferischen, sozialistischen Arbeitermassenpartei zu einem komplizierten Prozess. Die SAV hat sich am Aufbau der WASG beteiligt, weil sie die Meinungsführerschaft im Parteibildungsprozess nicht kampflos Leuten überlassen wollte, die die gescheiterten Ideen der Sozialdemokratie der 80er Jahre und der Mit-Regierungs-PDS in Berlin als zukunftsweisende Lösungen verkaufen wollen.
Wenn die Befürworter eines Anschlusses an die Politik und Partei PDS sich durchsetzen sollten, ist das Kapitel WASG beendet. Aber das Buch mit dem Titel „Aufbau einer Arbeiterpartei mit sozialistischem Programm“ ist gerade erst neu aufgeschlagen worden.
Die SAV wird sich auch in Zukunft dafür einsetzen, dem Prozess zur Herausbildung einer neuen Arbeiterpartei eine demokratische, kämpferische und sozialistische Richtung zu geben. Die praktische organisatorische Form unserer Beteiligung wird dabei von den jeweiligen konkreten Bedingungen abhängen.