Di 01.12.1998
Vom 23. bis 30. November 1998 fand der 7. Weltkongreß des Komitees für eine ArbeiterInneninternationale/Committee for a Workers International (KAI/CWI) statt. Die über 100 Delegierten, beratenden Delegierten und Gäste aus allen Teilen der Welt diskutierten programmatische und perspektivische Fragen. Im Zentrum aller Diskussionen stand die Entwicklung der Weltwirtschaft, der Niedergang des Kapitalismus, der seinen jüngsten und dramatischsten Ausdruck in der Krise in Südostasien und Rußland findet. Entscheidend war die Frage der Organisationen der ArbeiterInnenklasse - der traditionellen wie der neuen Formationen - und Fragen des Organisationsaufbaus. Vorwärts extra gibt auf den nächsten Seiten einen Überblick über die wichtigsten Diskussionen und Einschätzungen, die vollständigen Dokumente des Weltkongresses werden in der nächsten Zeit veröffentlicht. Die in den Artikeln angeführten Zitate stammen entweder aus den Dokumenten zum Weltkongreß oder aus Wortmeldungen von GenossInnen.
Für MarxistInnen gab es in diesem Jahrhundert mehrere entscheidende Wendepunkte - die Russische Revolution 1917, die Periode unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Errichtung der deformierten ArbeiterInnenstaaten in Ostereuropa und China und dann der Zusammen-bruch des Stalininismus 1989-91. Dieser wurde als das „Ende der Geschichte“ und endgültiger Sieg des Kapitalismus gefeiert. Es war nur eine militärische Supermacht - die USA - übriggeblieben, der Kapitalismus stand global „ohne Konkurrenz“ da. Trotzdem befindet er sich heute an der Schwelle zu einer Wirtschaftskrise, die internationale Ausmaße hat: „Der Umbruch, der in Asien begonnen hat, ist eine klassische Krise des Kapitalismus, die sich in Überkapazität und sogar Überproduktion ausdrückt.“
Dies ist aber kein Problem, das auf einzelne Regionen beschränkt bleibt, sondern die gesamte Weltwirtschaft betrifft. Die Konkurrenz steigt stetig an, da die nach den Abwertungen billigeren Exporte aus Asien auf die Märkte drängen. Vor allem für jene Exporten, die ursprünglich nach Asien gegangen wären, werden nun neue Märkte gesucht. Die Konkurrenz um die sinkende Zahl von Abnehmern steigt.
„40 % der Weltwirtschaft befinden sich bereits in der Depression.“ (Lynn W., GB)
Die südostasiatischen „Tigerstaaten“, die noch vor wenigen Monaten als Modelle gepriesen wurden, waren der Auslöser (wenn auch nicht die Ursache) der momentanen Krise. Japan, das bei der letzten Krise noch einsprang, um „den Karren aus dem Dreck zu ziehen“, steckt heute selbst in einem Morast von uneintreibbaren Schulden: „Trotz all des Gejammers der bürgerlichen Experten gibt es sehr wenig, was Japan tun könnte, um den düsteren Zeitpunkt von Rezession und Wirtschaftskrise hinauszuschieben.“ Die Kapitalflucht aus den „Hoffnungsmärkten“ in die „sicheren Häfen“ (USA, Westeuropa), hat vor allem für Rußland und Lateinamerika dramatische Folgen gehabt. „Es ist zwar wahr, daß viele lateinamerikanische Unternehmen noch immer Profitraten auf Rekord-höhe haben, aber das kann nicht von Dauer sein, besonders dann, wenn die Krise in den USA selbst zuschlägt.“ Bereits jetzt gibt es aufgrund von Kürzungspolitik in ganz Lateinamerika eine verschärfte Polarisierung und z.B. in Brasilien können soziale Explosio-nen wie in den 70er und 80er Jahren nicht ausgeschlossen werden.
„Der Clinton-Boom, der sich v.a. auf Konsum gestützt hat, kommt nun zu einem Ende. Es gibt neue Rekorde bei Bankrotten von Unternehmen, Banken aber auch Haushalten.“ (Alan F., USA)
Die US-Wirtschaft hat bereits begonnen, sich zu verlangsamen und wird in der nächsten Zeit in eine Rezession rutschen. „Die Weltwirtschaft ist aber in gefährlichem Ausmaß abhängig von den USA, und das zu einem Zeitpunkt, wo dem Aufschwung in den USA und in der Europäischen Union die Luft ausgeht. Das deutet in Richtung einer Depression der Weltwirtschaft oder einer gleichzeitig ablaufenden tiefen Rezession.“ Die Weltwirtschaft ist heute verwundbarer als zu jeder anderen Zeit seit den 30er Jahren. Es ist anzunehmen, daß die kommende Krise eher den Charakter der Krise von 1929 oder zumindest jener von 74/75 haben wird, als mit jenen von 81/82 und von Anfang der 90er Jahre vergleichbar zu sein.
