Fr 01.12.2000
Nach dem Zusammenbruch des Stalinismus verkündete 1991 der damalige US-Präsident Bush (sen.) die „Neue Weltordnung“. Die USA hatten die „saubere“ Schlacht am persischen Golf gegen den Irak 1990/´91 geschlagen und sich damit als letzte übriggebliebene Supermacht etabliert.
Die geistigen Aushängeschilder der Bourgeoisie meinten, die Geschichte sei in dem Sinne zu Ende, dass der Kapitalismus unter US-Führung gesiegt hätte. Ab nun gäbe es Stabilität und eine friedliche Entwicklung. Aber genau genommen ging der Krieg gegen den Irak in Form von regelmäßigen Bombardierungen und Sanktionen weiter. Der ehemalige republikanische Spitzenpolitiker Francis meinte 1998: „Die Kriege, die wir führten, die Bomben und Raketen ..., die Menschen, die wir töteten, die Rechte und Prinzipien, die wir verletzten ..., brachten weder Frieden noch Stabilität ...“ Also nichts mit der „Neuen Weltordnung“! Und so stehen ein Jahrzehnt später ganze Regionen in Flammen, die politische Instabilität in den Zentren wächst ebenso und die Weltwirtschaft wankt vor dem Abgrund einer unausweichlichen Krise.
Welt-Unordnung regiert
Die Eskalation im Nahen Osten ist bezeichnend für die Neue Unordnung: Der US-Imperialismus warf mit dem 1993 begonnenen Osloer „Friedensprozess“ sein gesamtes Gewicht in die Waagschale. Spätestens seit Oktober verblutete jegliche Illusion in die kapitalistische Diplomatie. Eine wahrscheinliche Perspektive für diese Region fand bereits in den 90ern in Europa statt: mit den Kriegen und Bürgerkriegen am Balkan, dem Zerfall Jugoslawiens.
Ein Wahlkampfthema zwischen Gore und Bush (jun.) war das zukünftige Verhalten der USA in regionalen Konflikten. Gores Anspruch, militärische Einmischungen weiterhin grundsätzlich zu bejahen, setzt Bush auf eine andere Linie: Zurückziehen auf den eigenen Kontinent, Aufbau der Verteidigung (z.B. Raketenprogramm) und weniger Verstrickungen in nicht unmittelbar die USA betreffende Konflikte. Nach dem Golfkrieg haben sich die USA an mehreren Orten (z.B. Somalia) die Finger verbrannt. Das „Vietnam-Syndrom“ – enorme Verluste und Antikriegsbewegungen im eigenen Land – sitzt der US-Gesellschaft den Herrschen noch immer im Hinterkopf.
Neue Kriege sind Bürgerkriege
Der Zusammenbruch des Stalinismus beendete die Ära des Kalten Krieges. Und trotz des Stalinismus mit seiner absolut undemokratischen Struktur, stellte der „Osten“ allein durch die Existenz einer Planwirtschaft eine Systemalternative dar. Dies hatte in den entwickelten Ländern Auswirkungen, noch stärker aber in der sogenannten „Peripherie“. Dort ging es um geostrategische Einflusssphären. Kriege waren in erster Linie „Stellvertreter“-Kriege und von militärischen Interventionen der beiden Supermächte gekennzeichnet. Dass in Europa zwischen 1947 und 1989 kein größerer Krieg stattfand, hing mit diesem Gleichgewicht der Kräfte auf Weltebene zusammen.
Im letzten Jahrzehnt waren über 90% aller Kriege Bürgerkriege. Der Kalte Krieg bot für viele unterentwickelte Länder durch geschicktes Lavieren zwischen den Machtblöcken Spielräume. Diese schwanden im Lauf der Zeit. Die Schuldenkrise der „Dritten Welt“ seit den 80ern einerseits und die Folgen der kapitalistischen Restauration im „Osten“ andererseits führten zum beschleunigten Zerfall. Soziale und politische Krisen entladen sich in bewaffneten Konflikten; vorrangig in national „empfindlichen“ Ländern. Das Neue an diesen „Neuen Kriegen“ ist die neue Weltlage. Diese Instabilisierung findet vor dem Hintergrund des gestärkten Imperialismus statt.
