Fr 13.05.2011
Eine revolutionäre Welle zieht sich durch den arabischen Raum. In Tunesien und Ägypten wurden Langzeitdiktatoren gestürzt. In Syrien, Libyen und dem Jemen gibt es seit Wochen Demonstrationen, Besetzung, Straßenschlachten und offenen BürgerInnenkrieg. Und auch in Europa – wie etwa in Frankreich – zittern die Herrschenden von einem neuen „68“.
Die Welt in der wir leben
Ein Überblick über die Probleme macht klar, dass es tiefgreifende Veränderungen braucht: Armut, Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung, Kriege und menschlich verursachte Katastrophen sind keine unglücklichen Ausnahmen, sondern die Regel.
- Mit den derzeitigen Möglichkeiten, könnten 12 Milliarden ernährt werden, trotzdem sterben drei Millionen Kinder pro Jahr an Armut und Unterernährung.
- In Lateinamerika haben drei Millionen Menschen seit Anfang 2009 ihren Job verloren.
- In Spanien haben haben 63% der unter 19jährigen keinen Job.
- Im Zuge der Wirtschaftskrise werden einmal mehr Banken auf Kosten der Bevölkerung gerettet.
- Atomkonzerne zerstören die Umwelt und sind verantwortlich für Tote und Probleme für Generationen. Der Profit ist privatisiert, Risiko und Kosten vergesellschaftet.
- Demokratie ist für die Mehrheit der Menschen ein Fremdwort, sie werden verfolgt, wenn sie sich für ihre Rechte einsetzen.
„So kann es nicht weitergehen“
Der Mythos „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“ zerbricht. Umfragen zeigen den Wunsch nach Veränderung. Die Ziele sind ziemlich einheitlich: eine sichere Zukunft ohne Armut, Krieg und Umweltzerstörung, eine demokratische Gesellschaft ohne Unterdrückung.
Seit Monaten gehen Menschen in der arabischen Welt auf die Straße. Die Bewegung in Ägypten hat anhand sozialer Fragen begonnen – 24% der Männer zwischen 18 und 29 Jahren sind arbeitslos, bei den Frauen sind es gar 80%. Dazu kam ein Regime, das die Bevölkerung mehr als 30 Jahre lang unterdrückt hat. Die Situation in anderen arabischen Ländern ist ähnlich. Die aktuelle wirtschaftliche Krise hat die soziale Situation zusätzlich verschärft, u.a. durch steigende Lebensmittelpreise.
Die Menschheitsgeschichte ist reich an revolutionären Veränderungen. Nicht zuletzt der Kapitalismus selbst musste sich über vielfältige revolutionäre Prozesse gegen den Feudalismus durchsetzen. Die Voraussetzungen für eine Revolution werden von den Entwicklungen der Produktivkräfte (Effizienz der menschlichen Arbeitskraft und ihrer Werkzeuge, verfügbare Ressourcen, Stand der Technik allgemein) geschaffen. Ob es zu einer Revolution kommt oder nicht ist also nie beliebig. Die Widersprüche in der Gesellschaft spitzen sich so zu, dass es einfach nicht so weitergehen kann wie bisher. Dies gilt vorrangig für die sozialen und Besitz-Verhältnisse. Es kann aber auch den Sturz festgefahrener politischer Macht (Diktaturen) betreffen.
Die Widersprüche werden unüberwindbar
Die Revolutionen in Ägypten und Tunesien werden von den Herrschenden heruntergespielt, aus Angst vor einem Dominoeffekt. Denn der Begriff „Revolution“ ist positiv besetzt – er drückt Dynamik und Verbesserung aus. Daher nennen die Herrschenden Revolutionen nur dann Revolutionen wenn es ihnen in den Kram passt.
