Di 08.09.2009
Auf Solidaritätsdemonstrationen für die Bewegung im Iran dominiert der Slogan “Wo ist meine Stimme”. Die Bewegung ist sehr inhomogen, insbesondere die Moussavi-AnhängerInnen beschränken sich auf einige demokratische Forderungen. Diese sind wichtig – aber als SozialistInnen meinen wir, dass sich die Bewegung, wenn sie erfolgreich sein will, nicht darauf beschränken darf. Das bedeutet nicht, dass Forderungen nach demokratischen Rechten falsch sind, wohl aber die Beschränkung darauf. Auch manche “SozialistInnen” oder “KommunistInnen” verzichten auf weitergehende Forderungen – sie trennen zwischen “Demokratie jetzt” und “Sozialismus irgendwann”. Die Geschichte hat aber immer wieder bestätigt, dass in der Periode des Imperialismus demokratische Rechte in (neo-) kolonialen Staaten nur erkämpft werden können, wenn man sich nicht auf Forderungen nach bürgerlicher Demokratie beschränkt.
Etappentheorie: Demokratie jetzt – Sozialismus irgendwann?
Die Trennung in sofortige Ziele und ein sozialistisches Ziel hat Tradition. Das gilt für die Geschichte von Iran ebenso wie für andere Demokratiebewegungen. Tatsächlich geht die Idee dieser Trennung auf den reformistischen Teil der ArbeiterInnenbewegung zurück. Besonders stark setzte die stalinistische Bürokratie darauf. In der Praxis bedeutete das das Bündnis mit bürgerlichen Kräften und den Verzicht auf sozialistische Forderungen oder auch nur der Kritik an kapitalistischer Politik. Die theoretische Basis dafür suchte man in einer mechanischen Auslegung des Marxismus. Marx und Engels hatten aufgezeigt, dass die Menschheit in ihrer Geschichte verschiedene Etappen (Urgesellschaft–Sklavenhaltergesellschaft–Feudalismus–
Kapitalismus) durchläuft. Die StalinistInnen, aber auch viele SozialdemokratInnen, leiteten daraus ab, dass rückständige Länder erst ein Stadium des Kapitalismus und der bürgerlichen Demokratie durchlaufen müssen, bevor Sozialismus möglich sei. Man argumentierte, dass der Kampf für Sozialismus auf die Zukunft aufgeschoben werden müsse, nach der Errichtung und Entwicklung eines kapitalistischen Staats. Folgerichtig gingen die KPs, die moskautreu an dieser Etappentheorie festhielten, Bündnisse mit “fortschrittlichen” Kräften des Bürgertums ein und verzichteten auf eigenständige, sozialistische Politik. Das war insbesondere im Kampf gegen den Faschismus die – wenig erfolgreiche – Methode des Stalinismus.
Die Etappentheorie hat in der Geschichte immer wieder zu blutigen Niederlagen der ArbeiterInnenklasse geführt, z.B. als in Chile 1973 oder in Indonesien 1965 das Militär die Macht übernahm. In Iran 1979 war die Konzentration auf eine “demokratische Etappe”, und damit einer Beibehaltung des Kapitalismus verantwortlich dafür, dass die Mullahs an die Macht kamen. In Indonesien 1998 war eine ähnliche Politik verantwortlich dafür, dass die meisten Forderungen der großen Reformasi-Bewegung nach wie vor unerfüllt geblieben sind.
Permanente Revolution
Demgegenüber wurden in der Russischen Revolution 1917 erfolgreich jene Ideen bestätigt, die Leo Trotzki 1905 in der Theorie der permanenten Revolution zusammenfasste:
“In Bezug auf die Länder mit einer verspäteten bürgerlichen Entwicklung, insbesondere auf die kolonialen und halbkolonialen Länder, bedeutet die Theorie der permanenten Revolution, dass die volle und wirkliche Lösung ihrer demokratischen Aufgabe und des Problems ihrer nationalen Befreiung nur denkbar ist mittels der Diktatur des Proletariats als des Führers der unterdrückten Nation und vor allem ihrer Bauernmassen.”
Trotzki erläuterte damit, dass die schwache kapitalistische Klasse eines rückständigen Landes nicht in der Lage ist, die historischen Aufgaben der bürgerlichen Revolution zu vollenden (Durchsetzung demokratischer Rechte, Landreform, Lösung der nationalen Frage), da sie von Großgrundbesitz und Imperialismus abhängig ist. Diese Aufgaben können nur durch die ArbeiterInnenklasse durchgesetzt werden, im Bündnis mit der BäuerInnenschaft. Einmal erlangt, können die ArbeiterInnen nicht bei demokratischen Forderungen stehen bleiben, da ihre Verteidigung nur durch ein Vorwärtsgehen möglich ist. Daher kann der Weg für die Massen in der (neo-)kolonialen Welt zur Demokratie nur über eine sozialistische Revolution führen. Trotzki – und Lenin, der sich seiner Analyse anschloss – betrachtete Staaten, die wir heute als “3.Welt” bezeichnen nicht als isoliert. Er sah sie als Teil des weltweiten Kapitalismus und erkannte, dass auch in diesen Staaten die vorherrschenden Produktionsbedingungen kapitalistische sind, auch wenn es starke feudale Strukturen und mittelalterliche Bedingungen z.B. in der Landwirtschaft gibt.
In der Russischen Revolution hat sich die “Theorie der permanenten Revolution” bestätigt – die Februarrevolution und die folgende bürgerliche Regierung konnten die brennenden Fragen (“Land, Friede, Brot”) nicht lösen, das geschah erst durch die Oktoberrevolution und den Sturz des Kapitalismus. In Russland gab es allerdings mit den Bolschewiki eine revolutionäre Partei, die ein entsprechendes revolutionäres Programm entwickeln und der revolutionären Bewegung Ziel und Richtung geben konnte.