Do 16.02.2006
Seit Montag, den 6. Februar streiken die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. In der ersten Streikwoche rief ver.di Kommunalbeschäftigte in Baden-Württemberg und im Saarland zu Arbeitsniederlegungen auf. 10.000 nahmen daran teil. Mit Beginn der zweiten Streikwoche am 13. Februar traten auch KollegInnen in Hamburg und Niedersachsen in den Ausstand. Darüber hinaus laufen Streiks der Länderbeschäftigten in neun Bundesländern an. Zudem kommt es in der zweiten Streikwoche zur Einbeziehung von Pflegekräften und anderen Beschäftigten von 40 Unikliniken in verschiedenen Bundesländern in die Kampfmaßnahmen. Außerdem werden PolizistInnen und LehrerInnen hinzugenommen. 40.000 KollegInnen (jeweils 20.000 in den Ländern und Kommunen) sollen sich insgesamt in der zweiten Streikwoche beteiligen. Der größte Streik im öffentlichen Dienst seit 1992 ist möglich.
Es geht nicht um 18 Minuten am Tag, sondern um zehn Tage im Jahr – und um massive Arbeitsplatzvernichtung
Noch wird in den westdeutschen Kommunen 38,5 Stunden gearbeitet. Die Arbeitgeberseite will die 40-Stunden-Woche erzwingen. Ostdeutsche KollegInnen, Bundesbedienstete und die meisten Landesbeschäftigten müssen bereits länger als 38,5 Stunden pro Woche arbeiten. Landauf landab tönen Hartmut Möllring (Vorsitzender der Tarifgemeinschaft der Länder) und andere, bei der Einführung der 40-Stunden-Woche würde es nur um 18 Minuten mehr am Tag gehen. Die geplante Arbeitszeitverlängerung ist aber ein Programm für massiven Arbeitsplatzabbau. "Nach Bsirkes Rechnung bedeuten 1,5 Wochenstunden mehr vier Prozent weniger Arbeitsplätze. Da sich in Deutschland etwa sechs Millionen Arbeitsplätze am öffentlichen Dienst orientieren, stünden 400.000 Stellen zur Disposition" (FAZ vom 27. Januar). Zehntausende Stellen wären direkt betroffen, falls die Arbeitgeber mit ihrem Vorhaben durchkommen sollten. Hunderttausende weitere Stellen wären in Gefahr, wenn es mit einer Niederlage im aktuellen Konflikt zu einem Dammbruch kommen sollte. Angesichts von offiziell fünf Millionen Erwerbslosen ein Irrweg.
Keine Kollegin und kein Kollege kann eine Arbeitszeitverlängerung einfach wegstecken. Fakt ist erstens: Bei der heutigen Arbeitsbelastung für einen Müllwerker oder eine Erzieherin bedeutet jede Minute Mehrarbeit Mehrbelastung. Fakt ist zweitens: 18 Minuten am Tag sind zehn Tage im Jahr - und zwei Jahre im Arbeitsleben.
Der Streik geht alle an, alle Beschäftigten, Erwerbslosen, RentnerInnen, Jugendliche. Zu Recht hieß es beispielsweise auf einem Plakat am Stuttgarter Katharinenhospital zum Streikauftakt: „Arbeitszeitverlängerung gefährdet ihre Gesundheit“. Weitere Arbeitszeitverlängerungen führen zu erhöhter Arbeitshetze und Einschränkungen für die NutzerInnen der öffentlichen Daseinsfürsorge.
Kampfbereitschaft nutzen
Die Ergebnisse in den Urabstimmungen von um die 95 Prozent markieren einen eindrucksvollen Beweis für die Streikbereitschaft. Dort, wo die Beschäftigten zum Streik aufgerufen wurden, stand die Streikfront. Viel Druck ist im Kessel. Das zeigte sich zum Beispiel am Demozug von 5.000 Streikenden durch die Stuttgarter Innenstadt am ersten Tag des Ausstandes und dem „ohrenbetäubenden Trillerpfeifenkonzert“ (FAZ vom 7. Februar), das sich CDU-Oberbürgermeister Schuster anhören musste. Trotz der Hetze von Politikern und Medien gegen die Streikenden drückten die Auto- und LastwagenfahrerInnen aus Solidarität ihre Hupen, als an diesem Tag die Krankenhausbeschäftigten über die Heilbronner Straße Richtung Marktplatz zogen.