Revolutionen sind die berechtigte Antwort einer (oder mehrerer) unterdrückter Klassen auf unhaltbare Zustände. Revolutionen fallen nicht vom Himmel und werden auch nicht von kleinen Gruppen in dunklen Hinterzimmern geplant und entworfen. Sie sind das Ergebnis realer Umstände und Kräfteverhältnisse. Nicht jede große Bewegung (wie z.B. in Österreich im Jahr 2000) und nicht jeder Generalstreik (wie in Griechenland gegen die Sparpakete) führt zur Revolution – doch beides ist wichtiger Bestandteil. Wenn sich die gesellschaftlichen Widersprüche immer stärker zuspitzen dann gehen die Massenbewegungen weiter. Es bilden sich neue und sehr demokratische Strukturen und die Menschen nehmen im wahrsten Sinne des Wortes ihr Schicksal in die eigenen Hände. Wie 1917 in Russland haben sich 1918 heimkehrende Soldaten und ArbeiterInnen in Österreich, Deutschland und Ungarn in Komitees („Räten“) zusammengeschlossen. Als 2001 die Wirtschaft in Argentinien völlig zusammenbrach, organisierten sich die Menschen ebenfalls in Basisstrukturen um die Verteilung der Lebensmittel zu organisieren. 2011 wurde am Tahrir-Platz in Kairo die medizinische Versorgung, die politischen Debatten, die Ernährung und die Verteidigung gegen das Regime gemeinsam organisiert. Die Entwicklungen verlaufen oft weit demokratischer als im Parlamentarismus . Die Menschen wählen sich ihre VertreterInnen - und wählen sie auch wieder ab, wenn sie unzufrieden sind damit, was diese tun. All das spielt sich gerade vor unseren Augen ab.
Ein Lernprozess findet statt, der alles bisher als „sicher“ und „natürlich“ hingenommene plötzlich in Frage stellt. In Ägypten haben ChristInnen und MuslimInnen, Männer und Frauen gemeinsam gekämpft. Scheinbar unüberwindliche Spaltungen waren plötzlich weg.
Die Gesellschaft ist gespalten
Das Gefühl, dass es so nicht weitergehen kann erfasst auch die Mittelschichten (also Kleingewerbetreibende, AkademikerInnen, Beamte,…) die sehen, dass das bisherige Regime für sie keine Zukunft bietet. In der Deutschen Revolution von 1918 waren viele „KleinbürgerInnen“ aktiv – und zwar auch auf Seiten der SozialistInnen und KommunistInnen. Erst als die Revolution (mit Unterstützung der Sozialdemokratie) niedergeschlagen war und die Wirtschaftskrise der 1920er Jahre das Land erfasste wurde genau dieses Kleinbürgertum zur sozialen Basis des Faschismus. Deshalb sprachen die deutschen Faschisten auch von der "nationalen Revolution". Dies war der noch vorhandenen Stärke der ArbeiterInnen-Bewegung geschuldet. Um bedeutende Teile der verarmten Mittelschichten an sich zu binden, mussten die Nazis „Antworten“ auf die Probleme geben.
Der sozialistische Revolutionär Leo Trotzki schrieb in "Porträt des Nationalsozialismus" im Juni 1933: "Die Nazis geben ihrem Umsturz den usurpierten Namen Revolution. In Wirklichkeit lässt der Faschismus in Deutschland wie auch in Italien die Gesellschaftsordnung unangetastet. Hitlers Umsturz hat, isoliert betrachtet, nicht einmal Recht auf den Namen Konterrevolution. Aber man darf ihn nicht abgesondert sehen, er ist die Vollendung des Kreislaufs von Erschütterungen, der in Deutschland 1918 begann. Die Novemberrevolution, die die Macht den Arbeiter- und Soldatenräten übergab, war in ihrer Grundtendenz proletarisch. Doch die an der Spitze der Arbeiterschaft stehende Partei gab die Macht dem Bürgertum zurück. In diesem Sinne eröffnete die Sozialdemokratie die Ära der Konterrevolution, ehe es der Revolution gelang, ihr Werk zu vollenden. ... Hitlers Umsturz ist nur das Schlussglied in der Kette der konterrevolutionären Verschiebungen."
Der bisher herrschenden Klasse bricht die Basis weg, wenn sich Teile ihres Verwaltungs- und sogar Militärapparates auf Seiten der Aufständischen stellen. In Tunesien z.B. weigerte sich das Militär, auf die DemonstrantInnen zu schießen.
