Mi 28.10.2020
Die Niederschlagung der Oktoberstreiks 1950 durch die Sozialdemokratie und die ÖGB-Führung markierte den Beginn der Festschreibung einer sozialpartnerschaftlichen Ausrichtung der österreichischen Gewerkschaftsführungen. Bis heute sind die damit einhergegangenen Folgen für die Arbeiter*innenklasse - der immer wiederkehrende Verrat durch die eigene Führung und die Passivität der österreichischen Arbeiter*innenbewegung insgesamt - deutlich zu spüren.
Die Streiks im Oktober 1950 waren die bis dahin größte Streikbewegung der 2. Republik. Weit über 100.000 Beschäftigte - zum Höhepunkt 200.000 - traten in Aktion gegen das 4. Lohn-Preis-Abkommen, beschlossen im Geheimen von Regierung, ÖGB-Führung und Unternehmensvertreter*innen, das für die Arbeiter*innenklasse hohe Reallohnverluste bedeutete.
Was war die politische Situation nach 1945? Vor dem Hintergrund wachsender außenpolitischer Spannungen, der antikommunistischen Agenda der Westmächte und dem einsetzenden Kalten Krieg trieb die Bundesregierung die Westintegration Österreichs voran. Dem entgegen stand ein relevantes antikapitalistisches Bewusstsein der Arbeiter*innenklasse nach den Erfahrungen mit Faschismus und Krieg, sowie Hoffnungen, hervorgerufen durch die Verstaatlichungen der Nachkriegszeit und Arbeiter*innenverwaltung in Teilen der Wirtschaft.
Das Bewusstsein wichtiger Teile der Arbeiter*innenklasse war in der Nachkriegszeit geprägt von dieser objektiven Lage sowie von einem relevanten Selbstbewusstsein und Radikalisierung. Vielen war im Krieg der Zusammenhang zwischen Faschismus und Kapitalismus deutlich geworden; der existierende Wunsch nach einer gemeinsamen Arbeiter*innenpartei (für die es 1945 sehr reale Ansätze gab) stand einer angepassten Sozialdemokratie mit rechter Führung gegenüber. Dass diese mit allen Mitteln die Sozialpartnerschaft durchsetzen wollte, hängt auch mit dieser relativen Stärke der Arbeiter*innenklasse zusammen. Schon nach dem 1. Weltkrieg, als es in weiten Teilen Europas zu revolutionärer Initiative der Massen kam, spielte die Sozialdemokratie eine desaströse Rolle. Als Arbeiter*innen 1945 wieder begannen, das öffentliche Leben zu verwalten und kontrollieren, erstickte die SPÖ die Bewegung mit aller Kraft. 1950 ließ sie es gar nicht so weit kommen.
Der Ausbruch der Streiks begann am 25.September in der VÖEST (später VOEST), maßgeblich organisiert sowohl durch KP-Mitglieder, als auch durch Mitglieder der rechten VdU (Vorgängerin der FPÖ). Diese war ein Sammelbecken alter Nationalsozialist*innen, was im Kontext der herrschenden antikommunistischen Propaganda dafür genutzt wurde, das Bild eines Schulterschlusses zwischen Kommunist*innen und Faschist*innen zu zeichnen.
In den darauffolgenden Tagen breitete sich die Bewegung in andere Teile Österreichs aus, insbesondere in die östlichen und steirischen Industriegebiete. Die Streiks nahmen einen enorm radikalen und schlagkräftigen Charakter an: In Wien und Niederösterreich kam es während der Bewegung zu Besetzungen von Bahnhöfen, Postämtern, Straßen und Gleisen. Doch die Dynamik wurde unter anderem durch die Rolle der KPÖ abgebremst. Der Beschluss der KPÖ-Führung, den Streik drei Tage lang zu unterbrechen, bremste die Bewegung. Die Atempause wurde von Regierung und ÖGB-Führung genutzt, um den Mythos vom Umsturzversuch durch die KPÖ zu etablieren und damit die Legitimation für die Niederschlagung vorzubereiten. Entgegen der Darstellung des Putsch-Mythos hatte die KPÖ von Anfang an eine widersprüchliche Position gegenüber der Streikbewegung. Verflochten mit der sowjetischen Bürokratie hatte die KPÖ generell kein Interesse daran, Österreich durch eine wirklich revolutionäre Bewegung der Arbeiter*innenklasse zu destabilisieren und wollte aber gleichzeitig Verbesserungen durchsetzen. 1950 zeigte sich auch, dass es der KPÖ nicht um den Kampf um Sozialismus ging - eine Folge ihrer Volksfrontpolitik im Widerstand gegen den Faschismus, wo sie das Bündnis mit bürgerlichen Antifaschist*innen suchte und dafür die Kritik am Kapitalismus zurückstellte.