„Die hohe Zustimmung der ver.di-Mitglieder für einen Arbeitskampf ist ein Indiz, wie groß der Unmut ist. An der Basis braut sich was zusammen, das in der Metall-Tarifrunde noch an Dynamik gewinnen könnte“ (FAZ vom 3. Februar). Es gilt, die Gunst der Stunde zu nutzen. Die Gewerkschaftsspitze sollte die Proteste der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, der MetallerInnen - die gerade ebenfalls in einen Tarifkonflikt einsteigen -, der von Arbeitsplatzabbau bedrohten KollegInnen wie bei AEG Nürnberg und alle von der Rotstiftpolitik der Großen Koalition Betroffenen miteinander verbinden.
Provokationen der Arbeitgeber abwehren
Es finden gegenwärtig drei verschiedene Auseinandersetzungen statt. Erstens sind die Kommunalbeschäftigten mit der Heraufsetzung der Arbeitszeit von 38,5 auf 40 Stunden wöchentlich konfrontiert – darum haben die Arbeitgeber in Baden-Württemberg, Niedersachsen und Hamburg die Arbeitszeitregelungen gekündigt. Zweitens sind neben den 1,2 Millionen ArbeiterInnen und Angestellten in den Kommunen die 900.000 Länderbeschäftigten Opfer von Arbeitszeitverlängerungen. Die Spanne reicht von 38,5 Stunden in Schleswig-Holstein bis zu 42 Stunden in Bayern. (Die Bundesbeschäftigten müssen im übrigen schon einheitlich 39 Stunden arbeiten). Drittens wehren sich neben den Kommunal- und Länderbeschäftigten derzeit die KollegInnen der Unikliniken, von denen ein Teil, aber nicht alle zur Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) gehören.
Dazu kommt die besondere Lage bei den BeamtInnen, für die sich die Spirale abwärts extrem schnell dreht. Die Wochenarbeitszeit wurde für die Landesbediensteten auf 40 bis 42 Stunden ausgeweitet. Im Bund wird derzeit 40 Stunden, ab 1. März 41 Stunden gearbeitet. Für Bundes- und Länderbedienstete wurde das Urlaubs- und Weihnachtsgeld gekürzt oder ganz gestrichen.
Länger arbeiten für weniger Geld - dahin geht die Reise, nicht nur im öffentlichen Dienst. Während die Gewinne von Unternehmern und Kapitalbesitzern 2005 um 6,1 Prozent auf 556 Milliarden Euro stiegen, fielen die Arbeitnehmerentgelte um 0,5 Prozent (laut Statistischem Bundesamt).
Und so geht es weiter: Für 2006 prognostiziert die Bundesregierung einen Anstieg des Volkseinkommens um 42 Milliarden Euro. Klingt erstmal nicht schlecht - würde nicht fast alles in die Taschen der Konzerne und Vermögenden fließen, sage und schreibe 40 Milliarden Euro (Wirtschaftspolitik aktuell Nr. 2/2006 der ver.di Bundesverwaltung).
Parallel dazu schnürt die Große Koalition neue Kürzungspakete: Mehrwertsteuererhöhung um drei Prozent, Rente ab 67, Aushöhlung des Kündigungsschutzes... In der Rentenfrage wird deutlich, wie weit die soziale Schere heute auseinanderklafft: Die Lebenserwartung der Reichen übersteigt die der Armen heute um zwölf Jahre.
Streik ausdehnen
Es geht um viel bei diesem Streik. Sollten die Arbeitgeber mit ihrer Blockadehaltung Erfolg haben, dann würde die Belastung der Beschäftigten enorm zunehmen, die Versorgung im öffentlichen Dienst noch schlechter werden und das Arbeitslosenheer weiter anwachsen. Mehr noch. Die Herrschenden in der ganzen Republik würden sich ermutigt sehen, die Umverteilungspolitik von unten nach oben zu forcieren.
