So 02.10.2016
In den 1980ern konnte man noch ohne große Grenzkontrollen von Belgrad nach Wien reisen. Heute ist dieser Weg geprägt von Grenzzäunen, Jagd auf Flüchtlinge und sozialem Verfall. Der Zerfall Jugoslawiens, der wachsende Nationalismus und das Durchsetzen kapitalistischer Prinzipien wurden sowohl von den „eigenen“ Eliten, als auch vom Westen vorangetrieben. Heute ist die Region geprägt von Nationalismus, Armut und Korruption.
Internationale Konzerne und Institutionen dominieren den Westbalkan. Überall sieht man Lidl und Filialen von österreichischen Banken und Versicherungen. In Kroatien fließt ein großer Teil der Einnahmen aus dem Tourismus in ausländische Hände.
Auch auf politischer Ebene ist diese Dominanz kaum zu übersehen: Bosnien ist de facto eine EU Kolonie. Das oberste Amt wird von einem EU-Diplomaten (dem Österreicher Valentin Inzko) bekleidet, der undemokratisch eingesetzt wird und weitreichende Rechte hat: Gesetze ohne Parlament zu beschließen oder zu verhindern, und Nato-Einsätze anzuordnen. Ähnliches gilt für Kosovo/a.
Die soziale Lage und das Nord-Süd Gefälle sind seit Wiedereinführung des Kapitalismus nur noch schlimmer geworden, und auch in den einzelnen Staaten wird die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer: 13% sind in Slowenien armutsgefährdet, v.a. Junge haben wenig Perspektiven. Die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch und die Mehrheit der 18-34jährigen muss noch bei den Eltern leben, weil sie sich keine Wohnung leisten können. In den anderen Ländern sieht es noch weit düsterer aus: in Kosovo/a gibt es eine Arbeitslosenrate von 40 %, bei Jugendlichen sogar 70%. 34% leben in absoluter Armut (täglich verfügbares Einkommen geringer als € 1.55) und 12% in extremer Armut (€ 1.02) und Kosovo/a hat eine der höchsten Säuglingssterblichkeiten Europas.
Während der Flüchtlingskrise wurde die Hauptlast auf die Länder am Balkan abgeladen. Obwohl die Situation nicht mehr so angespannt ist wie 2015, kommen auch im Sommer 2016 pro Tag ca. 500 Flüchtlinge nach Serbien und sitzen dort wegen Grenzzäunen und Obergrenzen fest.
Die nationalen Spannungen sind auch heute noch präsent und können wieder aufbrechen. In Bosnien, Kosovo/a und anderen Ländern versuchen lokale Eliten noch immer, nationale Konflikte für ihre Interessen zu nutzen.
Ein Beispiel ist die kroatische Stadt Vukovar, die in Jugoslawien die zweitreichste Stadt der Region war. Hier streikten serbische und kroatische ArbeiterInnen 1987 noch zusammen und besetzten das Parlament. Heute liegt das BIP pro Kopf weit unter kroatischem Durchschnitt und die Stadt ist zwischen KroatInnen und der serbischen Minderheit gespalten.
In der serbischen Hauptstadt Belgrad merkt man die Auswirkungen des Kapitalismus besonders stark. Das neoliberale Bauprojekt Beograd na vodi vertreibt ArbeiterInnen aus ihren Vierteln, um Wolkenkratzer für die Eliten des Landes und der ganzen Welt zu bauen. Die soziale Lage hat sich auch hier seit den 1990er Jahren verschlechtert. Drogen und Mafia üben eine wichtige Machtposition aus, Serbien ist Hauptexporteur von Piko, einem Abfallstoff von Chrystal Meth.
Doch immer mehr Menschen wollen diese Situation nicht mehr länger akzeptieren und es brodelt in der ganzen Region. Ein gutes Beispiel dafür sind die Massenproteste in Belgrad unter dem Slogan „lassen wir Belgrad nicht ertrinken“ gegen das oben beschriebene Bauprojekt. Schon mehrmals gingen zehntausende auch trotz staatlicher Repression auf die Straße. Auch in Bosnien, Slowenien und in Makedonien zeigt die ArbeiterInnenklasse in Massenprotesten gegen Korruption ihre Kampfbereitschaft. Trotz Korruption, Armut und Nationalismus gibt es am Westbalkan jede Menge Widerstand.