Di 27.11.2018
[Zum Schutz der Person wurde das Interview anonym geführt]
Zuallererst, wie war der Streik gestern?
Für mich war es heute der erste Streik meines Lebens. Für viele andere auch. Mein Eindruck war, dass es viele der jungen waren, die streiken. Von vielen älteren hört man "Wir haben 2003 gestreikt. Hätten wir damals gewonnen, wären wir heute schon in Pension." Insgesamt war die Stimmung durchmischt. Bei manchen war es Selbstverständlichkeit und Entschlossenheit, das waren natürlich auch die, die mehrheitlich gestreikt haben. Bei anderen war es eher Unsicherheit bis Gleichgültigkeit. Aber natürlich war es beeindruckend zu wissen, dass von einer Minute auf die andere kein Zug mehr fährt, weil wir für unsere Rechte und Gehälter kämpfen. Das zeigt was wir für eine Kraft haben und wie wichtig unsere Arbeit ist, um das ganze System am Laufen zu halten. Wie man heute gesehen hat kann dieses System aber auch ganz schnell zum Stehen gebracht werden.
Wie ist der Streik dann abgelaufen?
Tatsächlich stehen in den meisten Dienststellen zwar alle Räder still, die Mitarbeiter*innen aber auch. Ein Kollege war bis vor kurzem noch Leiharbeiter, sein Team hat nicht gestreikt. Er hat gemeint: "Ich bin noch nicht lange angestellt, soll ich mich jetzt alleine hinstellen während die anderen hackeln? Außerdem ist das eh kein Streik. Schauts mal nach Deutschland, Spanien oder Frankreich. Dort heißt streiken kämpfen, nicht herumstehen." Anstatt sichtbare Aktionen zu machen, sitzen die meisten die Zeit ab. Es gibt keine gemeinsame Versammlungen und Diskussionen. Die Betriebsräte geht zwar mit Teilnahme-Listen herum, aber selbst sie wissen eigentlich nicht, wie es weiter gehen soll. Jetzt verhandelt die Gewerkschaftsführung halt mal weiter. Die Weisung von oben war sich am Streikposten "ruhig verhalten". Die Stimmung ist aber bei vielen anders. "Nächstes Mal nehm ich Pyrotechnik mit und wir malen ein Transparent, das macht ja so kein Spaß", hat ein junger Arbeiter gemeint.
Und wie geht es jetzt weiter?
Ich denke in allen Dienststellen wirst du eine Mehrheit finden, die bereit ist weiter zu gehen und den begonnen Kampf Ende zu kämpfen. Ich glaube aber auch, dass, wenn wir wirklich gewinnen wollen, die Menschen in den Betrieben und Dienststellen auch wirklich miteinbezogen werden müssen. Bis kurz vor 12 wusste eigentlich niemand, ob jetzt gestreikt wird oder nicht. Weil halt in den Medien nichts von einer Einigung gestanden ist haben viele von selber gesagt, so jetzt geht’s los.
Klar ist, dass die Messlatte hoch ist. Meiner Meinung nach ist alles unter 4% ein Gesichtsverlust und ein fauler Kompromiss. Ein Kollege hat heute richtig gesagt: „Wenn du dir anschaust, um wie viel die Dinge, die man im alltäglichen Leben so braucht - und nein, das sind nicht irgendwelche riesen Fernseher - wirklich teurer werden, dann sollten wir eigentlich 7% oder mehr verlangen. Angesichts der Härte des Managements, wird das natürlich schwierig. Aber die Gewerkschaftsführung hat sich in eine Situation manövriert, wo ihr eine Lohnerhöhung wie bei den Metaller*innen keiner als Sieg abkauft. Wenn die Eisenbahner*innen also wirklich gewinnen wollen, wird die Gewerkschaft wohl zu einem weiteren und vor allem längeren Streik aufrufen und den auch vorbereiten müssen.
Der würde dann aber tatsächlich den Alltag des öffentlichen Lebens massiv betreffen...
Natürlich, aber die meisten von den Entschlossenen meinen auch, dass das gut so ist. Die Eisenbahner*innen streiken ja nicht nur für sich und ihre Familien, sondern auch für die Fahrgäste – nicht gegen sie. Tausende von Menschen benutzen täglich und meist ohne Probleme die Bahn, Verspätungen und Ausfälle halten sich im Vergleich zu anderen Ländern in Grenzen. Aber damit dieser Betrieb aufrecht erhalten werden kann braucht es gut bezahlte Arbeiter*innen, die genügend Freizeit und genug Geld zum Leben haben. Aber vor allem braucht es auch mehr Personal, das an vielen Orten fehlt. Ein nächster Streik müsste meiner Meinung nach sehr wohl den Pendelverkehr betreffen, aber auch nur wenn genügend Leute an den Bahnhöfen sind, um die Situation zu erklären. Der Rückhalt in der Bevölkerung ist groß, an vielen Dienststellen haben Leute ihre Solidarität ausgedrückt. Die, die wütend sind, sind halt normalerweise lauter, und die die lauter sind, wirken als wären sie mehr. Aber in der Zeitung steht, dass über 60% die Streiks unterstützen und den Eindruck haben die Eisenbahner*innen selber auch. Es sollte also eigentlich weiteren Kampfmaßnahmen nichts im Wege stehen.
Was kann man für den nächsten Streik von heute lernen?
Also zuallererst einmal, müssen die Beschäftigten besser informiert und klare Ansagen gemacht werden. Wenn ein Streik angekündigt ist, dann streiken wir, Punkt. Die spontane Verhandlungsrunde zwei Stunden vor Streikbeginn war vollkommen unnötig. Im Endeffekt hat dadurch nur das Management mehr Verwirrung stiften können. Es kann nicht sein, dass ein Lokführer kurz vorm angekündigten Streikbeginn in der Station steht und nicht weiß, ob jetzt gestreikt wird oder nicht und ob er losfahren soll oder nicht.
Dann glaube ich sollte jetzt damit begonnen werden, dass sich die Beschäftigten selbst einbringen können. Es ist irgendwie komisch: die Gewerkschaftsführung verhandelt zwar für uns und ruft zum Streik auf, wir wissen aber nicht mal was unsere genauen und konkreten Forderungen sind. Es wirkt als würden sie schnippen und wir müssten parat stehen. Als wären wir ihr Sprachrohr und nicht umgekehrt. So sollte es aber nicht sein. Es geht ja schließlich um unsere Gehälter, also sollten wir diesen Kampf und auch die Forderungen aktiv mitgestalten können. Das würde aber dann auch heißen, dass die Beschäftigten durch Abstimmungen selber entscheiden müssen: akzeptieren wir ein Angebot oder nicht?
Also eine Urabstimmung?
Ja, genau! Ob uns das gelingt ist natürlich jetzt mal offen, es bleibt aber sicherlich spannend! Ich hoffe nicht, dass es zu einen faulen Kompromiss kommt, sondern dass wir am Ende des Tages mit einem Sieg und viel Selbstvertrauen aus dieser Auseinandersetzung raus kommen. Ich denke, dass eine solche Entwicklung eine Signalwirkung auf alle Branchen in Österreich hätte. Es geht ja nicht nur darum, dass wir Eisenbahner*innen mehr verdienen, sondern dass die Löhne allgemein endlich mal steigen.