In Baden-Württemberg haben die Arbeitgeber begonnen, Leiharbeiter einzusetzen. Laut ver.di wird der Streik bereits durch 800 Leiharbeiter und 100 Ein-Euro-Kräfte gestört. Welche Antwort muss dagegen gegeben werden?
In einem Aufruf der Gewerkschaft der Polizei von Hessen im September 2003 zur Frage des Beamtenstreiks hieß es: "Die Politik traut sich fast alles! Was trauen wir uns?" Eine rasche Ausdehnung des Streiks ist dringend geboten. 40.000 Streikende werden nicht genug sein, um den Arbeitgebern wirksam Paroli zu bieten. Bundesweit sollten schnellstmöglich alle streikbereiten Betriebe zu Arbeitsniederlegungen aufgerufen werden. Damit könnte die eigene Stärke demonstriert werden. Das würde Selbstvertrauen schaffen. Andere Belegschaften könnten ermutigt werden.
Weitere Betriebe müssen jetzt streikfähig gemacht werden. Nötig sind Betriebsversammlungen, die aktive Einbeziehung möglichst vieler KollegInnen in Streikvorbereitungen, die Aufstellung von Notdiensten in Kliniken und anderen sensiblen Bereichen, die Bildung einer Streikleitung und - falls noch nicht geschehen - die Einleitung der Urabstimmung durch die Gewerkschaft.
Bislang setzt die ver.di-Spitze auf eine "flexible Streiktaktik". Aber ist das der beste Weg, die Arbeitgeber zu schwächen? Nadelstiche sind unangenehm, mehr nicht. Darum ist es nötig, die Kräfte zu bündeln und die ganze Kampfkraft in die Waagschale zu werfen. In Baden-Württemberg wurden in der ersten Woche 100, jetzt in der zweiten Woche 200 Betriebe in den Streik einbezogen. Das muss schnell ausgeweitet werden. In Stuttgart sollten nicht nur die Müllwerker längere Zeit zum Streik rausgeholt werden, sondern auch Kindergärten, Verwaltungen oder Krankenhäuser.
In Hamburg sollten nicht nur Straßenreinigung und Stadtentwässerung, sondern auch die kampferprobten Klinikbeschäftigten und andere Bereiche einbezogen werden. Warum nicht den Elbtunnel und den Flughafen bestreiken? Angefangen mit dem Frachtverkehr, um die Arbeitgeberseite direkt zu treffen.
Dass auch Kliniken über einen längeren Zeitraum bestreikt werden können, haben die Beschäftigten der vier Unikliniken in Baden-Württemberg (Tübingen, Heidelberg, Ulm und Freiburg) im vergangenen Oktober eindrucksvoll bewiesen. Und das, obwohl nur zehn Prozent gewerkschaftlich organisiert waren. Durch einen zehntägigen Streik konnte ein Absenkungstarifvertrag verhindert werden.
Wenn bundesweit kein Müll mehr abgeholt wird, wenn Flug- und Seehäfen lahmgelegt sind, wenn bei der Feuerwehr, den Straßenmeistereien, den Ämtern von Bund, Ländern und Kommunen, den Kindertagesstätten und den Krankenhäusern – abgesehen von Notdiensten – die Arbeit ruht, dann wird jede und jeder vor Augen geführt, wer das öffentliche Leben in Gang hält. Die Wirtschaft könnte zum Erliegen gebracht werden.
Ein flächendeckender Streik im öffentlichen Dienst muss deshalb das Ziel sein. Kommunal- und Länderbeschäftigte sollten gemeinsam streiken. Hessen und Berlin gehören nicht mehr der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) an. Trotzdem sollten die dortigen Beschäftigten ebenfalls in den Protest einbezogen werden. Schließlich sind die Bedingungen in Hessen und Berlin noch verheerender als in anderen Bundesländern. Da in Hessen ein tarifloser Zustand herrscht, wäre die Einleitung von Kampfmaßnahmen unmittelbar möglich. In Berlin werden unter anderem bei den Charite-Kliniken und bei der S-Bahn im Zuge der dortigen Konflikte gerade weitergehende Kampfschritte diskutiert. Die Telekom-KollegInnen sind in Berlin wie bundesweit von Plänen massiver Stellenstreichung betroffen. Eine bundesweite Streikbewegung im öffentlichen Dienst im Rücken könnte diese Belegschaften bestärken, der Kahlschlagspolitik in der Bundeshauptstadt etwas entgegenzusetzen und sich in die bundesweite Streikbewegung einzuklinken.
