So 02.12.2007
Zu Redaktionsschluss der Solidarität (Zeitung der SAV - Schwesterorganisation der SLP in Deutschland, Anm.) war unklar, wie weitgehend sich die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) in ihrem Kampf für Lohnerhöhungen und einen separaten Tarifvertrag für das Fahrpersonal der Bahn durchsetzen wird. Doch schon jetzt steht fest: Die Aktionen der GDL haben die hiesige Gewerkschaftslandschaft mächtig durcheinandergewirbelt – und das nicht zum Schlechten.
Jahrelang hatten die bürokratisierten DGB-Organisationen den Rückwärtsgang eingelegt: Lohn- und Gehaltskürzungen, Verlängerung der Arbeitszeiten, Privatisierungen und Jobabbau in allen Branchen gingen ohne ernsthaften Widerstand durch. Mehr noch: Die Spitzen von IG Metall und ver.di ergriffen selbst die Initiative für eine grundlegende Neugestaltung des Tarifsystems. Diese „Jahrhundertreformen“ – bei der IG Metall Entgeltrahmen-Abkommen (ERA) und bei ver.di Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVÖD) genannt – bescherten den Beschäftigten massive Einkommenseinbußen. Auch sind betriebliche Abweichungen vom Flächentarif – selbstverständlich im Sinne der „Wettbewerbsfähigkeit des Standorts“ – zur Normalität geworden. Von der Tatsache, dass es die Gewerkschaftsführung in Tarifrunden seit Jahren nicht schafft, die Reallöhne auch nur zu halten, ganz zu schweigen.
In dieser Situation ist es nicht verwunderlich, dass eine Beschäftigtengruppe wie die der Lokführer, die sich in einer besonders durchsetzungsfähigen Lage wähnt, eigene Wege geht. Die Ursache eines solchen Alleingangs liegt in erster Linie in der Politik der DGB-Spitzen.
Seit der Verkündung der Agenda 2010 im Jahr 2003 hat es mehrere Fälle gegeben, in denen Beschäftigte die Verzichtspolitik nicht mehr kampflos hingenommen haben und die Blockade der Gewerkschaftsapparate überwinden wollten: angefangen mit der Initiative für die bundesweite Demonstration gegen Sozialabbau am 1. November 2003 über den Opel-Streik in Bochum 2004 bis hin zum Ausstand bei Bosch-Siemens in Berlin 2006. Der Lokführer-Streik reiht sich darin ein. Es sind diese und andere Kämpfe, in denen sich eine neue Generation von AktivistInnen herausbildet. Eine notwendige Voraussetzung, um Veränderungen in den Gewerkschaften bewirken zu können.
Ermutigung
Der Kampf der Lokführer, die mit der Verweigerung ihrer Arbeitskraft einen Großkonzern wie die Deutsche Bahn AG herausfordern, ist eine Ermutigung für alle anderen Beschäftigten und Gewerkschafter. Das zeigt sich schon in der Tatsache, dass trotz der zum Teil heftigen Medienhetze gegen die Streikenden diese weiterhin die große Mehrheit der Bevölkerung hinter sich haben. „Endlich setzt sich mal jemand konsequent zur Wehr“, denken viele. Und die Arbeitsniederlegungen des Fahrpersonals haben gezeigt: Es sind die arbeitenden Menschen, nicht die Aktionäre, Politiker oder Manager, die alles am Laufen halten. „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will.“ Wie richtig dieser selbstbewusste Leitspruch der Gewerkschaftsbewegung ist, wird erstmals wieder sichtbar.
Bei den Arbeitskämpfen in den vergangenen Jahren wurden wichtige Erfahrungen gemacht. Der zehntägige Streik der Opel-Arbeiter setzte ein Zeichen der Eigeninitiative und Kampfbereitschaft. Im wochenlangen Tarifkampf des Öffentlichen Dienstes im letzten Jahr wurde deutlich, dass auch Erzieherinnen, Krankenpfleger und andere Beschäftigtengruppen, die oft nie zuvor die Arbeit niedergelegt hatten, zu Erzwingungsstreiks mobilisierbar sind. Gleiches gilt für die Angestellten von Banken und Versicherungen, bei der Telekom sowie aktuell im Einzelhandel, wo sich bislang 100.000 VerkäuferInnen an Streikaktionen beteiligt haben. Die Fahrradwerker im Thüringischen Nordhausen trauten sich zuletzt sogar, ihren Betrieb zu besetzen und die Produktion vorübergehend in Eigenregie fortzuführen.
