Di 31.01.2017
Christian Kern kommentierte sein zwischen SPÖ und ÖVP vereinbartes neues Regierungsprogramm in der ZiB2 vom 30.1. 2017 mit der Bemerkung, es gehe ihm "nicht um eine rote, sondern um eine rot-weiß-rote Handschrift". Das ist immerhin ehrlich. Eine sozialdemokratische oder gar "linke" Note wird man in diesem Programm jedenfalls vergeblich suchen, stattdessen Beschwörung des nationalen Interesses und als praktischer Ausdruck davon: Großzügige politische Geschenke ans österreichische Kapital. Die konkreten Forderungen dieses von Kern-Fans ersehnten "New Deals", der der SPÖ wieder ein linkes Profil hatte geben sollen, lesen sich wie folgt:
- Lockerung des Kündigungsschutzes für über 50-jährige ArbeitnehmerInnen
- "Flexibilisierung" der Arbeitszeit -Senkung der Lohnnebenkosten als Geschenk an die Unternehmen
- Einsatz für eine Beschränkung des Zuzuges von EU-BürgerInnen (!!!)
- Familienbeihilfekürzungen für EU-AusländerInnen
- Juristische Verschärfungen beim Kampf gegen "staatsfeindliche Bewegungen"
- Ausbau der Videoüberwachung
- Kürzung von Sozialleistungen für MigrantInnen, die sich nicht ausreichend "integrieren"
- Vollverschleierungsverbot im öffentlichen Raum als symbolischer Kniefall vor der FPÖ
- Absichtserklärung, die Zuwanderung "massiv zu begrenzen" und die Grenzüberwachung zu verschärfen
- Zwangsarbeit für Asylberechtigte
- Als kuriose, den Geist des Ganzen aber gut charakterisierende Schlusspointe des Papiers schließlich: In Wien soll ein "Family Office Center" eingerichtet werden. Was mag das sein, ein Zentrum für sozial bedürftige Familien oder sowas in der Art? Nicht ganz: "Family Offices sind langfristig orientierte Vermögensverwalter, die sich auf die Verwaltung von privaten Familienvermögen spezialisieren. Österreich hat vor allem bei der Verwaltung von Familienvermögen und im Bereich des nachhaltigen und sozial verantwortlichen Investierens einen Standortvorteile gegenüber anderen EU Ländern (Stiftungswesen, hohe Lebensqualität, Internationalität Wiens). Dieser Vorteil soll weiter ausgebaut werden, etwa durch den Ausbau des one-stop-shop-Prinzips in der FMA (Finanzmarktaufsicht, Anm.) mittels einer neuen regulatorischen Task Force (z. B. Financial Service Unit) zur Beschleunigung der Prozessabläufe und als Direct Point of Contact für ausländische Asset Manager und Finanzinvestoren (High Level Service als Pull-Faktor)." (Aus dem Arbeitsprogramm) Die Steueroase Österreich wird also weiter ausgebaut!
Es sind zwei Grundzüge, die dieses selbst für die Maßstäbe der Sozialdemokratie des 21. Jahrhunderts schockierende neoliberale, arbeiterInnenfeindliche Programm auszeichnen:
Erstens die sich darin ausdrückende Kriecherei vor dem Juniorpartner ÖVP - da setzt der sozialdemokratische Kanzler seinem kleineren Koalitionspartner ein "Ultimatum", und heraus kommt de facto ein schwarzes Programm, dessen Charakter durch einige Trostpflästerchen wie „wir hätten gerne einen Mindestlohn aber ob und wann er kommt ist noch offen“ und Gratis-Laptops für Schulen nur notdürftig kaschiert wird. Die Angst vor Neuwahlen, von denen auch Kern weiß, dass sie für seine Partei wohl nur in der Opposition oder einer desaströsen blau-roten Koalition enden können, ist offensichtlich so groß, dass die SPÖ eher ein fast reines ÖVP-Programm umsetzt als einen Bruch der Koalition zu riskieren.
Zweitens der verzweifelte Versuch, auf den Siegeszug der FPÖ zu reagieren, indem man zentrale Teile ihres Programms selbst umsetzt, zur FPÖ übergegangenen WählerInnen zuruft "Wenn ihr rassistische Politik wollt, müsst ihr dafür nicht FPÖ wählen, sondern könnt ruhig auf unserer Seite bleiben - wir können es genauso gut!" Das abstruse Burkaverbot (In Österreich leben praktisch keine Frauen, die Burka tragen), die Forderung nach schärferer Grenzüberwachung und besonders die nach Zuzugsbeschränkungen und Familienbeihilfekürzungen für EU-AusländerInnen sind offensichtliche Anbiederung an den von der FPÖ nach rechts gedrehten Zeitgeist, dem sich Kerns Sozialdemokratie nicht entgegenstellt, sondern ihn aktiv weiter befeuert. Eine Strategie, die nicht nur verantwortungslos, sondern bisher auch gänzlich erfolglos ist: Wer besonderen Wert auf rassistische Innenpolitik legt, wählt gleich das blaue Original und nicht die verdünnte rote Imitation - erfolglose Drehungen der SPÖ-Politik noch weiter nach rechts folgen auf jeden neuen Wahltriumph der FPÖ, die damit die ganze Innenpolitik Österreichs inhaltlich dominiert, ohne dafür überhaupt in die Regierung gelangen zu müssen. Gewiss wird es weiterhin in der SPÖ und ihren Vorfeldorganisationen jene geben, die die Ära Kern als einen "linken Neustart" der Sozialdemokratie darzustellen versuchen werden. Aber nach Verlautbarung dieses Programms wird es endgültig zum Kunststück werden, die Sozialdemokratie als eine für ArbeiterInnen, Arme und MigrantInnen ernsthaft wählbare Partei zu präsentieren.