Di 01.07.2003
Die frühen 90er sahen bedeutsamen Widerstand der ArbeiterInnenklasse gegen die neoliberalen Angriffe des Kapitals, besonders im Öffentlichen Sektor: 1992 der Aufstand der BergarbeiterInnen in Britannien, die belgischen Streiks im Öffentlichen Sektor, und der gegen Juppe gerichtete Streik der öffentlich Bediensteten in Frankreich 1995, der den Boden für den Zusammenbruch der damaligen französischen Rechtsregierung bereitete. In ähnlicher Weise führte der vierstündige Streik der italienischen ArbeiterInnen 1994 zum Kollaps der ersten Berlusconi-Regierung. In den späten 90ern traten Aktionen dieser Art allerdings in den Hintergrund. Ursache dafür waren nicht zuletzt die Hindernisse, die die rechte Gewerkschaftsführung und ihre politischen Äquivalente -Blair, Jospin, Schröder - also die Führung der ehemaligen europäischen ArbeiterInnenparteien, der ArbeiterInnenbewegung in den Weg stellte.
Entgegen früherer Vorzeichen konnten daher die Wirtschaftsbosse während des Booms der 90er eisern ihre neoliberale Agenda - Privatisierung, Flexibilisierung, Personalabbau, etc. - verfolgen. Bitterer Widerstand von Seiten der ArbeiterInnenklasse in verhinderte allerdings in mehreren europäischen Ländern, dass die Bürgerlichen ihr Programm gänzlich umsetzen konnten. Nun, unter dem Eindruck ernster wirtschaftlicher Rezession, wurde der stückweise Abbau von Arbeitsrechten von viel tiefgehenderen Attacken der herrschenden Klasse abgelöst. Grund dafür ist das Bedürfnis der Bourgeoisie ihre fallenden Profite zu retten, angesichts der Krise und verschärfter Konkurrenz von Seiten der USA, Japan, China, etc. Im Gegenzug haben diese Angriffe wiederum eine Welle der Wut von Seiten der ArbeiterInnenklasse ausgelöst. Von den ärmsten EU-Ländern wie Griechenland und Portugal, über im Mittelfeld rangierenden Staaten wie Spanien und Italien bis zum alten Europa mit Deutschland und Frankreich: Die Antwort auf den Generalangriff des Kapitals sind Proteste, Demonstrationen und Streiks. Wie ist dieser Generalangriff zu stoppen? Die Schlussfolgerung die viele gezogen haben ist, dass nur entschiedenste Aktion die Gefahr abwenden kann. Die Option des Streiks und damit besonders des Generalstreiks ist damit wieder auf der Tagesordnung der ArbeiterInnenbewegung.
In einer Anzahl von Ländern haben ArbeiterInnen unter dem Eindruck kapitalistischer Reaktion bereits ihre Bereitschaft zu kämpfen unter Beweis gestellt - Generalstreiks inklusive. Griechenland, das im vergangenen Jahrzehnt viele Generalstreiks erlebt hat (insgesamt 20!), sah im September 2001 die größten Mobilisierung der ArbeiterInnenklasse der gesamten letzten zehn Jahre - die rechte Regierung unter Simitis hatte die bereits ohnehin mageren Pensionen der griechischen ArbeiterInnen unter Beschuss genommen. Diese Bewegung war so stark, dass sie einen panischen Rückzug der Regierung von ihren ursprünglichen Plänen zur Folge hatte, die Maßnahmen wurden "komplett zurückgenommen", wie der Premierminister öffentlich zu erklären gezwungen war. Freilich hinderte dies die griechische Regierung nicht daran weitere Angriffe auf ArbeiterInnenrechte und Arbeitsbedingungen zu starten: Lockerungen des Kündigungsschutz und damit größere Freiräume für Unternehmer Arbeiter zu kündigen, die Einführung von Teilzeitarbeit, die Abschaffung des Acht-Stunden-Tags und der Fünf-Tage-Woche. Die Antwort darauf war ein zweiter Generalstreik der griechischen ArbeiterInnen innerhalb von zwei Monaten.
Im April 2002 erlebte Italien seinen ersten einheitlichen Generalstreik in 20 Jahren, als Reaktion auf die geplannte "Reform" des Artikel 18 des Arbeitsrechts (der die willkürliche Kündigung von ArbeitnehmerInnen in Betrieben ab 15 Beschäftigten verhindert). Dem folgte im Oktober ein zweiter Generalstreik der 120 Städte in ganz Italien umfasste, sowie eine der größten Demonstrationen in der italienischen Geschichte im März 2003, als drei Millionen sh:Menschen in Rom demonstrierten.