BeamtInnen sollten voll einbezogen werden – damit sie nicht noch weiter abgehängt werden. Wenn zehntausende BeamtInnen integraler Bestandteil einer massiven Streikbewegung wären, dann könnte auch Sanktionen vorgebeugt werden. ArbeiterInnen und Angestellten war das Streikrecht in der Vergangenheit auch nicht von oben zugestanden worden, sondern musste von unten durchgesetzt werden.
Um die Streikbewegung erfolgreich weiter aufzubauen, ist die Frage der Demokratisierung des Arbeitskampfes eine Schlüsselfrage: Regelmäßige gewerkschaftliche Versammlungen auf allen Ebenen, um über Streikpolitik, Taktiken und Strategie zu diskutieren, Vertrauensleuteversammlungen, mitgliederöffentliche Sitzungen der Tarifkommission, kein Abschluss ohne Urabstimmung.
"38,5 ist der Kompromiss..."
"...alles andere ist Mist", lautet der Slogan von StreikaktivistInnen in Stuttgart. Jede Minute Mehrarbeit gilt es zu verhindern. Für die westdeutschen Kommunalbeschäftigten muss die 38,5-Stunden-Woche verteidigt werden.
Für die Beschäftigten von Bund und Kommunen gilt seit 1. Oktober 2005 der TVöD (Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes). Vom ver.di-Vorsitzenden Frank Bsirkse als Jahrhundertwerk geprießen, führt dieser neue Tarifvertrag nicht zu mehr Einheitlichkeit, sondern öffnet Haustarifverträgen und einem Tarifdschungel Tür und Tor. Für die Beschäftigten im TVöD gelten ganz unterschiedliche Bedingungen (zwischen Bund und Kommunen, Ost und West, Neueingestellten, befristet Beschäftigten, fest Eingestellten und so weiter, und so fort). So bedeutet der TVöD für die Tarifbeschäftigten beim Bund im Westen eine halbe Stunde unbezahlte Arbeitszeitverlängerung.
Da die Arbeitgeber der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) den TVöD von vornherein nicht unterschrieben haben, sind die Länderbeschäftigten (darunter ein Teil der Unikliniken) einem tariflosen Zustand ausgesetzt. Ver.di gibt den TVöD als Streikziel aus. Ist das richtig? Für die gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten, die vor den verschiedenen Kündigungen von Regelungen zu Urlaubs- und Weihnachtsgeld (Juni 2003) und Arbeitszeit (März 2004) angestellt waren, wirken die alten Tarifverträge (in der Regel der BAT) nach. Für sie würde die Übernahme des TVöD Verschlechterungen bedeuten.
Streikziel muss aus diesem Grund für die Länderbeschäftigten ein Abschluss oberhalb des TVöD sein. Beim Einkommen darf es keine weiteren Einbußen geben. Zentral muss der Widerstand gegen Arbeitszeitverlängerungen sein. Eine Anlehnung an die Forderungen der baden-württembergischen Unikliniken ist sinnvoll: Rücknahme der Verschlechterungen bei Sonderzahlungen und Arbeitszeit, Beibehaltung des BAT/BMT-G. Die ver.di-Betriebsgruppe bei der Charite in Berlin diskutiert über Streikziele in Richtung TVöD plus 1.000 Euro "Schmerzensgeld" für alle KollgInnen.
Bei einer starken Streikbewegung könnten im Verlauf des Arbeitskampfes die Streikziele korrigiert, jede Verschlechterung abgewehrt und Abschlüsse deutlich oberhalb des TVöD beziehungsweise die Beibehaltung des BAT/BMT-G erreicht werden. Im Zuge dessen sollte auch für Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohn- und Personalausgleich gestritten werden. Bei den ostdeutschen Kommunalbeschäftigten, die heute 40 Stunden arbeiten müssen, sollte als erster Schritt die Rückkehr zur 38,5-Stunden-Woche gefordert werden. Außerdem müssen die Arbeitszeitverlängerungen bei Länderbeschäftigten und BeamtInnen zurückgenommen werden.
