Fr 07.04.2023
Der Technologiesektor ist in Aufruhr - er steht vor seiner schlimmsten Krise seit dem Platzen der Dotcom-Blase Ende der 1990er Jahre. Die Aktienkurse schwanken heftig, die Gewinne schrumpfen, und Hunderttausende verlieren ihren Job. Tech-Unternehmen in den USA haben 2022 um 649% mehr Menschen entlassen und weltweit 161.411 Arbeitsplätze gestrichen. Für 2023 sieht es sogar noch schlimmer aus: 155.462 Entlassungen in den ersten drei Monaten.
Für die meisten Schlagzeilen sorgte die prekäre Situation der Twitter-Beschäftigten nach der 44-Milliarden-Dollar-Übernahme durch Elon Musk im Oktober 2022. Musk beschloss, den finanziell schlechten Deal durch eine Halbierung der Belegschaft - 3.700 Beschäftigte - wettzumachen und verlangte von den verbleibenden Beschäftigten, dass sie sich zu einem "knallharten" Arbeitsumfeld verpflichten. Viele weitere lehnten dies ab und verließen das Unternehmen aus eigenem Antrieb, sodass nur noch 30 % der Belegschaft übrig blieben. Aber auch andere große, bekannte Unternehmen haben einen ähnlichen Sparkurs eingeschlagen: Seit November hat Amazon 27.000 Stellen gestrichen, Meta hat 21.000 Stellen abgebaut, die Google-Muttergesellschaft Alphabet 12.000 und Microsoft 10.000. Tausende kleinerer Tech-Firmen haben ebenfalls Jobs gestrichen, und viele Start-ups sind pleite gegangen.
Die Big-Tech-Krise ist symptomatisch für die sich verschärfende Krise der kapitalistischen Wirtschaft insgesamt. Diese ist durch die Serie von Zusammenbrüchen von Banken in jüngster Zeit sehr deutlich geworden, vor allem durch jenen der Silicon Valley Bank (SVB), die laut der Zeitung "The Guardian" "für fast die Hälfte aller risikofinanzierten Tech-Startups zur Hausbank geworden war". Sowohl die Krisen im Tech-Sektor wie auch in der Finanzbranche werden durch die Politik der Zentralbanken auf der ganzen Welt weiter befeuert, da diese die Zinssätze als Reaktion auf die Inflationsspirale erhöhen. Die Inflation wiederum ist Produkt zahlreicher anderer Probleme der kapitalistischen Wirtschaft - von den Auswirkungen der Covid-Pandemie, einschließlich der Unterbrechung der Versorgungsketten, über die Verschärfung der imperialistischen Spannungen, insbesondere durch den Krieg in der Ukraine, bis hin zum Klimawandel, zu anämischem Wachstum und sinkender Rentabilität über Jahre hinweg.
Die Wahrheit ist, dass der Boom im Technologiesektor, insbesondere in den letzten anderthalb Jahrzehnten, durch niedrige Zinsen und die dadurch geförderte Spekulation künstlich aufgebläht wurde. Das Wachstum und sogar die Existenz vieler Technologieunternehmen beruhte auf diesem Zugang zu billigen Krediten, ohne dass aber echte Rentabilität erzielt wurde. Fällt das aber weg werden diese Unternehmen Schwierigkeiten haben, ihre Position zu halten oder in einigen Fällen zu überleben. Der aktuelle Stellenabbau ist eine erste Erkenntnis dieser Tatsache.
Der rasante Aufstieg von Big Tech
Zweifellos ist diese Krise von großer Bedeutung, nicht nur für den Technologiesektor, sondern für das kapitalistische System als Ganzes. Der Marktwert der Tech-Branche beläuft sich auf rund 5,2 Billionen Dollar, was 5 % des weltweiten BIP entspricht. Von den zehn größten Unternehmen der Welt nach Marktkapitalisierung entfielen 2022 sieben auf Tech-Unternehmen: Apple, Microsoft, Alphabet, Amazon, NVIDIA, Taiwan Semiconductor Manufacturing Co und Meta. Daraus werden acht, wenn man Tesla mit einbezieht, das in vielen Aspekten den Tech-Unternehmen ähnelt, einschließlich seiner Geschichte exponentieller Anstieg in der Bewertung, obwohl die Firma jedes Jahr Verluste meldete (und zwar bis 2020 - und dann machte es mehr Geld durch den Verkauf von CO2-Zertifikaten an andere Autohersteller als durch den Verkauf seiner eigenen Elektroautos). Vor 20 Jahren waren nur zwei Technologieunternehmen, Microsoft und IBM, auf dieser Liste.