Spanien wiederum wurde im Juni 2002 von einem Massenstreik gegen ganz ähnliche Maßnahmen wie die der Berlusconi-Regierung, eingeführt von Berlusconis spanischen Gegenstücks Aznar und dessen rechtsgerichteter Partida Popular, erschüttert. Zwei Millionen ArbeiterInnen gingen auf die Strasse, die großen Gewerkschaften sprechen von zehn Millionen die sich am Streik beteiligten, das sind 84 Prozent der ArbeitnehmerInnen in einem Land in dem nur zwei Millionen ArbeiterInnen gewerkschaftlich organisiert sind. Spanien war auch Schauplatz massiver Demonstrationen gegen den Krieg sowie der globalen Protestbewegung in den letzten zwei Jahren, wie die meisten Länder in West-Europa. Portugal sah 2002 einen gewerkschaftlichen Aktionstag in den Ausmaßen eines Generalstreiks gegen das Sparpaket der neuen rechten portugiesischen Regierung.
Frankreich sah sich im Mai 2003 einer Bewegung von mehreren eintägigen Streiks gegenüber, die hauptsächlich den öffentlichen Sektor, aber auch wichtige Teile des privaten Sektors mit einschlossen. Diese Bewegung zeigt ohne Zweifel eine Tendenz sich in viel breitere Aktionen gegen die neoliberalen Angriffe der Raffarin-Regierung auszudehnen, möglicherweise bis hin zu den Ausmaßen eines Generalstreiks. Sogar in Deutschland, wo Schröder mit Opposition aus den Reihen der handzahmen SPD, aber viel stärker noch von Seiten der Gewerkschaftsbasis konfrontiert war, hat der Versuch Schröders Blairs neoliberalen Kurs zu folgen, die Option eines eintägigen Generalstreiks für Teile der deutschen ArbeiterInnenklasse zu einem Thema gemacht.
Die Machtfrage stellen
Die obigen Beispiel zeigen sehr deutlich die Bereitschaft der ArbeiterInnenklasse auf den Ruf ihrer Organisationen, in der Vergangenheit erkämpfte Errungenschaften und Rechte zu verteidigen, sehr entschieden zu folgen und zu antworten. Allerdings zeigt sich in allen der zitierten Beispiele fehlendes Selbstvertauen und eine gewisse Unsicherheit darin wie nach den ersten Schritten fortzufahren sei. Das fehlende Selbstvertrauen ist trotz der immensen potentiellen Stärke, die diese Aktionen gezeigt haben, klar vorhanden. Das bezieht sich nicht nur auf ihre potenzielle Macht und wie diese effektiv eingesetzt werden kann, um die Kapitalisten zu besiegen, sondern auch und vor allem auf die Frage nach der politischen Alternative.
In diesem Sinne unterscheidet sich das Bewusstsein der ArbeiterInnen in Europa entschieden von dem früherer Perioden des Kampfes. Das trifft sogar zu wenn man Frankreich 1995 mit der aktuellen Bewegung vergleicht. Es gibt auf den Demonstrationen klare Unterstützung für die Generalstreiklosung, aber in Dauer und Ziel eines solchen Streiks ist nicht klar. Viele Gewerkschaftsaktivisten verlangen einen mehrtägigen Streik, manche sogar einen unbefristeten, aber diese Forderung ist noch nicht verbunden mit einer politischen Alternative für die ArbeiterInnenklasse, sei es in Form einer demokratischen sozialistischen Gesellschaft oder in Form eines Sturzes der Regierung: statt "Generalstreik bis die Regierung weg ist" heißt es "Generalstreik bis die Pläne vom Tisch sind".
Diese Situation ist teils der Propagandaoffensive der Bürgerlichen zur Verunglimpfung der Traditionen der ArbeiterInnenbewegung, der Ideen von Kampf und Solidarität, geschuldet, eine Offensive die von der rechten Gewerkschaftsführung nicht gekontert wurden. Diese Offensive ist wiederum verbunden mit dem ideologischen Angriffe des Kapitals nach dem Zusammenbruch des Stalinismus gegen sozialistische Ideen. ( Es war nicht der Sozialismus der sich als unfähig erwies, wie es uns bürgerliche Ideologen weismachen wollen, sondern sein Zerrbild, der Stalinismus. Die Ideen einer demokratisch geplanten Wirtschaft, einer sozialistisch geplanten Gesellschaft um das Chaos des Kapitalismus zu ersetzen, sind nach wie vor gültig. Diese wurde allerdings nur von den zahlenmäßig relativ kleinen Kräften des Marxismus, wie des CWIs und anderen, verteidigt. Der Rechtsruck der Gewerkschaftsführung und der Führung der ehemaligen ArbeiterInnenparteien hat ebenfalls dazu beigetragen, das Selbstvertrauen der ArbeiterInnenklasse weiter zu untergraben.
