Di 10.04.2007
Kein Freigang nach 24 Jahren Haft, keine Chance auf Entlassung, keine Gnade – das war das einhellige Urteil von BILD, Beckstein (CSU) und vielen anderen gegen Christian Klar, einem ehemaligen Mitglied der Roten Armee Fraktion.
Zur Begründung wurde dessen Grußwort an die Rosa-Luxemburg-Konferenz im Januar angeführt. Hatte Klar darin etwa öffentlich angekündigt, er wolle nach seiner Haftentlassung neue Terror-Attentate verüben? Den Eindruck musste man bekommen, angesichts der hysterischen Reaktionen.
Christian Klar hatte sich in seinem Grußwort für die „Niederlage der Pläne des Kapitals“ ausgesprochen und sich positiv auf die politischen Entwicklungen in Lateinamerika bezogen. Klar sagte wörtlich: „Das Thema der diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz ‘Das geht anders’ bedeutet – so verstehe ich es – vor allem die Würdigung der Inspiration, die seit einiger Zeit von verschiedenen Ländern Lateinamerikas ausgeht. Dort wird nach zwei Jahrzehnten sozial vernichtender Rezepte der internationalen Besitzerklasse endlich den Rechten der Massen wieder Geltung gegeben und darüber hinaus an einer Perspektive gearbeitet.“ Gemeint ist insbesondere die Linksentwicklung in Bolivien und Venezuela.
Bezugspunkt Lateinamerika
In Bolivien unternimmt Präsident Evo Morales unter dem Druck der Massen Schritte zur Nationalisierung der Erdgasvorkommen, in Venezuela wurden Ölindustrie, Telekom- und Stromkonzerne ganz oder teilweise wieder unter staatliche Kontrolle gebracht. Eine Reihe von Sozialprogrammen wurden eingeführt. Präsident Hugo Chávez propagiert sogar den „Sozialismus im 21. Jahrhundert“. Beide Staatschefs haben sich nicht etwa mit Gewalt an die Macht geputscht, sondern wurden von der Mehrheit der Bevölkerung gewählt.
Dass Christian Klar diese Entwicklung begrüßt, soll aber reichen, um ihm jede Hafterleichterung zu verwehren. Oder hat Klar vielleicht an anderer Stelle seines Grußwortes dem Terrorismus das Wort geredet? Nein, hat er nicht. Klar sagt lediglich, das Motto der Konferenz, „Das geht anders“, gelte auch in Europa. Er meint, was in Bolivien und Venezuela möglich ist, das muss auch hier möglich sein. Das ist der eigentliche Grund für die Hasstiraden, die gegen ihn losgelassen wurden.
Nehmen wir einmal an, in Deutschland würde eine Regierung gewählt, die statt weiterer Privatisierungen von Bahn und Wohnungen die Rückverstaatlichung von Post, Telekom, Müllabfuhr durchführen würde. Und diese Regierung würde Hartz IV, Studiengebühren, Rente mit 67 zurücknehmen und stattdessen mehr Geld für Bildung und Gesundheit ausgeben. Obendrein würde der neue Bundeskanzler – wie Chávez in Venezuela – den Kapitalismus in seinen Reden verurteilen und den „Sozialismus im 21. Jahrhundert“ propagieren. Das muss aus der Sicht unserer neoliberalen Politiker von CSU bis SPD eine Horrorvorstellung sein.
Beweggründe der Bürgerlichen
Dass ein ehemaliges Mitglied der RAF öffentlich Positionen der Linken unterstützt, bietet aus Sicht der Regierenden die schöne Gelegenheit, den Protest gegen Sozialabbau und die damit verbundene Kapitalismus-Kritik auf eine Stufe mit terroristischen Attentaten zu stellen. Und zwar wider besseren Wissens. Indem Klar die Entwicklungen in Lateinamerika begrüßt, gesteht er nämlich faktisch ein, dass die Methode des individuellen Terrorismus gescheitert ist, die Methode massenhaft zu kämpfen, aber Erfolge bringt.
Die linke Politik von Morales und Chávez, ihre Verstaatlichungen und Gesundheitsprogramme für die Armen, sind nicht die Folge von Terror-Attentaten, sondern das Ergebnis von zahlreichen Kämpfen, an denen sich Beschäftigte, Arbeitslose, arme Bauern zu Hunderttausenden beteiligt haben. In Bolivien nahmen die Massenproteste zeitweise die Form von regelrechten Aufständen an, in Venezuela konnte Chávez im Jahr 2002 durch eine Demonstration von über einer Million Menschen sogar wieder aus den Händen von rechten Putschisten befreit werden, die ihn gewaltsam stürzen wollten.
Der individuelle Terror hat sich hingegen mehr als einmal in der Geschichte als Sackgasse erwiesen, ob in Lateinamerika oder in Europa. Er stärkt den kapitalistischen Staat statt ihn zu schwächen, weil er Vorwände zum Abbau demokratischer Freiheiten und zum Ausbau des Überwachungsstaates liefert.
So begrenzt die Erfolge in Venezuela und Bolivien auch sind, so zeigen sie doch, auf welchem Weg man etwas erreichen kann: indem man massenhaft mit Demonstrationen und Streiks für die eigenen Rechte kämpft und indem man beginnt, Alternativen zum Kapitalismus zu diskutieren und zu formulieren. Dass sich diese Erkenntnis unter den Beschäftigten und Erwerbslosen hier zulande durchsetzt, davor haben die Regierenden und ihre Freunde in den Chefetagen der Konzerne Angst.