Wiener Wahlen: Erleichterung ist die falsche Reaktion

SLP-Bundesleitung

Die Taktik der SPÖ ist aufgegangen. Über Wochen wurde eine Panikstimmung aufgebaut, zweifelhafte Umfragen lieferten das Unterfutter. Die Stimmung war, es ginge um „Alles“. Es hat funktioniert, die Wahlbeteiligung nach oben getrieben und der SPÖ zu ihrem deutlichen Sieg verholfen. Doch Entwarnung kann damit nicht gegeben werden: Die künftige Wiener Stadtregierung wird weiterhin eine Politik betreiben, die die WählerInnen der FPÖ in die Arme treibt. Und die FPÖ ist massiv erstarkt aus den Wahlen in Wien und Oberösterreich hervorgegangen.

FPÖ gestärkt wegen Abgehobenheit der anderen etablierten Parteien

Straches Gefühl „Wir werden es schaffen. Ich spüre es.“ beim FPÖ-Wahlkampffinale mag ihn getäuscht haben. Dennoch hat die FPÖ massive Zugewinne einfahren können. Insbesondere in den ärmeren, in den großen ArbeiterInnenbezirken Simmering, Floridsdorf und Favoriten hat sie stark gewonnen und wird hier sogar einige Bezirksvorsteher stellen. Wählerbefragungen zeigen auch, dass die FPÖ stark gewählt wurde von ArbeiterInnen (weniger von Angestellten), von Menschen mit Pflichtschulabschluss bzw. Lehre. Bedeutet das nun dass „die Arbeiter“ alle rechts sind? Keineswegs, es bedeutet aber sehr wohl, dass es der FPÖ als einziger Partei seit Jahren gelingt, das Gefühl zu vermitteln, man würde die wachsenden sozialen Probleme von Menschen ernst nehmen.

Wenn Umfragen zeigen, dass – wie schon bei den Wahlen in Oberösterreich – das Asyl- und Flüchtlingsthema dominant war, so ist das eine Überlagerung der darunter liegenden Abstiegsängste. In Wien haben 76% jener Menschen, die eine sinkende Lebensqualität sehen diesmal die FPÖ gewählt. Die Bundesregierung, führend Mikl-Leitner, hat seit Monaten das Gefühl vermittelt, Österreich würde von einer Flüchtlingswelle überrannt, mit der man nicht fertig werden könne. Auch wenn das im Vergleich zu der weit größeren Zahl von Flüchtlingen nach 1945, im Zuge der Ungarn-Krise sowie der Balkan-Kriege nicht stimmt, blieb doch das Gefühl von „es ist schon für uns nicht genug da, wie sollen wir da noch all den Flüchtlingen helfen“. Moralische Appelle an „Menschlichkeit“ oder gar „Anständigkeit“ gehen an den sehr realen Ängsten – keinen Job mehr zu haben, sich die Miete nicht leisten zu können, Arm zu sein – komplett vorbei. Die Propaganda von „Wien ist so schön“ wird von Menschen, die von einem sozialen Abstieg betroffen oder zumindest bedroht sind, eher als Provokation verstanden.

Die künftige Landes- und Bundesregierung wird im Wesentlichen weitermachen wie bisher. Vor fünf Jahren war die Situation in Wels eine ähnliche: damals kam es zu Stichwahl zwischen den Kandidaten der SPÖ und der FPÖ. Die SLP hat damals gewarnt, dass in fünf Jahren der Bürgermeister von der FPÖ kommen wird, wenn keine starke neue linke Kraft aufgebaut wird, da die SPÖ so weitermachen wird wie bisher. Am 11.10.2015 fand in Wels die neuerliche Stichwahl statt und der Bürgermeister wird nun von der FPÖ gestellt. Eine ähnliche Situation kann es in fünf Jahren in Wien geben. Denn die SPÖ – und zunehmend auch die Grünen – agieren abgehoben, werden als arrogant und selbstverliebt wahrgenommen. Sie wollten den Öffentlich Bediensteten eine Nulllohnrunde verpassen. Und viele der positiven Reförmchen der letzten Jahre (kostenloser Kindergarten, Nachhilfe etc.) stehen steigenden Gebühren und Lebenshaltungskosten gegenüber. Die Sorge um die Zukunft wird also immer größer und die Lösungen der Regierungsparteien sind keine. So kann ein weiterer Aufstieg der FPÖ nicht aufgehalten werden.

