Di 18.06.2019
50 Jahre Pride: Der Kampf geht weiter!
Erkämpfte Errungenschaften müssen heute verteidigt, echte Befreiung aber noch erkämpft werden.
von Monika Jank
Am 28. Juni 1969 fanden in der Christopher Street in Manhattan/USA die Stonewall-Proteste statt. Das queere Proletariat New Yorks in seiner ganzen Vielfalt wehrte sich mit tagelangen Straßenschlachten gegen die ständigen Razzien, Kontrollen und Schikanen der zutiefst rassistischen und homophoben Staatsmacht. 50 Jahre später ist v.a. auf der offiziellen Ebene einiges erreicht: Seit Juni 2018 sieht die Weltgesundheitsorganisation Transidentitäten nicht länger als geistige Störung. Das ist ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die Diskriminierung, der Trans- und Intersexpersonen weltweit ausgesetzt sind, da ihnen das individuelle Recht auf Selbstbestimmung und Selbstidentifikation von staatlicher Seite oder religiösen und rechten Vereinen und Parteien meist abgesprochen wird. Homosexualität wurde in vielen Ländern entkriminalisiert oder legalisiert, verschiedene Formen von Ehe für alle wurden eingeführt - in Österreich z.B. zu Beginn des Jahres. Seit 2015 haben lesbische Paare Zugang zu künstlicher Befruchtung. Es gibt offen homosexuelle Politiker*innen und die Stadt Wien schmückt zur Pride auch die Straßenbahnen. Diese Veränderungen sind auch Ausdruck der Stärke der LGBTQ-Bewegung.
Doch sie wird auch vom Kapital instrumentalisiert. So präsentieren sich einige Firmen und Teile des politischen Establishments als Unterstützer*innen von LGBTQ-Rechten. Dies ist aber nur vorgeschoben: Der Kapitalismus ist flexibel und macht alles zur Ware. Die LGBTQ-Community wird schlicht als Markt gesehen.
Auch neoliberale Parteien wie die NEOS oder Hillary Clintons US-Demokraten geben sich scheinbar progressiv. Dadurch wollen sie Stimmen einfangen und lenken von ihrer eigenen Kürzungspolitik ab. Von genau dieser und ihren Folgen - Wohnungslosigkeit, Gewalt, Arbeitslosigkeit… - sind jedoch die Mehrheit der LGBTQ-Personen noch stärker betroffen als andere. Denn sie sind in ihrer überwiegenden Mehrheit Teil der Arbeiter*innenklasse und nicht der High Society. Dieselbe scheinheilige Politik nützt auch der autoritären Rechten. Diese nutzt die Pseudo-Solidarität des Establishments für ihre Hetze, indem sie Neoliberalismus mit gesellschaftlich fortschrittlichen Positionen gleichsetzt.
Durch die Wahl von rechtsextremen Politiker*innen wie Trump und Bolsonaro wird homophobe Diskriminierung verfestigt und der Boden für homophobe Gewalt geebnet. Kurz nach der Wahl Bolsonaros in Brasilien sah sich ein offen schwuler Politiker gezwungen, das Land zu verlassen. Doch beide Präsidenten sind auch mit großem Widerstand auf der Straße konfrontiert. Dem Mord an Marielle Franco, einer offen lesbischen sozialistischen Politikerin in Rio de Janeiro, folgten Massenproteste, mitgetragen von der LGBTQ-Community. In Argentinien wird im Zuge der Bewegung für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbruch darauf hingewiesen, dass Transmänner ebenfalls unter der Kriminalisierung von Abtreibung leiden. Ihre spezifische Situation soll nicht aus der Bewegung ausgeschlossen werden.
Es ist einiges erreicht worden, doch es ist eben immer noch nicht „normal“, schwul, lesbisch, bi- oder transsexuell zu sein oder sonst nicht ins „traditionelle“ Mann-Frau bzw. Vater-Mutter-Kinder Bild zu passen. Immer noch muss man sich „outen“ und gibt es die Notwendigkeit für eine queere „Szene“.
