So 01.07.2001
Wo bleibt der Generalstreik Kollege Nürnberger? Der mächtigste Gewerkschaftsmann Österreichs – so wird Metallerchef Rudolf Nürnberger zumindest von den Medien bezeichnet – hat diesen Schritt nämlich bereits im Juni (!) 2001 angedroht. Die Gründe für Kampfmaßnahmen liegen auf dem Tisch: Blauschwarzer Machtrausch in den Sozialversicherungen und im ORF, Sozialabbau für das „Nulldefizit“, sowie die Abschaffung des freien Hochschulzuganges. Ansätze für Widerstand existieren in vielen Bereichen. Doch warum bleibt der ÖGB die notwendige Antwort schuldig?
„Da fährt die Eisenbahn drüber“ – kommentierte Peter Westenthaler höhnisch alle Ankündigungen des ÖGB, sich gegen die Ablöse Hans Sallmutters zu wehren. Tatsächlich ist diese Regierung nicht nur in der Causa Sallmutter „drüber gefahren“. Beim Gipfel des Weltwirtschaftsforums in Salzburg wurde ebenfalls „drüber gefahren“ – und das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit einfach ausgeschaltet. Widerspruch und Widerstand wird zunehmend mit dem Polizeistaat beant- wortet. Nebenbei bemerkt: Demonstrationsverbote, Grenzschließungen und 6.000 schwerbewaffnete Polizisten gegen 2.000–3.000 unbewaffnete DemonstrantInnen, Bedrohung von JournalistInnen durch Regierungsvertreter - das sind die selben Methoden, die Leute wie Milosevic anwandten, um ihren Sturz zu verhindern. Warum sich österreichische (und europäische) Politiker angesichts solcher Zustände anmaßen, jetzt über „Despoten“ Recht zu sprechen, bleibt ein Geheimnis ...
Regierung ist schwach wie keine zuvor
Tatsächlich bewegt sich die Bundesregierung auf dünnem Eis. Sowohl Freiheitliche wie ÖVP beutelt es vor Krämpfen: Klubchef Westenthaler galt kurzfristig als reif für den Rücktritt, die ÖVP-Wirtschaftskammer und schwarze Arbeiterkammervertreter rangeln um Posten, und sogar an Wolfgang Schüssels Thron scheint „Kronprinz“ Strasser zu sägen.
Gleichzeitig prügeln sich die Regierungspartner in Propagandafeldzügen um die Patenschaft für’s Kindergeld und verursachen in der ÖIAG ein Personaldebakel nach dem anderen.
Auch wenn Machtgier und Geltungssucht eine wesentliche Triebfeder dieser Konflikte sind – die Streitereien reflektieren in Wahrheit tiefgehende Problemstellungen. Der Konjunkturabschwung verunmöglicht – wie vorhersehbar – die zentralen Projekte Nulldefizit und die Steuer- reform. Die FPÖ will angesichts drohender Krisenszenarien einen Zahn zulegen. Alle Reste von gewerkschaftlichem und oppositionellen Einfluss sollen schon jetzt beseitigt, Widerstand so vorsorglich ausgeschaltet werden. Wahrscheinlich beschleunigen auch ihre schlechten Meinungsforschungsergebnisse die Ambitionen der Freiheitlichen. In der ÖVP dürfte sich demgegenüber hier und dort die Angst breit machen, dass das gesamte „Wendeprojekt“ vom Crashkurs der FPÖ in den Abgrund gerissen werden könnte.
Blau-schwarzer Rettungsanker: Die „Opposition“
Am Anfang war der Tunnel. Durch diesen musste nämlich Schüssels Regierung zum Bundespräsidenten kriechen, um überhaupt angelobt werden zu können. Trotzdem: ÖVP und FPÖ sind bis jetzt mit praktisch all ihren Vorhaben durchgekommen. Bedanken kann man/ frau sich dafür bei den anderen beiden Parlamentsparteien. Im Bereich von SPÖ und Grünen kann von Fundamentalopposition keine Rede sein: Rosarot und Grün unterstützen im Prinzip die ideologischen Kernanliegen der Regierung, wie etwa Privatisierung und Nulldefizit. Das schließt Kritik an dieser und jener Maßnahme nicht aus. Doch die Akzente sind deutlich: Die Grünen verabschieden sich gerade mit einem neuen Programm von letzten linken Werten, während die SPÖ-Führung eine Koalition mit der ÖVP auch künftig für anstrebenswert hält.
Für eine unheilige Allianz!
Blauschwarz malt die Einheitsfront zwischen den „Chaoten“ von Salzburg, ÖGB-Demonstrationen, Boykottaufrufen der HochschülerInnenschaft (ÖH) und überhaupt allen RegierungskritikerInnen an die Wand. Nur diese „unheilige“ Allianz existiert – leider – nicht. Kräfte – wie die Sozialistische LinksPartei (SLP) – die versuchen die verschiedenen Fäden des Widerstandes gegen die Regierung zusammenzuknüpfen sind (noch) in der Minderheit. Mobilisierungen wie jene gegen die „Globalisierung“, den Boykott der Studiengebühren und für die ÖGB-Demonstration laufen de facto nebeneinander. So wie viele GlobalisierungsgegnerInnen und StudentInnen wenig Verständnis für die Notwendigkeit gewerkschaftlicher Arbeit und betrieblicher Kämpfe haben, fehlt auch bei der ÖGB-Führung der Blick über den Tellerrand. Kollege Sallmutter verdient natürlich breite Solidarität. Doch bezeichnend ist es auch, dass sich gewerkschaftlicher Widerstand erst entzündet, wenn es auch um direkte Machtbereiche der ÖGB-Bürokratie geht. Zwei Sparpakete und mehr wurden ohne nennenswerten Widerstand hingenommen.
Neue Chancen, aber auch mögliche Desaster
Der angekündigte Boykott der Studiengebühren von ÖS 10.000,- pro Studienjahr ist das nächste Glied in der Kette der ganz großen Chancen gegen Blauschwarz. Der Linksruck bei den Uni (ÖH)-Wahlen war ein klarer Auftrag, Kampfmaßnahmen zu organisieren. Bis auf die Boykott-Ankündigung und die Einrichtung eines Treuhandkontos haben das die neuen VertreterInnen der StudentInnen leider verabsäumt. Hier treffen sich „neue“ RegierungskritikerInnen durchaus mit der „alten“ ÖGB-Spitze, die vollmundig mit Generalstreik droht ohne einen Finger dafür zu rühren. Insgeheim hofft man/frau bis zuletzt auf eine sozialpartnerschaftliche“ Lösung. Doch diese Zeiten sind vorbei – bloßes Drohen mit Boykott und Generalstreik ist heute geradezu unverantwortlich. Sowohl eine Niederlage beim Kampf um die Sozialversicherungen, als auch ein misslungener Boykott der Studiengebühren, bedeuten nicht nur Rückschritte. Sie sind ein Desaster, das unbedingt verhindert werden muss! Die SLP arbeitet am Schulterschluss zwischen gewerk-schaftlichen und allen anderen Formen des Widerstandes als ersten Schritt hin zum Aufbau einer neuen ArbeiterInnenpartei.