Scheitern des Euro
Aufgrund der internationalen Krise des Kapitalismus, der internationalen Vernetzung und besonderen Exportabhängigkeit der europäischen Wirtschaft, bewegt sich auch diese im kommenden Jahr auf eine Rezession oder gar Depression zu.
Damit wird aber auch das Gelingen des zentralen Projektes der europäischen Bourgeoisie - des Euro - fraglich. Die Europäische Währungsunion (EWU) soll eine gemeinsame Währung als Gegenpol zum US-Dollar aufbauen. Zweitens dienten und dienen die Maastricht-Kriterien als Waffe gegen die europäische ArbeiterInnenklasse. Sie sind ein entscheidendes Argument, um in allen europäischen Staaten Sozialabbau, Flexibilisierung und Deregulierung durchzuführen.
Eine gemeinsame Währung verschiedener Nationalstaaten kann aber nur solange funktionieren, solange die gemeinsamen Interessen der verschiedenen nationalen Kapitalisten - gegen die anderen Wirtschaftsblöcke USA und Japan - überwiegen. Die gemeinsame Währung bzw. die fixen Wechselkurse zwischen den Währungen würden es für die Nationalstaaten allerdings auch verunmöglichen, Währungsabwertungen als Instrument der Wirtschaftspolitik einzusetzen und so Ungleichheiten zwischen Staaten abzufedern.
„Das EU-Projekt hat daher die Tendenz auseinanderzubrechen, wenn die Weltwirtschaft sich in eine Depression bewegt und die EWU-Länder sich immer weiter auseinander bewegen.“
„Die Ausgangsbedingungen für die Krise sind heute ganz anders als in der Vergangenheit. Bei der Rezession 1975 lag die Arbeitslosigkeit bei nur 2,5 %, 1993 bereits bei 22,4 %. Als in der Krise 1974/75 300.000 Arbeitsplätze vernichtet wurden, reagierte der belgische Staat indem er 200.000 Jobs im öffentlichen Sektor schuf. Heute gibt es bereits vor einsetzten der Krise Sozialabbau!“ (Eric - Belgien)
Globalisierung
Einen zentralen Diskussionspunkt stellt die „Globalisierung“, ihre ökonomische und ideologische Bedeutung und ihre Grenzen dar. Während es einerseits falsch wäre, so zu tun, als ob sich „nichts verändert“ hätte, ist es andererseits wichtig, auf die Beschränktheit des Prozesses und seine politische Komponente hinzuweisen.
Vor allem durch die Liberalisierung der Finanzmärkte, die nun tatsächlich global sind, hat sich der Kapitalismus verändert. Trotzdem wäre es falsch, von einer eigenen - „nachimperialistischen“ - Phase zu sprechen. Die Globalisierung ist ein durchaus beschränkter Prozeß, der durch die Krise des Kapitalismus und dem Wunsch nach mehr Schutz der eigenen Märkte (= Protektionismus) bereits aufgehalten wurde. Illusionen in nationale Auswege aus der Krise durch neo-keynesianistische Konzepte, wie sie von manchen Globalisierungs-KritikerInnen, aber seit neuestem auch von (ehemals) hartgesottenen Monetaristen, geschürt werden, müssen angesichts der vor allem auch durch die Krise verengten ökonomischen Handlungsspielräume ins Reich der Träume verwiesen werden.
Auch die Perspektive für einen friedlichen Kapitalismus ist realitätsfremd, da der Kapitalismus seine Basis (nach wie vor) in den verschiedenen hochgerüsteten Nationalstaaten hat - mit allen dazugehörigen Konfliktpotentialen. Die Globalisierung kann nicht einfach als unbekämpfbares „höheres Gesetz“ akzeptiert werden. Sie spielt ebenso eine Rolle als ideologische Waffe des Kapitals gegen die ArbeiterInnenklasse.
