So 01.10.2000
Karl von Motesiczky wurde am 25. 5. 1904 als erstes Kind Henriette und Edmund Graf Motesiczkys in Wien geboren. Motesiczkys Kindheit war besonders geprägt durch den frühen Tod des Vaters im Jahre 1909. Nach der Matura studierte er zunächst Cello, ab dem SS 1924 dann Jus an der Universität Wien. Ein kurzer Streifzug durch das Leben Motesiczkys geschildert von Christiane Rothländer.
1928 ging Motesiczky zunächst nach Heidelberg, 1930 dann nach Marburg, wo er Theologie studierte. Er engagierte sich in der sozialistischen Studentenbewegung und geriet erstmals in Auseinandersetzungen mit den Nationalsozialisten. In diese Zeit fiel auch Motesiczkys erster Kontakt mit dem Kommunismus. 1931 zog er nach Berlin, wo er dem Kommunisten und Psychoanalytiker Wilhelm Reich begegnete. Reich war 1930 nach Berlin gekommen, wo er hoffte, mit seiner gesellschaftspolitischen Arbeit auf fruchtbaren Boden zu stoßen. Als Instrument dafür sollte die Sexpol-Bewegung dienen.
Unter Reichs Mitarbeit wurde der Einheitsverband für proletarische Sexualreform gegründet, der die deutsche Sexualreformbewegung einigen wollte, um sie auf eine sexualpolitische Platt-form mit revolutionärem Inhalt zu stellen. Motesiczky wurde in Berlin Reichs Patient, Schüler und Mitarbeiter. Reich geriet bald in Konflikt mit der KPD, die ihm vorwarf, er wolle die Wirtschafts- durch Sexualpolitik ersetzen. Im November 1933 wurde Reich aus der KPD ausgeschlossen. Nach der Machtübernahme der Nazis in Deutschland flüchtete er nach Kopenhagen, wohin ihm Motesiczky folgte. Am 17. 4. 1933 ersuchte die Wiener Polizei die Gestapo in Berlin um die Übersendung einer Liste jener österreichischen Kommunisten, die aus Deutschland geflohen waren. Die Liste umfasste 13 Personen und nennt an 12. Stelle Wilhelm Reich, an 13. Karl von Motesiczky.
Reich setzte ab 1934 seine sexualpolitische Arbeit in Oslso fort und gründete die Zeitschrift für Politische Psychologie und Sexualökonomie (ZPPS), zu deren Mitarbeitern und Geldgebern Karl von Motesiczky zählte. Ihr Ziel war es, die Untersuchungsmethode des dialektischen Materialismus auf die Sexualökonomie und Massenpsychologie anzuwenden. Motesiczky publizierte zwischen 1934 und 1938 unter verschiedenen Pseudonymen, v. a. unter dem Namen Karl Teschitz, eine Vielzahl von Artikel in der ZPPS und wurde, laut Helmut Dahmer, zum politischen Sprecher der Reich-Gruppe. Er warf der KPD und der KomIntern vor, schwere Fehler begangen und damit die Niederlage des deutschen Proletariats mitverschuldet zu haben. Diese Fehler sah er vorwiegend in der Beurteilung der SPD und des Faschismus, der Gewerkschaftspolitik und in der Analyse der Lage in Deutschland. 1935 erschien - unter dem Pseudonym Karl Teschitz - „Religionsstreit in Deutschland“ - in seiner Argumentation ganz der Reichschen Sexualökonomie verpflichtet. Darin wird die Psychoanalyse als ihren eigenen revolutionären Grundsätzen untreu und verbürgerlicht kritisiert. In Oslo begann er unter der Supervision Reichs Patienten zu behandeln und beteiligte sich an den ab 1935 von Reich durchgeführten bio-elektrischen Experimenten über Sexualität und Angst. Im Winter 1937/38 kehrte Motesiczky nach Österreich zurück. Auf seinem Wohnsitz in der Hinterbrühl fand eine große Zahl antifaschistischer und jüdischer Freunde Unterschlupf. Im Herbst 1939 beschloss er zusammen mit einigen Freunden (u. a. Ella und Kurt Lingens und Robert Lammer) eine Widerstandsgruppe zu bilden. Gleichzeitig studierte Motesiczky Medizin und ging zu August Aichhorn in Analyse, dem er auch vorschlug, ein psychoanalytisches Seminar abzuhalten, das dann ab 1940 stattfand. Motesiczky wurde als "Mischling I. Grades" nicht gestattet, eine psychotherapeutische Ausbildung zu absolvieren. Als ein Freund Ella Lingens von Krakau aus bat, ihn und seine Freunde in die Schweiz zu bringen, entschlossen sich das Ehepaar Lingens und Motesiczky, ihnen zu helfen. Die Gruppe wurde jedoch verraten. Ella Lingens und Karl von Motesiczky wurden am 16. 2. 1942 ins KZ Auschwitz deportiert. Ella Lingens konnte den Holocaust überleben. Karl von Motesiczky starb am 25. 6. 1943 im Block 19, einem "Häftlingskrankenbau", an Typhus. Das Anwesen in der Hinterbrühl befindet sich heute im Besitz des SOS Kinderdorfes. Ein Hinweis auf die Ereignisse während des Nationalsozialismus ist aufs Erste nicht zu finden. Ganz abseits der Straße jedoch zwischen drei Nadelbäumen versteckt, ließen Karls Mutter und seine Schwester Marie-Louise von Motesiczky 1961 eine kleine Pyramide für ihn errichten. Am 27. 7. fand ich die Gedenkstätte Karl von Motesiczkys zerstört und mit Hakenkreuzen geschändet vor. Bei meinem nächsten Besuch am 13. 9. war die Gedenktafel zwar erneuert, die Hakenkreuze jedoch nicht entfernt worden. Auf meine Anfrage hin, erklärte die Kinderdorfleiterin, dass die Hakenkreuze wohl noch länger zu sehen sein werden. Man hätte wichtigeres zu tun, als sie entfernen zu lassen ...