Drohende und akute Barbarei
In schwächeren und halbentwickelten kapitalistischen Ländern führt der Teufelskreis aus wirtschaftlicher Depression, politischer Krise und Kriegsgefahr bereits zum Auseinanderbrechen des Nationalstaats, der Basis der kapitalistischen Gesellschaft. Afrika (vor allem südlich der Sahara) ist aufgrund seiner am stärksten ausgeprägten Unterentwicklung Vorreiter des Verfalls. Aber auch in Europa existieren starke reaktionäre und separatistische Kräfte. Der Vlaams Blok (Belgien) und die Lega Nord in Italien streben Teilung und Abspaltung an. Die FPÖ ist die derzeit stärkste rechtsextreme Kraft und ebenso Ausdruck dieses Verfalls der Gesellschaft.
Besonders dramatisch zeigt Nigeria diesen Prozess. Der Überwindung des Militärregimes im Mai 1999 folgte die Fortsetzung neoliberaler Politik durch die Zivilregierung. Die Instabilität zeichnet sich durch die Eskalation der nationalen und religiösen Konflikte aus, die das Land zum Auseinanderbrechen führen können. Andererseits sind Kämpfe der ArbeiterInnenklasse (v.a. der siegreiche 5-tägige Generalstreik gegen Öl-Preis-Erhöhungen im Juni 2000) Chancen auf ein Gegengewicht zu den zentrifugalen Tendenzen. Die junge sozialistische Bewegung (das DSM ist die CWI-Sektion in Nigeria) verzeichnet ein starkes Wachstum und darüber hinausgehende öffentliche Bedeutung.
„Regionale“ Instabilität kann noch weit größere Auswirkungen haben. Es gibt keine Sicherheit, dass sich etwa der latente Kaschmir-Krieg zwischen Indien und Pakistan (beide verfügen über einsatzbereite Nuklearwaffen) nicht binnen kurzer Zeit zu einem Krieg entwickelt, der in Folge größere imperialistische Mächte einbezieht.
Öl-Schock als Vorbote
Die Turbulenzen um den Öl-Preis (ab März 2000 über 30, derzeit leicht unter 30 US$ pro Barrel Rohöl) widerspiegeln mehrerlei: Darunter die zunehmenden Konflikte zwischen den nationalen kapitalistischen Klassen. Selbst US-treue Regimes wie Saudi-Arabien (größter Anteil in der OPEC) müssen stärker als früher auf ihre eigenen Interessen schauen und unterstützten die Anhebung der Öl-Preise. 1999 lag der Preis für Rohöl bei 8 bis 12 US$ pro Barrel. Ein Dollar Unterschied kostet der saudischen Bourgeoisie 2,5 Mrd. pro Jahr! Für die imperialistischen Mächte sind diese niedrigen Rohstoff-Kosten sehr gut; für die öl-produzierenden Länder und die Öl-Multis nicht. Ein Effekt niedriger Öl-Preise ist die verstärkte Ausbeutung der ArbeiterInnenklasse der unterentwickelten Länder. Die 90er waren darüber hinaus das Jahrzehnt der neoliberalen Offensive, getragen von IWF und Weltbank. Diese senkte den Lebensstandard der Massen weiter. Das sind die Auswirkungen des Globalisierungsprozesses und nicht etwa die Grundsteinlegung einer neuen industriellen Revolution. Produktion wird global ab-, nicht aufgebaut.
Zu tief darf der Öl-Preis aus Sicht des Westens allerdings auch nicht sinken. Aufgrund strategischer Überlegungen zu Rußland (Stabilisierung Jelzins nach der Finanzkrise 98) läutete die USA den Gegentrend ein. Der Motor der Preis-Entwicklung innerhalb der OPEC (Organisation der öl-produzierenden Länder - ohne Rußland, USA, China, Britannien, Frankreich, Kanada, Mexico) ist Venezuela. Dort ist die radikal bürgerliche Regierung Chavez unter dem Druck der Massen an der Macht. Chavez steht einerseits für ein neues Selbstbewusstsein gegenüber dem Imperialismus. Und anderseits für ein Politik, sich über die Erhöhung des Öl-Preises das zurückzuholen, was durch die niedrigen Preise der letzten Jahre und die asiatische Währungskrise verloren ging.