Um das zu überwinden ist es wichtig, sich nicht auf die Unterschiede in sexueller Orientierung, Geschlecht, Gender oder auch Hautfarbe, Religion etc. zu versteifen, sondern den Kampf gegen jede Form der Unterdrückung zu vereinen. Viele Menschen radikalisieren sich durch den Kampf für LGBTQ-Rechte und beginnen von dort aus, andere Ungerechtigkeiten, die Kapitalismus und Klassengesellschaft mit sich bringen, in Frage zu stellen. In Linz beispielsweise findet dieses Jahr zum 3. Mal die Regenbogenbogenparade statt. Im Vergleich zur Wiener Ausgabe, die eher Party-Charakter aufweist, ist sie viel kämpferischer und hat letztes Jahr inhaltlich den Kampf für LGBTQ-Rechte mit dem Kampf gegen den 12-Stunden-Tag verbunden. Diese Verbindung ist sehr wichtig, da die Unterdrückung von LGBTQ-Personen nur durch einem gemeinsamen Kampf gegen und durch die Überwindung des Kapitalismus beendet werden kann.
Der „Christopher Street Day“ fand vor dem Hintergrund der 68er Bewegung, der Bewegung gegen den Vietnamkrieg und dem Generalstreik in Frankreich statt. Auch die heutige Welle von Protesten ist Teil einer weltweiten Politisierung gegen Unterdrückung und Ausbeutung. Die sehr lebendige LGBTQ-Bewegung ist heute aber fest im Establishment verankert, beschränkt sich auf Lobbyarbeit statt auf Kämpfe. Klar ist: Queer sein bedeutet nicht automatisch, links oder fortschrittlich zu sein. Die AfD-Politikerin Alice Weidel lebt offen in einer lesbischen Beziehung… Die Debatte über das „wie“, „wofür“ und „mit wem“ kämpfen ist daher in der Bewegung dringend notwendig.
Queere Zahlen und Fakten
- In mehr als 70 Ländern ist Homosexualität von Männern, und in den meisten davon auch von Frauen, illegal und mit Strafen besetzt. Diese reichen von Bußgeld über ein paar Tage Freiheitsentzug bis hin zur Todesstrafe.
- In der EU wurden 26 % der Homosexuellen und 35 % der Transgender-Personen innerhalb der letzten fünf Jahre wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität körperlich oder verbal angegriffen.
Österreich:
- Rund 20% der LGBT-Personen fühlen sich am Arbeitsplatz oder auf der Jobsuche diskriminiert. Knapp jede*r Dritte ist auf der Arbeit nicht geoutet.
- Rund 90 % erinnern sich an Mobbing in der Schule, viele sind in der Ausbildung daher nicht oder nur teilweise geoutet.
- Seit 1.1.2019 gilt hierzulande die „Ehe für alle“, doch trotzdem gibt es Heiratseinschränkungen für homosexuelle Paare. Nur wenn beide Ehepartner*innen entweder aus Österreich oder einem anderen Land kommen, in dem die Ehe für alle erlaubt ist, können diese auch tatsächlich heiraten. Andernfalls führt Österreich die Diskriminierung der Herkunftsländer fort. Eheschließungen in anderen Ländern von vor 2019 werden hierzulande auch nicht anerkannt.
- Bei medizinischen Untersuchungen werden die speziellen Bedürfnisse von LGBT-Personen oft nicht berücksichtigt. Und auch wenn die Krankenkasse bei Transpersonen einen Teil der anfallenden Kosten (medizinisch, psychologisch und juristisch) übernimmt, bleiben doch ein bürokratischer Hürdenlauf und immer noch für viele kaum leistbare Beträge.
- Gehalt: Laut Stadt Wien Statistik differenziert sich das Einkommen der LGBT-Community entlang von Geschlecht, ist jedoch niedriger als im generellen Durchschnitt: Männer verdienen durchschnittlich mehr als Frauen. Homo-/ bisexuelle Frauen bekommen weniger als heterosexuelle Frauen. Homo-/ bisexuelle Männer bekommen weniger als heterosexuelle Männer. Mehr als die Hälfte der Transgender-Personen verdienen weniger als 700€ Netto monatlich.
- Homo- und Bisexuelle wie auch Trans-Personen haben aufgrund der fehlenden gesellschaftlichen Akzeptanz im Vergleich zu Heterosexuellen ein höheres Risiko für Depression und Selbstmord. Das führt zu einer deutlich niedrigeren Lebenserwartung im Vergleich zur Gesamtbevölkerung.