FPÖ immer normaler, aber nicht weniger gefährlich

Das Image der FPÖ als jugendliche Opposition ist in die Jahre gekommen. Tatsächlich hat die FPÖ aktuell die treuesten StammwählerInnen (in Wien: 87%). Auch die Domain als Partei der Jungen ist Vergangenheit – tatsächlich wählten die meisten Jungen die SPÖ bzw. überproportional viele Grün bzw. Neos. Der Versuch, sich mit Stenzl ein gemäßigt bürgerliches Gesicht zu geben hat nur teilweise funktioniert. Enttäuschte ÖVP-WählerInnen sind eher zu den Neos gewechselt (18%) als zur FPÖ (16%). Was die FPÖ mit Stenzl aber deutlich gemacht hat, war ihre unsoziale wirtschaftliche Ausrichtung. Die Titulierung von Stenzl als „Wiener Maggie Thatcher“ birgt mehr Input, als der FPÖ vielleicht lieb ist: Thatcher war die Speerspitze des brutalen Neoliberalismus in Europa, eine Kriegstreiberin (Falkland), eine Privatisiererin, eine Feindin der Gewerkschaften. Ähnliche Inhalte finden sich auch bei den ideologischen Thinktanks der FPÖ, u.a. im Atterseekreis einer Mischung aus ultrarechten und stramm neoliberalen Inhalten, wo „absurde Klimaschutzvorschriften“ kritisiert werden, Aufrüstung und Eliten gefordert und neoliberale Wirtschaftsprogramme gepredigt werden. In Wels wird sich in den nächsten Jahren zeigen, wie die FPÖ – wieder – auf Gemeindeebene eine unsoziale Kürzungspolitik durchführt. In den Wiener Bezirken, wo sie die Bezirksvorsteher stellen wird, wird sie zeigen, dass sie genauso Teil der abgehobenen, korrupten Elite ist wie die bisherigen Machthaber. Zwar sind die Handlungsmöglichkeiten auf Bezirksebene beschränkt, aber dennoch geht – auch weil sich rechte Schläger in solchen Bezirken dann sicherer fühlen – eine reale Gefahr von diesen neuen blauen Bezirksvorstehern aus. Proteste und Bewegungen gegen diese und ihre Politik zu unterstützen sieht die SLP als eine Aufgabe in den nächsten Jahren.

Jetzt Alternative aufbauen!

Das zentrale Element bei dieser Wahl war die Unzufriedenheit mit den Zuständen bzw. der Wunsch etwas zu verhindern. Die Begeisterung für KandidatInnen bzw. Parteien war enden wollend. 22% der SPÖ-WählerInnen wollten v.a. Strache verhindern, 40% der FPÖ-WählerInnen sind mit SPÖ-Grün unzufrieden, wollen Veränderung bzw. Protest ausdrücken, nur 24% der NichtwählerInnen hatten keine Zeit. Durch das Fehlen einer linken Alternative hat die SPÖ durch ihr den Teufel-Strache-an-die-Wand-mahlen und da sie sich als „human“ präsentierte auch von der Politisierung der vielen FlüchtlingshelferInnen profitiert. Tausende sind hier aktiv, zehntausende emotional berührt worden und wollten um jeden Preis verhindern, dass Strache Bürgermeister wird. Diese Stimmung konnte die SPÖ in Stimmen für sich umwandeln obwohl sie eigentlich das Potential für eine Linkspartei wiederspiegeln. Doch was wird nun geschehen? Tatsächlich tut die Gemeinde Wien zu wenig und zu spät. Mit dem Beginn des Winters, des Studienjahres (wo viele HelferInnen wieder an die Uni müssen) und v.a. ab dem Moment wo Deutschland die Grenzen dicht macht und zehntausende Flüchtlinge in Österreich festsitzen – wie sieht es dann mit dem Humanismus der SPÖ aus? Versprochenes muss dann eingefordert werden und gleichzeitig wird klar sein, dass es eine unabhängige politische Alternative braucht um eine menschliche Asylpolitik und Flüchtlingsunterbringung zu erkämpfen.

Das schlechte Abschneiden von Grün, ÖVP und auch Neos (die hinter ihrem Nationalratswahlergebnis in Wien von 7,6% zurückblieben) ist nicht nur dem inszenierten Duell um Wien zuzuschreiben, dass kleinere Zerrieb. Die ÖVP ist eine in Wien farb- und basislose Regierungspartei, die Grünen längst nicht mehr Alternativ und Teil einer abgehobenen Landesregierung und auch die Neos sind bereits wieder etwas entzaubert worden konnten aber noch am ehesten vom Wunsch nach etwas anderem, neuen profitieren. Auch „Gemeinsam für Wien“ hat einige Bezirksräte gewonnen und spiegelt damit den Wunsch nach einem Wahrgenommen werden von Menschen mit Migrationshintergrund als mehr als nur WählerInnen wieder.

Wer sich jetzt erleichtert zurücklehnt, dass Strache (diesmal) nicht Bürgermeister geworden ist, begeht einen großen Fehler. Die sozialen Probleme werden zunehmen, die Krise ist nicht vorbei, sondern steht vor ihrem nächsten Tiefpunkt. Auch wenn sich ÖVP und SPÖ immer unwohler in ihrer Koalition fühlen sind vorgezogene Neuwahlen mit diesen Wahlen unwahrscheinlicher geworden, da beide wissen, dass ein Platz 1 für die FPÖ nicht ausgeschlossen ist – was sie beide von den Futtertrögen der Macht vertreiben könnte.

Das Wahlergebnis wird auch nicht zu einer Stärkung des „linken“ Flügels der SPÖ führen (auch wenn Häupl keineswegs zu diesem gehört). Denn auch wenn das Argument des Strache-Verhinderns in Wien funktioniert hat so kann das auf Bundesebene ganz anders aussehen. Was der SPÖ gelungen ist, ist eine ganz Schicht von Linken und „Fortschrittlichen“ als WählerInnen zu gewinnen. Doch das sind keine MitarbeiterInnen, keine Mitglieder, die am Kurs der Partei irgendetwas verändern (könnten).