Der ganz normale Wahnsinn
Die Krise des Kapitalismus bringt auch eine Verschärfung der sozialen Gegensätze mit sich. Die „neokolonialen“ Staaten stecken bereits in einer tiefen Schuldenkrise und sind darüber hinaus noch vom allgemeinen Rückgang der Rohstoffpreise stark betroffen. Diese sind in den 70er, 80er und 90er Jahren drastisch gefallen und in realen Werten heute niedriger als vor der großen Depression der 20er Jahre. „Die Zahlen der Vereinten Nationen bezüglich Armut in der unterentwickelten Welt sind uns „vertraut“ geworden: etwa ein Viertel der Weltbevölkerung - ca. 1,3 Milliarden Menschen - leben von einem Einkommen von weniger als einem Dollar pro Tag. Fast eine Milliarde sind AnalphabetInnen. Rund 840 Millionen hungern oder leben von der Hand in den Mund. Darüber hinaus beträgt die Lebenserwartung für fast ein Drittel der Menschen in den am wenigsten entwickelten Ländern weniger als 40 Jahre, während die Menschen, die das Glück haben, im entwickelten Westen zu leben, damit rechnen können, fast 80 Jahre alt zu werden.
Der Abgrund zwischen reich und arm wird immer größer. Der Anteil der ärmsten 20 % der Weltbevölkerung am Welteinkommen steht bei jämmerlichen 1,1 %. 1991 waren es noch 1,4 %, 1960 noch 2,3 %. 1960 war das Einkommen der obersten 20 % 30 mal höher als das der ärmsten 20 %. 1961 war es 61 mal höher. Laut UNO ist es nach den neuesten Zahlen 78 mal so hoch.“
Doch damit noch nicht genug: Unter dem Schlagwort „freier Handel“ wird versucht, weitere Märkte aufzubrechen. „So ist z.B. geplant, das Lome-Abkommen, das 71 afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten bevorzugten Zugang zu europäischen Gütern gewährt, zu ersetzen ... dieses Abkommen wird im Jahr 2000 auslaufen und jedes neue Abkommen muß den neuen, strengeren Regeln entsprechen, die von der Welthandelsorganisation (WTO) eingeführt worden sind, die - wie Weltbank und IWF - ein Werkzeug des westlichen Imperialismus ist ... Mit anderen Worten: Das Muster der bisherigen imperialistischen Herrschaft soll sich fortsetzen.“
„In Sri Lanka wird die Politik vom Krieg bestimmt - in den letzten 10 Jahren haben sich die Staatsausgaben dafür verfünzigfacht. Die Analphabetenrate ist daher auch wieder stark gestiegen.“ (Siri S. - Sri Lanka)
Vor allem in Afrika kommen zu den sozialen Problemen, oder besser als Ausdruck derselben, noch eine Reihe bewaffneter Konflikte bzw. Bürgerkriege hinzu. „Der Imperialismus ist in den Kontinent eingefallen, hat ihn geplündert, Einflußsphären und schließlich Staaten geschaffen, deren Grenzen die lebendigen Gemeinschaft von Stämmen und Völkern zerteilten. Dadurch haben sie ein Erbe hinterlassen, eine Zeitbombe für künftige Stammes- und ethnische Konflikte, die jetzt mit der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage auf dem ganzen Kontinent explodiert ist.“
Wie trügerisch die Hoffnung eines gesunden, afrikanischen Kapitalismus ist, wird am Beispiel Südafrika deutlich. „Obwohl die Apartheid abgeschafft wurde, hat sich an der extrem ungerechten Einkommensverteilung nichts geändert. Die oberen 20 % verfügen über 70 % des Reichtums, die unteren 20 % über nur 1 %. Ein Viertel der Kinder sind unterernährt.“ (Weizmann T. - Südafrika)
Nach dem Ende der Apartheid hatten die Massen enorme Hoffnungen und Vertrauen in die neue ANC-Regierung. Diese hat aber an der sozialen Apartheid nichts geändert und betreibt pro-kapitalistische Politik im Sinne des Imperialismus.
„Die ANC-Regierung hat ihr reformistisches Wiederaufbau- und Entwicklungsprogramm RDP (das die Massen mit Wohnungen, Arbeitsplätzen und Bildung versorgen sollte) durch die neoliberale GEAR-Strategie (Growth, Employment And Distribution = Wachstum, Beschäftigung und Verteilung) ersetzt.“
Wegen dieser Politik kommt es im Dreierbündnis aus ANC, COSATU (Gewerkschaftsdachverband) und SACP (Kommunistische Partei Südafrika), auf das sich die ANC-Regierung stützt, auch zunehmend zu Spannungen - wie auch innerhalb des COSATU selbst.