Allerdings haben die Menschen der Arbeiterinnenklasse keine andere Wahl mehr als zu kämpfen - ihre Existenz und das Überleben ihrer Familien stehen mittlerweile auf dem Spiel.
In dem Prozess der sich abzeichnet, werden sie nach entschiedener Aktion suchen, in Form des Generalstreiks. Für MarxistInnen ist der Generalstreik kein Wunder- oder Allheilmittel, der in allen Situationen einsetzbar ist. Außerdem unterscheidet sich ein eintägiger vorbereitender Generalstreik grundsätzlich von einem unbefristeten Generalstreik. Letzterer steht in Europa zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf der Tagesordnung, allerdings, angesichts der Zuspitzung der Polarisierung zwischen den Klassen, könnte er in Zukunft zum Thema werden, und zwar schneller, als zu diesem Zeitpunkt vorstellbar ist.
Teil der Vorbereitung auf diese Situation sind Analyse und Diskussion des Generalstreiks, besonders in jeweils unterschiedlichen Situationen. Die heutige Situation unterscheidet sich grundlegend von jener der 70er und 80er und sogar in gewissem Ausmaß von jener der 1990er. Damals gab es einen politischen Attraktionspool in Form von bürgerlichen ArbeiterInnenmassenparteien und den Kommunistischen Parteien. Dieser Attraktionspool existiert nicht mehr, mit Ausnahme vielleicht der Rifundazione Communista in Italien, die eine "neue" Formation ist. Außerdem wurden die Gewerkschaften in vielen Ländern zumindest zahlenmäßig und in ihrer Präsenz in den Betrieben etc geschwächt. All das verlangt eine sorgfältige Prüfung der Forderungen die wir in der jeweiligen Situation in die ArbeiterInnenbewegung hineintragen, um diese nach vorne zu bringen. Leo Trotzki warnte vor ultralinken Gesten bei diesem Thema: "Ein Generalstreik, besonders in den alten kapitalistischen Ländern verlangt eine sehr genaue und sorgfältige marxistische Prüfung der konkreten Umstände." (aus: In the middle of the road)
MarxistInnen haben stets verstanden, dass ein unbefristeter Generalstreik die Machtfrage stellt. Das verstehen auch die ernsthaften Repräsentanten der Kapitalisten. In den frühen 80er Jahren lag der Generalstreik "in der Luft" wegen der provokanten Attacken Thatchers auf die Gewerkschaften. Die Times ihrerseits zögerte nicht den Gewerkschaftsführern zu erklären, dass ein Generalstreik letztlich eine revolutionäre Geste ist, und die damalige Gewerkschaftsführung genauso wenig revolutionär wie der Rest des Landes (13.1.1980).
Dieses Statement unterstreicht nur, was der frühere britische Premierminister David Lloyd George den Gewerkschaftsführern 1919 erklärte: Wenn ihr eure Drohung wahrmacht und streikt werdet ihr uns besiegen. Aber wenn ihr das tut, habt ihr euch auch die Konsequenzen überlegt? Ein Streik wird die Regierung in die Knie zwingen, und gerade in diesem Erfolg eine verfassungsmäßige Krise ersten Ranges auslösen. Wenn eine Kraft im Staat entsteht die stärker als der Staat ist, muss sie darauf vorbereitet sein die Funktionen dieses Staats zu übernehmen oder zurückstecken und die Autorität des Staats akzeptieren. Haben Sie das bedacht meine Herren, und wenn ja, sind sie bereit?". Die Reaktion des rechten Gewerkschaftsführers der Bergarbeiter Robert Smillie war: "Von diesem Augenblick an waren wir geschlagen und das wussten wir."
