Mo 31.10.2011
"Der Imperialismus ist der Kapitalismus auf einer Entwicklungsstufe, auf der die Herrschaft der Monopole und des Finanzkapitals sich herausbildet, der Kapitalexport eine hervorragende Bedeutung gewonnen, die Verteilung der Welt durch die internationalen Trust begonnen hat und die Aufteilung des gesamten Territoriums der Erde zwischen den größten kapitalistischen Ländern abgeschlossen ist." (Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, 1917).
Lenins – im Übrigen leicht lesbare Schrift – über den Imperialismus wirkt auch heute noch visionär. Die Weltwirtschaft ist über die internationalen Finanzströme vernetzt wie nie zuvor. Die großen multinationalen Konzerne bauen ihre Dominanz immer weiter aus. Schließlich hat auch die Polarisierung zwischen Arm und Reich seit Beginn des 20. Jahrhunderts weiter zugenommen. Ganz aktuell auch ein anderer Satz: “Die Welt ist in ein Häuflein Wucherstaaten und in eine ungeheure Mehrheit von Schuldnerstaaten gespalten.“
Anders als heute in manchen Schulbüchern zu lesen, betrachteten auch andere Zeitgenossen Lenins den Imperialismus nicht einfach nur als die Ausdehnung von Territorium mit kriegerischen Mitteln vor 1914. (So war insbesondere der afrikanische Kontinent noch am Anfang des 19. Jahrhunderts für Europa ein weißer Fleck auf der Landkarte.) Bereits 1902 beklagte ein gewisser John Hobson in seiner Imperialismustheorie, das Ende des Kapitalismus als fortschrittliches, liberales System. Lenin interpretierte diese Entwicklung weiter. Nämlich als Verschärfung der weltweiten, inneren Widersprüche der Profitwirtschaft. Trotz möglicher Wachstumsphasen weist nicht nur die stetig wachsende Bedeutung der Finanzströme gegenüber der „realen“ Warenproduktion auf strukturelle Probleme des Kapitalismus hin. Im Zusammenhang mit der Kapitalmobilität – also der Notwendigkeit zum Kapitalexport – streben die Konzerne zudem die Stärkung ihres jeweiligen Staatsapparates an, um ihre Interessen besser durchsetzen zu können. Weltwirtschaft und Protektionismus, oder – moderner ausgedrückt – Globalisierung und die Bildung von Wirtschaftsblöcken mit ihren jeweiligen Führungsnationen sind schließlich ganz aktuelle Widersprüche.
Das kleine Österreich ist in einer Reihe von mittel- und südosteuropäischen Staaten der wichtigste oder zweitwichtigste Investor. Es hat in diesem Zusammenhang nicht zuletzt eine Rolle etwa bei der Zerschlagung Jugoslawiens gespielt. Ebenso gibt es kaum einen imperialistischen Krieg der letzten Jahre, an dem die Alpenrepublik sich nicht beteiligt hat. Freilich gemäß der beschränkten politischen und militärischen Möglichkeiten eines – imperialistischen – Kleinstaates, der sich 1955 offiziell als „immerwährend“ neutral bezeichnen musste. Abschließend ist – gerade auch in diesem Zusammenhang – besondere Vorsicht zu empfehlen, wenn Regierungen von „humanitären Aufgaben“ oder notwendigen Einsätzen für Menschenrechte sprechen. Gerade dort, wo solche Einsätze in den letzten Jahren stattfanden, ist entweder die Gewalt weiter eskaliert, oder die entsprechenden Gebiete ähneln inzwischen klassischen Kolonien oder Schutzgebieten.