Di 27.08.2013
„Keine Sorge, den Politikern geht es gut!“ war die ironische Antwort eines ungarischen Bekannten auf die Frage nach der sozialen Krise in seinem Heimatland. Zumindest das ist gleich geblieben seit dem Fall der stalinistischen Diktaturen in Osteuropa. Der überwiegenden Mehrheit in diesen Staaten geht es aber nicht nur schlecht, es geht ihnen immer schlechter: Die offiziellen Zahlen zur Arbeitslosigkeit (Lettland 13,7 %; Kroatien 19,1 %; Mazedonien 30,5 % (Quelle: WKO)) sind nur die Spitze des Eisbergs. In Ungarn wurden seit 2008 bereits 40.000 Haushalte zwangsgeräumt, weitere 170.000 sind davon bedroht. Moldawien ist eines der Länder mit der höchsten Zahl an Tuberkulose-Opfern weltweit, sexuell übertragbare Krankheiten verbreiten sich im ganzen Raum immer schneller. Beides sind Armutsphänomene und es gibt noch viele weitere Beispiele.
Die Krise hat Osteuropa hart getroffen. Von einem kurzen Aufschwung von 1998-2008 ist fast nichts mehr übrig. Rumänien, Ungarn und Lettland mussten bereits internationale Finanzhilfe annehmen, andere Staaten stehen kurz davor. Obwohl sie von den „guten Jahren“ wenig hatte, zahlt jetzt vor allem die ArbeiterInnenklasse die Kosten der Krise. Alle öffentlichen Leistungen, also auch der Öffentliche Dienst, sind von den Kürzungen betroffen. Wer noch Arbeit hat, erhält Niedrigstlöhne; wer keine hat, erhält kaum genug Unterstützung zum Überleben.
Vor allem Jugendliche, aber auch Ältere, versuchen dem zunehmenden Elend nach Westeuropa zu entkommen. Dazu braucht es eine gute Ausbildung. Für die Anderen bleibt keine Perspektive. Drogenkonsum, Gewalt und Kriminalität nehmen zu.
Groß ist der Wunsch nach einer politischen Alternative. Linkere Parteien, soweit vorhanden, hängen oft noch den Ideen des Stalinismus an, die in der Praxis zur Umsetzung von Kürzungen führen. Oder sie haben als Regierungsparteien bewiesen, dass sie auch keine sozialen Verbesserungen bringen. Sie sind für Jüngere unattraktiv.
Hier tut sich eine Lücke auf, die oft von Nationalismus und Rassismus gefüllt wird. Wo die Wut kein sinnvolles Ventil findet, lenken bürgerliche PopulistInnen sie gerne auf Minderheiten oder traditionelle "Feinde". In den Nachfolgestaaten Jugoslawiens kommt es immer wieder zu entsprechenden Ausschreitungen, rechtsextreme Parteien räumen bei Wahlen ab, wie z.B. 2012 Miloševićs alte „sozialistische Partei“. Die jährlichen Massen-Angriffe auf Homosexuellen-Paraden erinnern an Pogrome. Besonders verbreitet ist der Hass auf Sinti und Roma. Auch Antisemitismus erlebt ein neues Hoch in Osteuropa: „Die Juden“ werden zum Symbol all dessen gemacht, was in die Krise geführt hat. Vor allem ungarische Juden/Jüdinnen verlassen bereits ihr Heimatland.
Alles, was von den wirklich Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik ablenkt, ist den Herrschenden sehr willkommen. Aber diese Ablenkungen reichen nicht aus, um die brutale Kürzungspolitik weiterzuführen. Die erste Reaktion der Regierungen auf wachsende Proteste ist der Abbau demokratischer Rechte. Von den bürgerlichen Medien im Westen ignoriert, kommt es immer wieder zu brutalen Polizeieinsätzen gegen soziale Bewegungen. Damit schützen die Regierungen nicht nur sich selbst, sondern auch die Profite internationaler und österreichischer Banken.
Aber was hat in die Krise geführt? Warum endete der Aufschwung der Nullerjahre? Was ist die Bilanz von knapp 25 Jahren Befreiung vom Stalinismus? Welche Perspektive hat der Widerstand gegen die Kürzungspolitik? Auf diese Fragen versucht der Vorwärts-Schwerpunkt eine Antwort zu finden.