Di 29.11.2016
Wenn neue Formationen im Rahmen des Kapitalismus bleiben, nehmen sie in Krisenzeiten ein schnelles Ende. Es braucht nicht nur neue linke Projekte, sondern neue Parteien der ArbeiterInnenklasse.
International gab und gibt es zahlreiche neue linke Formationen, die versuchen, eine Alternative zu den verbürgerlichten sozialdemokratischen und den versteinerten stalinistischen Parteien, aber auch aufstrebenden rechtspopulistischen Parteien aufzubauen. Österreich hinkt in dieser Entwicklung hinterher – doch zumindest können wir aus den Erfahrungen anderer Projekte Schlüsse für den Aufbau einer neuen ArbeiterInnenpartei hierzulande ziehen.
Zeitfaktor: Man will es „ordentlich“ machen, das braucht Zeit. Doch manchmal lässt uns die objektive Entwicklung diese Zeit einfach nicht. In Österreich wurden schon viele Chancen verpasst, zuletzt die Wut über die rot-blaue Koalition im Burgenland. Podemos oder auch die Vereinigte Linke in Slowenien waren „zur richtigen Zeit am richtigen Ort“. Sie stellen ein alternatives Angebot, welches breit angenommen wird. Der Auslöser für die P-SOL in Brasilien war der Rechtsruck der PT unter Lula. Einige Abgeordnete konnten nicht mehr mit dem rechten Kurs mit und wurden letztlich ausgeschlossen. Doch sie zogen sich nicht enttäuscht zurück, sondern gründeten gemeinsam mit anderen und existierenden linken Organisationen die P-SOL. Diese neuen Formationen waren nicht fertig - aber es gibt zumindest etwas. Doch ein solches Zeitfenster hält sich nicht auf Dauer. Es schließt sich oder wird – noch schlimmer – von der extremen Rechten gefüllt, wie wir es von der FPÖ kennen.
Kämpfe & Bewegungen: 2004 fanden in Deutschland Massenproteste gegen Hartz IV statt. Diese waren ein wichtiger Auslöser, dass ein Teil von IG-Metall und SPD-FunktionärInnen, die schon lange unzufrieden mit dem immer rechteren Kurs waren, mit der SPD brachen. Der Druck aus der ArbeiterInnenklasse war gestiegen und hatte auch sie nach links gedrückt. Das war eine wesentliche Grundlage für die erfolgreiche Gründung von WASG und später Linkspartei. Zusätzlich waren auch von Anfang an AktivistInnen aus verschiedenen Bewegungen Teil dieses Projektes, das, trotz aller Kritik die es daran gibt, eines der erfolgreichsten neuen Linksprojekte darstellt. In Spanien wäre Podemos ohne die vorhergehenden Massenproteste der „Empörten“ und mehrere Generalstreiks der spanischen ArbeiterInnenklasse nicht so schnell in die Höhe geschossen.
Auch in Südafrika waren es die Proteste der Bergleute vor und nach dem Massaker von Marikana 2012, die Entwicklungen in Richtung einer neuen ArbeiterInnenpartei einleiteten. Die Verankerung in sozialen Bewegungen und Gewerkschaften ist zentral, um tatsächlich eine Partei der ArbeiterInnenklasse – und nicht nur ein loses linkes Projekt – aufzubauen.
Organisationen & Demokratie: Die Skepsis gegenüber „Parteien“ ist angesichts der Korruption und Abgehobenheit der existierenden etablierten Organisationen, und auch vieler Fehler der Linken, verständlich. Wenn daraus allerdings der Fetisch der (scheinbaren) Unorganisiertheit wird, die letztlich nichts anderes wird als die Führung einer kleinen demokratisch nicht legitimierten Minderheit, dann ist das die falsche Antwort. Dass Projekte wie die P-SOL und der Linksblock in Portugal seit Jahren existieren, liegt auch daran, dass darin Organisationen aktiv sind, die eine lange Tradition der politischen Arbeit haben. Doch die Zusammenarbeit bereits existierender Organisationen ist nicht genug, es braucht auch neue Schichten von bisher Unorganisierten, die beginnen, gegen die etablierte Politik zu kämpfen. In Irland hat die Massenbewegung gegen die Wassergebühren rund um die Anti-Austerity-Alliance dem neuen Projekt die aktive Basis, die über eine reine Re-Gruppierung der Linken hinausgeht, gegeben.