Arbeitszeitverlängerungen werden von oben mit dem Ziel verfolgt, die Haushalte zu entlasten. Dabei sind die Kassen nicht einfach leer, sondern geleert und geplündert worden. Eine Politik, die durch Druck von unten umgekehrt werden kann. Wären die Gewinn- und Vermögenssteuern zum Beispiel noch auf dem Niveau der siebziger Jahre, hätte der Staat 70 Milliarden Euro mehr zur Verfügung.
Seit 1995 sind bereits 2,2 Millionen Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst weggefallen. Arbeitszeitverlängerungen führen dazu, dass weitere KollegInnen "eingespart" werden und immer weniger immer mehr arbeiten müssen. Statt Arbeitszeitverlängerungen, verstärkter Arbeitsdruck und beschleunigter Stellenabbau ist die Forderung nach einer drastischen Verkürzung der Wochenarbeitszeit – bei vollem Lohn- und Personalausgleich – das Gebot der Stunde: Die Einführung der 35-Stunden-Woche als erster Schritt zur 30-Stunden-Woche. Statt Massenarbeitslosigkeit auf der einen und Überstunden sowie erhöhte Arbeitshetze auf der anderen Seite, sollte ein Weg eingeschlagen werden, bei dem die vorhandene Arbeit auf alle aufgeteilt werden könnte.
Für einen bundesweiten Streik- und Protesttag
Der Streik im öffentlichen Dienst bietet die Möglichkeit, der Offensive der Unternehmer und ihrer Politiker und Parteien endlich Einhalt zu gebieten. Kampf-, Arbeits- und Lebensbedingungen aller Lohnabhängigen und Erwerbslosen könnten verbessert werden, wenn der Streik erfolgreich aufgebaut und ausgedehnt werden sollte.
Mit Sorge registrieren die Bürgerlichen immerhin, dass sich da etwas Großes zusammenbrauen könnte: "Das wird ein heißer Tariffrühling. Noch bevor die Metaller zu ersten Warnstreiks aufgerufen haben, laufen sich schon die Staatsdiener in Ländern und Kommunen zum Arbeitskampf warm" (FAZ vom 27. Januar). Ein gemeinsamer Streik der beiden größten Gewerkschaften, IG Metall und ver.di, ist greifbar nahe. Diese Gelegenheit muss beim Schopfe gepackt werden. In Nordwürttemberg-Nordbaden wollen die Unternehmer der Metallbranche zudem die Steinkühler-Pause abschaffen. Hier endet die Friedenspflicht bereits zum 1. März. Es könnten also schon sehr bald Streikmaßnahmen eingeläutet werden.
Bei VW will die Konzernspitze 20.000 Arbeitsplätze zur "Disposition" stellen. Bei der Telekom sollen 32.000, wenn nicht sogar noch mehr Stellen gestrichen werden. Die 1.700 Beschäftigten des AEG-Werkes in Nürnberg stehen vor dem Aus. Ver.di und die DGB-Gewerkschaften sollten den Schulterschluss der Streikenden im öffentlichen Dienst mit den Belegschaften in anderen Betrieben und Branchen suchen.
Katastrophal wäre es gewesen, wenn die ver.di-Führung sich am dritten Streiktag im öffentlichen Dienst auf einen faulen Kompromiss bei der Telekom eingelassen hätte. Am Donnerstag, den 9. Februar war in der Presse wie zum Beispiel im Tagesspiegel zu lesen: "Die Telekom und die Gewerkschaft ver.di haben sich am Mittwoch über den geplanten Abbau von zehntausenden Arbeitsplätzen geeinigt." Da die Telekom-Beschäftigten daraufhin Sturm liefen, folgte das zuständige ver.di-Fachgremium dem Ergebnis der Verhandlungskommission nicht und ließ die Einigung noch platzen.