Revolte und revolutionäres Potential
Die Stärke von Chavez kennzeichnet Aufruhr in der Gesellschaft. Es gärt nicht nur in Teilen der ArbeiterInnenklasse. Die Krise radikalisierte bereits die verbliebenen, tendenziell geschwundenen Mittelschichten. Der Antiimperialismus erhält wieder Dimensionen, die die USA zwingen, zu militärischer Einschüchterung zu greifen. Das ist der wesentliche Grund ihrer aktuellen Aktivitäten in Kolumbien.
Die Öl-Proteste und Blockaden in Europa, v.a. Frankreich und Britannien, zeigen diese Polarisierung auch in der „Ersten Welt“. Die Schwächen des Systems ziehen mittlerweile einst bessergestellte Schichten mit in den Strudel nach unten. Das ist beachtenswert. Die ArbeiterInnenbewegung muss sich in solchen Protesten in der Aktion, wie ideologisch die Führung erarbeiten. Ansonsten kann die Radikalisierung nach Rechts und somit in die vorprogrammierte Niederlage führen. Die potentielle Stärke der ArbeiterInnenklasse war nie größer; die Einsicht in diese Stärke wird in Entwicklungen aufgebaut werden können, die den zukünftigen Erhebungen und Kämpfen folgen.
Zurück zum Öl
In den Jahren niedriger Rohölpreise investierten die Öl-Konzerne kaum in Raffinerie-Kapazitäten und Transportwesen. Das ist für die heutige Situation mit ausschlaggebend. Engpässe können auftreten. Finanzspekulation am Öl-Markt gehört zu den Hauptgründen des dramatischen Preis-Anstiegs. Eine Stabilisierung des Öl-Preises zwischen 22 und 28 US$ pro Barrel, sowie das Anzapfen der strategischen Öl-Reserven in den USA wird an der Gesamtsituation nichts ändern. Wir sehen die Vorboten einer Weltwirtschaftskrise.
Weltwirtschaftskrise kommt
Das Komitee für eine ArbeiterInneninternationale CWI bezeichnete die Wirtschaftskrise in Asien 1997/98 als Wendepunkt in der post-stalinistischen Ära. Es war weder ein regional begrenzter, noch ein beschränkter Zusammenbruch des Finanz- und Bankensektors. Die Krise zeitigte Auswirkungen auf Ökonomien rund um den Globus und die „Realwirtschaft“ (=Produktion) wurde ebenso in Mitleidenschaft gezogen. Millionen Menschen sind direkt betroffen. US-Investoren reagierten und zogen Kapital in die USA ab. Damit stärkten sie den auf Kredite und Hochtechnologie-Aktien gestützten US-Boom der letzten Jahre. Doch dieser neigt sich seinem Ende zu. Dieser Boom, der verstärkt durch den schwachen EURO (=billige Exporte für Europa) die EU-Wirtschaft mitzieht, gründet sich vor allem auf den Konsum der oberen Schichten, gestützt auf enorme Verschuldung (Kredite sind aufgrund eines niedrigen Zinsniveaus günstig) und die Dynamik in der Spekulation. All das verzögert die kommende Krise nur. Vereinfacht gesagt, kann das Platzen der „Blase“ (so wird die strukturelle Aktien-Überbewertung genannt) umso „lauter“ sein, je größer diese Blase wird. Ein Problem ist das steigende Ungleichgewicht zwischen Realwirtschaft und Spekulation: Kurz vor dem großen Börsenkrach 1929 betrug das Verhältnis von Aktienkursen zu den realen Gewinnen der Unternehmen 32.6, heute liegt es über 44.
Das Ende der Illusionen in die Hochtechnologie-Werte und die Öl-Krise rufen in Erinnerung: Die reale Produktion macht´s aus. Die günstigen Rohstoffpreise waren noch für den wirtschaftlichen Zyklus der 90er wichtiger als das Modell der „New Economy“. Mit diesen Illusionen ist es nun vorbei. Der Hochtechnologie-Index „Nasdaq“ ist seit dem Frühling entzaubert. Viele High-Tech-Firmen befinden sich in Existenzkrisen. Scharfe Anstiege in den Energiepreisen sind (laut eines Ökonomen aus dem „Observer“ vom 3. September) „der bester Vorbote eines kommenden Zusammenbruchs“. Die weiteren Krisenfaktoren, wie Überproduktion und Deflation (Verfall der Marktpreise), bedrohen die ArbeiterInnenklasse direkt: In der Autoindustrie belaufen sich die Überkapazitäten auf über ein Drittel. Das entspricht weltweit rund 80 Fabrikstandorten, und damit zigtausenden Arbeitsplätzen. Die aktuellen Megafusionen und Übernahmen dienen den Kapitalisten meistens dazu, diese Überkapazitäten abzubauen und sich durch größere Bereiche abzusichern.