Zentral ist dabei immer die Frage der internen Demokratie. Die internen Strukturen müssen für die AktivistInnen durchsichtig sein. VertreterInnen, etwa in Vorständen, dürfen keine Privilegien oder hohe Einkommen haben und müssen jederzeit rechenschaftspflichtig und abwählbar sein. Genauso braucht es die Möglichkeit, innerhalb der Strukturen politische Debatten zu führen – mit gebotener Solidarität, aber notwendiger Härte, sowie die entsprechende Repräsentation oppositioneller Strömungen.
Wahlfrage: Der Wunsch nach einer Wahlalternative ist groß. Die Wahlkämpfe waren und sind eine Arena, um Ideen zu präsentieren und AktivistInnen einzubinden. Besonders in Zeiten mit wenigen sozialen Kämpfen sucht die Wut oft nach einem Ventil auf der Wahlebene. Gefährlich wird es aber, wenn der Wunsch nach Mandaten zum Hauptfokus wird - und in weiterer Konsequenz einer solchen Ausrichtung dann aus dem Wunsch „mitzugestalten“ auch Koalitionen mit bürgerlichen Parteien unterschiedlicher Färbung eingegangen werden. So landet dann die Linkspartei in Deutschland bereits jetzt in Sozialabbau betreibenden Koalitionen mit der SPD. Was als schlaue Taktik präsentiert wird, endet in der Aufgabe der eigenen Inhalte und einer weitgehenden Verwässerung des Programms. Die Linke wird – zurecht – für die Regierungspolitik mitverantwortlich gemacht und als Teil des Establishments gesehen. Eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene mit SPD und Grünen wäre für die Linke fatal. Sie würde ein ähnliches Schicksal wie die 1991 gegründete PRC, eines der ältesten „neuen“ linken Projekte, erwarten. Nach einem anfänglich klar linken Kurs mit über 100.000 Mitgliedern und fast 9% bei Wahlen unterstützte sie ab 1996 die Regierung von Prodi, die für einen rigorosen Sparkurs stand – und verlor in Folge Mitglieder und WählerInnen. Wahlen und Mandate sind eine Bühne, nicht mehr und auch nicht weniger. Mandate ohne starke Organisation und Unterstützung im Rücken können bestenfalls Anträge stellen, aber kaum etwas durchsetzen.
Sozialistisches Programm: Der Kapitalismus ist in der Krise. Und er erzeugt Krisen, politische wie auch wirtschaftliche. Eine an sich banale Erkenntnis, die aber auch Konsequenzen im politischen Handeln haben sollte. Denn auch der Raum für Reformen wird enger. Der Versuch, die Kapitalseite mit guten Argumenten oder Tricks zu überrumpeln oder überzeugen, scheitert kläglich. Verbesserungen können nur erreicht und verteidigt werden, wenn man bereit ist, über die Grenzen der kapitalistischen Logik hinaus zu sehen. Ist die Linke dazu nicht bereit, wird sie unweigerlich zur Mittäterin beim kapitalistischen Kürzungsdiktat, wie im Fall Syriza in Griechenland. Das Thessaloniki-Programm, mit dem Syriza 2015 an die Regierung gewählt wurde, bestand im Wesentlichen aus bescheidenen, aber wichtigen Verbesserungen für die ArbeiterInnenklasse. Doch die EU war nicht bereit, auch nur den leichtesten Linksschwenk zu akzeptieren. Die Reformen durchzusetzen, hätte bedeutet, mit der EU und dem kapitalistischen System zu brechen – die Unterstützung der griechischen Massen für diesen, zweifellos schwierigen, Schritt hätte Syriza gehabt. Doch Syriza zog zurück und verwaltet nun das größte Privatisierungsprogramm der griechischen Geschichte.
Neue Formationen brauchen ein Programm, das über den Kapitalismus hinausweist, etwa die Übernahme der Schlüsselzweige der Wirtschaft durch die Beschäftigten und eine demokratisch geplante Wirtschaft. Sie müssen aber auch bereit sein, dieses Programm umzusetzen. Deswegen braucht es in diesen neuen Formationen revolutionäre Gruppen oder Flügel, die dafür kämpfen.