ver.di-Spitze unter Druck
Doch bei all diesen Auseinandersetzungen ging es darum, Verschlechterungen abzuwehren. Der Lokführerstreik hingegen ist endlich wieder ein offensiv geführter Kampf um mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen. Das färbt ab. Zum Beispiel auf den Öffentlichen Dienst, dessen Beschäftigte ebenfalls die Nase voll haben vom ständigen Verzicht. Nach drei Jahren ohne jegliche dauerhaft wirksame Lohnerhöhung, nach empfindlichen Einbußen wegen des TVÖD und steigender Arbeitshetze wollen auch sie endlich wieder mehr Geld im Portemonnaie. Das zeigen die Beschlüsse diverser Gliederungen zur Tarifrunde: Die tarifpolitische Konferenz des ver.di-Landesbezirks Baden-Württemberg stellte eine Forderung von 9,4 Prozent und mindestens 214 Euro auf. In Hessen waren es gar zehn Prozent und mindestens 350 Euro. Es ist also reichlich Druck im Kessel – und das hat auch etwas mit dem Kampf der GDL zu tun. Dieser hat den Burgfrieden zwischen Kapital und Arbeit zerbrochen und andere Beschäftigte ermutigt, ebenfalls ihren Anteil an den von ihnen selbst geschaffenen Werten einzufordern.
Direkt unter Druck steht die ver.di-Spitze im Nahverkehr. Bei den Münchner Verkehrsbetrieben wechselten mehrere hundert Fahrer aus Wut über den neuen Tarifvertrag TV-N, der ihnen deutliche Einkommensverluste beschert, von ver.di zur GDL. Auch in Berlin sorgt der TV-N, durch den die Löhne der Neueingestellten auf bis zu 30 Prozent unter das bisherige Tarifniveau der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) abgesenkt wurden, weiterhin für Unmut. Ein Teil des Betriebsrats und der Beschäftigten bei der BVG-Tochter Berlin Transport GmbH (BT) trat bereits zur GDL über – was ver.di-Chef Frank Bsirske höchstpersönlich zur Intervention veranlasste. Und auf einmal geben sich die Gewerkschaftsfunktionäre auch hier radikal. Zwölf Prozent und mindestens 250 Euro mehr soll in der anstehenden Lohnrunde herausspringen.
Gewerkschaften verändern
Es ist wichtig, dass die GDL alle Bahn-Beschäftigten im Blick hat. Allen wurde für künftige Renditen möglicher Aktionäre Verzicht abverlangt. Darum gilt es, die anderen KollegInnen für den Kampf der GDL zu gewinnen. Schließlich könnten bei einem Durchbruch der GDL auch Tarifverträge von Transnet und GDBA nach oben korrigiert werden. Zudem muss jeder Form von Bahn-Privatisierung eine Abfuhr erteilt werden.
Auf alle Fälle hat die bisherige Entschlossenheit der GDL die Gewerkschaftsspitzen zu kämpferischem Auftreten gezwungen. Das trifft selbst auf Transnet zu, die für ihren Kuschelkurs mit dem Bahn-Vorstand und ihr Eintreten für die Privatisierung des Unternehmens berüchtigt ist. Auf einmal sieht sich auch deren Chef Norbert Hansen zur Forderung nach einer „deutlichen zweistelligen Einkommenserhöhung“ genötigt. Gewerkschafter – egal ob in der GDL, in Transnet oder bei ver.di organisiert – sollten gemeinsam dafür kämpfen, dass es nicht bei diesen verbalen Bekenntnissen bleibt. Das erfordert Initiativen von unten, innergewerkschaftliche Opposition und programmatische sowie personelle Alternativen.
SAV unterstützt die Lokführer – Unterstützt die SAV!
In Berlin haben SAV, Eisenbahner und andere linke Gewerkschafter gemeinsam mehrere Protestaktionen gegen den Bahn-Vorstand auf die Beine gestellt: Kundgebungen vor dem Bahn-Tower und vor dem Bundesverkehrsministerium, eine Demonstration von 200 Beteiligten und ein Auftritt vor dem DGB-Haus. Regelmäßig gehörten Lucy Redler und andere SAV-Mitglieder zu den RednerInnen. Zur Spontandemo der S-Bahn-Fahrer kam Carsten Becker, SAV-Mitglied und ver.di-Betriebsrat bei der Charite.
In Köln und Berlin engagieren sich SAV-Mitglieder am Aufbau von Solidaritätskomitees. In Stuttgart und Aachen gehörte die SAV zu den Mitinitiatoren von Solidaritäts-Kundgebungen (in Stuttgart redete Ursel Beck, SAV, als Sprecherin des Ortsvereins der LINKEN Bad Cannstatt, in Aachen sprach Marc Treude, SAV, Ratsmitglied für DIE LINKE). Der Druck von SAVlern und anderen Parteilinken sowie die ungebrochene Sympathie in der Bevölkerung für die Lokführer waren wichtig, um die – äußerst späte – Solidaritätbekundung des Parteivorstands der LINKEN zu erreichen.