Do 24.07.2014
Die Banken und Versicherungen gehören zu den wichtigsten Nutznießern der "Rettungspakete". Entfesselte und wildgewordene Finanzmärkte profitieren von Arbeitslosigkeit und Kürzungspaketen. Unvorstellbare Summen werden per Mausklick verschoben, virtuelles Geld ist die Basis vieler Entscheidungen, die Opfer im realen Leben zur Folge haben. Nicht verwunderlich also, wenn Finanzmarktkritiker aller Sorten Hochkonjunktur haben, z.B. bei den "Montagsdemos". Dort finden sich neben Menschen, die „etwas tun wollen“ auch allerlei krude VerschwörungstheoretikerInnen, Rechtsextreme und auch Neonazis. Sie alle profitieren von der zentralen Eigenschaft von Verschwörungstheorien: nämlich um ein Element der Wahrheit ein Lügengebäude aufzubauen und es auf eine vermeintliche Tätergruppe auszurichten. Im Fokus der Montagsdemonstrationen sind Finanzmärkte, die Federal Reserve Bank (in Folge kurz Fed genannt), das Finanzkapital (mit oder ohne der Ergänzung „jüdisch“), die Rothschilds, das Zins-, Schuldgeld- bzw. Geldsystem etc. Eine eher simple Erklärung für ein komplexes Thema. Und eine, die die wahren Gründe für Kriege und Krisen ignoriert. Wer die Kritik an Fed & Co. ins Zentrum rückt, hilft dem Kapitalismus, ungeschoren davonzukommen.
Finanzkapital: Schmiermittel oder Sand im Getriebe?
Tatsächlich werden mit dieser Verkürzung die Krisenursachen auf den Kopf gestellt, weil die Ursachen auf das Finanzkapital reduziert werden. Doch auch die 2007 begonnene Krise ist nicht nur eine „Finanzkrise“. Seit seinen Anfängen kommt es im Kapitalismus immer wieder zu Krisen. Diese sind aber keine „Betriebsfehler“, sind nicht das Ergebnis einer „falschen“ Wirtschaftspolitik oder einer bloßen Dominanz des Finanzsektors. Es gab Krisen in Zeiten mit und ohne Goldbindung, in Zeiten mit und ohne Zentralbanken, in Zeiten mit und ohne liberalisierte Finanzmärkte, in Zeiten mit niedrigen oder hohen Zinsen. Denn die Krisen sind das Ergebnis der Gesetzmäßigkeiten und der systemimmanenten Widersprüche des Kapitalismus: der Ausbeutung der ArbeiterInnenklasse, der privaten Aneignung der gesellschaftlich produzierten Werte und der Tatsache, dass nur Menschen, nicht aber Maschinen neue Werte schaffen können.
In den 1950er und 1960er Jahren konnten diese Widersprüche scheinbar überwunden werden und die Wirtschaft florierte – die Grundlage dafür waren allerdings die enormen Zerstörungen des 2. Weltkrieges. Mitte der 1970er Jahre kam es zur ersten Nachkriegskrise. Die Politik versuchte mit neoliberalen (damals hieß das „monetaristischen“) Konzepten entgegenzuwirken. Für das Kapital war es immer weniger profitabel geworden, in die „klassischen“ Bereiche (Industrieproduktion) zu investieren und daher wurden neue Investitionsfelder erschlossen. Die bisher staatlichen Bereiche wie Renten, Gesundheit, Infrastruktur und Bildung wurden und werden privatisiert. Die Finanzmärkte wurden dereguliert, um das Kapital, das im produzierenden Bereich keine ausreichende Gewinnmöglichkeit mehr sah, im spekulativen Bereich gewinnbringend „arbeiten“ zu lassen. Hier wird allerdings keine gesellschaftlich nützliche Arbeit verrichtet, werden keine menschlichen Bedürfnisse befriedigt und letztlich nur fiktive Werte geschaffen. Es folgten immer absurdere Finanzkonstrukte, die sich zu immer größeren Blasen aufblähten. Die immer größere Bedeutung der Finanzmärkte ist also nicht das Ergebnis einer „Verschwörung“ oder wild gewordener unvernünftiger geldgieriger SpekulantInnen. Sie war eine logische Folge und Notwendigkeit der sich ausweitenden Krise des Kapitalismus – die ihre Ursache in den kapitalistischen Grundwidersprüchen hat, die auch im „produzierenden“ Bereich existieren.
