Mi 01.12.1999
Von Marx über die Russische Revolution zur stalinistischen Bürokratisierung – so geradlinig werden spätestens seit der Proklamation des „Endes der Geschichte” von bürgerlicher Seite die Ereignisse dargestellt. Eine simple und falsche Darstellung. Für SozialistInnen ist es wichtig, klarzumachen, warum die Errungenschaften rund um die russische Revolution verteidigt werden müssen, während wir die später entstandenen Regimes kritisieren und nie als Sozialismus bezeichneten.
Am 25. Oktober 1917 übernahmen die russischen ArbeiterInnen unter Führung der Bolschewiki die Macht im rückständigsten Land Europas, das erst acht Monate davor von der zaristischen Herrschaft befreit worden war. „Brot, Land, Friede” waren die Forderungen, auf deren Basis die Bolschewiki ihre Mitgliedschaft von März bis zum Frühsommer 1917 von einigen Tausend auf eine Viertelmillion vervielfachten und mit denen sie die Unterstützung der Massen gewannen.
So waren die Landreform – im noch immer bäuerlichen Russland von zentraler Bedeutung - und eine radikale Friedenspolitik, die ersten Maßnahmen des neu geschaffenen Rats der Volkskommissare. Nicht umsonst weckte die russische Revolution bei ArbeiterInnen in ganz Europa Hoffnungen – nicht nur auf ein Ende der kapitalistischen Ausbeutung, sondern auch auf den lang ersehnten Frieden.
Eine zweite zentrale Forderung war „Alle Macht den Räten”. Schon kurz nach der Februarrevolution war klar, dass die provisorische Regierung nicht imstande war, ihren Aufgaben nachzukommen und die Wünsche der Bevölkerung auch nur annähernd zu erfüllen. Parallel zu ihrem Verfall gewannen die Räte im ganzen Land an Bedeutung. Der neuerliche Machtwechsel war unter diesen Umständen letztlich nur eine Frage der Zeit.
Doch war den Bolschewiki von Anfang an klar gewesen, dass das rückständige Russland nicht isoliert bleiben darf. Die revolutionären Geschehnisse kurz nach Ende des 1.Weltkriegs bestärkten jene, die auf eine Ausweitung der Revolution nach Europa, speziell Deutschland, hofften. In Bayern und Ungarn existierten nach dem Krieg Räteregierungen und auch in Österreich entstanden nach dem Krieg Räte. Doch die Intervention der Sozialdemokratie, die „die Revolution köpfte”, und das gewaltsame Vorgehen der Reaktion bereiteten der internationalen Revolution ein Ende.
Dem Bürgertum war durchaus bewusst, welche Gefahr die Ereignisse in Russland für den Kapitalismus bedeuteten. Alle Anstrengungen wurden unternommen, um die Revolution isoliert zu halten. In diesem Licht muss z.B. die Schaffung kleiner Nationalstaaten rund um Russland gesehen werden. Der westliche Imperialismus ließ nichts unversucht, um die Errungenschaften der russischen Revolution zu zerstören. Unter kräftiger westlicher Mithilfe konnte der neue ArbeiterInnenstaat noch 1918 in einen blutigen Bürgerkrieg gezwungen werden. Auch wenn die Rote Armee unter Führung Leo Trotzkis den militärischen Sieg errang, sollte der jahrelange Krieg das Land völlig ausbluten.
Die Isolation, der vom internationalen Bürgertum mitgetragene Bürgerkrieg zusammen mit dem Ausbleiben von Revolutionen in Europa, bereiteten den Boden für das Aufkommen des Stalinismus. Mit den Ideen der Russischen Revolution hatte dieser allerdings so gut wie nichts gemein.
Mit dem Ende des Stalinismus glaubten Bürgerliche, sich den Sozialismus als Systemalternative endgültig vom Hals geschafft zu haben. Und tatsächlich traf ein Infragestellen der kapitalistischen Ausbeutung und Systemkritik ganz allgemein oft auf Unverständnis. Doch Massenarbeitslosigkeit, steigende Armut, Kriege, Rassismus, … werfen die Frage nach einer möglichen Alternative neu auf. Aus der Geschichte und von den Ereignissen seit 1917 zu lernen ist das Gebot der Stunde.