LGBTQ-Bewegung und soziale Befreiung
Um echte Befreiung zu erkämpfen, müssen wir den Kapitalismus stürzen.von Pablo Hörtner
In den letzten 50 Jahren wurde eine Menge erkämpft. Und dennoch: Weltweit steigt homophobe und transphobe Gewalt wieder an. In Frankreich erreicht sie ein Rekordhoch. Das zeigt, dass auf Staat und Polizei kein Verlass ist. Dass die gleichgeschlechtliche Ehe in Österreich von der Justiz eingeführt werden musste, weil FPÖVP diese im Parlament bereits zwei Mal blockiert hatten, zeigt auf zynische Weise, dass selbst grundlegende Menschenrechte im „modernen“ Kapitalismus des 21. Jahrhunderts nach wie vor erkämpft werden müssen und keine Selbstverständlichkeit sind. Lieber halten FPÖ und ÖVP an einem reaktionären Weltbild mit klaren Rollenbildern und an der bürgerlichen Kleinfamilie als Ideal fest: Die Frau als liebende Mutter und Hausfrau; der Mann als Oberhaupt und Ernährer der Familie. Gleichzeitig schmücken sich große Konzerne wie Google, Amazon, Facebook oder Microsoft mit dem Label der Vielfältigkeit (Diversität) und Weltoffenheit, doch rühren diese „Global Players“ am Ende keinen Finger, wenn es darum geht, sich solidarisch zu zeigen und eine rechtliche Gleichstellung zwischen In- und Ausländer*innen oder zwischen den Geschlechtern zu erwirken.
Vor dem Kapital sind wir alle gleich: Fleißige Bienchen, die für möglichst wenig Lohn möglichst lange arbeiten und dabei möglichst viele Produkte oder Dienstleistungen auf den Markt werfen, die wir im Anschluss dann wieder zurückkaufen sollen. Im Idealfall verdienen sich die Kapitalist*innen so ein goldenes Näschen. Unser Geschlecht oder unsere ethnische Zugehörigkeit ist ihnen hierbei im Grunde egal, solange die Rendite stimmt.
Der Kampf gegen LGBTQ-Unterdrückung ist ein Kampf der Arbeiter*innenklasse in all ihrer Vielfalt.
Wehe uns aber, sollten wir auf die glorreiche Idee kommen, uns zusammenzuschließen und gemeinsam für einen europaweiten Mindestlohn, für eine radikale Verkürzung der Arbeitszeit, für gleiche Rechte für alle – unabhängig von sexueller oder sozialer Identität – oder für gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit zu kämpfen. Schließlich haben die Kapitalist*innen ein grundlegendes Interesse an einer nachhaltigen Spaltung der Arbeiter*innenschaft, profitieren sie doch am meisten von der unterschiedlichen Bezahlung von Frauen und Männern oder von billiger migrantischer Arbeitskraft. Darum sind die Kapitalist*innen keine Bündnispartner*innen und Pink Capitalism oder Corporate Prides keine Lösung.
Dabei drängt sich natürlich unweigerlich die Frage auf, weshalb selbst große und mächtige Gewerkschaftsverbände wie ÖGB, DGB, oder AFL-CIO in den USA und Kanada solche Kämpfe in der Regel weder initiieren noch unterstützen. Der gemeinsame Kampf für das Frauenwahlrecht oder für den Achtstundentag – unabhängig von Geschlecht oder ethnischem Hintergrund – zählt zu den besten Traditionen der Arbeiter*innenbewegung, und es wäre an der Zeit, diese positiven Traditionen aufzugreifen und solche zentralen sozialen Kämpfe wieder gemeinsam zu führen. Wir haben aber nichts davon, wenn ÖGB und AK die Pride formal unterstützen, in der Praxis aber nicht für unsere Rechte eintreten. Die Führungen dieser Strukturen haben es sich schon lange im Kapitalismus gemütlich gemacht und seine Ideologie übernommen. Das führte dazu, dass Auswege aus der Unterdrückung jenseits des Klassenkampfes gesucht wurden. Doch diese enden in identitätspolitischen Sackgassen. Die Konzentration auf die Forderung nach „Ehe für alle“ statt auf soziale Forderungen und die Suche nach individuellen Lösungen statt kollektiver Aktion sind die Folge. Es liegt an uns, die konservative Gewerkschaftsbürokratie herauszufordern und unsere Kämpfe wieder in die Gewerkschaften und Betriebe zu tragen, anstatt auf identitätspolitische Single-Issue-Bewegungen zu setzen.