Der Versuch, eine Trennung in „produzierendes“ und „spekulierendes“ Kapital zu konstruieren (oder in „raffendes“ und „schaffendes“ Kapital wie aus dem rechten Eck formuliert wird) ist alt und falsch. Anfang des 20. Jahrhunderts analysierten Hilferding und Lenin, dass der Kapitalismus in ein neues Stadium, den „Imperialismus“ eingetreten war. Dieser zeichnet sich u.a. durch Verschmelzung des Bankkapitals mit dem Industriekapital aus. Auch heute sind Finanzunternehmen an Produktionsunternehmen beteiligt und haben Firmen des produzierenden Sektors sowie zusätzliche Sparten im Versicherungs- und Spekulationsbereich.
Die Fed: Das Zentrum der Weltverschwörung?
„Woran liegen alle Kriege in der Geschichte der letzten hundert Jahre? Und was ist die Ursache von allem? Und wenn man das alles ein bisschen auseinanderklamüsert und guckt genau hin, dann erkennt man im Endeffekt, dass die Federal Reserve Bank, die amerikanische Notenbank, das ist eine Privatbank, dass die seit über hundert Jahren die Fäden auf diesen Planeten zieht.“ So erklärt Lars Mährholz stellvertretend für die Strippenzieher der Montagsdemos (Interview vom 7. April 2014). Durch die Reduzierung auf die Fed lassen sich eine Reihe von Fliegen mit einer Klappe schlagen. Gegen „die Amis“ kommt immer gut an, gegen „das Finanzkapital“ auch. Außerdem wird mit dem Hinweis auf „eine Privatbank“ suggeriert, dass unbekannte Hintermänner die Fäden ziehen, deren Background offen für (auch und häufig antisemitische) Interpretationen ist. Zusätzlich kann damit von der Verantwortung anderen – in diesem Fall deutschen – Kapitals abgelenkt werden.
Die Fed ist nicht das Zentrum einer vermeintlichen Weltverschwörung, sondern lediglich ein mächtiger Arm der zur Zeit mächtigsten Wirtschaftsnation der Welt. So wie auch die Deutsche Bundesbank (trotz der EZB) ein mächtiges Instrument zur Durchsetzung deutscher Kapitalinteressen ist. Die VertreterInnen von Weltverschwörungstheorien übersehen, dass „das Kapital“ nicht homogen ist. Selbstverständlich gibt es gemeinsame Interessen, und zwar dann, wenn es gegen die ArbeiterInnenklasse geht. Doch es gibt auch weitreichende unterschiedliche, ja entgegengesetzt stehende Interessen, wenn es um die Umsetzung der Interessen des noch immer an den Nationalstaat gebundenen Kapitals geht. So hat z.B. aktuell nicht nur die EZB, sondern auch die Deutsche Bundesbank ein Interesse an TTIP, bietet es doch die Möglichkeit, die laxeren europäischen Finanzmarktregeln auf den etwas stärker regulierten US-Finanzmarkt zu übertragen und damit lukrative Investitionsfelder für deutsches Kapital zu eröffnen.
Formal mag der Hinweis darauf, dass die Fed eine Privatbank ist, nicht völlig falsch sein. Allerdings kann die Fed kaum mit einer x-beliebigen Privatbank verglichen werden, steht sie doch in enger Kooperation bzw. eigentlich in totaler Abhängigkeit vom US-amerikanischen Staatsapparat. Sie steht daher nicht im Gegensatz, sondern letztlich sinnbildlich für die Verflochtenheit von Kapital und bürgerlichem Staat im Rahmen des Kapitalismus. Das Federal Reserve System wurde 1913 per Bundesgesetz vom US-Kongress geschaffen. Durch diverse gesetzliche Änderungen wurde die Kontrolle der „Privatbank“ durch den Staat laufend erhöht. Änderungen in Struktur, Aufgaben und Funktionsbesetzung sind nur per Gesetz möglich – was sich eine echte Privatbank wohl kaum gefallen lassen hätte. Die 12 regionalen „Mitgliedsbanken“ (die mächtigste davon die New Yorker) sind zwar Aktiengesellschaften, jedoch sind sie per Gesetz zur Mitgliedschaft verpflichtet und haben nicht das Recht diese Aktien weiterzugeben oder über die Anzahl der eingebrachten Aktien zu entscheiden. (Die Österreichische Nationalbank ist übrigens auch eine Aktiengesellschaft, der einzige Aktionär ist zur Zeit der österreichische Staat.) Die Gewinne der Fed fließen fast vollständig in den US-Haushalt und die Leitung der Fed, das Federal Reserve Board oder Board of Governors wird von Präsident bzw. Senat beschickt.