In anderen Worten: Die Gewerkschaftsführung dieser Zeit waren nicht darauf vorbereitet die ArbeiterInnenklasse zur Machtergreifung zu mobilisieren. Das trifft auf die gegenwärtigen Gewerkschaftsführer ebenso wenn nicht sogar stärker zu - sie sind noch nicht einmal so radikal wie ihre Gegenstücke aus den 80ern geschweige denn wie jene nach dem ersten Weltkrieg. Für die ArbeiterInnenklasse stellt sich auch die Machtfrage zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Aktion in Form eines Generalstreiks, besonders wenn er ausgeweitet wird und den breiteren Charakter eines unbefristeten Generalstreiks annimmt, und damit die Mehrheit der ArbeiterInnenklasse oder zumindest ihre stärksten Teile einbezieht, stellt allerdings objektiv die Machtfrage, wenn auch noch nicht so klar im Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse. Das Verständnis und Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse ist jedoch ein entscheidender Faktor darin, welche Forderungen wir zu welchem Zeitpunkt nach vorne tragen. Das breite Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse wird geprägt von einer Kombination von Ereignissen, Erfahrungen und der Rolle von Massenorganisationen und ihrer Führung darin der ArbeiterInnenklasse zu helfen klare Schlussfolgerungen zu ziehen.
Wie wenig das jene verstehen die sich nicht auf marxistische Ideen stützen, zeigen die Kommentare von George Monbiot in der britischen Tageszeitung The Guardian, der im Vorfeld des Irak-Krieges keine sorgfältige und genaue Herangehensweise an die Frage des Generalstreiks hatte. Die Socialist Party, britische Sektion des Komitees für eine ArbeiterInnen-Internationale (CWI), brachte an gewissen Punkten im Vorfeld des Krieges die Idee von Streiks und gewerkschaftlicher Aktion - nicht eines Generalstreiks! - in die Bewegung ein. Da nicht einmal die linken GewerkschaftsführerInnen für solche Aktionen vorbereiteten und mobilisierten, kam es nicht dazu. Um einen Weg zu finden der über Demonstrationen und Propaganda hinausgeht und der Bush und Blairs Kriegstreiberei hätte stoppen können, überlegte Monbiot welche Aktionen möglich wären und zog die Schlussfolgerung: "Viele AktivistInnen überlegen laut weitergehendere Streikaktionen - bis hin zum Generalstreik." Diese Forderung sieht er nicht als für alle Gelegenheiten geeignet: "Das allerdings ist schwierig und gefährlich. Einige Generalstreiks waren erfolgreich...andere waren kontraproduktiv und in einigen Fällen desaströs... Wenn wir für einen Generalstreik aufrufen und jeder zur Arbeit geht, wird Blair das als Zeichen sehen, dass er tun kann was er will. Dennoch sei das zumindest die "Größenordnung in der zu denken" sei. Dann allerdings argumentiert er weiter: "Wenn wir die ArbeiterInnen nicht zur Gänze mobilisieren können, gibt es immer noch genug Möglichkeiten um den Politikern zu zeigen was Sache ist". Er schlägt "Straßenblockaden, Blockaden der wichtigsten Gebäude und Störaktionen bei Reden von Politikern" vor (7.1.2003) .
Es ist leichtsinnig und vorschnell, die Frage des Generalstreiks auf einer Ebene mit solch Minimalen Aktionen zu nennen. Über die Forderung eines Generalstreiks zu improvisieren, und besonders in solch einer ernsten Frage wie Krieg, ist ein schwerer Fehler. Ein Generalstreik kann nur über eine längere Periode vorbereitet werden und effektiv dann ausgerufen werden wenn es die Situation erfordert, und von denen die in den Augen der ArbeiterInnenklasse die notwendige Autorität in der vorherigen Periode gewonnen haben. Offenbar besitzt George Monbiot trotz guter Intentionen diese nicht. Noch hat er die Erfahrungen der europäischen ArbeiterInnenklasse zu diesem Thema miteinbezogen und verarbeitet. Sogar die große Revolutionärin Rosa Luxemburg, hat die unabhängige Bedeutung des Generalstreiks überschätzt, wenn er nicht mit der Machtübernahme durch die ArbeiterInnenklasse und der Etablierung eines ArbeiterInnenstaats verbunden ist.
Ebenso versprachen die sozialdemokratischen Parteien wie die Deutschlands und Frankreichs unter August Bebel und Jean Jaurès, dass sei im Kriegsfall auf einen Generalstreik zurückgreifen würden, wie im Beschluss des berühmten Baseler Kongresses der 2. Internationale 1912 festgehalten wurde. Doch wie Trotzki in der Folge richtig feststellte, war dieses Versprechen nichts als "Theaterdonner". Die sozialdemokratischen Parteien stellten die Frage des Generalstreiks in einer leblosen, formalen und lediglich rhetorischen Art und Weise. Sie waren nicht auf einen Generalstreik vorbereitet. Ein Proteststreik vor dem Krieg, solange er von denen ausgerufen wird, die das Vertrauen der ArbeiterInnenklasse besitzen, ist möglich, wie das zum Teil während des Irak-Kriegs in einigen Ländern West Europas der Fall war, aber ein Generalstreik sobald ein Krieg begonnen hat, ist eine andere Geschichte. Wenn die fundamentalen Interessen der herrschenden Klasse auf dem Spiel stehen, kann nur ein Generalstreik der mit dem Sturz des Kapitalismus verbunden wird, unter diesen Umständen zu Erfolg haben. Das wiederum kann nur in der vorhergehenden Periode der ArbeiterInnenbewegung vorbereitet werden.
