Di 18.02.2020
Die Welt brennt – konkret wie in Australien oder dem Amazonas oder politisch wie die zahlreichen Proteste und Aufstände auf der ganzen Welt zeigen. Das drückt sich auch in einer tiefen Krise des politischen Establishments aus. Jüngste Anzeichen dafür sind u.a. der Rücktritt von AKK in Deutschland und das Vorwahl-Debakel bei den US-Demokraten.
Der Hintergrund dieser Entwicklung ist die tiefe Krise des Kapitalismus. Diese zu beobachten und zu analysieren ist für Marxist*innen von zentraler Bedeutung da sich daraus mögliche politische Entwicklungen und Perspektiven ableiten. Dass eine nächste Wirtschaftskrise bevorsteht ist längst kein Geheimnis mehr. Unklar ist der Verlauf und ob eine „Japanisierung“, also eine Periode langanhaltender Stagnation droht. Doch auch bürgerliche Kommentator*innen debattieren mehr über das wann als das ob.
Back to normal
Was bedeutet eine weitere Wirtschaftskrise? Klar ist: das ist kein Grund zur Freude! Die soziale Lage verschlechtert sich, Armut und Arbeitslosigkeit werden weiter zunehmen. V.a. Frauen werden aus Jobs gedrängt und müssen mehr an unbezahlter Arbeit leisten – was im Umkehrschluss zwar mehr Wut, aber auch weniger Zeit für politische Arbeit bedeuten kann.
Allerdings bedeutet eine Krise keine automatische Entwicklung von Klassenbewusstsein, von umfangreichen und va. siegreichen Klassenkämpfen oder gar eine automatische Entwicklung hin zu einer revolutionären Entwicklung. Im Gegenteil können sich Kampfbedingungen sogar verschlechtern. Jobverlust und Zukunftsängste machen verzweifelt aber auch erpressbarer. Doch die Notwendigkeit für eine sozialistische, revolutionäre, eine Organisation der Arbeiter*innenklasse wird deutlicher. Und dass diese Organisierung und dieser Kampf ein internationaler sein muss ergibt sich schon aus der internationalen Verbreitung des Kapitalismus.
Die kommende Krise ist auch ein Ausdruck für die Rückkehr zur kapitalistischen Normalität. Der Nachkriegsaufschwung und die daraus entstandene Periode von relativer Stabilität und Prosperität in zumindest den entwickelten kapitalistischen Staaten war eine Ausnahmeperiode der in den Zerstörungen des 2. Weltkrieges und der Systemkonkurrenz mit der Sowjetunion wurzelte. Das Bild der 60er, 70er und teilweise noch 80er Jahre des 20. Jahrhunderts wird uns von den Propagandist*innen des Kapitals gerne als „so geht Kapitalismus“ präsentiert. In Wirklichkeit aber ist der aktuelle Kapitalismus mit Krisen, Armut auch in den entwickelten kapitalistischen Staaten, mit Regierungen die brutaler und undemokratischer agieren die Normalität dieses Systems!
Was bringt den Stein ins Rollen?
Im Gegensatz zu den tieferliegenden Ursachen einer Wirtschaftskrise können die konkreten Auslöser recht vielseitig, teilweise relativ unbedeutender Natur sein. Der aktuelle Handelskonflikt zwischen China und den USA mit seinen Auf und Abs und seinen Folgen für den Welthandel ist sowohl Symptom als auch möglicher Auslöser. Die US-Wirtschaft schwächelt nach einer langen Aufschwungperiode, die jüngste Boeing Krise beschleunigt das weiter. Doch aktuell zeigt sich, dass auch etwas, das so klein ist, dass man es nur mit dem Mikroskop erkennen kann der Auslöser sein könnte: Covid 19, das „Coronavirus“.
