Mo 10.12.2018
In Mar del Plata, normalerweise eine Tourismusdestination an der Küste Argentiniens, wurde vor zwei Jahren die damals 16-jährige Lucía Perez auf grausamste Weise ermordet. Die Jugendliche wurde nach dem Kontakt mit drei deutlich älteren Männern unter dem Einfluss von Drogen tot und mit den Spuren von sexuellem Missbrauch aufgefunden. Zwei der drei mutmaßlichen Täter wurden vor wenigen Tage, zeitgleich mit dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen (25.11.), wegen Drogenbesitz mit kommerziellen Zielen verurteilt, aber vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs und Femizid (Femizid: Mord an einer Frau) freigesprochen. Der dritte mutmaßliche Komplize wurde gänzlich freigesprochen. Das Gericht beschloss, dass Lucía Perez nicht aufgrund von sexueller Gewalt, sondern an den Folgen des Drogenkonsums starb und ihr angeblich starker Charakter und ihre Zuneigung zu älteren Männern beweisen würde, dass der sexuelle Verkehr mit ihrer Zustimmung stattgefunden hätte.
Welle von Protesten
Gegen diese Schuldumkehr, die ihr die Schuld für ihre Ermordung zuschob, haben sich unzählige ausgesprochen. Sowohl ihr Tod vor zwei Jahren wie dieses Gerichtsurteil, das Lucía für viele zum zweiten Mal ermordet, lösten einen öffentlichen Aufschrei aus. Der patriarchale und sexistische Charakter des herrschenden bürgerlichen Justizsystems wird kritisiert. Mit dem Hinweis, dass das Urteil und der grausame Mord alle (vom „Patriarchat“ unterdrückte) betrifft, schlossen sich im ganzen Land massenhaft Feminist*innen zusammen, um ihren Unmut auszudrücken. Gefordert wird dass die Justiz sexistische Taten bestrafen und durch ihre Duldung nicht weiter fördern darf. Viele kritisierten zu Recht das dahinter stehende kapitalistische System dass Frauenunterdrückung braucht und benützt. Denn es ist letztlich naiv zu glauben, dass ein bürgerlich-kapitalistisches Justizsystem das in einem kapitalistischen System agiert ohne Sexismus auskommt oder diesen wirklich umfassend bekämpfen würde.
Neben Demonstrationen wurde am 5. Dezember zu einer „feministischen Versammlung“ aufgerufen, bei der auch Lucía Perez Mutter teilnahm. An diesem Treffen mit Massenbeteiligung beschlossen die Teilnehmer*innen, für Mittwoch den 5. Dezember zu einem Frauenstreik aufzurufen und Demonstrationen im ganzen Land zu veranstalten, um Gerechtigkeit für Lucía Perez zu fordern. Schon kurz nach ihrem Tod im Oktober 2016 wurde ebenfalls ein Streik ausgerufen, der erste landesweite Frauenstreik. Damals legten Frauen für eine Stunde ihre Arbeit nieder und schlossen sich am späten Nachmittag zu Demonstrationen im ganzen Land zusammen.
Am 5. Dezember demonstrierten dann ca. 20.000 Menschen unter dem Motto „Wir sind alle Lucía Perez“ in Buenos Aires vom Tribunales, wo das Justizministerium ist, zum Plaza de Mayo. Ein Foto von Lucía Perez war dabei allerseits präsent. Zahlreiche verschiedene Organisationen waren anwesend – von linken Parteien über peronistische Organisationen, Studierendenvertretungen bis zu Gewerkschaften und vielen anderen. Viele waren in Schwarz gekleidet, um den „Zweiten Mord“ an Lucía Perez zu betrauern. Gerechtigkeit wurde gefordert und das Gerichtsurteil wurde angegriffen, allerdings ließ diese Minimalforderung viel Raum für verschiedene Ideologien und Menschen unterschiedlicher Meinungen. So fanden auch ein oder zwei hellblaue Tücher, die das Symbol der Abtreibungsgegner*innen sind, ihren Weg in die Demonstration. Am Ende der Demo wandten sich in einer Kundgebung die Mutter und der Bruder von Lucía Perez an die Masse und bedankten sich herzerwärmend für die Unterstützung. Lucía sei nur einer von vielen Fällen und sie sind stellvertretend für viele andere da. Nora Cortiñas von den Madres de la Plaza de Mayo, die Mütter vom Plaza de Mayo die in der letzten Militärdiktatur gegen das Verschwinden ihrer Kinder protestierten und so internationale Bekanntheit erlangten, sprach ebenfalls.
Es geht um viel(e) mehr!
Der Fall zeigt dass es konkrete Forderungen und Ziele braucht, damit Veränderungen erreicht werden können. Für reaktionäre Ideen ist kein Platz! Ganz bewusst und direkt wird von vielen betont das dieser Fall seine Wurzeln im System hat, dass dies kein Einzelfall ist. Die aktuelle Gesetzgebung wurzelt tief in einer menschenverachtenden kapitalistischen Logik zu der Frauenunterdrückung, Ausbeutung und Sexismus untrennbar dazu gehören. Gewalt an Frauen und LGBTQI+ werden so nicht nur zugelassen sondern letztlich sogar unterstützt. Und das betrifft letztlich alle! Bis zum 10. November 2018 wurden 216 Femizide, Morde, die explizit wegen dem Frausein passieren, registriert, so das Observatorio MuMaLa (Mujeres de la Matria Latinoamericana). Die Dunkelziffer ist dabei noch wesentlich höher, da viele Morde – wie der Fall von Lucía Perez zeigt – nicht als Femizid kategorisiert werden.
In Argentinien gab es 2015 einen massenhaften Aufschrei auf Grund von Gewalt an Frauen und Femiziden. Der Slogan „Ni Una Menos“ (keine weniger) wurde überall sichtbar. Mit der diesjährigen Massenbewegung für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs (die aber am 8. August vom Senat abgelehnt wurde) bekam die feministische Bewegung des Landes, die grüne Flut (marea verde), wie sie auch genannt wird, weiteren massenhaften Zulauf – vor allem bei Jugendlichen. Obwohl in den letzten Jahren viel erreicht wurde, steht noch ein weiter Weg bevor, um die Gleichberechtigung von Frauen und LGBTQI+ zu erreichen. Den können wir nur gemeinsam und mit einen klaren Blick Richtung Sozialismus beschreiten. Denn der Kapitalismus stützt sich auf die Unterdrückung von Frauen und LGBTQI+. Ni Una Menos! Vivas y Libres nos queremos – Wir wollen leben und frei sein!