Do 11.03.2010
In den ersten Februartagen kochte die Furcht auf Europas Kapitalmärkten hoch. Binnen 24 Stunden purzelten die Börsen mehrerer südeuropäischer Länder um über fünf Prozent. Der Euro-Außenwert fiel unter 1,37 US-Dollar und damit auf den tiefsten Stand seit Frühjahr 2009. Was war passiert? Nachdem schon Island, Irland und das Baltikum vor der Staatspleite standen, ging die Angst um, dass auch Griechenland zahlungsunfähig werden könnte. Und Portugal, Spanien und sogar Italien ebenfalls in den Schuldenstrudel hineingeraten.
Es handelt sich nicht nur um eine Schuldenkrise, sondern um eine Wirtschafts- und Währungskrise – die große Verwerfungen in der Euro-Zone und im globalen Währungsgefüge auslösen kann. Vor allem aber droht der arbeitenden Bevölkerung – in Griechenland und weiteren EU-Mitttelmeerstaaten – eine regelrechte Kürzungsorgie.
Ruin Griechenlands
Bei der Einführung des Euro beschlossen die Mitgliedsländer mit den Maastricht-Kriterien Obergrenzen für die Haushalts- und Staatsverschuldung. Beide Hürden wurden inzwischen von so gut wie allen Staaten der Euro-Zone gerissen. In Griechenland ist die Schuldenkrise indes besonders alarmierend: So beläuft sich das Haushaltsdefizit auf das Vierfache der maximal erlaubten drei Prozent, die Staatsverschuldung soll in diesem Jahr das Doppelte der genehmigten 60 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) betragen.
Im Zuge dieser Entwicklung stuften die Rating-Agenturen die Kreditwürdigkeit Griechenlands herab. Die Risikoprämien für griechische Staatsanleihen kletterten auf Rekordhöhen. Es wird für Griechenland immer schwieriger, Abnehmer für Anleihen (Schuldverschreibungen) zu finden, weil das Ausfallrisiko steigt, also das Risiko, dass die Zinsen nicht oder nicht fristgerecht gezahlt werden können.
Mittlerweile hat die EU-Kommission (die von niemand jemals gewählt wurde) die Finanzen Griechenlands unter ihre Aufsicht gestellt! Sollte die sozialdemokratische PASOK-Regierung ihre Spar-, oder besser Kahlschlagspolitik nicht rasch genug durchziehen, will die Europäische Union (EU) ab April Bußgelder verhängen.
Tiefere Ursachen
Die FAZ titelte am 15. Dezember: „Der griechische Patient.“ Aber Griechenland liegt nicht allein auf dem Krankenbett. Andere Länder sind ebenfalls hochverschuldet. Auch außerhalb der EU. So hat Großbritannien ein Haushaltsminus von fast 13 Prozent, die USA erwarten für dieses Jahr eine Neuverschuldung von mehr als zehn Prozent. Wie kam es dazu?
Die innerkapitalistischen Widersprüche beendeten Mitte der siebziger Jahre den Nachkriegsaufschwung. Mangels profitabler Anlagemöglichkeiten in der Produktion versuchten die Herrschenden, ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen, indem sie verstärkt Gelder in den Finanzsektor steckten. Das produzierte eine Serie spekulativer Blasen. Parallel dazu wurde auf Privatisierung, Deregulierung und Lohnraub gesetzt. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks konnten die Kapitalbesitzer diesen Kurs – unterbrochen von konjunkturellen Abschwüngen – zwar noch intensivieren. Deshalb jedoch fiel die weltweite Krise des Kapitalismus in den letzten zwei Jahren umso dramatischer aus. Es rächte sich nun, dass die industrielle Basis – in den USA verringerte sich ihr Anteil auf unter zehn Prozent des BIP – massiv ausgehöhlt wurde. Länder wie Irland, die sich in der Aktien- und Immobilienspekulation besonders hervortaten, und wie Griechenland, die seit Langem zu den ökonomischen Schlusslichtern gehören, stehen jetzt mit dem Rücken zur Wand. Die Rettungspakete, die letztlich bedeuteten, dass der Staat einen Großteil privater Schulden übernahm, summierten die Schulden auf einen Umfang, dessen Gewicht nun gerade die südeuropäischen Länder fast erdrückt.
In der Vergangenheit verschafften diese sich zumindest vorübergehend Luft, indem sie ihre Währung abwerteten. Dadurch konnten Exporte verbilligt und Schulden reduziert werden. Mit der gemeinsamen Euro-Währung ist dieser Fluchtweg aber verbaut.
Öffentlicher Dienst unter Beschuss
Wenn es nach der EU-Kommission geht, wird in Griechenland zwar mit Brachialgewalt vorgegangen. Dennoch steht der Öffentliche Dienst bei der Abwälzung der Krisenkosten international generell besonders im Visier. Auch in Irland sollen die Gehälter der dortigen Belegschaften auf einen Schlag um bis zu 15 Prozent gesenkt werden. Der Downing Street Nummer 10 wurde von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers empfohlen, den Jahresetat des Öffentlichen Dienstes von Großbritannien um elf Prozent zusammen zu streichen. Auch in Deutschland hat Angela Merkels Kassenwart Wolfgang Schäuble ein neues „Sparpaket“ angekündigt.
„Double Dip“?