Für das chinesische Regime stellt das Virus ein weiteres Problem dar dass das Land und das Regime destabilisiert: nach den Wahlen (und Protesten) in Hong Kong und Taiwan die Erfolge für Listen brachten die dem Regime von Xi Jingping mehr als kritisch gegenüberstehen sind nun hunderttausende bzw. Millionen Menschen in China in Quarantäne. Sie werden nicht bezahlt und das stellt insbesondere für die Millionen Wanderarbeiter*innen ein dramatisches Problem dar. All das kommt zu einer schon länger sichtbaren Verlangsamung des Wirtschaftswachstums hinzu. Die Kritik am Regime, das zwar nun mit Härte gegen das Virus vorgeht aber auch zu Vertuschen versucht(e), wächst. Die Repression unter dem Deckmantel der Seuchenbekämpfung wird eben sowenig wirken wie jene in Chile oder dem Iran.
Noch unklar ist, wie stark die Auswirkungen von Covid 19 auf die Weltwirtschaft sein werden. Schon sind die Folgen für den Flugverkehr und Tourismus sichtbar und auch für den Welthandel. Das kann u.a. für die Autoindustrie Folgen haben. Diese hat bereits massive Probleme und ist ein Beispiel für die massive Überproduktion, die es weltweit gibt. Gerade in den entwickelten kapitalistischen Ländern ist die Industrieproduktion 2019 zurückgegangen, ein Trend der sich fortsetzen wird. Der Autokonzern Daimler hat z.B. den Abbau von bis zu 15.000 Stellen angekündigt, bei Mercedes ging der Gewinn 2019 um 61% zurück. Die Beschäftigten der Autoindustrie haben nicht nur einen hohen Organisationsgrad, sondern durchaus auch eine Kampftradition (auch wenn die Gewerkschaftsführung versucht zu bremsen wo es nur geht). Doch es sind oft nicht die „Kernschichten“ der Arbeiter*innenklasse in der Schwerindustrie, die als erste in die Kämpfe eintreten sondern, wie wir es seit längerem in Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen sehen, andere Schichten, die oft jünger, weiblicher und migrantischer geprägt sind.
Ein weiteres Problem der Wirtschaft ist die chronische Überakkumulation von Kapital, also die Anhäufung von Finanzmitteln. Investitionen sind nicht profitabel und daher landet Geld wieder zunehmend im Bereich der Spekulation oder wird gehortet werden. Die Banken horten Rekordsummen an Bargeld um den Strafzinsen der EZB zu entgehen. Insbesondere bei Immobilien, Land und Technologie bilden sich bereits wieder Blasen. Die Investitionen steigen nicht – nichts hilft weil die herrschende Klasse selbst nicht so recht in ihr System bzw. einen baldigen Aufschwung vertrauen.
All das ist Ausdruck fundamentaler Probleme – und nicht nur von konjunkturellen Dellen – des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Und das ist auch der Grund, warum die diversen Gegenmaßnahmen kaum Wirkung zeigen.
Diese Wirkungslosigkeit ist Ursache und drückt sich aus in den Streitigkeiten in der herrschenden Klasse über mögliche Maßnahmen. Die Grundlage für die Meinungsverschiedenheiten sind nicht ideologischer Natur, sondern weil unterschiedliche Maßnahmen unterschiedlichen nationalen bzw. branchenmässigen Kapitalfraktionen nutzen bzw. nutzen sollen.
So wollen z.B. verschiedene Staaten jenen Firmen eine neue Heimat bieten, die wegen des Bexit aus Britannien flüchten – hier kann sich eine Dumping-Spirale bilden. Auch die Ablehnung des Mercosur Vertrages durch das wallonische Regionalparlament drückt diese widersprüchlichen Interessen aus.
Neue Wirtschaftspolitik?
Aktuell scheint es eine gewisse Abkehr vom „Neoliberalismus“ zu geben – das wurzelte v.a. auch in der Tatsache, dass dieser höchst unpopulär ist. Aber tatsächlich setzt das Kapital die Kürzungspolitik fort und ergänzt diese durch stärkeren Staatsinterventionismus (der allerdings tatsächlich mit klassischen liberalen Wirtschaftsmodellen nicht so gut vereinbar wäre). Dazu gehören auch Maßnahmen zur Nachfragestimulation. Diese werden häufig in Kombination mit konservativen Familienmodellen umgesetzt wie die Erhöhung des Kindergeldes in Polen, aber auch in Österreich. Die Verbindung von Angriffen auf Frauenrechte und auf den Sozialstaat (bzw. dessen Reste) zeigen sehr deutlich, dass es trotz immer mehr weiblicher Politiker*innen eine frauenfeindliche Politik gibt.
