Fr 13.10.2023
“Wotan, der wütende Räuber, – vom eig'nen Geschlechte ward er geschlagen: an den Wälsung verlor er Macht und Gewalt” - So heißt es gegen Ende von Richard Wagners “Götterdämmerung”, dem Finale seines Opernzyklus “Der Ring des Nibelungen”. Die rechtsextreme Söldnertruppe Wagner rund um Prigoschin hatte sich bewusst nach Hitlers Lieblingskomponisten benannt. Welch Ironie: Jahrelang war die Wagner-Gruppe als verlängerter militärischer Arm des russischen Imperialismus - als “wütende Räuber” u.a. in der Zentralafrikanischen Republik, in Mali oder in Syrien - eine wichtige Stütze des Regimes. Putin und Prigoschin entwuchsen beide dem russischen Mafiakapitalismus nach dem Kollaps der Sowjetunion. Nach seinem Putschversuch wurde Prigoschin nun “vom eig’nen Geschlechte” geschlagen.
Doch der “Wälsung” Putin hat genug Schwierigkeiten, “Macht und Gewalt” wieder an sich zu binden. Der Putschversuch entzündete sich an der Krise der Kriegsführung: Der Krieg bringt zwar auch stabilisierende Dynamiken für das Regime - die Wirtschaft wird 2023 trotz der Sanktionen aufgrund der Produktion für den Krieg wachsen, die erzwungene Arbeitslosigkeit ist aus denselben Gründen historisch niedrig. Doch eineinhalb Jahre nach der Invasion ist klar, dass Putin seine Kriegsziele nicht erfüllen wird und stattdessen in einem langwierigen, enorm aufwändigen Stellungskrieg feststeckt - je mehr er sich darin aufreibt, desto mehr bröckelt die wirtschaftliche und politische Fassade der Stabilität.
Hoffnung kommt von unten
Auch wenn Triumphmeldungen westlicher Medien über das unmittelbar bevorstehende Ende Putins immer wieder kleinlaut verstummten: Putin ist angezählt. Doch die Frage, wer Putin letztendlich stürzt, entscheidet auch über die Zukunft Russlands, der Ukraine und darüber hinaus. Hinter Putins Rücken wetzen bisher loyale Profiteur*innen aus Wirtschaft, Politik und Militär bereits die Messer - von ihnen droht jedoch nur eine mehr oder weniger offene neue Diktatur oder ein zerstörerischer Bürger*innenkrieg, in dem rivalisierende Warlords ihre mafiakapitalistischen Interessen mittels ethnischer und religiöser Blutbäder durchsetzen. Die vom westlichen Imperialismus hofierte Opposition ist dazu keine Alternative. Alexei Nawalny ist selbst bekennender Nationalist, unterstützte die Annexion der Krim und tritt nur aus Opportunismus und Mangel an Macht liberal auf. Der Liberalismus der westlich gesinnten Opposition ist letztlich nur brutaler Neoliberalismus, der die katastrophale soziale Lage in Russland (20 Millionen leben unter dem Existenzminimum von 180€/Monat) durch Privatisierungen nur verschlimmern würde. Es droht eine Situation wie in den 1990ern, als im Privatisierungswahn die Lebenserwartung um 7 Jahre zurückging - und die Grundlagen für Putins Regime geschaffen wurden.
Einen tatsächlichen Ausweg können nur die russischen Arbeiter*innen und Armen aufzeigen - jene, die vom Regime entrechtet, verelendet und für seinen imperialistischen Krieg verheizt werden. Im Gegensatz sowohl zur westlichen als auch zu Putins Propaganda stehen sie keineswegs hinter dem Regime - die Invasion brachte keinen nationalen Schulterschluss, sondern zunächst eine mutige Anti-Kriegsbewegung hervor, welche Putin brutal niederschlagen musste. Der Wiederaufbau einer solchen Bewegung, schreibt ein Aktivist der ISA im russischen Untergrund, “kombiniert mit einem organisierten Klassenkampf gegen Sozialkürzungen und Jobabbau, sowie für Lohnerhöhungen, inklusive des Kampfes für die Freilassung aller politischen Gefangenen, wird den Boden für den Aufbau einer linken politischen Alternative der Arbeiter*innenklasse gegen das Regime bereiten.” Ansätze dafür gibt es: Nicht nur gibt es täglich Widerstand gegen den Krieg in verschiedenen Formen, dieses Jahr streikten auch bereits Beschäftigte des Online-Handelsriesen Wildberries sowie in der Autoindustrie.
Mittlerweile warnt Putin bei jeder Gelegenheit vor einer neuen Russischen Revolution - zurecht. Schließlich hatte diese 1917 ebenfalls ein kriegstreiberisches Regime gestürzt und den Ausbeuter*innen Macht und Reichtum entrissen. Auch auf Putin passen somit Wagners Worte: “mit der Götter ganzer Sippe in Angst ersieht er sein Ende. Nicht ihn fürcht ich mehr: fallen muß er mit Allen!”