Dann erkennt auch die herrschende Klasse, dass sie auf einem Pulverfass sitzt. Sie will an der Macht bleiben, ist aber uneins, wie. In Lybien setzt ein Teil auf ein Bündnis mit dem Westen, ein anderer auf brutale Repression. Die zögerlichen Zugeständnisse in z.B. Jemen wie auch die Repression in z.B. Syrien haben die Massen nur noch mehr angespornt. Mit zunehmendem Druck der Massen haben sich immer mehr Risse und Konflikte in der herrschenden Klasse selbst aufgetan. Das ist Ausdruck dafür, dass die gesellschaftlichen Widersprüche zu groß geworden sind und überwunden werden müssen.
Sie klammern sich an ihre Privilegien
Wenn sich Menschen gegen Ausbeutung und Unterdrückung zur Wehr setzen, dann verteidigen jene die an den Hebeln der Macht sitzen ihre Macht und Privilegien mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. 1871 hatten ArbeiterInnen in Paris das erste Mal die Macht ergriffen. Es wurde eine Regierung aus ArbeiterInnen oder deren VertreterInnen gegründet. Die Polizei ihrer Macht enthoben. Die Kirche wurde enteignet und verlor Einfluss und Privilegien. Erstmals regierte die Mehrheit. Die Strukturen der Pariser Kommune waren zutiefst demokratisch. Es gab jederzeit wählbare und abwählbare Beamte, freien Zugang zu Bildung und Wissenschaft und demokratische Strukturen in der Verwaltung. Die Nutznieser der alten Ordnung (Kirche, UnternehmerInnen etc.) schlugen - unterstützt aus Deutschland mit dem sie gerade noch im Krieg gelegen hatten - die sich entwickelnde Arbeiterdemokratie nieder. 20.-30.000 „Kommunarden“ wurden bei Racheaktionen erschossen.
1918 ließ eine „sozialdemokratische“ Regierung in Deutschland auf ArbeiterInnen und Matrosen schießen weil sie mehr wollten, als alle paar Jahre ihr Kreuz auf einem Stimmzettel zu machen. In Deutschland, Österreich, Spanien, Ungarn und vielen anderen Ländern verbündeten sich UnternehmerInnen, Kirche und GroßgrundbesitzerInnen mit faschistischen Schlägertrupps und Parteien , um gegen die Organisationen der ArbeiterInnenbewegung vorzugehen. Im Chile der 1970er Jahre hoffte der sozialistische Präsident Allende das Militär zu neutralisieren, indem er General Pinochet ins Kabinett holte. Pinochet wurde dadurch nicht gezähmt, sondern stand 1973 an der Spitze eines Militärputsches. Zehntausende Menschen wurden verfolgt, ermordet oder mussten ins Exil. Auch aktuelle Beispiele zeigen, dass die „Staatsmacht“ nicht „neutral“ oder auf Seiten der „StaatsbürgerInnen“ ist. In Österreich wurden DemonstrantInnen von der Polizei aus der Hainburger Au vertrieben, weil sie gegen das geplante Kraftwerk eintraten. Die Polizei schützt aber nicht die DemonstrantInnen, sondern griff im Fall Stuttgart 21 sogar Kinder- und Jugendliche mit Schlagstöcken und Wasserwerfern an.
Das Bild von der „blutigen Revolution“ stimmt also nicht. In der blutigsten Phase der Französische Revolution (der bedeutensten bürgerlichen Revolution) starben weniger Menschen als in den Hungersnöten zuvor, die das Ergebnis des Feudalismus waren. Und die russische Revolution 1917 ging ohne großes Blutvergießen über die Bühne. Hunderttausende Tote gab es allerdings im folgenden Bürgerkrieg, als Armeen aus 21 Ländern das Land überfielen weil sie das Beispiel eines Landes, in dem der Kapitalismus gestürzt worden war vernichten wollten und hatten Angst vor der weltweiten Signalwirkung. Viele Augenzeugenberichte von Revolutionen in Spanien, Deutschland, Frankreich etc. berichten nicht nur über die freie, solidarische Atmosphäre, sondern auch über den Rückgang der Kriminalität und die Sicherheit, weil die Menschen sich selbst organisierten.