Gemeinsame Gegenwehr von den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, MetallerInnen, Telekom-KollegInnen, den seit drei Wochen Streikenden bei AEG und anderen könnte den Protest auf eine neue Stufe stellen. Der größtmögliche Druck auf Regierungen und Unternehmer kann durch Arbeitsniederlegungen erreicht werden. Mit einem bundesweiten eintägigen Streik- und Protesttag könnten den Arbeitgebern deutliche Zugeständnisse abgetrotzt werden. Damit würden die Voraussetzungen für einen weiteren Aufbau der Bewegung geschaffen werden, um grundlegende Verbesserungen im Interesse der arbeitenden Bevölkerung zu erzielen.
Auf örtlicher Ebene sollten gewerkschaftliche AktivistInnen, Vertrauensleute und andere die Idee eines lokalen oder regionalen Streik- und Protesttages verbreiten, auf allen Ebenen diskutieren und Konferenzen zur Frage von gemeinsamen Widerstand in Angriff nehmen. In verschiedenen Städten bieten sich konkrete Ansätze. In Düsseldorf beispielsweise sollten zwischen den Streikenden der Unikliniken und der seit vier Monaten im Arbeitskampf stehenden Gate-Gourmet-Belegschaft Kontakte hergestellt werden.
Örtliche Aktionstage verbunden mit Arbeitsniederlegungen, zentralen Demonstrationen und Appellen an Erwerbslose, RentnerInnen, Jugendliche und andere könnten helfen, die Idee dieses Kampfschrittes bekannt zu machen und auf die Frage eines überregionalen Streik- und Protesttages zuzuspitzen.
Gefahr eines faulen Kompromisses
Für den 20. Februar ist ein Spitzengespräch zwischen ver.di-Vorsitzenden Bsirke und den TdL-Vertretern angesetzt. Die ver.di-Spitze darf mit den Länderbeschäftigten jetzt auf keinen Fall ausscheren und sich auf irgendeinen mittelprächtigen Kompromiss einlassen. Anders würden die Dinge natürlich liegen, wenn die Arbeitgeber umfangreiche Zugeständnisse machen würden. Davon ist jedoch nicht auszugehen. Während der baden-württembergische CDU-Ministerpräsident Oettinger laut über einen Teillohnausgleich bei Arbeitszeitverlängerung nachdachte, wurde ihm von seinem Finanzminster Stratthaus und anderen eine Abfuhr erteilt und neue Überlegungen angestellt: "Stratthaus ist der Auffassung, dass es im neuen Tarifvertrag für die Angestellten im Landesdienst eine Öffnungsklausel für die Arbeitszeit geben muss. (...) Eine Verlängerung der Arbeitszeit auf 41 Stunden müsse es schon deshalb geben, weil Landesbeamte und neu eingestellte Angestellte schon jetzt länger arbeiten" (FAZ vom 11. Februar).
Der TVöD ist ein trojanisches Pferd. So hat sich die Gewerkschaftsführung auf die sogenannte "Meistbegünstigungsklausel" eingelassen. Diese sieht vor, dass bei einem für die Arbeitgeber günstigeren Tarifergebnis mit der TdL oder einzelnen Bundesländern eine solche Vereinbarung dann auch für Bund und Kommunen abgeschlossen werden müsste. Ein Grund mehr, bei Verhandlungen mit der TdL besonders wachsam zu sein.
Es besteht die reale Gefahr, dass die ver.di-Führung sich auf einen faulen Kompromiss einlässt. Zumindest muss es den Streikenden eine Warnung sein, wenn Frank Bsirke, wie geschehen, schon am dritten Streiktag einen Kompromiss andeutet: Kürzere Arbeitszeiten für Ältere und längere Arbeitszeiten für Jüngere.
Aufbau innergewerkschaftlicher Opposition nötig
Eine Wende in der Arbeitszeitpolitik würde auch eine radikale Wende in der bisherigen gewerkschaftlichen Strategie der ver.di-Spitze erfordern. In den tarifpolitischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre gab es hier – wie in den Fragen von Einkommen und Sonderzahlungen - einen Rückschritt nach dem anderen: So wurden die AZV-Tage (Arbeitszeitverkürzungstage) im öffentlichen Dienst kampflos aufgegeben. Bei den BeamtInnen wurde die unbezahlte Arbeitszeitverlängerung von Bsirke und Co. explizit akzeptiert. Der TVöD ist eine Mogelpackung, die Arbeitszeitverlängerungen mitbeinhaltet.