Um Strache in Wien in fünf Jahren bzw. auf Bundesebene zu verhindern braucht es dringend wie noch nie in den letzten Jahrzehnten eine ernsthafte linke Kraft. All jene, die seit Jahren über eine Alternative zur SPÖ nachdenken, müssen aufhören, auf den perfekten Zeitpunkt zu warten, sondern müssen beginnen, JETZT Schritte zu setzen. Den AktivistInnen rund um Mosaik kommt hier aufgrund der relativen Beachtung die sie erhalten eine besondere Verantwortung zu. All jene, die „diesmal noch einmal zum letzten Mal und mit zugehaltener Nase“ SPÖ gewählt haben sollten sich an einem solchen neuen Projekt beteiligen.

Die Wirtschaftskrise ist nicht vorbei, sondern steht angesichts der internationalen Wirtschaftslage vor einem neuen Höhepunkt. Nun nach den Wahlen wird es mit Volldampf losgehen: Die Sparpläne, die Landes- und Bundesregierung schon längst in den Schubladen haben, die Forderungen von Bundeswirtschaftskammer und Industriellenvereinigung nach Verlängerung und Flexibilisierung der Arbeitszeit, nach Aufweichung von Kollektivverträge und Arbeitsschutzbestimmungen, nach Kürzungen im Öffentlichen Dienst, bei Bildung und Sozialem sind zahlreich und weitreichend. In Wien droht ein hartes Durchgreifen im Rahmen z.B. des Krankenanstaltenverbundes gegen jene KollegInnen, die sich bei zwei Pflegedemonstrationen und Kundgebungen gegen die Missstände im Wiener Pflegewesen ausgesprochen haben. Nehmen wir die kommenden Kürzungsmaßnahmen in Wien und Bund als Startpunkt für eine solche neue linke Kraft. Greifen wir die Proteste im Gesundheits-, Sozial- und Bildungsbereich auf. Eine verallgemeinerte Protestbewegung wie 2000 gegen blau-schwarz ist nicht zu erwarten. Im Gegenteil werden Teile der Linken sich nun sogar zurücklehnen mit dem Gefühl, dass „schlimmeres verhindert wurde“. Doch gleichzeitig steigen die sozialen Probleme, der Druck auf Beschäftigte und Arbeitslose, der Kürzungsterror bei Bildung, Gesundheit, Pensionen etc. – und damit wird es auch zu (mehr punktuellen als verallgemeinerten) Protesten kommen. Diese aufzugreifen und zusammen zu führen ist Aufgabe von SozialistInnen und Ansatz für eine neue Formation.

Treten wir für einen entschieden sozialistischen Kurs ein. Wien Andas ist weit hinter den selbstgesteckten Erwartungen zurück geblieben. Grund dafür ist wohl auch, dass es zu Recht nicht als ernsthaftes Linksprojekt wahrgenommen wurde. Plakate die Pinguine versprechen anstatt die Arbeitslosigkeit aufzugreifen, das Fehlen bei so gut wie allen sozialen Protesten, eine Orientierung auf die WählerInnen der Grünen und nicht auf „ArbeiterInnen“ (bzw. sozial Schwache) und ein Programm das sich eher durch Beliebigkeit denn durch eine sozialistische/kommunistische Orientierung auszeichnete waren – neben der FPÖ-SPÖ Polarisierung unter der alle „Kleinen“ litten – Grund für das schwache Abschneiden. Dennoch hat Andas einige BezirksrätInnen mehr als die KPÖ bei der letzten Wahl gewonnen. Ein Zeichen für den Wunsch nach einer linken Alternative. Die Frage ist nun, was die KPÖ bzw. Andas mit diesen Mandaten macht. Ob sie Sprachrohr der existierenden Bewegungen sein werden und damit ein Baustein für eine neue Linkspartei sein können oder ob sie nur Bezirksräte wie all die anderen, aber ein bisschen linker sein werden. Dann ist wieder eine Chance vertan.

Die SLP hat bei diesen Wahlen über 100 Straßenaktionen gemacht. Viele im 20. Bezirk, wo wir auch angetreten sind. Viele aber auch in anderen Bezirken, bei Spitälern, gegen die FPÖ, in der Flüchtlingshilfe. Wir haben viel Wut erlebt, über die herrschenden Missstände. Und eine Sehnsucht nach etwas neuem, einer echten Linkspartei, einer echten ArbeiterInnenpartei. Auch bei vielen WählerInnen der FPÖ war dieser Wunsch vorhanden. Unsere Arbeit in den letzten Wochen ist auch Baustein eines solchen Projektes. Der Aufbau einer neuen Linkspartei ist ein großes und schwieriges Projekt. Aber es ist dringend notwendig. Beginnen wir JETZT damit vom Diskutieren, zum Agieren zu kommen. Weil die Reichen und Mächtigen viele Parteien haben – aber wir keine!