Diese Bedingung war aber weder im Vorfeld noch während des Kriegs vorhanden. Wenn Mobilisierung für einen Krieg bereits im Gange ist, sind dies sehr schwierige Umstände - da im Zuge dessen eine patriotische Stimmung aufkommt - um einen Generalstreik zu fordern. Der Generalstreik ist eine wichtige Waffe, aber, wie Trotzki richtig erklärt hat, "ist er nicht universal. Es gibt Bedingungen unter denen ein Generalstreik die ArbeiterInnen mehr schwächen kann als den unmittelbaren Feind. Der Streik muss ein wichtiges Element in der Ausarbeitung von Strategie sein und ist kein Allheilmittel in dem alle anderen Strategien subsummiert sind. Er hat auch unterstrichen dass der Generalstreik eine Waffe gegen eine übermächtige Staatsmacht die Eisenbahnen, Telegraphen, Polizei und Armee etc zur Verfügung hat: "Indem er den Staatsapparat paralysiert kann ein Generalstreik entweder die Regierung einschüchtern oder den Boden für eine revolutionäre Lösung der Machtfrage bereiten."
Er kann zum Beispiel ein Mittel sein um ArbeiterInnen in einer Diktatur zusammenzuschließen, beginnend mit sektoralen Streiks, übergehend in einen Generalstreik und schließlich solche Stärke gewinnen dass er das Regime stürzt. In anderen Umständen kann dieses Mittel jedoch ungeeignet sein. Zur Zeit Kornilov´s Marsch auf Petrograd 1917 z.B. dachten weder die Bolschewiki noch die Sowjets, die ArbeiterInnenräte, daran einen Generalstreik auszurufen. Im Gegenteil, die BahnarbeiterInnen setzten ihre Arbeit fort damit sie Kornilovs Gegner transportieren konnten und seine Kräfte entgleisen lassen. Die ArbeiterInnen in den Fabriken setzten ihre Arbeit fort ausgenommen derer die gegen Kornilovs Kräfte kämpften. Zur Zeit der Oktoberrevolution 1917 war ebenfalls keine Rede von Generalstreik - die Bolschewiki hatten Massenunterstützung und unter diesen Bedingungen hätte ein Generalstreik bedeutet sich selbst zu schwächen und nicht den kapitalistischen Gegner. An den Eisenbahnen, in den Fabriken und Büros halfen die ArbeiterInnen dabei die den Sturz des Kapitalismus voranzutreiben und einen demokratischen ArbeiterInnenstaat zu etablieren.
Diese allgemeinen und doch nützlichen Beobachtungen Trotzkis treffen noch nicht auf die Situation zu in der sich die ArbeiterInnenbewegung in Britannien und Westeuropa heute befindet. Der Charakter der "teilweisen" Generalstreiks die stattfinden ist in gewisser Weise ähnlich der Situation in den Jahrzehnten vor dem ersten Weltkrieg, die auch von Trotzki kommentiert wurde: "Es gibt Fälle in denen die Regierung sich von Generalstreiks einschüchtern lässt und oberflächliche Zugeständnisse macht und nicht die offene Konfrontation sucht."
Das war der Fall bei dem belgischen Generalstreik von 1893 und in wesentlich größerem Rahmen in Russland im Oktober 1905. Unter dem Druck des Streiks war das Zaristische Regime 195 gezwungen "verfassungsmäßige Zugeständnisse" zu machen. Der Streik in Belgien wurde von 300000 Streikenden getragen (inklusive linker katholischer Gruppen) und wurde von der Belgischen Labour Party ausgerufen. Es gab eine Reihe von Konflikten zwischen DemonstrantInnen, Polizei und Armee. Allerdings wurde dieser Streik abgesagt als die Regierung das Wahlalter für Männer mit 25 festsetzte (1885 war das Wahlalter auf 30 hinaufgesetzt worden. Der Erfolg des Streiks sicherte den Weg für die Wahlerfolge der Labour Party die 1894 27 Sitze gewannen.).
