Di 22.02.2011
2007 klassierte die Weltbank Ägypten als die für Investoren vorteilhafteste Wirtschaft. Die Banken und Investoren leckten sich beim Gedanken an die steigenden Profite die Lippen. Im Juni 2008 hielt die Investitionsbank Belton Financial eine Veranstaltung zum Thema ‘die zukünftigen Trends in Ägypten‘ im exklusiven Londoner Mayfair-Hotel ab. Hier trafen sich viele führenden Geschäftsleute Ägyptens, der Außenhandelsminister und britische Finanziers.
Die Auslandsinvestitionen in Ägypten stiegen von 407 Millionen Dollar im Jahr 2004 auf elf Milliarden im Jahr 2008. Das Wirtschaftswachstum war mit etwa sieben Prozent eins der höchsten in der Welt. Die Veranstalter der Konferenz waren optimistisch, der Aufschwung werde anhalten. “Die Fundamente des ägyptischen Aufschwungs bleibt robust.“
Mit den ‘Fundamenten‘ meinten sie die Privatisierung, die Hungerlöhne, die Kürzung der Lebensmittel-Subventionierung, der Erziehung und des Wohnungsbau sowie die andauernde Unterdrückung jeder Opposition. Zwei Wochen bevor sich die Bankiers in London trafen, protestierten Tausende in der Küstenstadt El-Borollos, nachdem der Gouverneur subventionierte Mehlrationen statt an Individuen an Bäckereien liefern ließ. Gegen die Demonstranten wurden in altbekannter Weise Tränengas und Knüppel eingesetzt. Der Gouverneur bemerkte arrogant, diese Bande Jugendlicher habe man behandelt wie sie es verdienten.
Aber die ägyptischen ArbeiterInnen haben gegen die Hungerlöhne und die unhaltbaren Lebensbedingungen gekämpft. Zwei Millionen ArbeiterInnen haben seit 2004 an 3.000 Streiks und Kampfaktionen teilgenommen, die bedeutendste Bewegung der ArbeiterInnenklasse des Mittleren Ostens seit Jahrzehnten. Trotz des Verbots wuchs die Zahl der Streiks von 222 im Jahr 2006 auf 650 in den ersten neun Monaten des Jahres 2007 an und erfasste 200.000 ArbeiterInnen. Im August 2007 allein gab es 100 Arbeitskonflikte. Das Arbeitsministerium überwacht alle Formen der Aktivitäten der offiziellen ägyptische Gewerkschaften und der Unternehmer.
Der Streik der Mahalla-TextilarbeiterInnen
Bis zum Dezember 2006 gab es nur kleine und isolierte Streiks, bis die Ghazl al-Mahalla Textilfabrik – mit 28.000 Arbeitern die größte des mittleren Ostens – zum Zentrum der Arbeitskämpfe wurde. Ein Streik und eine Betriebsbesetzung zwangen die Bosse zu großen Zugeständnissen, die Arbeiterinnen spielten eine bedeutende Rolle. Fünftausend ArbeiterInnen zerrissen im März 2007 ihre Mitgliedskarten der offiziellen Staatsgewerkschaft und eine neue Organisation entstand, die TextilarbeiterInnen-Gewerkschaft.
Im September 2007 hatten die ArbeiterInnen noch immer nicht den vereinbarten Zuschlag von 150 Tageslöhnen bekommen. Eine Massenversammlung von 10.000 ArbeiterInnen beschloss einen neuen Streik und eine Betriebsbesetzung. Trotz der Bedrohung durch Polizei, Armee und Verhaftungen schliefen 10.000 bis 15.000 ArbeiterInnen auf dem Werksgelände. Tagsüber waren über 20.000 ArbeiterInnen anwesend, sie organisierten einen eigenen Sicherheitsdienst und die Essenslieferungen.