Wäre es den Fed-KritikerInnen ernst, müssten sie nicht nur die Verstaatlichung der Fed, sondern auch aller 12 Regionalbanken bzw. des gesamten Banken- und Versicherungswesens fordern. Doch die Forderung nach Verstaatlichung von Banken und Konzernen fehlt auf den Montagsdemos – sie findet sich hingegen bei SozialistInnen, die sie auch mit der Notwendigkeit der demokratischen Kontrolle und Verwaltung verbinden.
Die gute alte Zeit?
FinanzmarktkritikerInnen unterschiedlicher Prägung vereint eine romantisierende Darstellung der „guten alten Zeit“. Damals, als die Marktwirtschaft noch frei vom parasitären Finanzkapital war, damals war alles besser. Die willkürliche Unterscheidung zwischen „Marktwirtschaft“ und „Kapitalismus“ dient zur Verschleierung der Tatsache, dass es sich um eine Klassengesellschaft handelt, in der eine kleine Minderheit von der Aneignung der unbezahlten Arbeit der Mehrheit profitiert.
Die Betrachtung der damaligen Lebens- und Arbeitsbedingungen der breiten Masse der Bevölkerung zeichnet ein weit weniger rosiges Bild. Das Banken- und später Finanzkapital ist ein notwendiger und integraler Bestandteil von Marktwirtschaft bzw. Kapitalismus im Rahmen der Industrialisierung. Kein Wunder also, wenn diverse FinanzmarktkritikerInnen auch gleichzeitig gegen Großindustrie und Großstädte, gegen moderne Medizin und Frauenrechte wettern. Silvio Gesell z.B., der theoretische Kopf der Freigeld-Konzepte und Kritiker des Finanzkapitals, zeichnet genau so ein Bild. In seinem Weltbild ist das Finanzkapital getrennt vom Produktionssektor (woher Unternehmen dann aber z.B. das nötige Kleingeld für Investitionen bekommen sollen, was eines der zentralen Probleme der osteuropäischen Wirtschaft nach der Wende war, erklärt er nicht). Durch dieses Finanzkapital wird in seiner Überlegung das Geld seiner Tauschfunktion beraubt und selbst zur Ware. Er orientierte sich an Proudhon (Französischer Philosoph und Ökonom des 19. Jahrhunderts der als Vordenker des Anarchismus, aber auch des Liberalismus gilt. Sein bekanntester Satz ist „Eigentum ist Diebstahl“. Er war auch Antisemit.) und dessen im Gegensatz zur Marxschen Analyse stehenden Überlegung, dass ein „Mehrwert“ nicht im Produktionsprozess bzw. Aneignungs- und Veräußerungsprozess entsteht, sondern sich aus einer privilegierten Stellung des Geldes (und somit der Geldbesitzer) im Austauschprozess ergibt. Eine Ausbeutung der Arbeitskraft sieht Gesell – im Gegensatz zu Marx – nicht, bzw. ist diese in seinem Weltbild durch die Macht des Stärkeren und Schlaueren gerechtfertigt. Er und seine AnhängerInnen sehen nicht, dass Profit durch die Ausbeutung menschlicher Arbeit entsteht und sich daraus ein Klassengegensatz zwischen Arbeiterklasse und Kapital ergibt. Aus dem Nicht-Verstehen der Arbeitswerttheorie konstruieren sie ein Bild vom diabolischen Finanzkapital, das quasi aus dem Nichts Geld erschafft, Zinsen kassiert und sich zu diesem Zwecke Banken und später Zentralbanken aufbaute. Eher vulgärokonomisch sehen sie nur die sekundäre Aufteilung des Profits in Zins und Unternehmergewinn, negieren die Existenz von Klassen und lehnen daher jede Form von Klassenkampf auch ab.