Die heutige Situation kann am ehesten verglichen werden mit der Situation in Belgien verglichen werden, wenn auch nicht dogmatisch oder vereinfacht. 1995 zog die französische Juppé-Regierung die Attacken auf die ArbeiterInnenklasse zurück, weil der Streik sie eingeschüchtert hatte, und zahlte dafür mit einer empfindlichen Wahlniederlage und der Machtübergabe an die Jospin-Regierung 1997. Dieselbe Juppé-Regierung warnte Raffarin dass "die Straße" seine Attacken nicht akzeptieren würde, und deutete an, dass die konservative französische Regierung angesichts einer Massenbewegung würde zurückweichen müssen. Diese Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen. Dennoch hat sich die Situation seit damals nicht unwesentlich verändert. Die herrschende Klasse in Frankreich hat die Schlussfolgerung gezogen, dass die Verschlechterung ihrer Position sie dazu zwingt der USA und Britannien in ihrem neoliberalen Kurs zu folgen.
Welche politische Alternative?
Die Streikaktionen der ArbeiterInnen haben ohne Zweifel die herrschend Klasse erschüttert und zu kleinen Zugeständnissen geführt, dennoch haben sie diese nicht daran gehindert ihre Agenda bis zum Ende umzusetzen. Raffarin scheint, anders als die Regierung von 1995, entschlossen zu sein durchzuhalten. Das deutet darauf hin dass sich die Bewegung in zwei Richtungen entwickeln könnte: In die Richtung noch entschiedeneren Widerstands mit einem eintägigen Generalstreik oder noch länger; oder einem kurzzeitlichen zurückstecken der Bewegung um sich später noch bestimmter wieder zu erheben. Die Gewerkschaftsführer, vor entschiedenerer Aktion zuückschreckend, neigen zu letzterer Option. In Italien gab die Berlusconi-Regierung den Eindruck, den Wiederstand der Streiks und Demonstrationen gegen sie ausgesessen zu haben (obwohl sie kürzlich schmerzlich Verluste bei den Regionalwahlen zu verzeichnen hatte). Einer der Gründe warum ihr das möglich war, war die Tatsache dass die Führung der großen Gewerkschaften der herrschenden Klasse versicherte, sie hätten keine Absicht den "demokratisch gewählten" "Cavalier" Berlusconi auszuhebeln. Das spiegelt nicht die Stimmung der italienischen ArbeiterInnenklasse wieder die nicht nur ihre Macht dazu nützen wollen Artikel 18 zu verteidigen sondern die Streiks auf jene Betriebe mit weniger als 15 Beschäftigten auszudehnen und Wahlen zu erzwingen in denen Berlusconi besiegt wird.
Die Raffarin-Regierung ist trotz der durchsichtigen oberflächlichen Zugeständnissen die sie gezwungen war machen entschlossen in der Offensive zu bleiben. Ähnlich, allerdings mit viel Händeringen, hält auch Schröder in Deutschland, mit der Unterstützung der CDU und den Druck der Bürgerlichen im Nacken, an seinem Sparkurs und seinen Attacken auf Pensionen und Sozialstaat fest. In Österreich waren mehr eine Million ArbeitnehmerInnen in 18000 Betrieben, damit ein Drittel aller Beschäftigten in Österreich, an den Streikaktionen des 3. Juni beteiligt - damit der größte Streik der Zweiten Republik. Sogar die Polizei und Gendarmerie schlossen sich dem Streik an. Der ÖGB war dagegen von der überwältigenden Antwort auf ihren Streikaufruf, die Aktionen waren in ihren Ausmaßen zumindest ein teilweiser Generalstreik, mehr erschreckt als die rechte ÖVP-FPÖ-Regierung. Sie beriefen eine Pressekonferenz ein, um zu erklären dass die Aktionen gegen die Attacken auf die Pensionen vertagt seien, ungeachtet der Forderung nah einem Generalstreik der von der SLP, österreichische Sektion des CWIs, energisch in die Bewegung hineingetragen wurde und bei den Beschäftigen und Streikenden regen Zuspruch fand. Die SLP hat zu einer bundesweiten Konferenz von BetriebsrätInnen, GewerkschaftsaktivistInnen, SchülerInnen und Arbeitslosen aufgerufen um den Kampf gegen die Regierung von unter aufzubauen. So stark ist der Konservatismus der Gewerkschaftsführung dass die Generalstreikforderung mit der Forderung nach Aktionskomitees und BetriebsrätInnenkonferenzen um den Streik zu organisieren verbunden werden muss.