Nicht auf halbem Wege stehen bleiben
1998 kam es in Indonesien zu revolutionären Erhebungen. Studierende, ArbeiterInnen und die Mittelschicht protestierten Monatelang für „Reformasi“. Der Diktator Suharto musste gehen – doch die elenden Lebensumstände blieben ebenso wie die Unterdrückung nationaler Minderheiten und der Einfluss des Militärs. Auch in Ägypten besteht die Gefahr, dass das Militärdie Macht völlig an sich reißt. Die Menschen sind für Demokratie und eine Verbesserung ihres Lebens auf die Straße gegangen. Sie wollen einen Job, eine Zukunft, eine Perspektive. Doch das können und wollen ihnen die neuen Machthaber nicht geben. In Ägypten z.B. steht die (neue=alte) herrschende Klasse, also die Spitzen des Militärs und eine kleine Schicht an KapitalistInnen, in starker Abhängigkeit von Investitionen aus dem Ausland. Nach dem Sturz von Mubarak haben sie umgehend die Proteste für „beendet“ erklärt und sind mit Repression gegen Demonstrationen vorgegangen.
Die Grundfrage ist: Können sich die ArbeiterInnen und die unterdrückten Massen in den arabischen Ländern auf längerfristige Erfolge im Rahmen des Kapitalismus einstellen? Dazu müssten die dort herrschenden Klassen die feudalen Elemente des Landes überwinden. Doch dazu haben sie sich in der Vergangenheit stets als Unfähig erwiesen.
Totgesagte leben länger: Die ArbeiterInnenklasse
Grundlegende demokratische Rechte wie Pressefreiheit, Wahlen und Landverteilung wurden in Europa und den USA durch die „bürgerlichen Revolutionen“, die dem Kapitalismus zum Durchbruch verholfen haben, erreicht. Der russische Revolutionär Leo Trotzki hat Anfang des 20. Jahrhunderts analysiert, dass in jenen Ländern, in denen die kapitalistische Entwicklung verspätet erfolgt ist und die bürgerliche Klasse daher schwach und vom Ausland abhängig ist, diese nicht in der Lage ist, wirkliche Demokratie zu erlangen. Deshalb ist z.B. die Landverteilung in Lateinamerika heute noch so ungerecht wie zu Zeiten des Kolonialismus. In Bürgerkriegsländern wie z.B. der Elfenbeinküste kommen die Anführer beider Kriegsparteien aus der herrschenden Schicht und sind mehr oder weniger mit dem Ausland verbunden. Ihnen geht es um ihre eigene Macht und z.B. nicht darum, den Reichtum des Landes für die Menschen, die dort leben zu nützen. Eine andere Klasse muss diese Aufgaben also übernehmen.
Ein entscheidender Faktor in Tunesien und Ägypten war das organisierte Eintreten der ArbeiterInnenklasse. In Ägypten gab es in den Tagen vor dem Fall Mubaraks (und danach) eine Welle von Streiks, in Tunesien konnten ArbeiterInnen den korrupten Gewerkschaftsbund zwingen, einen Generalstreik auszurufen. In Lybien hingegen ist die ArbeiterInnenklasse noch nicht als solche aufgetreten – auch ein Grund für die schwierige Situation im Land.
Was ist die ArbeiterInnenklasse?
