Do 20.03.2008
Was wird im Kapitalismus heute unter "Bildung" verstanden? Werfen wir einen Blick hinter leere Phrasen wie "Für das Leben lernen wir, und nicht für die Schule" und scheinheilige Versprechungen, dass in unseren Schulen und Universitäten mündige BürgerInnen ausgebildet werden. Was erkennen wir? Dazu sei ein Beispiel angeführt, dass sich jüngst vor einem Gymnasium mit bekannt konservativen Ruf ereignete: Ein politisch engagierter Mann verteilt Flyer, um für eine Demonstration aufzurufen. Die Direktorin der Schule fordert den Mann auf, das zu unterlassen. Auf seine Frage: "Wollen Sie nicht, dass Ihre Schüler sich eine eigene Meinung bilden?" antwortet sie:" Dazu sind sie erst imstande, wenn sie unsere Schule absolviert haben." Doch auch in den angeblich fortschrittlichen Schulen läuft es nicht besser: Trotz massiven Protesten wurde an einer solchen in Wien 6 bereits vor Jahren von der Direktion durchgesetzt, dass (zum Teil sexistische) Werbeplakate die Schule "verschönern". Auch dort wurde den SchülerInnen mitgeteilt, dass dies wirtschaftlich notwendig sei und diese im Grunde von Wirtschaft halt nichts verstehen würden.
Wie steht`s (noch) im Lehrplan?
Im Lehrplan der allgemein bildenden höheren Schulen (AHS) steht demgegenüber (noch) als gesetzlicher Auftrag (!) im allgemeinen Teil (der auch für Hauptschulen gilt): "Die Schule hat im Sinne des § 2 des Schulorganisationsgesetzes an der Heranbildung der jungen Menschen mitzuwirken, nämlich beim Erwerb von Wissen, bei der Entwicklung von Kompetenzen und bei der Vermittlung von Werten. Dabei ist die Bereitschaft zum selbstständigen Denken und zur kritischen Reflexion besonders zu fördern. Die Schülerinnen und Schüler sind in ihrem Entwicklungsprozess zu einer sozial orientierten und positiven Lebensgestaltung zu unterstützen." (Artikel I des ersten Teils). Tatsächlich handelt es sich hier in den Augen der Herrschenden um "Relikte" einer relativ fortschrittlichen Schulpolitik vergangener Jahrzehnte. Auf der Uni und in der Erwachsenenbildung wird bereits offen gesagt, bzw. vor allem gefordert und gefördert was der Wirtschaft nutzt bzw. der Arbeitsmarkt fordert. Vor allem auch bei der Grundlagenarbeit gilt hier, in Anlehnung an Karl Marx: "Die vorherrschende Meinung ist immer die der herrschenden Klasse."
Uns wurde nichts geschenkt!
Im Kapitalismus gibt es keine Logik, außer der des Profites. Alles, was wir tun, muss "sich rechnen", muss dazu dienen, dass die BesitzerInnen der Produktionsmittel ihr Geld optimal vermehren können. Das gesamte Bildungssystem hat primär die Aufgabe, die breite Masse auf den kapitalistischen Produktionsprozess vorzubereiten. Das erfordert heute aufgrund des technischen Fortschrittes mehr Bildung als vor hundert Jahren - daher haben auch die Herrschenden ein Interesse daran, dass der Bildungsstandard heute höher ist als damals.
Es ist jedoch eine Tatsache, dass es heute insgesamt in Österreich einen relativ hohen Bildungsstandard gibt, weil der Großteil der Bildungsangebote in der primären Ausbildung (noch) kostenlos ist. Wie in vielen anderen Bereichen, so hat auch im Bildungssektor die ArbeiterInnenklasse Freiräume erkämpft. Die Statistik Austria verzeichnet zum Beispiel in den letzten Jahrzehnten einen allgemeinen Anstieg des Bildungsniveaus der österreichischen Bevölkerung. Besaßen 1971 noch rund 62% der österreichischen Wohnbevölkerung mit 15 Jahren und älter die Pflichtschule als höchsten Bildungsabschluss, beträgt dieser Anteil Jahr 2006 nur noch 27,9%.
