Sa 02.10.2021
“So etwas wie eine ‘Gesellschaft’ gibt es nicht” - diese Aussage von Margaret Thatcher aus 1987 fasst nicht nur die ideologische Offensive der Herrschenden, die mit der Ära des Neoliberalismus einherging, zusammen. Sie zeigt auch, wie nah sich Neoliberalismus und die “Postmoderne” stehen. Jahrzehnte von Privatisierungen, Kürzungen und anderen Angriffen auf die Arbeiter*innenklasse haben sich auf das Bewusstsein ausgewirkt. Die “Postmoderne” bezeichnet verschiedene Ideen/Konzepte, die sich Mitte/Ende des 20. Jahrhunderts entwickelt haben und die über Jahrzehnte die akademische Welt dominiert und darüber hinaus an Popularität gewonnen haben. Wir kennen alle Aussagen wie “Der Marxismus ist überholt”, “Es gibt keine Arbeiter*innenklasse mehr”, “es ist alles komplexer geworden” oder “man kann nicht alles verallgemeinern”.
Die große Gemeinsamkeit verschiedener postmoderner Ideen ist die grundsätzliche Ablehnung einer allgemeinen “Wahrheit”, von “großen Erzählungen”. Die Enttäuschung über die Niederlage der Massenbewegung 1968 in Frankreich, nachdem die Kommunistische Partei und die Gewerkschaftsführungen nach Generalstreiks und Straßenkämpfen, statt die Machtfrage zu stellen, mit der Regierung verhandelten, war groß. Einige linke Intellektuelle suchten die Antwort nun nicht mehr im Marxismus und im kollektiven Kampf, sondern im “Diskurs” und im Fokus auf das Individuum. Ihre Überzeugung bestand darin, dass wir alles “differenziert voneinander” betrachten müssten, dass gesellschaftliche Phänomene und Entwicklungen das Ergebnis von Ideen, Diskursen und Sprache seien. Der Marxismus wurde zunehmend im selben Atemzug mit anderen Ideologien als “reduktionistisch” oder “eurozentristisch” abgelehnt. Veränderung wurde maximal im individuellen Leben oder in der Sprache angestrebt. Solche Ideen fanden im Kontext von weltweiten Niederlagen der Arbeiter*innenbewegungen und der Schwäche der marxistischen Linken ein gewisses Echo. Spätestens mit dem Zusammenbruch des Stalinismus und dem Gefühl vom “Ende der Geschichte”, bewusst von der herrschenden Klasse geschürt, wurden sie populär.
Wenn “große” gesellschaftliche Veränderung nicht mehr möglich scheint, ist es naheliegend, dass der Fokus aufs Individuum rückt. Basierend auf Foucaults Analysen von “Macht” lautete die Devise: Macht ist überall, jede*r von uns übt sie aus. Kein Wunder also, dass, auch wenn viele “postmoderne” Denker*innen das von sich weisen würden, viele Ideen, die wir heute als “Identitätspolitik” bezeichnen, ihren Ursprung in der Postmoderne haben. Tatsächlich bleiben postmoderne Ideen dabei stehen, Unterdrückung zu beschreiben, ohne Vorschläge zu bieten, wie sie erfolgreich bekämpft werden kann.
Wir sehen heute immer noch den Einfluss der Postmoderne, nicht nur wenn von “check your privilege” die Rede ist. Eine grundlegende Skepsis gegenüber kollektiver Organisierung ist immer noch präsent. Oft wird die Ablehnung von “Ideologien” von bürgerlichen und reformistischen Kräften, zum Beispiel in der Klimabewegung, als Waffe gegen Marxist*innen eingesetzt und ist dabei selbst Ideologie. Die Ablehnung von “geschlossenen” Ideologien wie dem Marxismus war und ist sehr nützlich für die Regierenden und Herrschenden. Aber: Solche Ideen fanden vor allem in einer Zeit großen Anklang, als es ein niedriges Level an Klassenkämpfen und einen Niedergang der Arbeiter*innenbewegung gab.
Vorherrschende Ideen drücken immer die jeweilige reale, die sogenannte materielle, wirtschaftliche und politische Situation aus. Die historisch tiefe Krise des Kapitalismus, in der wir stecken und die weltweite politische Polarisierung mit immer größeren und explosiveren Kämpfen und Bewegungen lässt keinen Spielraum mehr für solche ideologischen Spielereien. Immer mehr Menschen lehnen das herrschende System ab, Jugendliche sind auf der Suche nach linken Alternativen und Möglichkeiten, sich gegen Rassismus, Sexismus, Ausbeutung und Unterdrückung zu organisieren. Die Klassenwidersprüche werden deutlicher, die brutale Realität des Kapitalismus spürbarer. Die Massenbewegungen der letzten Jahre, Myanmar, Libanon, Chile, Belarus, wurden ganz maßgeblich von der Arbeiter*innenklasse getragen. Sozialist*innen haben mit dem Marxismus das notwendige Instrument, um sie zu realen Erfolgen zu führen, die Arbeiter*innenklasse zu vereinen statt sie zu zersplittern und eine Alternative zum Kapitalismus aufzuzeigen. Anders als postmoderne Ideen kann der Marxismus erklären, wie zum Beispiel die Entwicklung von Rassismus mit den knallharten, materiellen Interessen, die hinter dem Kolonialismus steckten, zusammenfiel, wie die systematische Unterdrückung von Frauen mit den ersten Klassengesellschaften entstand und heute noch lebensnotwendig für den Kapitalismus ist und so weiter. Wer diese materiellen Realitäten, die Basis jeder Gesellschaft, von Kultur, Ideen, Sprache usw., dem sogenannten Überbau, trennt, verliert sich darin, verzweifelt diesen Überbau verändern zu wollen ohne das Übel an der Wurzel packen zu können. Wir sagen: Sprache schafft nicht Realität, Diskurs schafft nicht die Wirklichkeit: Es ist das “gesellschaftliche Sein”, das “das Bewusstsein bestimmt” und dieses Sein, das kapitalistische System, können und müssen wir überwinden.