„Unfähiger“ Imperialismus
Obwohl der Imperialismus nach dem Zusammenbruch des Stalinismus gestärkt dastand, ist es der USA letztlich nicht gelungen, sich erfolgreich als neuer Weltpolizist zu präsentieren. Im Gegensatz zur „Operation Wüstensturm“, als die USA breite Unterstützung im eigenen Land und international für den Angriff auf den Irak hatte, versagte sie in Bosnien, Somalia und dem Nahen Osten. Sie steht wegen ihrer Irak-Politik heute unter massiver Kritik. Die USA „erwies sich als unfähig, ihren militärischen Willen durchzusetzen, ganz zu schweigen davon, die andauernden Probleme anzugehen, die sich in der ‘nachkommunistischen’ Welt angehäuft haben.“
„Der Kapitalismus bringt keinen Frieden. 1989 gab es 47 bewaffnete Konflikte, 1992 waren es 66 und insgesamt starben zwischen 1990 und 1996 bei bewaffneten Konflikten 5,5 Millionen Menschen. Die überwiegende Mehrheit dieser Konflikte fand übrigens innerhalb von Staaten statt.“ (Nail, Internationales Büro)
Ideologische Offensive des Kapitals
Der Zusammenbruch des Stalinismus 1989-90 und die Restauration des Kapitalismus in der UdSSR und Osteuropa stellten eine Niederlage für die internationale ArbeiterInnenklasse dar - wenn auch nicht vergleichbar mit jener sozialen Zurückentwicklung und der Veränderung des internationalen Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen, die durch den Sieg des Faschismus in den 20er und 30er Jahren entstand. In den 90er Jahren waren die Auswirkungen v.a. ideologischer Natur, „indem sie der Bourgeoisie erlaubten, eine ungehemmte triumphalistische Kampagne zugunsten des ‘freien Marktes’ , des Kapitalismus, zu führen, ohne daß Vergleiche mit den wirtschaftlichen Errungenschaften der Planwirtschaften in der UdSSR, Osteuropa, China oder Kuba gezogen wurden. Das wiederum wirkte sich zweifellos auf das breite Bewußtsein der ArbeiterInnenklasse aus. ‘Sozialismus’ verblaßte als Ideal und auch als ‘praktische Möglichkeit’, um die grundlegenden Lebensbedürfnisse v.a. für die im Elend lebenden Massen von Afrika, Asien und Lateinamerika zu befriedigen. Das stärkte die Bourgeoisie, nicht nur in ideologischer Hinsicht, sondern auch in ihren neoliberalen Angriffen auf die ArbeiterInnenklasse weltweit.“
Dem ideologischen Sieg des Kapitalismus steht allerdings das völlige Unvermögen gegenüber, auch nur eines der großen Probleme, mit denen die Menschheit konfrontiert ist, zu lösen. Wie in den „neokolonialen“ Staaten sieht sich auch die ArbeiterInnenklasse der entwickelten kapitalistischen Staaten wachsenden sozialen Problemen gegenüber.
„In Brasilien hat die Landfrage zentrale Bedeutung. Die Hälfte des bebaubaren Landes ist in der Hand von nur 1% der Bevölkerung. Viele Kleinbauern müssen ihr Land zurückgeben, weil sie die Kredite nicht bezahlen können.“ (Alfonso, Brasilien)
Der Bremsklotz ist weg
Der lähmende Effekt des Zusammenbruchs des Stalinismus auf die ArbeiterInnenklasse ist heute aber im Gegensatz zum Beginn der 90er Jahre weitgehend überwunden. Dies stellt einen Wendepunkt für die Arbeit von MarxistInnen dar. „Die generelle Macht des Proletariats ist, wenn auch geschwächt, so doch unversehrt, seine Kampfkraft ist weitgehend unvermindert.“
Dies zeigt sich in einer Zunahme von Klassenkämpfen einerseits und andererseits einer wachsenden Ablehnung von bürgerlichen Parteien/ Institutionen und dem „Establishment“ im allgemeinen. „Es gibt eine Krise des Vertrauens in alle Institutionen der Bourgeoisie.“ In den USA gingen z.B. bei den Präsidentschaftswahlen 1996 weniger als 50 % zur Wahl und in Belgien wurde der Staat von den „Weißen Märschen“ in Folge des Dutroux-Skandales erschüttert.
