Di 21.01.2020
Die Lage in Rojava ist äußerst ernst. Das kurdische Gebiet im Norden Syriens wird seit Herbst von der türkischen Armee angegriffen. Über 200.000 sind auf der Flucht, Schulen, Krankenhäuser und öffentliche Einrichtungen zerstört. Gefangene IS Kämpfer*innen konnten flüchten und vom türkischen Staat unterstützte Jihadisten morden, foltern und vergewaltigen. Für Erdogan ist klar: Jeglicher Ansatz eines kurdischen Staates soll endgültig zerstört werden. Nicht mal ein Völkermord kann ausgeschlossen werden. Vor dem Hintergrund des Bürger*innenkrieges erschien Rojava als der einzige Lichtblick in Bezug auf demokratische Rechte, Gleichberechtigung und Frieden.
Zwar kämpfen die Kräfte von PYD, YPG und YPJ tapfer gegen die Invasion, doch wird dieser Krieg angesichts der Feuerkraft des türkischen Militärs militärischen Mitteln alleine nicht zu gewinnen sein. Dass sich die Führung der PYD für eine Zusammenarbeit mit dem Assad Regime entschieden hat und die syrische Armee zur Abwehr der türkischen Invasion durch das Gebiet marschieren lässt, wirkt zunächst nachvollziehbar. Nicht zum ersten Mal seit Ausbruch des Bürger*innenkrieges gehen die kurdischen Kräfte ein Zweckbündnis mit den Herrschenden in der Region ein. Kurzfristig mag dies taktische Vorteile verschaffen, langfristig wird sich der Teufelskreis jedoch weiter verschlimmern: Zwar mögen die Truppen Assads einen türkischen Einmarsch aufhalten, doch wird Assad bei der ersten Gelegenheit selbst alles daran setzen, Rojava zu zerstören. Außerdem erhöht ein Bündnis mit den Schlächtern in der Region die Gefahr, dass die kurdische Bewegung bei weiten Teilen der restlichen Bevölkerung nicht als Alternative zu Assad und Co angesehen wird. Die Unterstützung der USA für Erdogan oder die Waffenlieferungen aus der EU zeigen, dass auch die „demokratischen“ imperialistischen Kräfte die Kämpfer*innen von YPG und YPJ bestenfalls als Diener für ihre Interessen sehen, welche bei der ersten Gelegenheit wieder fallen gelassen werden können.
Die verschiedenen Teile der Kapitalist*innen in der Region und ihre imperialistischen Unterstützer*innen haben lediglich ein Interesse die Region möglichst profitabel auszubeuten. Dabei sind ihnen Menschenrechtsverletzungen, Diktatur, oder auch religiöser Extremismus und ethnische Spaltung äußerst gerechte Mittel. Der Hass auf die Kurden wurde – egal ob in Syrien, der Türkei, dem Irak, oder dem Iran – stets benutzt, um Klassengegensätze zu verschleiern und die kapitalistische Herrschaft zu sichern. Dennoch, oder vielmehr gerade deswegen, sind die wirklichen Verbündeten im Kampf um Rojava die Arbeiter*innenklasse und alle Unterdrückten in der gesamten Region.
Gemeinsame Kämpfe gegen Korruption, Diktatur und Armut können die Grenzen überwinden und zeigen, dass die Herrschende Klasse – nicht die Kurd*innen und ihr Wunsch nach Unabhängigkeit – schuld am Leid der Millionen im Nahen Osten sind. Noch vor wenigen Monaten hätte solch ein Gedanke unrealistisch gewirkt. Doch die Massenbewegungen im Libanon, im Irak und im Iran zeigen, dass religiöse und ethnische Spaltung überwunden werden kann, da die Interessen von Arbeiter*innen und Armen dieselben sind. In all diesen Ländern kämpfen die Massen gegen Armut und Diktatur. Gerade im Iran spielen Kurd*innen eine wichtige Rolle in der Bewegung gegen das Regime. Jeder Sieg dieser Bewegungen wäre ein Sieg für Rojava, und jede Unterstützung seitens der PYD für diese Bewegungen würde deren Solidarität mit Rojava stärken. Auch die Schwesterorganisationen der SLP in der Türkei und in Israel/Palästina versuchen nach Kräften, Widerstand innerhalb der Arbeiter*innenklasse gegen Ausbeutung, Diktatur, den Krieg gegen die Kurd*innen, Rassismus und religiöse Spaltung in der Region zu organisieren. Dabei verbinden sie diesen Kampf immer mit der Notwendigkeit des Sturzes des Kapitalismus und des Aufbaus einer gleichberechtigten, demokratischen sozialistischen Gesellschaft. Deswegen braucht es auch eine internationale sozialistische politische Kraft, die in der Lage ist, ein solches Programm in die verschiedenen Bewegungen hineinzutragen.
Rojava muss eine wirkliche, also sozialistische, Alternative darstellen, um ein Vorbild für die kämpfenden Massen im Nahen und Mittleren Osten zu sein. Es gibt keine „solidarische“ Wirtschaft und Gesellschaft auf kapitalistischem Boden. Der Kapitalismus ist das System der Erdogans und Assads. Um demokratische Rechte, Gleichberechtigung und die rechte nationaler Minderheiten zu sichern braucht es einen internationalen Kampf von kurdischen, syrischen und türkischen Arbeiter*innen für eine sozialistische Gesellschaft.