Bildungspolitik im Wandel: Spiegelbild der Gesellschaftsentwicklung
Die Wiener Schulreform zwischen 1919 und 1920 war eine der wichtigsten Reformen im Europa der Zwischenkriegszeit. Treibende Kraft war hierbei die Sozialdemokratie, die damals noch einen anderen Charakter hatte als heute, wo sie neoliberale Politik betreibt. Zumindest im "Roten Wien" der Ersten Republik Österreichs herrschte in Bildungsfragen eine echte Aufbruchstimmung, in der Otto Glöckel als Leiter des Wiener Stadtschulrates eine wichtige Rolle spielte. Es gab weit reichende Verbesserungen, wie zum Beispiel Kindergärten, Horte, und erstmals auch Erziehungsberatungsstellen. Das Ziel war, Bildung von Geschlecht und Herkunft abzukoppeln. Im Gegensatz zum revolutionären Russland, welches 1917 bis 1924 ähnliche pädagogische Reformen durchführte, blieb Bildung aber in Österreich, bzw. Wien trotzdem weiter (auch) eine Einkommensfrage. Gerade in der Schulpolitik machte zudem bereits der Austrofaschismus (1934-1938) mit fortschrittlichen Ansätzen radikal Schluss. Im NS-Staat dominierte schließlich die Rassenlehre nicht nur den Lehrplan; 1938 wurden etwa sofort jüdische SchülerInnen und LehrerInnen aus dem Regelschulbetrieb vertrieben.
Die 50er und 60er Jahre standen ganz im Zeichen der Nachwehen des NS-Regimes. Aufgrund der allgemein vorherrschenden These, dass Österreich das erste Opfer Hitlers gewesen war, konnten die Täter und Mitläufer auch im Bildungsbereich ungestört weiter in ihren Positionen bleiben. Der Alltag an Schulen und Universitäten war dementsprechend hierarchisch und konservativ strukturiert. Nicht einmal die strikte Trennung zwischen Buben und Mädchen, eingeführt 1939 unter Hitler, wurde in den ersten Jahrzehnten der Nachkriegszeit aufgehoben.
Die Bewegung der 68er hat die Bildungseinrichtungen nicht unberührt gelassen. Mit dem Schlachtruf "Unter den Talaren - der Muff von 1000 Jahren" sagten etwa StudentInnen in Deutschland der Selbstherrlichkeit der Professoren und den veralteten Strukturen der Universitäten den Kampf an. Auch in Österreich kam es infolge dieser internationalen Entwicklungen zu Verbesserungen für SchülerInnen und Studierende. In den 70er Jahren, als die SPÖ zumindest noch eine echte Reformpartei war, wurden auch Schulreformen umgesetzt. Weil Bildung nicht vom Gehalt der Eltern abhängig sein sollte, führte die Sozialdemokratie kostenlose Schulbücher und die Schülerfreifahrt ein. Unter Kreisky und Ministerin Firnberg wurden Lehrpläne entrümpelt, Mitbestimmungsrechte gewährt und an den Schulen und Universitäten sollte Demokratie gelebt werden. Um SchülerInnen vor der Prüfungswillkür der LehrerInnen zu schützen, wurden per Schulunterrichtsgesetz Regelungen für Schularbeiten und Tests angeordnet: zum Beispiel durften Prüfungen nicht mehr ohne Ankündigung durchgeführt werden und Schularbeiten nicht mehr unmittelbar nach mehr als zwei freien Tagen angesetzt werden.