Dieser Begriff darf nicht auf das veraltete Bild eines Stahl- oder Fabrikarbeiters reduziert werden. Er hat nichts mit der Art der Arbeit oder damit zu tun, dass es sich um körperliche Arbeit handelt. Dieser Begriff bezeichnet auch nicht irgendeine schlecht gebildete, unterprivilegierte Schicht. Vielmehr besteht die ArbeiterInnenklasse aus allen Menschen, die kein Kapital haben, von dem sie leben können, also von Job oder Sozialleistungen abhängig sind. Egal ob Billakassiererin, Bauarbeiter oder TechnikerIn, allen ArbeiterInnen (hier unterscheiden wir nicht zwischen “Angestellten“ und „ArbeiterInnen“) ist gemeinsam, dass sie nichts zu verkaufen haben als ihre Arbeitskraft. Zur ArbeiterInnenklasse gehören auch PensionistInnen, Studierende, SchülerInnen, Erwerbslose, prekär Beschäftigte, Scheinselbständige deren sozialer Background in der ArbeiterInnenklasse ist. Zur ArbeiterInnenklasse gehören Menschen unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft, ihrem Aufenthaltsstatus oder ihrer rechtlichen Arbeitssituation.
Aber muss es gleich so radikal sein?
„Kann mensch nicht versuchen den Kapitalismus zu verbessern? Durch Reformen zum Beispiel?“ Einerseits sind Reformen wie die Arbeitszeitverkürzung, das Verbot der Kinderarbeit, die Fristenlösung etc. wichtig. Sie sind allerdings nicht das Ergebnis einer genialen Verhandlungstaktik, sondern von Kampfbereitschaft. Andererseits kann die Regierung nicht auf brutale Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse verzichten. In einer Situation der Krise stoßen selbst begrenzte Forderungen nach Verbesserungen, z.B. nach einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich sofort auf erbitterten Widerstand von Seiten der KapitalistInnen, weil das ihre Profite schmälert. Sie sprengen unter den gegebenen Bedingungen die Grenzen des Systems. Die ArbeiterInnenklasse kann diese Situation aber nicht akzeptieren. Ein letztlich unüberwindbarer Widerspruch. In der portugiesischen Nelkenrevolution 1974 wurde eine Diktatur gestürzt und die linke Regierung führte eine Reihe von sozialen Verbesserungen ein. Heute führt die portugiesische Regierung ein brutales Sparpaket durch. liberale Bourgeoisie, die mit einer Hand Reformen gibt, nimmt sie mit der anderen Hand immer wieder zurück, hielt Lenin fest.
Die Antwort ist also nicht „Reform ODER Revolution“, sondern muss heißen „Reform UND Revolution“. auch wenn MarxistInnen die Begrenztheit von Reformen sehen, sind sie doch die entschiedensten KämpferInnen für Verbesserungen. Denn dafür ist eine Alternative zur kapitalistischen Sachzwanglogik nötig.
Rosa Luxemburg hat erklärt, dass „zwischen der Sozialreform und der sozialen Revolution ein unzertrennlicher Zusammenhang besteht, indem der Kampf um die Sozialreform das Mittel, die soziale Umwälzung aber der Zweck ist.g Sie meint damit, dass - ganz abgesehen von der gegenwärtigen materiellen Verbesserung der Lage der Werktätigen der ständige Kampf für Reformen das Klassenbewusstsein schärfen und eine wichtige Schule für die ArbeiterInnenklasse sein kann. Wenn die Polizei einen Streik angreift, wenn demonstrierende Jugendliche mit Strafen belegt werden, wenn Menschen, die gegen Abschiebung kämpfen kriminalisiert werden – dann zeigt dieser Kampf für Reformen rasch die Grenzen des Systems auf und ist so auch ein wichtiger Lernprozess im Hinblick auf revolutionäre Umwälzung.
Ohne sie gelingt es nicht: Die revolutionäre Partei
Die Menschen am Tahrir-Platz haben ihre Revolution gewonnen – doch nun wird sie ihnen vom Militär gestohlen. Denn es gibt keine Kraft, die Lehren der Vergangenheit einbringt, entschlossen den Kampf weiterführt, die Kräfte bündelt und die nächsten Schritte vorschlägt. In den Revolutionen, die erfolgreich waren, gab es eine solche Kraft - eine revolutionäre Massenpartei. Sie ist die letzte, aber entscheidende, Zutat für einen erfolgreichen Sturz des Kapitalismus.