Sie gehören also nicht nur zu den größten Unternehmen der Welt, sondern ihr Aufstieg und das Wachstum der gesamten Branche waren dramatisch. Man bedenke, dass Amazon 1995 und Google 1998 gegründet wurden, Facebook erst 2004, Uber 2009 und Zoom 2011. Diese Unternehmen beherrschen heute ihre jeweiligen Märkte fast als Monopole.
Außerdem sind einige ihrer Gründer und CEOs bekannte Persönlichkeiten geworden, die in den letzten zehn Jahren die Liste der reichsten Menschen der Welt angeführt haben. Die Anhäufung ihres persönlichen Reichtums ist ebenso obszön wie atemberaubend. Im Jahr 2010 beliefen sich beispielsweise die Vermögen von Mark Zuckerberg (Meta) und Jeff Bezos (Amazon) auf 6,9 Mrd. bzw. 12,6 Mrd. US-Dollar; Am Höhepunkt im Jahr 2021 hatten sie 140 bzw. 200 Mrd. US-Dollar erreicht. Elon Musk wurde 2012 zum Milliardär, und bis 2021 wurde sein Vermögen auf 340 Milliarden Dollar geschätzt! Seit diesem aberwitzigen Höchststand, der mit dem Höhepunkt der weltweiten Pandemie zusammenfiel, sind ihre persönlichen Vermögen wieder deutlich gesunken, wobei Musks Nettovermögen im Februar 2023 auf 187 Milliarden Dollar geschätzt wird - damit ist er immer noch der reichste Mensch auf dem Planeten.
Diese Summen sind atemberaubend und noch vor wenigen Jahren fast unvorstellbar, aber ihr Auf-und-Ab (das Vermögen, das Musk im Jahr 2022 verlor, entsprach dem Bruttoinlandsprodukt von Ungarn, einem Land mit einer Bevölkerung von fast 10 Millionen Menschen) spiegeln die Unsicherheiten wider, die ihren Unternehmen zugrunde liegt.
Auf Sand gebaut
Der Technologiesektor war in den letzten Jahrzehnten, seit das Zeitalter des Internets die Kommunikation und zunehmend auch viele andere Aspekte unseres täglichen Lebens verändert hat, der dynamischste Sektor der kapitalistischen Wirtschaft. Innovation und technologische Durchbrüche sind ein Teil davon, aber ein weiterer wichtiger Faktor für das Wachstum des Technologiesektors ist die Finanzspekulation, die zu einem kontinuierlichen Zufluss von Geld führt, der wiederum die Aktienkurse in die Höhe treibt und so zu mehr Investitionen führt - und zwar weit über das hinaus, was die tatsächlichen Innovationen rechtfertigen würden. Der rasante Aufstieg und Fall der Kryptowährungen ist ein besonders krasses Beispiel für dieses Phänomen.
Vor dem Hintergrund der allgemeinen Rückgänge bei der Rentabilität haben Investor*innen stark auf die Technologiebranche als einen Bereich gesetzt, von dem erwartet wurde, dass er weiterhin wachsen würde. In der Zeit nach dem Finanzcrash von 2008, als die Zentralbanken eine Politik der quantitativen Lockerung ("Quantitative Easing", d.h. die Erhöhung des Geldangebots) und der niedrigen Zinsen ("Low Credit", d.h. billige Kredite in großem Umfang) verfolgten, gingen Investoren*innen und Unternehmen auf Einkaufstour. Dazu gehörte auch die Verlagerung von Investitionen in Innovation und Produktion in dubiose Geschäftsfelder, um schnell reich zu werden. So hat beispielsweise Cisco, einst das weltweit führende Unternehmen im Bereich der digitalen Kommunikation, in den letzten zwei Jahrzehnten 152,3 Milliarden Dollar - 95 % seines Einkommens in diesem Zeitraum - für Aktienrückkäufe (buchstäblich den Kauf eigener Aktien) ausgegeben, um seinen Aktienkurs zu stützen. Es überrascht nicht, dass das Unternehmen dadurch hinter seine Konkurrenten zurückgefallen ist, insbesondere hinter chinesische 5G-Unternehmen, die tatsächlich in Forschung und Entwicklung investiert haben.