In den 80er und 90er Jahren, zeitgleich mit der Verbürgerlichung der Sozialdemokratie, ging es mit dem Schulsystem bergab. Diese beiden Dinge hängen eng zusammen. Nun gab es unter SPÖ-Regierungen eine Reihe von Kürzungen im Bildungswesen. Schulbücher und der Schulweg kosteten zum Beispiel wieder etwas, da für beide Selbstbehalte eingeführt wurden. Dies steht auch in Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung und der Krise in der sich der Kapitalismus seit den 1980er Jahre befindet. Progressive Ansätze gab es hingegen nur wenige. Die Einführung der kooperativen Mittelschule war ein halbherziger Versuch, die Trennung, der Hauptschule und Gymnasium Unterstufe aufzuheben. Aber der Sozialdemokratie mangelte es an Konsequenz im Hinblick auf die Gesamtschule - also scheiterte sie. Unter ÖVP-Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer wurde die Kapitalisierung und Hierarchisierung der Bildungseinrichtungen vorangetrieben. Das ist allerdings eine internationale Entwicklung, die auch über die EU-Institutionen und Verträge gepusht wird. Die Entwicklung erfolgte - wie viele andere Maßnahmen - im Zuge der Durchsetzung des Kapitalismus in ganz Europa nach 1989 und einer ideologischen (neoliberalen) Offensive der Bürgerlichen. Das Studium ist in Österreich seither nicht mehr kostenlos und gewisse Studienrichtungen (zum Beispiel Medizin und Psychologie) sind durch Aufnahmebeschränkungen nicht mehr für alle frei zugänglich. In den Fachhochschulen wird die Verschulung des Studiums gefördert und den Studierenden ihre Freiheiten entzogen.
Und heute?
Von Medien und PolitikerInnen bekommen wir zu hören, dass der Stellenwert von Bildung in unserer Gesellschaft zunimmt. Die Stundenkürzungen seit der Schwarz-Blauen Regierung sprechen eine andere Sprache. Gebetsmühlenartig wird vor allem seit dem mittelmäßigen Abschneiden österreichischer PflichtschülerInnen in den PISA-Studien von 2004 und 2006 wiederholt, dass die Bildungsqualität an den österreichischen Schulen umgehend verbessert werden muss. Mit der frühen Trennung in Hauptschule und AHS ist dies jedoch nicht zu erreichen. Zwei-Klassen Bildung geht immer auf Kosten der ärmeren Bevölkerung. Der Vorwurf, in einer gemeinsamen Schule gingen Talente verloren, ist nur eine Ausrede für das Fehlen von individueller Förderung, von differenziertem Umgang mit den einzelnen SchülerInnen innerhalb der Lerngruppen.
Wie man in der Grafik sehen kann, ist es für Hauptschüler nahezu unmöglich, an allgemein bildende höhere Schulen zu wechseln. Die von der ÖVP beschworenen Schnittstellen und die Durchlässigkeit des jetzigen Bildungssystems, sind reine Illusion. Dazu kommt, dass durch jahrelange Versäumnisse in der Integrationspolitik SchülerInnen mit Migrationshintergrund jede Unterstützung und Förderung verwehrt blieb. Auch die Lehrenden wurden von den zuständigen PolitikerInnen im Stich gelassen. Es gab sogar aufgrund von "Sparpaketen" massive Verschlechterungen. So wurden zum Beispiel den Klassen mit fremdsprachigen Kindern die Stützlehrer entzogen.
Lösungsansätze
Fast jedeR zehnte SchülerIn besucht eine Privatschule. Mit einem Plus von 15,3 % im letzten Jahr ist die Zahl der PrivatschülerInnen deutlich stärker gewachsen als die Gesamtschülerzahl (plus 0,75 %). Mit Abstand größter Erhalter von Privatschulen ist die römisch-katholische Kirche: Mit insgesamt 72.600 SchülerInnen besuchen zwei Drittel aller PrivatschülerInnen ihre Einrichtungen. Elitegedanken, konservative Erziehung, hohe Schulgelder (ab 300 Euro aufwärts) und öffentliche Subventionen (der Staat übernimmt die vollen Personalkosten!) gehen vor allem hier Hand in Hand. Das Privatschul(un)wesen begünstigt somit in erster Linie die negativen Tendenzen im Bildungssystem. Es stellt keinen Lösungsansatz zur Bildungsmisere dar. Daran ändern auch einzelne Alternativschulen mit progressiven Lehrmethoden und Inhalten- welchen oft das Öffentlichkeitsrecht verwehrt wird und die im Gegensatz zu den katholischen Privatschulen kaum staatliche Gelder erhalten - nichts. Die SLP fordert daher die öffentliche und kostenlose Gesamtschule mit integrierter Berufsausbildung in Lehrwerkstätten für alle Kinder und Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr und ein Ende des Privat- und Eliteschul(un)wesens. Alle Kinder und Jugendlichen haben unabhängig von ihrer Herkunft das gleiche Recht auf die best mögliche Bildung!