Von vielen FinanzmarktkritikerInnen wird das Finanzkapital als „unnatürlich“ im Gegensatz zur „natürlichen“ Marktwirtschaft präsentiert. Edward Griffin operiert mit Begriffen wie „Naturgesetzen“. Gesell propagierte gar eine „natürliche Wirtschaftsordnung“ (NWO). Mit „natürlich“ wird eine Anlehnung an die Biologie, die Natur suggeriert. Damit sollten die brutalen Manchester/neoliberalen Ideen als „natürlich“ verkauft werden, wonach nur die „Gesunden“ und „Fitten“ ein Lebensrecht haben. Gesell tritt offensiv für eine „Menschenzucht“ ein, um die Menschheit von „all dem Minderwertigen zu erlösen“. Mit der Ablehnung z.B. eines modernen Gesundheitswesens finden sich neben den sozialdarwinistischen Ansätzen auch eugenische. Hier findet ein Schulterschluss zur Antrophosophie (Rudolf Steiner und seine „Waldorfschulen“) und anderen RassistInnen statt. Auf den Montagsdemos ist denn auch der Anteil der ImpfgegnerInnen und AnhängerInnen des Hometeachings groß. Eingriffe des Staates werden in der Regel zurückgewiesen, das Individuum überhöht. Als Folge von realen Erfahrungen mit Lügen der Medien (z.B. bei der Berichterstattung über die Ukraine) und der Politik herrscht ein hochgradiges Misstrauen gegenüber allen „etablierten“ Institutionen. Hier setzen Chemtrail-Phantasien ebenso an, wie die Ablehnung von öffentlichem Gesundheits- und Bildungssystem. In der Praxis unterstützen die VerfechterInnen dieser Wirtschaftskonzepte dann oft den Abbau von sozialstaatlichen Maßnahmen, von öffentlichem Bildungs- und Gesundheitswesen.
Wer sind die WutbürgerInnen?
Im Kapitalismus herrscht in letzter Konsequenz das Primat der Wirtschaft über die Politik, die Staatsapparate dienen der Umsetzung von Kapitalinteressen. Doch das gilt nicht nur für die Interessen des Finanzkapitals, sondern auch jener der Industrie, v.a. der großen Konzerne. In ihrem Interesse wird auf dem Rücken der ArbeiterInnenklasse Politik gemacht – aber auch Klein- und Mittelbetriebe werden dabei aufgerieben.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Ausrichtung auf ein an KMUs orientiertes Wirtschaftssystem der sozialen Zusammensetzung der „WutbürgerInnen“ entspricht. Die OrganisatorInnen und auch viele der TeilnehmerInnen stammen aus der „Mittelschicht“, dem „Kleinbürgertum“. Überproportional viele sind Männer, Studierende bzw. Freiberufler und Selbstständige in ihren 30ern – also eine Generation, der es infolge der Krise des Kapitalismus schlechter geht als ihrer Elterngeneration. Viele arbeiten hart und werden in der Wirtschaftskrise aufgerieben, da der Absatz einbricht und sie mit der billigen Konkurrenz durch die Großen nicht mithalten können. Doch im Gegensatz zu den Banken und Konzernen gibt es für sie keine Rettungspakete. Dieser Verlust an Lebensstandard und Perspektive macht wütend und ruft nach Schuldigen. Wenn die Antwort aber im Rahmen kapitalistischer Logik gesucht wird, landet man rasch beim Finanzkapital als Hauptschuldigem. Diese Logik machen sich dann auch die diversen Rechtsextremen und FaschistInnen zunutze, die bei den Montagsdemos und anderen finanzkapitalkritischen Projekten (Tauschkreise, Regiogeld etc.) intervenieren. Von der Kritik an Finanzkapital und Kreditwesen ist es in der Praxis oft nur ein kleiner Schritt zu antisemitisch geprägten Verschwörungstheorien. Bei Fed-KritikerInnen finden sich häufig Verweise auf die (angeblich) jüdische Herkunft der Verantwortlichen. Und auch bei „linken“ Fed-KritikerInnen wie Ellen Hodgson Brown findet sich neben mangelhafter Distanzierung von rechten Finanzmarktkritikern auch Lob für Hitlers angeblich durch Papiergeld geschaffenes öffentliches Beschäftigungsprogramm.
Wieder eine typische Herangehensweise von Verschwörungstheoretikern: die Arbeitslosigkeit sank unter Hitler. Richtig. Doch nicht wegen seiner Zurückdrängung des Finanzkapitals, sondern weil die Wirtschaft schon vor 1933 die Trendwende nach der Weltwirtschaftskrise begonnen hatte, weil Hitler die Wirtschaft auf Kriegsproduktion ausrichtete, sich der deutsche Staat den beschlagnahmten Besitz von jüdischen und anderen Verfolgten einverleibte, in den KZs Sklavenarbeit verrichtet wurde, die der deutschen Wirtschaft Extraprofite brachte, und ein Teil der Bevölkerung durch die Nürnberger Rassegesetze schlicht vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen und später ermordet wurde.