Auch die Überlegungen für einen Mindestlohn wie sie zb aus der SPD kommen aber auch von Boris Johnson angedacht wurden kombinieren Populismus mit Nachfragestimulierung.
In weit größeren Dimensionen ist der EU Green Deal ein Versuch drei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: 1) die politische Krise der EU zu überwinden indem man auf den Wunsch reagiert, dass „etwas“ getan wird gegen die Klimakrise. 2) die schleppenden Investitionen mit öffentlichen Geldern anzukurbeln um die Nachfrage zu stimulieren und 3) damit im internationalen Wettbewerb wieder etwas aufzuholen indem man versucht, mit Grünem Kapitalismus in neue Märkte vorzudringen: immerhin gehen Schätzungen davon aus dass es Weltweit in diesem Bereich um ein Marktvolumen von bis zu 4,4 Billionen geht.
Die Herrschenden sind uneinig
Doch der EU Green Deal wird keine dieser Aufgaben wirklich erfüllen können - und wird dennoch die Konflikte in der EU weiter anheizen. Denn die Herrschenden Klassen sind sich uneins darüber, ob neue Schulden in Billionen Höhe gemacht werden sollen – schließlich sind diese nach 2007 explodiert und liegen bei über 300% des globalen BIP.
Sie sind uneins, ob und in welchen Ausmaß man zum zweifelhaften Mittel des Quantitative Easing greifen soll dass nach 2007 eingesetzt, zwischenzeitlich beendet und wieder gestartet wurde. Sie sind ebenfalls uneins wie mit den niedrigen bzw. negativ Zinsen weiter umgehen soll, die zwar die Schuldenrückzahlung leichter machen aber auch zur Kapitalflucht führen.
Und sie sind uneins wie sie sich im Minenfeld der innerimperialistischen Konflikte zwischen den USA, Russland und China positionieren sollen. So hat z.B. Italien als erstes G7 Land die Belt&Road Initiative (BRI) unterschrieben die einen massiven Vorstoß des chinesischen Imperialismus bis nach Europa darstellt. Die BRI ist auch ein Versuch verstärkt in Osteuropa und auf dem Balkan Fuß zu fassen wo die Investitionen aus dem „Westen“, auch aus der EU in der letzten Periode wieder abgenommen haben.
In Osteuropa sehen wir auch wie erstarkende nationale Bourgeoisen versuchen, China, Russland, die USA und die EU gegeneinander auszuspielen um davon zu profitieren. Und wir sehen hier eine zunehmend selbstbewusste Arbeiter*innenklasse die die Folgen des Stalinismus und auch seines Zusammenbruches weitgehend abgeschüttelt hat und sich mit Klassenkämpfen – auch erfolgreichen - bemerkbar macht.
Die Herrschenden Klassen wissen, dass sie noch weniger Möglichkeiten haben als 2007 um der Krise und ihren Folgen zu entgehen – sie sind zerstrittener und ihr Möglichkeiten für Gegenmaßnahmen sind geschrumpft. Mit dem EU Green Deal werden außerdem Sicherheitsleinen für die Finanzmärkte, die nach 2007 eingeführt wurden, wieder gekappt – und damit könnten die Auswirkungen der kommenden Krise noch dramatischer werden da die Spekulation wieder zunimmt.
Die Herrschenden wissen aber auch um den Widerstand gegen ihre Politik und auch ihr ganzes System, der 2019 in einer Welle von Protesten über den ganzen Globus gerollt ist. Wenn sie wie in Frankreich zu großen Angriffen ansetzen, sei es unter dem Deckmantel des Umweltschutzes oder zur Pensionsreform – sehen sie sich mit Massenprotesten konfrontiert. Egal ob Ticketpreise, ob Korruption, der Abbau demokratischer Rechte, sexistische oder homophobe Maßnahmen, ob Jobs, Zukunftssorgen oder andere Fragen: der Protest ist laut, kämpferisch und lässt sich nicht einlullen.
