Woran scheiterte Jugoslawien?

„Kurz zusammengefasst: es ist deprimierend“ (Studentin aus Kosovo/a)
Michael Gehmacher, Margarita Wolf

Die jugoslawische Arbeiter*innenbewegung begann früh, die nationalen Grenzen der Region zu überwinden. Es gab Streiks und lokale Aufstände, die von Menschen unterschiedlicher Nationalitäten getragen wurden. Eine historische Leistung der Partisan*innenbewegung (von der bis 1948 Moskau treuen KP dominiert) bestand darin, dass die nationalen Unterschiede vorübergehend in den Hintergrund rückten. Trotz des Bruchs mit Moskau 1948 waren Jugoslawien und der Titoismus keine politische Alternative zum Stalinismus. Die KP setzte auf eine starke Bürokratie und einen permanenten Ausgleich, abwechselnd mit Repression und Zugeständnissen.

Wenn sie ihre Macht bedroht sahen, organisierten sie die Machtverteilung um. Wichtig war die starke Autonomie der einzelnen Teilrepubliken, und die Anlehnung an den Westen mit Krediten aus den USA, Großbritannien und dem Internationalen Währungsfonds IWF. Die Politik des kreditfinanzierten Aufschwungs erzeugte im Zuge der internationalen Rezession Ende der 1970er große Probleme. Anfang der 1980er einigte sich die jugoslawische Führung mit der IWF-Spitze auf ein umfassendes „Sanierungsprogramm“. Die Antwort war eine große Streikwelle: 331 Streiks gab es 1983, 1984 schon 384, 1987 waren es 1.685. Bundesweite Gewerkschafts- und Aktionsgruppen entstanden. Es gab Solidaritätsbesuche, landesweite Demonstrationen, Menschenketten über die Teilrepubliken hinweg, und vieles mehr.

Die Streikbewegung war die kämpferische Antwort auf IWF und Nationalismus der Bürokratie. Die fürchtete in allen Teilrepubliken um ihre Herrschaft und trat die Flucht nach vorne an. Der Nationalismus wurde extrem verstärkt, mit Abspaltung gedroht und später vollzogen. Die separaten Zahlungsverhandlungen halfen dem Westen, einen Keil zwischen die Teilrepubliken zu treiben. Österreich und Deutschland befeuerte den Nationalismus der herrschenden Eliten und Loslösung, um sich neue Profitmöglichkeiten zu sichern. Trotz ihrer Stärke scheiterte die gesamtjugoslawische Streikbewegung. Eine gemeinsam erarbeitete Strategie, eine marxistische Partei und eine politische Alternative gab es nicht. So verpuffte die Kraft und der Nationalismus setzte sich durch.

Balkan - lost generation

30 Jahre Waffenstillstand am Balkan: Der Kapitalismus hat der Bevölkerung aller „neu entworfenen“ Staaten weder soziale Absicherung, Minderheitenrechte noch die Lösung nationaler und ethnischer Konflikte gebracht. Alle exjugoslawischen Staaten, egal ob EU-Mitglied oder nicht, haben mit hoher Jugendarbeitslosigkeit (12.2020: Kroatien 21,6%, Kosovo/a über 50%), Korruption und Abwanderung zu kämpfen. In Serbien möchten 75% der Jugendlichen das Land verlassen. Sie haben keine Perspektive in ihrem Heimatland. Ein zusätzlicher Auswanderungsgrund sind Scheindemokratie und die Herrschaft politischer Kartelle, die sich das Geld in die eigenen Taschen stecken.

EU-Gelder, die den Einfluss von europäischen Unternehmen in der Region stärken sollen, versickern. Chinesische und russische Investitionen tragen im großen Stil zur Geldwäsche bei und erzeugen Abhängigkeit durch Verschuldung. Die ausländischen Infrastrukturprojekte helfen den Menschen vor Ort kaum, sondern dienen lediglich der Einflussnahme in einer strategisch wichtigen Region - u.a. Transitraum zwischen der EU und dem chinesischen Markt. Aber es rührt sich auch Widerstand jener, die im Land bleiben. Vor Beginn der Corona-Pandemie 2019 protestierten in Serbien, Bosnien, Albanien und Montenegro Tausende gegen die politischen Eliten und Streiks sowie linke Wahlerfolge sind schon längst keine Seltenheit mehr.

 

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