In Tunesien sind in den letzten Monaten dutzende neuer Parteien entstanden. Es ist gut, sich zu organisieren. Doch die Teilnahme am parlamentarisch-demokratischen Prozess reicht nicht aus, um hohe Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Eine neue Verfassung in Ägypten wird die ungleiche Verteilung des Reichtums nicht beenden.
Wenn es keine revolutionäre Partei gibt dann können andere Kräfte dieses Vakuum füllen. Prokapitalistische oder gar reaktionäre Kräfte (wie z.B. die Mullahs im Iran 1979) können die Revolution in andere Bahnen lenken. Aktuell versucht der islamische Fundamentalismus sich als als Speerspitze revolutionärer Veränderung auszugeben. Die Ereignisse in Nordafrika und dem Nahen Osten haben jedoch belegt, dass die islamistischen Führer ein Teil jenes reaktionären Geflechts sind, welches von den sich entwickelnden Massenbewegungen aufgelöst werden muss.
Hier bei uns – ja ist denn das möglich?
Im 20. Jahrhundert gab es viele Revolutionen. In Frankreich 1968 oder Portugal 1974 gab es Massenparteien der ArbeiterInnenklasse und ein sozialistisches Massenbewusstsein. Aber es fehlte die revolutionäre Partei und die kommunistischen und sozialdemokratischen Parteien haben dem Kapitalismus den Hals gerettet. Dieselbe Aufgabe übernahm die Sozialdemokratie 1918 in Österreich.
Heute deutet vieles darauf hin, dass wir uns auch in Europa und den USA auf neue revolutionäre Situationen einstellen können – nicht nur in der „3. Welt“. Der Kapitalismus befindet sich immer noch in der schwersten Wirtschaftskrise seit den 30er Jahren. Die Streiks und Generalstreiks in Griechenland, Frankreich, Spanien, Portugal und Irland, aber auch in den USA, sind Vorboten der Periode die vor uns steht. Die fehlenden Zutaten – breite ArbeiterInnenparteien und sozialistisches Bewusstsein – können in Kämpfen entstehen. Eine wichtige Vorbereitung darauf ist der Aufbau einer revolutionären Partei – das ist die Arbeit des CWI.
Und wo soll es hingehen?
Viele sagen: Revolution – und was dann? Aufgrund der Erfahrung mit dem Stalinismus („Ostblock“) verharren viele in der Angst, eine Systemumwälzung könnte vielleicht noch Schlimmeres bringen.
Der Kapitalismus muss ersetzt werden durch ein System, das sich an den Bedürfnissen der Menschen richtet und eine demokratische Produktionsweise als Grundlage hat. In einer wirklich sozialistischen Gesellschaft werden Technologie, Innovation, Forschung, Bildung und Ressourcen zugunsten aller verwendet. Sobald es nicht mehr auf Profite sondern auf die Bedürfnisse aller ankommt, erledigt sich alles, was derzeit Menschen und Umwelt schadet. Es könnte endlich nachhaltig, sinnvoll, ökologisch und zugunsten aller gearbeitet werden. Anstelle eines anarchischen Marktes tritt eine demokratisch geplante und kontrollierte Wirtschaft. Die Selbstverwaltung in Argentinien, aber sogar bei den Unibesetzungen 2009 zeigen, dass Menschen die Wirtschaft selbst organisieren können. In Ägypten haben sich im Zuge der Revolution Komitees gebildet, die Fragen der täglichen Versorgungen organisiert haben. Genauso würden Komitees in Betrieben, Nachbarschaften, Schulen etc. die Produktion demokratisch verwalten und kontrollieren. Und die demokratischen Strukturen, die in diesen Prozessen entstehen sind die Grundlage für eine echte, demokratische sozialistische Gesellschaft. Nicht wie in den stalinistischen Staaten eine Bürokratie würde entscheiden. Sondern die Beschäftigten mit auf allen Ebenen gewählten Vertretern, die jederzeit wähl- und abwählbar sowie rechenschaftspflichtig sind, nicht mehr verdienen als ihre KollegInnen und keinerlei Privilegien haben.