Die Kritik an der Fed ist richtig – aber verkürzt
Angesichts der Rolle des deutschen Kapitals in den beiden Weltkriegen ist der Vorwurf, die Fed wäre für alle Kriege der letzten 100 Jahre verantwortlich, mehr als absurd. Als der deutsche Bundespräsident Köhler 2010 erklärte, es sei „im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege“, da war er – eine Ausnahme für PolitikerInnen – ehrlich und hat sehr klar gemacht, dass die BRD nicht nur souverän ist, sondern auch einer der mächtigsten imperialistischen Staaten der Welt, was sich nicht zuletzt an den vermehrten Auslandseinsätzen der Bundeswehr in der jüngeren Vergangenheit zeigt. Der Kampf um den Zugang zu Ressourcen und Märkten wurde und wird vom Kapital mit aller Härte und Brutalität geführt. Das gilt für das US-Kapital ebenso wie für das deutsche, österreichische, russische oder auch chinesische. Die jeweiligen Nationalstaaten werden wenn nötig auch für Kriege benützt, um sich diesen Zugang zu sichern. Aktuell hat das Kapital der europäischen Staaten in Bezug auf die Ukraine ähnliche Interessen wie das US-Kapital. Gemeinsam geht es gegen Russland. In anderen Konflikten (Libyen, Irak etc.) waren die Kapitalinteressen unterschiedlich, die Frontstellung daher eine andere. Natürlich gibt es im Kapitalismus Verschwörungen, doch die Idee einer kleinen Gruppe von Weltverschwörern scheitert schon an den Grundprinzipien der Marktwirtschaft – nämlich der Konkurrenz und der Notwendigkeit für Unternehmen, bei beschränkten Ressourcen und AbnehmerInnen zu wachsen um zu überleben. „Das Kapital“ hat eben auch sehr unterschiedliche, widersprüchliche Interessen – die Agrarindustrie hat andere als die Transportindustrie, die Waffenproduzenten andere als das Tourismus-Business, die Chemische Industrie andere als die Versicherungen. Angesichts der weltweiten Überproduktion (gemessen an den Kaufmöglichkeiten, nicht den Bedürfnissen) an Kraftfahrzeugen hat die deutsche Autoindustrie andere Interessen als die japanische oder us-amerikanische – jede benützt „ihren“ Staat um sich einen Vorteil auf möglichst vielen Märkten zu besorgen (durch deren Öffnung bzw. deren Abschottung). Die Weltverschwörung durch einen kleinen Verschwörerkreis scheitert also schon an diesen unterschiedlichen und oft widersprüchlichen Interessen.
Zweifellos ist die Fed ein zentrales Machtinstrument des US-Imperialismus und damit auch für die Macht- und Kriegspolitik der USA. Zweifellos ist sie durch ihre Währungs- und Zinspolitik und Bankenrettungspakete mitverantwortlich für das Auslösen und den Verlauf von Krisen mitt all ihren Folgen. All das stimmt – für die Fed wie auch für jede andere Nationalbank. Bei der Fed fällt es aufgrund der Stärke des US-Imperialismus mehr ins Gewicht als bei der österreichischen Nationalbank (wobei die österreichischen Banken in Südosteuropa eine ähnliche Rolle spielen). Die Banken spielen eine wichtige Rolle bei den Bestrebungen der Bourgeoisie, Krisen zu überwinden. Die Fed ist Teil dieser Strategie, die aber im Rahmen des Kapitalismus ihrerseits wieder Krisen mit all ihren Auswirkungen bedeutet: "Dadurch, dass sie (die Bourgeoisie, Anm.) allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert." (Kommunistisches Manifest). Doch da die FinanzmarktkritikerInnen die wirklichen Krisenzusammenhänge nicht verstehen (wollen) und die Grundwidersprüche im Kapitalismus negieren, führen sie die Krisen auf bewusste Entscheidungen zurück, z.B. von Großbanken, die zu viele Kredite an unsichere SchuldnerInnen vergeben, oder von den Zentralbanken, die an Zinsen und Geldmenge herumpfuschen. Oder eben von einem Klüngel von Weltverschwörern (Bilderberger, Fed, Rothschild etc.) die die Weltherrschaft anstreben oder bereits in Händen halten.