Zwar trägt Griechenland nur 2,6 Prozent zum BIP der Euro-Zone bei, trotzdem ist das Big Business international alarmiert. Sollte sich die Krise weiter zuspitzen und Griechenland von den Kapitalmärkten abgeschnitten werden, könnte dies – neben anderen weiterhin köchelnden Krisenherden – die Ökonomien europa- und sogar weltweit erneut runterziehen.
Griechenland hat heute Schulden von über 300 Milliarden Euro bei ausländischen Banken. Die deutschen Banken haben Kredite gegenüber Schuldnern aus Griechenland, Portugal, Spanien und Italien im Wert von 385 Milliarden Euro. Die notwendigen Abschreibungen könnten „ein bedrohliches Ausmaß für die Banken annehmen. Dies weckt an den Kapitalmärkten die Sorge, dass die Schuldenkrise ansteckend wirken und das internationale Finanzsystem in eine neue Abwärtsspirale bringen könnte“ (Stefan Ruhkamp in der FAZ vom 5. Februar).
Gleichzeitig stecken die Währungsspekulanten längst in den Startlöchern. Selbst der Dollar, der im letzten Herbst Federn ließ, war rasch zum Objekt spekulativer Geschäfte geworden. Hier droht eine neue Finanzblase zu entstehen.
Neben neuen Banken- und Spekulationskrisen kann aber auch die Sozialpolitik der Regierenden ein „Double Dip“, ein zweites Eintauchen in die Rezession, bewirken. Sollte es auf einen Schlag zu Lohn- und Sozialkürzungen im zweistelligen Bereich kommen, wie es für Griechenland, aber auch für weitere Staaten avisiert wird, könnte die ohnehin schwache kaufkräftige Nachfrage abrupt einbrechen.
Wie heißt es schon im „Kommunistischen Manifest“? „Wodurch überwindet die Bourgeoisie [Kapitalistenklasse] die Krisen? (…) Dadurch, dass sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert.“
„Ende des Euro?“
Diese Frage warf DER SPIEGEL 6/2010 auf und bestätigt, was die SAV von Anfang an prophezeite: „Eine gemeinsame Währung kann auf Dauer ohne eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht funktionieren.“ Die Jahre des Konjunkturaufschwungs konnte der Euro überstehen. Aber im Zuge der jüngsten Weltwirtschaftskrise und einer stagnativen Periode werden die zentrifugalen Kräfte im Euro-Raum enorm wachsen. Bereits die Euro-Vorläufer, die Währungsschlange und das Europäische Währungssystem, überstanden die international synchronen Rezessionen 1974/75 beziehungsweise zu Beginn der neunziger Jahre nicht.
Für Ex-Kanzler Helmut Kohl war die gemeinsame Währung und der gemeinsame Markt Europas – mit Blick auf die konkurrierenden Blöcke Nordamerika und Südostasien – eine Frage von „Krieg und Frieden“. Bei einem Scheitern des Euro würden die führenden Kapitalisten in der Euro-Zone nicht nur einen Imageschaden davon tragen, sondern auch ökonomisch einen Rückschlag erleiden. Darum werden sie viel daran setzen, den Euro zu retten. Möglicherweise gelingt es ihnen auch, die Euro-Zone über die aktuelle Krise hinweg zu bewahren. Da aber eine gemeinsame Geld- und Zinspolitik von Kapitaleignern und ihren Regierungen, die zu einander ebenfalls in Konkurrenz stehen, in Zeiten des kapitalistischen Niedergangs „auf Dauer“ nicht durchzuhalten ist, wird es früher oder später zu einem „Ende des Euro“ kommen.
Nach der Talfahrt des Dollar zeigt sich jetzt, dass der Euro den Dollar als weltweit dominante, stabile Währung nicht ersetzen kann. Auch Chinas Renminbi wird das nicht gelingen. Schließlich ist auch das „Reich der Mitte“ – dessen BIP nur ein Drittel des Sozialproduktes der Euro-Zone ausmacht –, mit Überkapazitäten und spekulativen Blasen konfrontiert. Zudem ist die chinesische Währung stark vom Dollar abhängig. Somit stehen wir vor Währungsturbulenzen, Spekulationskrisen und Handelskonflikten.
Soziale Unruhen
Mit der harten Gangart in Bezug auf Griechenland will die EU-Kommission ein Exempel statuieren. Aber nicht nur am Mittelmeer werden jetzt für die beispiellosen Rettungspakete die Rechnungen ausgestellt und Maßnahmen ergriffen, um noch in der Krise die Konkurrenzfähigkeit zu verbessern. Damit sind die im Vorjahr in der Bundesrepublik von oben befürchteten „sozialen Unruhen“ europaweit garantiert. In Island wurde erst kürzlich erneut rebelliert. In Irland musste die Gewerkschaftsspitze zumindest einen Generalstreik androhen. In Griechenland sind sich viele ArbeiterInnen und Jugendliche bewusst, dass nach sechs eintägigen Generalstreiks in 16 Monaten und der Jugendrevolte im Dezember 2008 eine Steigerung angesagt ist. Die Financial-Times-Kolumnistin Gillian Tett will sogar eine „Revolution“ nicht ausschließen. Auf alle Fälle dürfte – nicht nur in Griechenland – „ein hartes Frühjahr bevorstehen“, wie der Chefvolkswirt von Goldman Sachs, Erik Nielsen, meint.