Weltweit hat praktisch jedes andere große Unternehmen, vor allem aber in der Technologiebranche, ähnliche Praktiken angewandt. Ein Ergebnis davon ist die breite Existenz von "Zombie-Unternehmen", deren Gewinne oder sogar Einnahmen ihre Schulden über einen längeren Zeitraum nicht decken können - d.h. sie müssten eigentlich in Konkurs gehen. Doch das Angebot an billigen Krediten hat diese Unternehmen über Wasser gehalten. Um es deutlich zu machen: 1990 galten 1,5 % der börsennotierten Unternehmen in den größten Volkswirtschaften der Welt als "Zombies", im Jahr 2020 waren es bereits 7 %.
Angesichts des Kurswechsels, den verschiedene Zentralbanken in der Geldpolitik vollzogen haben, die nun die Zinssätze erhöhen, sind diese Unternehmen nun offensichtlich massiv gefährdet. Das gilt auch für den gesamten Technologiesektor, der ja durch die Geldspritzen in Folge der Verfügbarkeit von billigem Geld - das nun nicht mehr verfügbar ist - massiv angekurbelt wurde. Die Auswirkungen sind bereits sichtbar, aber wie schlimm es wird, wenn es zu einer weltweiten Rezession kommt (und das wird es - ein Teil der Motivation hinter den Zinserhöhungen ist der Versuch, eine Rezession zu provozieren, um die Forderungen der Arbeiter*innen nach besseren Löhnen und Arbeitsbedingungen zur Bekämpfung der Inflation zu unterlaufen) bleibt abzuwarten.
Die Arbeiter*innen, nicht die Bosse, sind die Leidtragenden
Wie bei jeder kapitalistischen Krise, unabhängig von ihren Ursachen, werden die Arbeiter*innen die Leidtragenden sein - wenn nicht durch Arbeitsplatzverluste, dann durch schlechtere Löhne und Arbeitsbedingungen, um die Rentabilität der Firmen zu erhöhen. Dabei spielt es keine Rolle, dass diese Unternehmen insgesamt Hunderte von Milliarden pro Jahr mit der Arbeit ihrer Arbeiter*innen verdienen, ohne die all die Finanzspritzen und billigen Kredite nicht viel bewirken würden. Wenn jedoch etwas schief läuft, wird die Rücksichtslosigkeit, die diese Unternehmen nach außen hin gegenüber ihren Konkurrenten an den Tag legen, nach innen gekehrt.
Ein Artikel in der Zeitung "New York Times" von Nadia Rawlinson, einer ehemaligen Personalchefin bei Slack, brachte es auf den Punkt: "Die Entlassungen sind Teil eines neuen Zeitalters des Bossismus, der Vorstellung, dass das Management zu viel Kontrolle abgegeben hat und diese von den Beschäftigten zurückerobern muss. Nach zwei Jahrzehnten des Kampfes um Talente nutzen die Chefs die aktuelle Periode, um sich für jahrelange Nachsicht des Managements zu revanchieren, die ihnen eine Generation von Beschäftigten beschert hat, die Ansprüche erheben."
Obwohl technische Berufe wie Softwareentwicklung und -design im Allgemeinen gut bezahlt und begehrt sind, werden sie dennoch wie alle anderen Arbeiter*innen ausgebeutet (sie tragen mehr zum Wert "ihrer" Unternehmen bei, als sie an Lohn oder Sozialleistungen erhalten). Schon vor dieser Krise war ein wichtiger Trend innerhalb von Tech-Unternehmen die Ersetzung direkt angestellter durch Leiharbeiter*innen mit weit weniger Rechten und schlechteren Bedingungen. Seit 2018 gibt es beispielsweise bei Google mehr Leiharbeiter*innen als direkt Beschäftigte.
Darüber hinaus ist ihre Arbeit oft mit hohem Druck und hohen Anforderungen verbunden, und viele berichten von Burnout und Erschöpfung, auch weil ihnen klar ist, dass ihre Arbeit nicht so sinnvoll ist, wie man ihnen weismachen will. Anstatt die Technologie zum Wohle der Gesellschaft einzusetzen, arbeiten sie in der Regel daran, andere Beschäftigte noch leichter ausbeuten zu können oder daran, Wege zu finden damit noch mehr Menschen mit Werbung überflutet werden und das ganze mit Praktiken der Datenerfassung, die an Massenüberwachung grenzen.