Die Streikenden verlangten Lohnerhöhungen zum Ausgleich der Inflation, erschwingliche Mieten und den Rücktritt der Chefs der Staatsgewerkschaft. “Wir fordern einen Wechsel in der Struktur und der Hierarchie der Gewerkschaften dieses Landes.“ sagte Mohammed El Attar, ein Streikführer, “Die Gewerkschaften sind völlig falsch organisiert, von oben nach unten. Es sieht so aus als seien unsere Vertreter gewählt worden, aber in Wirklichkeit wurden sie von der Regierung ernannt.“
Die ArbeiterInnen der Kafr al Dawwar Textilfabrik in der Nähe von Alexandria machten für mehrere Stunden einen Solidaritätsstreik und ArbeiterInnen der Getreidemühlen demonstrierten. In ganz Ägypten sammelten ArbeiterInnen Geld. Nach einer Woche erreichten die Mahalla-ArbeiterInnen einen überwältigenden Sieg. Viele ArbeiterInnen erkannten den politische Charakter des Streiks, auf einer großen Versammlung gab es Plakate gegen Mubarak und Parolen: ‘Wir wollen nicht von der Weltbank regiert werden! Wir wollen nicht vom Kolonialismus beherrscht werden!‘
Die Gewerkschaft der Steuereintreiber entsteht
Während des Sommers 2007 verbreiterte sich die Bewegung um Büroangestellte, Beamte und mittelständische Berufe. Die weitgehendste Aktion war im Dezember 2007 die der 55.000 SteuereintreiberInnen, kommunale Angestellte zum Einsammeln der Grundsteuer. Nach drei Monaten Kampf und einem 13-tägigen Sitzstreik vor dem Finanzministerium von täglich 5.000 Angestellten endete die Bewegung mit einem großen Erfolg. Das Streikkomitee setzte seine Tagungen fort und ein Jahr später gründete es Ägyptens erste unabhängige Gewerkschaft. Abd El-Kadr, der stellvertretende Generalsekretär der neuen Gewerkschaft, sagte 2009 dem CWI: “Seit den zwanziger Jahren gab es in Ägypten keine freien Gewerkschaften. Die Idee der Regierung war es, Gewerkschaften zu gründen, um die ArbeiterInnen unter Kontrolle zu halten und die Bildung unabhängiger Gewerkschaften von Anfang an zu verhindern. Sie fürchten sich vor weiteren Gründungen, sie haben Angst, eine Revolution werde ausbrechen.“
Der Generalstreiks-Appell vom 6. April 2008
Im Januar 2008 stellten die ArbeiterInnen von Mahalla eine Liste neuer Forderungen auf. Neben höheren Löhnen und Prämien forderten sie die Erhöhung des nationalen Mindestlohns von 35 Ägyptischen Pfund auf 1.200 Pfund (knapp 900 €) monatlich. Das hatte es seit 1894 nicht gegeben! Falls ihre Forderungen bis zum 6. April nicht erfüllt werden sollten, kündigten sie einen Streik an. Mehrere Wochen später rief eine Gruppe von Anti-Mubarak-AktivistInnen zu einem Generalstreik für diesen Tag auf. Der Aufruf wurde nicht von ArbeiterInnengruppen, sondern von kleinen Oppositionsparteien unterstützt, Intellektuellen, einigen Jugendlichen und Radikalen. Der Aufruf zum Generalstreik verbreitete sich in Windeseile über das Internet und SMS. Etwa 65.000 Leute unterstützten einen Aufruf einer Facebook-Seite, das waren vor allem kleinbürgerliche Jugendliche, die von der Macht der ArbeiterInnenklasse inspiriert wurden.
Das Innenministerium warnte, dass Gewalt angewendet werden würde und dass die Leute nicht auf die Straße gehen sollten. Tausende von ArbeiterInnen streikten, aber es kam zu keinem Generalstreik. In Mahalla sagten einige ArbeiterInnenführerInnen, die im vorangangenen Streik eine führende Rolle gespielt hatten, den Streik ab, nachdem die monatlichen Lebensmittelzuschüsse am 5. April verdoppelt worden waren. Der Streik sollte um 7.30 Uhr anfangen, aber um drei Uhr drangen hunderte von Polizisten in die Fabrik ein und verhafteten alle, die versuchten zu reden. Trotzdem verweigerten viele die Arbeit.