Die ArbeiterInnenklasse ist und bleibt die wichtigste Produktivkraft. Die verstärkte Mobilität von Kapital (Stichwort Globalisierung) führt heute zu Deindustrialisierung und zementiert strukturelle Massenarbeitslosigkeit sowie „McJobs“ mit Hungerlöhnen. All das erodiert die soziale Basis der Gesellschaft. Es sind diese Schwächen des US-Booms, dass er nicht in der Lage war, erstens das Proletariat voll in die Produktion zu integrieren und zweitens den Lebensstandard der Massen zu heben. Das ist ein Riesenunterschied zum Nachkriegsaufschwung bis Mitte der 70er.
Wirtschafts-Krise ist nichts neues
Die US-Bundesbank ist sich der Spekulations-Blase schon länger bewusst. Sie läutete mit steigenden Zinsen (teurere Kredite, daher weniger Aktienkäufe) die Trendwende ein. Doch eine Kettenreaktion kann sehr schnell zu weit führen: nämlich zu Konsum- und Investitionsrückgang sowie „faulen“ (= uneinbringbaren) Krediten.
Eine der wichtigsten Märkte der Weltwirtschaft fiel bereits vor 10 Jahren in eine solche Rezession: Japans Spekulationsblase platzte 1989/90. In Folge versuchte man/frau mit massiver staatlicher Intervention die Wirtschaft wieder anzukurbeln, aber sie stagnierte weiter. Eine Erholung wäre nur durch einen unbegrenzten Boom in den USA möglich. Diese Hoffnung geben selbst immer mehr bürgerliche Ökonomen auf.
Das derzeitige Plus des schwachen EURO für die EU-Bourgeoisie wird sich durch die Krise in ein Minus verwandeln. Den Preis dafür soll die ArbeiterInnenklasse zahlen. Schon jetzt durch den Sozialabbau, Job-Unsicherheit und all die anderen „Zwänge“ der „Globalisierung“ getroffen, hat eine Finanzkrise schreckliche Effekte: Arbeitsplätze werden vernichtet. In den USA liegt ein Drittel(!) des Vermögens der ArbeiterInnenklasse auf der Börse. Wenn etwa solche Pensionsfonds zusammenbrechen, trifft dies Millionen, nicht nur einige Milliardäre!
Die Kapitalisten und ihre Politiker haben keine Lösung. Sie hätten sie gern, aber die systematischen Widersprüche treiben die Krisenspirale voran. Lösungsansätze verschreiben sich der Absicherung von Profiten, der Verteidigung von nationalen und Gruppeninteressen (z.B. durch Protektionismus, Handelskriege), der Flucht in militärische Aggression und Nationalismus.
Neue Ära der ArbeiterInnenbewegung
Die Rückkehr der ArbeiterInnenklasse auf die Bühne der Geschichte ist eine Voraussetzung für den Ausweg aus der Krise. Diese Rückkehr findet nicht geradlinig statt. Der ArbeiterInnen-Aufstand zum Sturz Milosevics beweist es. Das Fehlen sozialistischen Bewusstseins und solcher Parteien verhindert nicht die Aktion, die Bewegung. Jedoch sind diese Faktoren ebenso ausschlaggebend für eine siegreiche Erhebung. Die Illusionen in die jetzige kapitalistische Führung ist zwar geringer als unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Stalinismus
Anfang der 90er. Enttäuschungen und Niederlagen sind dadurch vorprogrammiert. Die Klasse muss sich in den unausweichlichen sozialen und politischen Kämpfen neue Massen-Organisationen mit sozialistischem Programm aufbauen. An RevolutionärInnen liegt es, in diesem Prozess eine bewusste und verantwortungsvolle Rolle zu spielen. Die neue Ära der internationalen ArbeiterInnenbewegung steht nicht vor der Tür – wir sind mittendrin.