Sogar ein eintägiger Generalstreik, geschweige denn ein unbefristeter wird von der gegenwärtigen Generation rechter Gewerkschaftsführung gefürchtet. In Ländern die eine Tradition von eintägigen Streiks haben, kann die Gewerkschaftsführung diese benutzen um der ArbeiterInnenklasse zu erlauben Dampf abzulassen. In Frankreich allerdings ist den Gewerkschaftsführern die Erinnerung an 1968 ins Bewusstsein gebrannt, als ein eintägiger Generalstreik zu einem unbefristeten Generalstreik führte und in der Folge zu Fabrikbesetzungen. Daher ihre Zurückschrecken vor einem totalen eintägigen Stopp der Produktion. In anderen Ländern jedoch, wie z.B. Österreich, Deutschland oder Britannien, die nicht dieselbe unmittelbare Erfahrung haben, kann ein eintägiger Generalstreik von immenser Bedeutung darin, die ArbeiterInnenklasse darauf vorzubereiten zu entschiedenen Aktionen zu greifen um die Kapitalisten zu besiegen.
All das stellt für ArbeitnehmerInnen die Frage welche Aktionen die Offensive von Unternehmern und Regierung besiegen kann. In einigen Fällen, wo es bereits eintägige Streiks gegeben hat, ist es notwendig einen Schritt weiter zu gehen. In Spanien z.B. hat das CWI in Folge der massiven Streikbewegung letzten Jahres weitergehende Streikaktionen gegen die Aznar-Regierung, diesmal auf 48 Stunden ausgedehnt, gefordert. Diese Aktionen hätten den Boden für einen unbefristeten Generalstreik bereiten können. In Frankreich, andererseits, hat die Welle von Streiks und Demonstrationen Raffarin nicht zum Rückzug gezwungen. Die Frage einer Ausweitung der Aktionen, zunächst auf einen eintägigen Streik der öffentlich und privat Beschäftigte umfasst, später vielleicht auf einen Generalstreik, kann hier aufgeworfen werden. Es kann natürlich nicht ausgeschlossen werden, angesichts der Tradition von Initiativen von unten in der französischen ArbeiterInnenklasse, dass eine Bewegung ähnlich der von 68 aufflammt - mehr als ein eintägiger Streik aber noch nicht ganz ein kompletter Generalstreik wie im Mai-Juni 68. Allerdings ist es eher wahrscheinlich, dass auf kurze Sicht die französische ArbeiterInnenklasse, besonders in ihren fortgeschritteneren Schichten, sich sammelt um auszuarbeiten was der beste Weg nach vorne ist.
Wegen des Fehlens einer Alternative und eines breiten sozialistischen Bewusstseins, stellt sich die Frage nach einem unbefristeten Generalstreik in Verbindung mit einer Machtübernahme durch die ArbeiterInnenklasse zu diesem Zeitpunkt für die ArbeiterInnenklasse in Frankreich und anderswo noch nicht. Die Stimmung in der ArbeiterInnenklasse läuft eher darauf hinaus, ihre Macht auszuprobieren und Muskeln spielen zu lassen, um Zugeständnisse von der Regierung zu erzwingen, sie zurückzuzwingen, ihre Offensive zu stoppen. Daher sind die Slogans der Bewegung von entschlossenem Charakter, machen aber vor der Forderung nach einem unbefristeten Generalstreik halt. Ein eintägiger Streik ist zu Beginn das beste Mittel um die ArbeiterInnenklasse für kommende Kämpfe vorzubereiten und zusammenzuschweißen. Unglücklicherweise wird diese Aufgabe von den rechten Gewerkschaftsführern ihrem Charakter entsprechend, besondere Bremse ist hier die CFDT, nicht übernommen. Es ist Aufgabe der Linken, besonders der marxistischen Linken in Frankreich, der ArbeiterInnenklasse die Idee entschiedenerer Aktion dieser Art näherzubringen.
Auch in anderen westeuropäischen Ländern kann eine ähnliche Situation entstehen. Aber Generalstreiks, auch wenn sie nur einen Tag dauern, implizieren immer die Machtfrage, wer regiert wirklich. Es stehen sich zwei Kräfte gegenüber: die herrschende Klasse, deren Macht, obgleich auch nur für einen Tag, aufgehoben ist; und die enorme potentielle Macht der ArbeiterInnenklasse. Unweigerlich stellt sich auch die Frage nach einer politischen Alternative. Bei ähnlichen Bewegungen in der Vergangenheit konnten MarxistInnen die Frage aufwerfen, dass bürgerliche ArbeiterInnenparteien - z.B. die Labour Party in Britannien - oder der Zusammenschluss von verschiedenen bürgerlichen ArbeiterInnenparteien - die Kommunistische Partei und die Sozialistische Partei in Frankreich - auf Basis eines sozialistischen Programms an die Macht kommen. Wir wussten, dass das zwangsläufig eine Phase im Prozess der Wiedererwachung der ArbeiterInnenklasse sein würde, ein Punkt aus, von dem aus sich eine mächtige Bewegung und eine Klassenpartei entwickeln könnte, die fähig sind die Gesellschaft in eine sozialistische Richtung zu verändern. Unglücklicherweise hat der Verbürgerlichungsprozess der ArbeiterInnenparteien in Westeuropa in den 1990er Jahren, der heute europaweit abgeschlossen ist (und dazu geführt hat, dass neue linke ArbeiterInnenformationen wie die RC in Italien und die kleinere Schottische Sozialistische Partei entstehen), dazu geführt, dass in der heutigen Situation keine wirkliche, politische Massenalternative existiert.