Vor 14 Jahren würgte die ÖTV-Spitze den bundesweiten Streik genau zu dem Zeitpunkt ab, als er massiven Druck zu entfalten begann. Statt der geforderten 9,5 Prozent gab sich ÖTV-Vorsitzende Wulf-Mathies mit 200 Mark zusätzlichem Urlaubsgeld und 5,4 Prozent Lohnerhöhung zufrieden - was einen Reallohnverlust bedeutete. In den elf Tagen damals waren 400.000 KollegInnen im Ausstand. Aufgrund des Kurses der Gewerkschaftspitze seitdem und der vielfachen Aufspaltung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes ist der Aufbau einer einheitlichen Streikbewegung heute ungleich schwieriger.
Für kämpferische AktivistInnen geht es jetzt darum, so viele KollegInnen wie möglich in den Streik einzubeziehen und Vorschläge zu entwickeln, wie die Bewegung weiter aufgebaut werden kann. Allerdings sollte dieses Engagement im Bewusstsein getan werden, dass die heutige Gewerkschaftsführung abgehoben ist und politisch und gehaltsmäßig einem SPD-Arbeitsminister Müntefering näher steht als den Belegschaften. Die Bsirkes haben beim aktuellen Konflikt eine solche Angst vor einen Flächenbrand, den sie nicht unter Kontrolle halten können, dass sie es vorziehen, schon einzelne Flammen auszutreten. Darum ist auf eine Demokratisierung des Arbeitskampfes zu pochen.
Die Gewerkschaften müssen zu echten Kampforganisationen werden. Die Politik muss von der Basis her bestimmt werden. Funktionäre müssen jederzeit abwählbar sein und dürfen nicht mehr verdienen als diejenigen, die sie vertreten sollen. Um dahin zu kommen, ist der Aufbau einer aktiven innergewerkschaftlichen Opposition notwendig.
Die Linke ist gefordert
Der Großkonflikt stellt auch eine Herausforderung für die Bundestagsfraktion der Linkspartei dar. Im Unterschied zu den anderen Abgeordneten stellen sie sich öffentlich an die Seite der Streikenden und bieten Unterstützung an. Darüber hinaus sollten sie das Parlament als Plattform nutzen, die Anliegen der KollegInnen vorzubringen und eine bundesweite Solidaritätskampagne starten: Veranstaltungen, regelmäßige Teilnahme an den Streikposten, Infostände und Unterschriftensammlungen. Offensiv sollte die Bundestagsfraktion der Linkspartei für eine deutliche Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich und für einen gesetzlichen Mindestlohn von 1.500 Euro/ zehn Euro die Stunde eintreten (das wäre um 214 Euro oberhalb des TVöD). Zudem könnten die Abgeordneten der Linken die Frage eines bundesweiten Streik – und Protesttages aufwerfen. Das würde dazu führen, dass die Idee größere Verbreitung findet.
Auf die WASG als der dynamische Teil in der politischen Neuformierung kommt es in besonderem Maße an. Die WASG sollte genutzt werden, die Verbindungen zwischen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, MetallerInnen und anderen Bereichen zum Thema zu machen und bei der Vernetzung zur Seite zu stehen. Nötig ist aber auch, die Streikenden politisch zu bewaffnen und der Propaganda der Bürgerlichen kontra zu geben. Die WASG sollte ein Programm zur Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich aufstellen.
Der Arbeitskampf sollte neben den Landtags- und Kommunalwahlen am 26. März nicht als zusätzliche Belastung gesehen, sondern als Riesenchance verstanden werden. Solidaritätsarbeit und die Verbindung von Wahlkampfforderungen mit der aktullen Auseinandersetzung sollte im Zentrum der Aktivitäten stehen. Auf diesem Weg ließe sich auch zeigen, dass die Kandidaturen der Linken nichts mit den Wahlkämpfen der etablierten Parteien zu tun haben.
Eine erfolgreiche Streikbewegung im öffentlichen Dienst bietet die Möglichkeit, dass ArbeiterInnen, Angestellte und BeamtInnen aus der Defensive herauskommen und andere KollegInnen Rückenwind verspüren. Die Linke im Bundestag und die WASG können und müssen dazu einen Beitrag leisten.