Die Uneinigkeit der herrschenden Klassen in Europa vergrößert die auch zentrifugalen Kräfte in der EU. Die Zukunft der EU, die immer ein instabiles Konstrukt war, wird noch unsicherer. Klar ist, weder der Nationalismus der Rechten noch die Illusion in eine kapitalistische EU können darauf die Antwort sein, sondern es braucht den gemeinsamen Kampf gegen Kürzungspolitik die von nationalen Regierungen wie von der EU durchgeführt und geplant ist – und es braucht eine echte Alternative in Form eines geeinten Europas auf Basis einer demokratisch durch die Beschäftigten selbst organisierten Wirtschaft.
Revolution? Ein paar Zutaten sind schon da!
Lenin hatte 1915 über die Bedingungen für eine Revolution geschrieben: Unmöglichkeit für die herrschenden Klassen, ihre Herrschaft in unveränderter Form aufrechtzuerhalten; diese oder jene Krise der „Spitzen", Krise der Politik der herrschenden Klasse, dadurch Erzeugung eines Risses, durch den die Unzufriedenheit und Empörung der unterdrückten Klassen durchbricht. Für den Ausbruch einer Revolution genügt es gewöhnlich nicht, dass ‚die Unterschichten nicht mehr den Willen haben‘, sondern es ist auch noch erforderlich, dass ‚die Oberschichten nicht mehr die Fähigkeit haben‘, es in der alten Weise weiter zutreiben.“ Und genau das sehen wir in immer dichterer Abfolge. 70% in der EU bemerken die wachsende Ungleichheit, die Unzufriedenheit ist offensichtlich. Die Uneinigkeit der Herrschenden ebenfalls.
Angesichts der Klimakrise wissen auch die Herrschenden, dass diese drastische Maßnahmen verlangt. Doch gleichzeitig sind sie unfähig diese zu setzen weil sie im Korsett der Notwendigkeiten ihrer jeweiligen nationalen Kapitale gefangen sind. Dieses Scheitern wird zumindest für Teile der Klimabewegung auch immer offensichtlicher. Dabei zeigt sich in Umfragen, dass auch in Österreich das Klimathema Fragen der Migration als wichtigstes Thema verdrängt hat. Doch der EU Green Deal macht nur ca. 40% dessen aus, was die EU selbst als notwendige Mittel bezeichnet.
Kaum eine Bewegung zuvor hat die Notwendigkeit des Internationalismus und auch die Notwendigkeit der Überwindung des Kapitalismus so offensichtlich in sich getragen. Aber es gibt auch die Gefahr dass aus der Panik vor dem Klimakollaps und seinen Folgen ein „alle zusammen gegen die Katastrophe“ Stimmung um sich greift die versucht, Klassenkampf als Hindernis angesichts der „großen Bedrohung für die Menschheit“ darzustellen.
Das ist auch die Argumentationslinie der Grünen für ihre Regierungsbeteiligung in Österreich, eine Regierungskombination die in ganz Europa mit Interesse betrachtet wird als vermeintliche Lösung für die Krise des Establishments. Wie schon Macron oder Trudeau wird auch Kurz und diese Regierung bald an Glanz verlieren. Und Österreich ist auch das Beispiel, warum die Idee „alles der Klimafrage unterordnen“ in der Praxis falsch ist. Denn ganz abgesehen davon, dass Umwelt- und Klimafragen eben auch ganz stark soziale Fragen sind wird diese grün-türkise Regierung nicht einmal für die Umwelt etwas bringen – und auch der Krise des bürgerlichen Systems bestenfalls eine kurze Atempause verschaffen.
Aus der Unfähigkeit der Herrschenden die sozialen, ökonomischen aber auch ökologischen Probleme zu lösen ergibt sich eine enorme Verantwortung für Sozialist*innen. Wir müssen die Lage analysieren, ein Programm entwickeln das echte Lösungen anbietet und einen Weg aufzeigen, wie die Kämpfe gewonnen werden können. Wir müssen eine Weltpartei der Arbeiter*innen und Unterdrückten aufbauen, die in der Lage ist genau das in den internationalen Kämpfen zu tun. Wir haben eine Welt zu gewinnen.