Mo 08.01.2018
Es ist bezeichnend, dass die landesweiten Demonstrationen im Iran in Mashhad, der zweitgrößten Stadt des Landes, ihren Anfang nahmen, wo viele jetzt bankrotte Finanzhäuser ihren Hauptsitz hatten und deren Zusammenbruch bereits zu Protesten im ganzen Land geführt hatte.
Den Hintergrund für die jüngste Pleite-Welle von Finanzhäusern bildet die sich lang hinziehende ökonomische Krise, unter der die iranische Wirtschaft schon lange leidet. Der Berater des iranischen Präsidenten hat die sechs schwerwiegendsten Folgen der Krise aufgelistet, für die das Regime bisher nicht in der Lage war eine Lösung anzubieten: Trinkwasservorräte, Umwelt, Rentenkassen, Landeshaushalt, Bankensystem und Erwerbslosigkeit.
In den letzten beiden Jahrzehnten war das Wachstum der Banken und die Zunahme ihrer Dominanz über die Wirtschaft ein ganz augenscheinlicher Aspekt in der ökonomischen Entwicklung des Landes. Diese Dominanz hat allerdings zu größeren Problemen geführt. Zunächst einmal haben die Banken wie Blutsauger am Körper der Ökonomie gewirkt. Die Zinsen im Land sind sehr hoch. Die Banken geben Zinsen von über 20 Prozent auf Geldeinlagen und nehmen noch höhere Sätze auf Kredite, die sie selbst vergeben. Durch diese Zinspolitik sind mittlere Industriebetriebe stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Ein Großteil der Branche leidet infolge dieser hohen Zinssätze unter fehlenden Finanzressourcen. Vor allem nach Inkrafttreten der internationalen Sanktionen gegen den Iran im Zuge des Konflikts über das Atomprogramm des Landes sind viele dieser Betriebe pleite gegangen.
Vor kurzem fasste die Zentralbank den Entschluss, die Zinsen um ein paar Prozentpunkte zu senken. Inwieweit diese Politik erfolgreich sein würde, konnte aber niemand sagen, da die Banken geschickt darin sind, sich Schlupflöcher zu suchen und Tricks anzuwenden, um Zinsen zu den alten Sätzen zu kassieren.
Im Zuge der Revolution von 1979 sind die Banken im Iran fast vollständig verstaatlicht worden. Während des Kriegs mit dem Irak von 1980 bis 1988 wurden die Banken von der Regierung genutzt, um das Haushaltsdefizit zu bewältigen. Die Schulden der Regierung bei den Banken stiegen über die Jahre kontinuierlich an, so dass die Regierung heute mit 2.200.000 Milliarden Rial (55 Milliarden US-Dollar) bei den Banken in der Kreide steht.
Nach dem Krieg begann das Land mit der Wiederbelebung der Wirtschaft, indem die Öl- und Rohstoff-Exporte erhöht wurden. Anfang der 2000er Jahre erlebte der Iran einen relativen Wirtschaftsboom, der vor allem in der Baubranche zu spüren war. Der lukrative Immobilienmarkt bewog die Banken zu großen Investitionen in diesem Bereich. Darüber hinaus erlaubte die Regierung die Gründung von Privatbanken und sogenannter Finanz- und Kreditinstitutionen.
Der Unterschied zwischen den Banken und diesen Institutionen besteht darin, dass letztere nicht dazu verpflichtet waren, einen bestimmten Kapitalanteil als Sicherheit bei der Zentralbank zu hinterlegen. Die Zentralbank hält diese Einlage, um die Verpflichtungen der Banken gegenüber ihren KundInnen zu garantieren. Hinzu kommt, dass die Institutionen freie Hand bei der Festlegung ihres Zinsrahmens haben. Im Wettbewerb mit den Banken nahmen einige von ihnen irrsinnige Zinssätze von 29 Prozent!
Die Gier der Banker
Die neu gegründeten „privaten“ Banken und Institutionen gehören zu verschiedenen Interessengruppen und Organisationen. Folgt man den Angaben eines offiziellen Vertreters, so hatte in den frühen 2000er Jahren jede Organisation beschlossen, ihr eigenes Bankhaus und ihre eigene Finanzinstitution zu eröffnen. Bei vielen der GründerInnen dieser Institutionen handelt es sich um korrupte BeamtInnen aus den Reihen der Sicherheitskräfte und/oder des Militärs oder aus dem Bürokratie-Apparat des Regimes.
In den 2000er Jahren legten sowohl die Banken als auch die Finanzinstitutionen enorme Beträge auf dem Immobilienmarkt und in nicht-produktiven Bereichen an (zum Beispiel Import, Boden- und Goldspekulation). Das Bauprogramm des ehemaligen Präsidenten Ahmadinedschad für erschwinglichen Wohnraum stimulierte die Gier der Bankiers und ihre Lust auf riesige Profite.