Am folgenden Tag, dem 7.April, kam es in Mahalla zu Kämpfen mit der Polizei. Um vier Uhr begannen 2.000 eine Demonstration, sie wuchs zu mehreren Manifestationen mit 40.000 bis 50.000 TeilnehmerInnen an. Rufe gegen die Regierung wurden laut und die ArbeiterInnen forderten die Freilassung der Verhafteten vom Vortag. Man berichtete, dass Kinder wie während der Intifada in Palästina Steine gegen die Offiziere und Soldaten der Regierungsmacht warfen und sangen: “Die Revolution ist da, die Revolution ist da!“
Am folgenden Tag kam Ministerpräsident Ahmed Nazif in die Fabrik und verkündete eine Prämie von 30 Tageslöhnen. “Wir wissen wie Mahalla leidet, ihr habt viele Krisen erlebt“; erzählte er den ArbeiterInnen. Das Regime schwankte zwischen Repression und Zugeständnissen, immer wenn sich die ArbeiterInnenbewegung wehrte. Nach den Ereignissen von Mahalla war das Regime nicht mehr so sicher, gegen die ArbeiterInnen genauso repressiv vorgehen zu können wie gegen Studenten, lokale oder demokratische Bewegungen.
Die Jugendbewegung des sechsten April, eine der Initiatoren des ‘Tags des Zorns‘ vom 25. Januar 2011, wählte ihren Namen nach den Ereignissen von Mahalla. Sie versuchte den Erfolg am 4. Mai 2008 zu wiederholen, dem 80. Geburtstag von Mubarak. Doch an diesem Tag konnte sie keine größere Bewegung starten, Straßendemonstrationen wurden von den ‘Sicherheitskräften‘ verhindert.
Wir brauchen unabhängige ArbeiterInnenorganisationen
LehrerInnenstreiks im Jahr 2009 machten Schritte hin zur Gründung einer anderen unabhängigen Gewerkschaft, aber es dauerte bis zum Dezember 2010 bis eine zweite unabhängige Gewerkschaft der GesundheitsarbeiterInnen gegründet wurde. Am 30. Januar 2011 verkündeten VertreterInnen der beiden unabhängigen Gewerkschaften auf dem Tahir-Platz die Bildung einer neuen Föderation der Ägyptischen Gewerkschaften. Es ist noch unklar, wie stark sie ist, aber sie hat das Potential schnell zu wachsen.
Die Ereignisse der letzten Jahre zeigen ein steigendes Selbstvertrauen der ägyptischen ArbeiterInnen um angemessenen Lohn und Lebensstandard zu kämpfen. Regelmäßige Massenversammlungen und eine demokratisch gewählte Führung waren ein Bestandteil der Organisationsform der Streiks sowohl der ArbeiterInnen von Mahalla als auch der SteuereintreiberInnen, andere ArbeiterInnen haben Solidaritäts-Aktionen gemacht. Das Zögern und die Verwirrung des Regimes, wie es diesen Kämpfe begegnen sollte, hat das Selbstvertrauen der ArbeiterInnen und anderer Schichten der Bevölkerung gesteigert, einschließlich des Kleinbürgertums und besonders der Jugend.
Jetzt kommt es darauf an, unabhängige Gewerkschaften an jedem Arbeitsplatz zu gründen und sie auf nationaler Ebene zu vernetzen mit gewählten Führern, die durchschnittliche Arbeiterlöhne bekommen.
Die internationale Solidarität der ArbeiterInnen kann zum Aufbau unabhängiger Gewerkschaften in Ägypten einen großen Beitrag leisten. Aber die ägyptischen AktivistInnen sollten auf der Hut sein vor den rechten bürokratischen Gewerkschaftsspitzen des Westens, die pro-kapitalistische und bürokratische Strukturen nach eigenem Muster in Ägypten schaffen wollen. Sie würden eine Barriere bilden für die Entwicklung kämpferischer unabhängiger Vereinigungen.
Die ArbeiterInnen brauchen die unabhängigen Gewerkschaften um die Übernahme der Betriebe durch sie selbst zu organisieren. Die Geschäftsbücher sollten geöffnet werden um zu überprüfen, wohin die Profite geflossen sind. Die demokratische Kontrolle der ArbeiterInnen würde es erlauben, die Produktion zu planen und dem öffentlichen Dienst zu gestatten, die Bedürfnisse der Werktätigen, ihrer Familien und der Armen zu befriedigen.
Geführt von einer Regierung der ArbeiterInnen und Armen würde das die Grundlage einer sozialistischen Umgestaltung Ägyptens legen, die die massiven Ungleichheiten und die Unterdrückung beenden. Das würde ähnlichen Bewegungen in Nordafrika, dem Mittleren Osten und weltweit inspirieren.