Die Ziele der Proteste hatten potentielle Sprengkraft: Die Lohn-Preis-Abkommen zu Fall zu bringen, die Forderung nach Rücknahme der Preissteigerungen oder Verdopplung der Löhne und sofortigem Preisstopp. All das forderte die Große Koalition aus ÖVP und SPÖ wie auch die ÖGB-Führung massiv heraus. Es ging also nicht nur um eine rein ökonomische Frage, sondern auch um die Frage der Machtverhältnisse im Land und der Rolle der Gewerkschaftsführung.
Mit dem gescheiterten Versuch eines Generalstreiks Anfang Oktober setzte der Anfang vom Ende der Streikbewegung ein. Die sozialdemokratische Bau-Holz-Gewerkschaft und ihr Vorsitzender Olah organisierten maßgeblich die Niederschlagung der Streikenden durch Einsatzkommandos. Die US-Besatzungsmacht unterstützte sie finanziell, mit LKWs und Kommunikationsmitteln.
Auch die öffentliche Propaganda gegen die „kommunistischen Putschisten“ zeigte ihre Wirkung. Mit der Niederschlagung der Streiks und der Durchsetzung der Lohn-Preis-Abkommen ging eine Säuberung des ÖGB von kommunistischen und kämpferischen Mitgliedern einher. Tausende Gewerkschaftsmitglieder wurden in Folge ausgeschlossen. Das Scheitern des Oktoberstreiks war auch der vorläufige Sieg angepasster, sozialdemokratischer Elemente im ÖGB und einer gewerkschaftlichen Strategie - der Sozialpartnerschaft -, welche Streiks als wichtigstes Kampfmittel der Arbeiter*innenklasse vollkommen fremd waren und sind. Ein Interesse an der Sozialpartnerschaft hatten und haben sowohl die Kapitalist*innen, um die Arbeiter*innenklasse und -bewegung unter eine gewisse Kontrolle zu bekommen, als auch Reformismus und Sozialdemokratie, die den Kampf um Sozialismus aufgegeben haben und selbst materiell von diesem System profitieren bzw. hoffen zu profitieren.
Die Ideologie und die Institutionalisierung der Sozialpartnerschaft ist eine der größten Hemmnisse für den Wiederaufbau einer starken Arbeiter*innenbewegung heute. Sie hat zur Folge, dass der ÖGB und die Teilgewerkschaften nicht einmal ansatzweise dagegen kämpfen, dass die Krisenkosten auf dem Rücken der Arbeiter*innenklasse ausgetragen werden sollen. Dabei ist die Sozialpartnerschaft als naturgemäß widersprüchliches Bündnis zwischen „Arbeiter*innenvertretung“ und Kapitalist*innen nicht nur ein österreichisches Phänomen: In sehr vielen Ländern hat sich eine ähnliche Gewerkschaftspolitik und -bürokratie herausgebildet, die auf Zusammenarbeit mit den Herrschenden statt auf Kampfmaßnahmen setzt.
Wir befinden uns in einer der tiefsten Krise des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Gerade in einer solchen Krise gibt es keinen ökonomischen Spielraum mehr für die Sozialpartnerschaft. Immer schlechtere Kollektivvertragsabschlüsse, Nulllohnrunden und eine ausbleibende Mobilisierung der Arbeiter*innenschaft zeigen, dass mit dieser Gewerkschaftsführung nichts zu gewinnen ist. Schon jetzt hat die Corona-Krise zu massivem Stellenabbau und Betriebsschließungen geführt. Hohe Arbeitslosigkeit, Kürzungspolitik und weitere soziale Verwerfungen stehen uns bevor. Die einzige Kraft, die wirksam dagegen ankämpfen kann - mit Arbeitskämpfen, Streiks und wenn nötig Fabrikbesetzungen/-übernahmen - ist die Arbeiter*innenklasse. Dafür müssen wir an die kämpferischen Traditionen von 1950 anknüpfen.