Die hohen Zinsen waren sowohl für SpekulantInnen als auch für „einfache“ Leute verlockend. Wegen der hohen Erwerbslosigkeit und sinkender Kaufkraft brachten viele Menschen ihr Geld auf die Bank, weil sie hofften, dass die Zinseinnahmen ihre Lebensumstände ein wenig verbessern würden. Einige verkauften sogar ihre Häuser, um den Erlös bei Banken oder Finanzhäusern einzuzahlen. Die Reichen machten natürlich Profit, weil sie enorme Summen horten und entsprechende Zinserträge einheimsen konnten. Vor kurzem äußerte ein Beamter, dass sich 20 Prozent des in Umlauf befindlichen Geldbestands in Form von Einlagen auf Konten bei den Institutionen befindet.
Und dennoch handelte es sich bei diesem Wettrennen zur Ausplünderung der Arbeiterklasse lediglich um eine kurzlebige Blase. Um das Jahr 2011 herum verzeichnete man einen plötzlichen Rückgang und den Beginn der Immobilienkrise. Verstärkt wurde dies durch die Sanktionen und die drastische Abwertung der Landeswährung. Die folge dessen war vorhersehbar: Alle Finanzinstitutionen, die märchenhafte Zinsen gewährt hatten, konnten ihren KundInnen die Verbindlichkeiten nicht mehr zahlen. Und als die Leute sich beeilten, ihr Geld zurück zu holen, war nichts mehr zu holen! Die Pleitegeier machten einer nach dem anderen den Laden dicht. Eine der größten und berüchtigsten Institutionen, die „Caspian Credit Institution“, schuldet rund einer halben Million KontoinhaberInnen sage und schreibe 1,4 Milliarden Dollar.
Die Zentralbank hat versucht, Banken-Rettungspakete zu schnüren und andere Bankhäuser zur Übernahme der Reste der Einlagen bankrotter Institutionen zu verpflichten. Bisher ist dieser Schritt aber nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Gerade erst hat ein Parlamentsabgeordneter gesagt, dass rund 20 Millionen IranerInnen Leidtragende der Krise der Finanzinstitutionen sind! Die Zentralbank hat wiederholt versprochen, das Problem zu lösen, aber lediglich einige Banken dazu verpflichtet, bankrotte Institutionen zu übernehmen. Was jedoch in Wirklichkeit passiert, ist, dass nur ein Bruchteil des Geldes an wenige SparerInnen zurückgezahlt worden ist. Und die Zentralbank hat gesagt, dass für die Jahre, in denen die Einlagen bei den Institutionen angelegt waren, keine Zinsen gezahlt werden.
Demonstrationen von SparerInnen
Die SparerInnen, die ihr Geld bei den Institutionen angelegt haben (es handelt sich in erster Linie um arme Leute) haben sich im ganzen Land an Demonstrationen beteiligt. Im Sommer letzten Jahres, als der Chef der Zentralbank die Buchmesse von Teheran besuchte, skandierten sie Parolen gegen ihn. Er musste das Messegelände abrupt wieder verlassen. In einigen Städten gerieten die Protestierenden in Konflikt mit der Polizei. Das Regime sah sich jedoch außer Stande, eine härtere Gangart an den Tag zu legen. Fast jede Woche kam es zu Kundgebungen vor dem Hauptgebäude der Zentralbank und der Chef der Notenbank sollte zur Rechenschaft gezogen werden. Als die TeilnehmerInnen beschlossen hatten, in Richtung des Amtssitzes von Chāmeneʾi zu ziehen, löste die Polizei die Kundgebung auf dem Enghelab-Platz in Teheran auf. So manches Mal kam es dazu, dass die Proteste sich mit Protesten anderer Gruppen zusammen schlossen. Dies geschah beispielsweise im Rahmen der Buchmesse, als SparerInnen und Menschen, die bei einem bankrott gegangenen Wohnungsbauprojekt ihr Geld verloren hatten, eine gemeinsame Demonstration bildeten. Eine Lösung des Problems wäre die bedingungslose und umgehende Rückzahlung aller Einlagen unter 50.000 Dollar. Die Zentralbank hat versprochen dies umsetzen zu wollen. Bisher handelt es sich dabei aber nur um leere Versprechungen.
Die Geschichte dieser Institutionen ist die Geschichte einer Ausbeutung der Arbeiterklasse durch die entstehende Klasse der FinanzkapitalistInnen mit korrupten BeamtInnen eines bonapartistischen Regimes. Das ist ein weiterer Aspekt der sich verschärfenden sozialen und ökonomischen Spannungen und der Klassenkämpfe im Iran.