Wir müssen die Technologie aus dem System der Profitmacherei befreien
Während sich diese Tech-Unternehmen große Mühe geben, ein freundliches Image zu pflegen, könnte nichts weiter von der Wahrheit entfernt sein. Im Jahr 2018 entfernte Google im Stillen sein berühmtes Motto "Don't Be Evil" aus seinem Verhaltenskodex, nachdem Tausende seiner Beschäftigten öffentlich die Entwicklung von Technologie für US-Militärprojekte durch Google verurteilt hatten. Große Tech-Unternehmen behaupten, führend bei der Umstellung auf grüne Energie zu sein, Emissionen zu reduzieren und neue Technologien zu entwickeln. Tatsächlich arbeiten Amazon, Google und Microsoft für Unternehmen wie Shell, BP, Chevron und ExxonMobil, um ihnen zu helfen, fossile Brennstoffe schneller, effizienter und profitabler zu entdecken und zu fördern - und das mit Milliarden von Dollar. Mit nur einem einzigen Vertrag mit ExxonMobil ermöglicht Microsoft den Ausstoß von zusätzlichen 3,4 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr - und macht damit sein "CO2-negativ" Ziel zunichte.
Eines der heimtückischsten Beispiele für die Auswirkungen von Big Tech findet sich in den sozialen Medien. Diese Plattformen bieten nahezu unbegrenzte Möglichkeiten der Verbindung, der Kommunikation und um sich auszudrücken. Aber sie wurden entwickelt, um den Profit zu maximieren, insbesondere durch Werbung, und zwar ohne jede Rücksicht auf die menschlichen Kosten. Bei jeder Suche, bei jedem Klick und sogar bei jeder Pause beim Scrollen werden wir mit gezielter Werbung bombardiert, die in geradezu unheimlicher Art unsere Unsicherheiten ausnutzt und Bedürfnisse erzeugt, um unnötige Produkte zu verkaufen. Um die Werbeumsätze zu maximieren, sind diese Apps so konzipiert, dass die Nutzer*innen so lange wie möglich scrollen und sich die Werbung ansehen - das ganze funktioniert, indem sie unsere Dopamin-Belohnung Reaktion ausnutzen.
Die negativen Auswirkungen der sozialen Medien auf die psychische Gesundheit, insbesondere bei Jugendlichen, werden immer besser dokumentiert, ebenso wie die Algorithmen, die bewusst Essstörungen bei Jugendlichen fördern. Ebenso haben Algorithmen in den sozialen Medien nachweislich eine größere Reichweite für rechte und rechtsextreme Inhalte geschaffen.
All diese Werbe- und Überwachungsdaten haben den Bedarf an Speicher- und Verarbeitungseinrichtungen exponentiell ansteigen lassen. Das hat zum Ausbau von Rechenzentren geführt hat, von denen es weltweit Millionen gibt - wobei jede Einrichtung Tausende oder Zehntausende von Servern enthält und mehr Umweltressourcen verbraucht als ganze Länder. Rechenzentren sind inzwischen für fast 1 % der energiebedingten Treibhausgasemissionen weltweit verantwortlich. Zum Vergleich: In der Luftfahrtindustrie sind es 2 %. Selbst nach erheblichen Effizienzverbesserungen sind Rechenzentren allein für etwa 1 % des weltweiten Stromverbrauchs verantwortlich (ohne Kryptowährungs-Mining) und könnten bis 2030 bis zu 30 % des irischen Energiebedarfs verbrauchen, was die einheimische Versorgung gefährden würde.
Die neuen Technologien bieten der Menschheit ein enormes Potenzial in Bezug auf Kommunikation, Organisation, Bildung und Kreativität, aber in einem kapitalistischen System, das auf Profit ausgerichtet ist, sind sie absolut zerstörerisch. Die gesamte Industrie könnte umgestaltet werden, wenn sie dem Griff des privaten Profits entrissen, in öffentliches Eigentum überführt und demokratisch von Arbeiter*innen und Nutzer*innen betrieben würde, wobei ihre sozialen und ökologischen Auswirkungen in vollem Umfang berücksichtigt würden. Auf diese Weise könnte die Tech-Industrie frei von Werbung, der Verschwendung von Rechenzentren, den verheerenden Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und den Absprachen mit der ruinösen Industrie für fossile Brennstoffe gemacht werden. Sichere Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen wären gewährleistet. Das Internet und die sozialen Medien könnten wirklich freie und offene Ressourcen für alle sein, die demokratisch verwaltet werden, um die Menschheit zu fördern und den Planeten zu retten und nicht endlos zu schädigen.