Mo 27.02.2012
Enda Kenny weiß es nicht. Der irische Premierminister hat „keine Ahnung“, warum der Entwurf für den irischen Haushaltsplan, ein Generalangriff auf irische ArbeitnehmerInnen und Arbeitslose, im deutschen Bundestag aufgetaucht ist. Bevor ihn das irische Parlament überhaupt zu Gesicht bekommen hat. Viel Geld steht auf dem Spiel, und Deutschland, als stärkste Macht der EU, will sichergehen, dass die Regierung die „notwendigen Anstrengungen“ unternimmt. Demokratiepolitisch ist das für die Herrschenden in Deutschland und EU kein Problem - „Friss oder stirb“ ist ja auch eine Wahlmöglichkeit, oder?
Die EU war nie Hort der Demokratie. Vorschläge für Gesetze darf nur die nicht gewählte EU-Kommission machen. Das EU-Parlament, die einzige von den EuropäerInnen gewählte Struktur, darf darüber diskutieren. Aber wenn der nicht gewählte EU-Rat nicht sein OK gibt, ist alles umsonst. Außerdem arbeiten in Brüssel 10 000 LobbyistInnen – die Unabhängigkeit der EU-Institutionen besteht höchstens auf dem Papier.
Die EU befindet sich nun aber nicht nur in einer Wirtschaftskrise, sondern, damit verbunden, in einer Vertrauenskrise. Von Griechenland, wo ArbeiterInnen und Jugendliche sich mit zahlreichen Generalstreiks erbittert gegen die Politik „ihrer“ Regierung wehren, bis Österreich, wo 82% der Bevölkerung der Politik „wenig“ bis „gar kein“ Vertrauen entgegenbringen - Das politische System in ganz Europa ist in einer tiefen Krise. Kein Wunder: Regierungen führen im Auftrag von Ratingagenturen, Banken und Konzernen und der EU rigorose Sparpakete durch. Die Verfassungen, ansonsten heilige Kühe der Nationalstaaten, werden einfach so geändert – um „die Märkte zu beruhigen“.
Der so genannte „Rettungsschirm“ EFSF, in den alle Mitgliedsstaaten einzahlen müssen, ist ein Alleingang des EU-Führungsduos Sarkozy und Merkel, die die Interessen der jeweils größten und wichtigsten Kapitalfraktionen ihrer Länder durchprügeln wollen. Er steht außerhalb des EU-Rechts – Der EFSF ist eine Aktiengesellschaft nach Luxemburger Recht, die nach englischem Recht geführt wird. Die Eurostaaten sind nur Aktionäre des EFSF, ihre Parlamente durften seine Einführung nur abnicken.
Selbst der Herausgeber der konservativen Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Frank Schirrmacher, analysierte, „dass wir jetzt Ratingagenturen, Analysten oder irgendwelchen Bankenverbänden die Bewertung demokratischer Prozesse überlassen“. Diese wollen schnelle und brutale Sparmaßnahmen, um weiter Profite machen zu können. Und dafür braucht es effiziente und rücksichtslose Politik. In Griechenland und Italien wurden sogar einfach die Regierungen abgesetzt und durch „Experten-“ bzw. „Übergangsregierungen“ ersetzt, die die Agenda der Banken und Konzerne effektiver durchdrücken sollen.
Aus Angst vor Widerstand dagegen werden grundlegende demokratische Rechte beschnitten. Überwachungsstaatliche Mechanismen wie die Vorratsdatenspeicherung werden ausgebaut. Mit „Anti-Terror-Paragraphen“ werden AktivistInnen kriminalisiert und der Boden für die Niederschlagung von Streiks gelegt. Die Staaten holen sich jetzt die gesetzlichen Legitimationen, um wie in Spanien mit Polizeibrutalität und Militärrecht gegen Demokratiebewegung und Streikende vorzugehen, oder wie in Deutschland zehntausende AktivistInnen auszuspähen. Doch es gibt auch andere Entwicklungen – neue demokratische Strukturen, die sich in den Bewegungen wie Occupy oder bei den Empörten in Spanien oder Griechenland bilden.
Sebastian Kugler