Tatsächlich wurde die neoliberale Politik von Regierungen unter der Führung von Ex-Sozialdemokratien weit effektiver durchgeführt, als von offen bürgerlichen Regierungen. Die Regierung Jospin hat mehr privatisiert als die Regierung Juppe. In Deutschland ist Schröder besser als die Christdemokraten geeignet, die ArbeiterInnenklasse auf die Strasse des Neoliberalismus zu treiben. Für SozialistInnen oder MarxistInnen ist es daher undenkbar ArbeiterInnen, die Teil eines Kampfes sind, diese Parteien als politische oder Wahl-Alternative zu präsentieren. Das wäre so, wie wenn man vorschlagen würde, dem Kerkermeister extra Schlüssel für Fesseln geben würde.
Es ist daher sowohl notwendig, gut ausgearbeitete Kampfmassnahmen vorzuschlagen, die in klaren Slogans wie nach einem 24-Stunden oder eintägigen Generalstreik zusammengefasst werden, als auch im Bewusstsein der ArbeiterInnen eine politische Alternative auf Basis ihrer Macht und ihrer Stärke aufzuzeigen. D.h. Forderungen aufzustellen wie "für eine ArbeiterInnenregierung" auf Basis eines klar definierten sozialistischen Programms inklusive der Enteignung der "Kommandozentralen" des Kapitalismus und die Schaffung einer demokratischen sozialistischen Gesellschaft. Das ist eine Formel, der die Ereignisse und die künftigen Entwicklungen eine konkrete Form geben werden. Unvermeidlich wirft das auch die Frage auf, welche Parteien für eine ArbeiterInnenregierung kämpfen können bzw. diese formen können. Damit verbunden ist auch die Frage einer neuen Massenpartei der ArbeiterInnenklasse als wichtiger Schritt für die Realisierung einer solchen Regierung. Die Tatsache, dass das Bewusstsein zurückgeworfen wurde, dass in der Vorstellung der ArbeiterInnenklasse keine klare politische Massenalternative aufgeworfen wird, enthebt MarxistInnen oder SozialistInnen nicht von der Aufgabe eine politische Alternative aufzustellen, die aus den Kämpfen der Zukunft erwächst.
Europa ist in eine neue Phase eingetreten. Eine Phase von wirtschaftlicher Stagnation, im Zuge derer kleines "Wachstum" - eher Rezessions-Wachstum - den Lebensstandard der ArbeiterInnen nicht wirklich erhöhen würde, sondern eher den gegenteiligen Effekt hätte. Das bedeutet, dass die Kapitalisten nun versuchen wesentlichen Teilen der ArbeiterInnenklasse jene Lebensbedingungen, die sie in der Vergangenheit genossen, zu entreißen. Diese aber werden kämpfen, werden nach den besten Mitteln suchen, die Unternehmer und ihre Regierungen zu besiegen. Das bringt unweigerliche den Generalstreik auf die Tagesordnung. In der Vergangenheit hat die europäische ArbeiterInnenklasse diesbezüglich ungeheure Erfahrung angehäuft. Die Lehren müssen gezogen werden, es muss analysiert und in vorsichtig auf die neuen Bedingungen, die in Europa zu reifen beginnen, angepasst werden. Die vor uns liegende Periode wird eine explosive sein und von Massenstreiks, machtvollen Demonstrationen und der Politisierung der ArbeiterInnenklasse in Europa geprägt sein. In diesem Prozess wird es die Klarheit marxistischer Ideen sein, eine klare Strategie und Taktik und die Fähigkeit deutliche Forderungen zum richtigen Zeitpunkt und in einer flexiblen Herangehensweise aufzustellen, die einen Widerhall unter der ArbeiterInnenklasse auf dem gesamten Kontinent finden werden.