„In Osteuropa gab es in den letzten Jahren eine Reihe von unterschiedlichen Regierungen - für die ArbeiterInnenklasse waren die Unterschiede allerdings nicht vorhanden. Selbst sozialdemokratische bzw. ex-Kommunistische Parteien betreiben Sozialabbau und Privatisierungspolitik.“ (Petr J. - Tschechische Republik)
Die soziale Situation ist bereits in Zeiten eines Aufschwungs düster - die europäische ArbeiterInnenklasse sieht sich mit täglich wachsender Massenarbeitslosigkeit konfrontiert. Ausgehend davon, daß „die Asienkrise und das Ende des Aufschwungs in den USA dramatische Effekte auf die Wirtschaftsperspektiven für Europa haben werden“, kann mit einer „Zunahme des Tempos des Widerstandes der ArbeiterInnenklasse gegen die neoliberale Politik der Bourgeoisie“ gerechnet werden. In Europa fanden seit Mitte der 90er Jahre eine ganze Reihe von Klassenkämpfen statt: Gegen Privatisierung und Sozialabbau, wie die BusfahrerInnen in Dänemark, offensive Kämpfe, wie jene der LKW-FahrerInnen in Frankreich, Massenstreiks, wie die Bewegung in Frankreich 1995 und solche, mit einem internationalen Anspruch, wie in Belgien. In diesen Kämpfen existierte nirgends ein „sozialistisches Bewußtsein“, aber sie beinhalteten bereits klare antikapitalistische Elemente.
„Diesen Herbst haben die 400 ArbeiterInnen der Metallfabrik ‘Universal’ in Süddeutschland nicht nur die Fabrik besetzt, als sie mit Schließung bedroht waren, sondern für eine Zeitlang auch die vier größten Banken in der Stadt.“(Aron Amm, Deutschland)
Welt in Bewegung
Außerhalb Europas sind bereits sehr dramatisch Effekte der Krise zu sehen. „In Asien und anderen Teilen der wirtschaftlich unterentwickelten Welt wird eine betont antiimperialistische und mehr nationalistische Stimmung eine der Konsequenzen dieser wirtschaftlichen Krise sein.“ Im Gegensatz zu den 70er Jahren, wo die nationale Bourgeoisie noch teilweise eine fortschrittliche Rolle spielte und Reformen durchführte, agiert diese heute anders
„Die Bourgeoisie der ehemaligen kolonialen und halbkolonialen Staaten ist im Verlauf der 90er Jahre praktisch zu einem Handlanger des Imperialismus geworden. Sie ist v.a. ein Transmissionsriemen für die Programme, Politik und Ideologie des Imperialismus.“ Trotzdem kann sie unter dem Druck der Bevölkerung zu begrenzten Verbesserungen gezwungen werden. Ein erster Schritt für eine tatsächliche Lösung bestünde aber in der sofortigen Streichung aller Schulden.
„Als SozialistInnen wissen wir, daß Protekionismus die wirtschaftlichen Probleme nicht lösen kann - es hat sich schon in der Vergangenheit gezeigt, daß das der falsche Weg ist.“ (Rotimi, Nigeria)
Ein Beispiel für die möglichen politischen Folgen der Krise ist Indonesien, wo die ökonomischen und sozialen Probleme einen revolutionären Prozeß in Gang gesetzt haben, der im Mai ’98 den langjährigen Diktator Suharto stürzte und nach wie vor nicht zum Stillstand gekommen ist. „Indonesien steht vor einem langen wirtschaftlichen Todeskampf, verknüpft mit massiven Aufständen, die über Asien hinausgehen und auf die ganze Welt Auswirkungen haben werden.“
Chancen und Risken
„Die Auswirkungen der Krise werden aber natürlich nicht nur positiv für die ArbeiterInnenbewegung und die -klasse sein.“ Dort wo und dann wenn der „subjektive Faktor“ in Form einer revolutionären und sozialistischen Partei, die die Bewegung weiterführen kann, fehlt, existiert die sehr reale Gefahr, daß die Reaktion in Form von Rassismus, Faschismus, Nationalismus und religiösem Fundamentalismus das bestehende politische Vakuum füllt.