Die Fed-Verschwörungstheorien sind ein Musterbeispiel für verkürzte Kapitalsmuskritik (die dann letztlich eben auch keine ist): Tatsache ist, dass es Absprachen („Verschwörung“) und große Macht einzelner Unternehmen im Kapitalismus gibt. Aber entscheidend ist, dass es im Kapitalismus ökonomische (historische, soziale etc.) Gesetzmässigkeiten gibt. Die EU, eine solche „Verschwörung“ des europäischen Kapitals, funktionierte so lange, wie sie in die gleiche Richtung wie diese Gesetzmässigkeiten wirkte. Mit der Verschärfung inner-imperialistischer Widersprüche, einem verschärften Kampf um den kleineren Kuchen, beginnen EU und Euro an allen Ecken und Kanten zu krachen.
Die Beschränkung der Kritik auf die Fed bzw. das Finanzkapital hat v.a. eines: eine systemstabilisierende Wirkung. Wie eine Nebelgranate verstellt sie den Blick auf die darunter liegenden kapitalistischen Widersprüche. Gesell, Jebsen (Führender Kopf der Montagsdemos, wurde 2011 beim RBB gekündigt, weil ihm antisemitische Äußerungen vorgeworfen wurden), Elsässer (Ehemaliger Linker, heute Herausgeber des Compact-Magazins, dass nationalistische Positionen und für eine Zusammenarbeit von linken und rechten Kräften eintritt) & Co. sind mehr als nur wirre, rechte Verschwörungstheoretiker. Sie sind durchaus nützlich für das deutsche Kapital, da sie die Wut gegen die Bankenrettungspakete und die Kürzungspolitik in letztlich ungefährliche Bahnen lenken. Ein paar Tausend Leute, die am Montag Reden schwingen, sind mäßig gefährlich. Eine Bewegung, die in den Betrieben die Frage stellt, warum die ManagerInnen ihre Jobs und Gehälter behalten, während bei den Beschäftigten gekürzt wird, und die als Antwort Streiks und Betriebsbesetzungen durchführt, wäre weit gefährlicher. Die Reden gegen das US-Kapital sind ein gutes Ablenkungsmanöver, um von der Rolle des deutschen Kapitals abzulenken, das an Ein-Euro-Jobs verdient und nun sogar Null-Euro-Jobs will. Die Behauptung, die Fed wäre ein Instrument jüdischer Kriegstreiber, kaschiert die Rolle der deutschen Bundeswehr und der deutschen Rüstungsindustrie. Wenn ohnehin das Geschick der Welt von einer kleinen, unerreichbaren Gruppe von WeltverschwörerInnen regiert wird, dann ist letztlich jeder Widerstand zwecklos...
Das (rechte) VerschwörungstheoretikerInnen wieder mehr Zulauf erhalten liegt massgeblich in der Schwäche bzw. den Fehlern der Linken. In der Ukraine Frage werden weitgehend Russland bzw. die EU unterstützt, die ukrainische ArbeiterInnenklasse fehlt in den Überlegungen meistens. Und die Antworten auf die brennenden sozialen Fragen bleiben oft in den Beschränkungen kapitalistischer Logik gefangen. Ohne eine ernsthafte und in ihren Formulierungen auch massentaugliche Kapitalismuskritik und ein ernsthaftes Angebot, Teil von Protesten und Widerstand zu werden finden VerschwörungstheoretikerInnen ein wachsendes Publikum auch in der ArbeiterInnenklasse für ihre "Antworten".
Es mag radikal klingen, das Finanzkapital anzugreifen und die „Abschaffung des Geldes“ zu fordern. Doch solange das nicht mit der Abschaffung des Kapitalismus verbunden ist, ist es nur leeres Gerede. Der russische Revolutionär Leo Trotzki hat es 1936 so formuliert: „Der staatliche wie der Geldzwang sind ein Erbteil der Klassengesellschaft, die die Beziehungen von Mensch zu Mensch nicht anders bestimmen kann als durch Fetische, kirchliche oder weltliche, und zu ihrem Schutz den fürchterlichsten aller Fetische eingesetzt hat: den Staat, mit einem großen Messer zwischen den Zähnen. In der kommunistischen Gesellschaft werden Staat und Geld verschwunden sein. Ihr allmähliches Absterben muss also schon unter dem Sozialismus beginnen. Von einem tatsächlichen Sieg des Sozialismus wird man erst in dem geschichtlichen Augenblick sprechen können, wenn der Staat nur noch halb ein Staat ist und das Geld seine magische Kraft einzubüßen beginnt. Das wird bedeuten, dass mit dem Sozialismus, der sich der kapitalistischen Fetische entledigt, zwischen den Menschen durchsichtigere, freiere, würdigere Beziehungen zu walten beginnen.“