„Obwohl der Vlaams Block seit 1988 seine Isolation überwunden und über 200 Gemeinderäte hat, ist seine Basis doch nicht stabil und er kann durch Massenbewegungen und wenn eine Alternative aufgezeigt wird zurückgedrängt werden. Die Stimmung in Belgien ist trotz der Wahlunterstützung für den Vlaams Block nicht faschistisch sondern v.a. antikapitalistisch - darauf müssen sie in ihrer Propaganda auch Rücksicht nehmen.“ (Els, Belgien)
Es muß aber auch angemerkt werden, daß der islamische Fundamentalismus nicht mehr über jene Massenunterstützung und Attraktivität verfügt, wie in der Vergangenheit. Dies zeigt sich vor allem im Iran, wo die Position der „Hardline - Fundamentalisten“ geschwächt wurde. Der 1997 gewählte Präsident Khatami repräsentiert jenen Flügel, der dem wachsenden Druck der Massenopposition nachgeben möchte.
„Wenn die Mullahs diesen Weg nicht gehen, werden sie ohne Zweifel dasselbe Schicksal erleiden wie der Schah 1979. Bei jeder Gelegenheit haben die Massen die kleinsten Zugeständnisse genutzt, um auf die Straße zu gehen und das Regime in Frage zu stellen.“ Die sozialen Verbesserungen, die die Mullahs in den 80er Jahren einerseits wegen des Drucks der Massen und andererseits wegen der Existenz der Sowjetunion durchführten, stehen heute nicht auf der Tagesordnung. „Im Lichte dieser Entwicklung hat die Attraktivität des radikalen islamischen Fundamentalismus abgenommen.“ Trotzdem stellt er natürlich nach wie vor eine - wenn auch im Gegensatz zu früher - weniger stabile Gefahr dar.
„Eine der Hauptmerkmale der bevorstehenden Periode wird die Entwicklung von wirtschaftlichen, politischen und sogar militärischen Konflikten innerhalb der wichtigsten Regionalblöcke sein, dann, wenn die verschiedenen Mächte versuchen, ihre eigenen Interessen zu verteidigen.“ Der Konflikt zwischen Indien und Pakistan ist nur eines der vielen hochexplosiven Pulverfässer, die auf der ganzen Welt existieren.
Eine Frage des Bewußtseins
„Wie die ArbeiterInnenklasse zuerst reagiert, wenn sie mit einer neuen Rezession oder tiefen Krise konfrontiert ist, hängt von vielen Faktoren ab. Diese beinhalten: Wie ist die Stimmung unter den ArbeiterInnen, wie selbstbewußt ist die Klasse und welchen Stand hat das Bewußtsein zu jenem Zeitpunkt, wenn die neue Krise einsetzt?“ In der zurückliegenden Periode ist auch deutlich geworden, wie sich Bewußtsein verändern kann. „In all diesen Kämpfen haben die Massen begonnen, einige anti-kapitalistische Forderungen, wie Verstaatlichung oder Wieder-Verstaatlichung sowie die Enteignung von Unternehmen und des Vermögens der Kapitalisten aufzustellen.“
„Der Kapitalismus ist nicht nur in einer Finanzkrise und einer ökonomischen Krise, sondern auch in einer politischen Krise“. (Tony S. - Internationales Sekretariat)
„Die bevorstehende Krise ist die ernsteste, der sich die Bourgoisie in Europa seit den 30er Jahren gegenüber sieht. Zur selben Zeit ist die ArbeiterInnenklasse in Europa im gesamten intakt und bleibt die mächtigste soziale Kraft in der Gesellschaft. Bis jetzt hat sie ihre Stärke und ihre Fähigkeit zu kämpfen nur teilweise gezeigt.“ Die Kämpfe der letzten Monate und Jahre sind erst der Anfang gewesen, wir können davon ausgehen, daß das Pendel in der nächsten Periode nach links ausschlagen wird. Gleichzeitig ist das Selbstbewußtsein der herrschenden Klasse angeschlagen: „Was die neue Weltordnung sein sollte hat sich als neue Welt-Unordnung entpuppt, die mit zunehmender Geschwindigkeit Krisen hervorbringt.“ Der Zusammenbruch des Stalinismus hat die ArbeiterInnenklasse im ideologischen und politischen Sinn zunächst entwaffnet. Die Rechts-Entwicklung der sozialdemokratischen Parteien und auch der ehemaligen stalinistischen Parteien hat die ArbeiterInnenklasse ohne Führung gelassen. Der Aufbau einer neuen internationalen und sozialistischen Partei und Bewegung ist für den siebenten Weltkongreß des CWI die wichtigste Aufgabe der nächsten Periode.