Aus ihrer Kritik an der Schwarzen Bürger*innenrechtsbewegung und ihrem klassenübergreifenden und identitätspolitischen Fokus auf das Schwarzsein entwickelten Schwarze Sozialistinnen in den USA in den 1970er Jahren ihre Theorie der Triple Oppression oder Dreifachunterdrückung – der Überschneidung (Intersektion) struktureller Unterdrückung aufgrund der sozialen, sexuellen oder ethnischen Zugehörigkeit. Dieser Kritik nach wurde die Mehrfachunterdrückung schwarzer Frauen aus der Arbeiter*innenklasse nur unzureichend von der mehrheitlich männlichen, heterosexuellen und sozial bessergestellten Führung thematisiert. Es war und ist richtig, das zu kritisieren. Wenn aber in heutigen, v.a. akademischen, Debatten verschiedene Formen der Unterdrückung nur nebeneinander aufgereiht werden, gerät ihre gemeinsame Basis aus dem Blickfeld. Die bürgerliche Ansicht des alten liberalen Feminismus kehrt zurück, wonach Rassismus und Sexismus nur Vorurteile seien, denen durch Aufklärung und Erziehung entgegenzuwirken wäre.
So auch in der Intersektionalitätstheorie, welche diese Gedanken aufnahm. Heute wird in postmoderner Manier aus Klassengegensätzen „Klassismus“ – eine Diskriminierungsform unter vielen. Damit wird die Beschaffenheit von Klassenunterdrückung jedoch nicht erklärt, die in den Produktionsverhältnissen wurzelt. Also darin, dass manche Kapital besitzen und andere nur die Arbeitskraft, damit dieses Kapital für erstere profitabel wird. Um LGBTQ-Unterdrückung zu beenden, müssen Menschen nicht aufhören, heterosexuell zu leben. Klassenunterdrückung zu beenden bedeutet jedoch, dass es über den Arbeiter*innen keine Kapitalist*innen geben kann, welche ihre Arbeitskraft ausbeuten.
LGBTQ-Aktivismus und Sozialismus gehören seit jeher zusammen. So war der Arzt und Begründer der modernen Sexualforschung Magnus Hirschfeld (1868–1935) bereits um die Jahrhundertwende einer der Mitbegründer der weltweit ersten LGBTQ-Bewegung – und Sozialist. Er verband den Kampf gegen Homophobie und Transphobie und für rechtliche und politische Gleichstellung stets mit dem Kampf gegen Kapitalismus und für eine andere Gesellschaftsordnung; ebenso seine Freunde und Genossen Kurt Hiller (1885–1972) und Arthur Kronfeld (1886–1941). Der Kampf um soziale und politische Rechte wurde immer wieder mit dem Kampf gegen Kapitalismus verbunden.
Bei den Stonewall-Riots und nachfolgenden Protesten trat die Differenz unterschiedlicher Geschlechteridentitäten (Gender) oder ethnischer Zuschreibungen gegenüber dem gemeinsamen Klassenhintergrund und ähnlichen Lebensumständen, gemeinsamen Interessen und einem gemeinsamen Feind – Staat, Patriarchat und Kapitalismus – in den Hintergrund. Die untrennbare Verbindung der Produktions- und Geschlechterverhältnisse wurde wieder zentral. Bereits Marx und Engels hatten von der Verschränkung von Klassengesellschaft und Patriarchat aufgrund ihrer gemeinsamen Wurzel geschrieben. Auch wenn sich im Kapitalismus einige rechtliche und soziale Verbesserungen erkämpfen lassen, muss uns klar sein, dass diese schon bei der nächsten Krise oder autoritären Wende wieder unter Beschuss geraten könnten. Nur eine gemeinsam erkämpfte Gesellschaft ohne Klassen und gesellschaftliche Zwänge, Ausbeutung und Unterdrückung kann auf Dauer ein gutes Leben für alle garantieren.
Marx aktuell: Regenbogen über Russland
von Jan Millonig
Die Revolution 1917 in Russland bedeutete den Sturz der zaristischen Monarchie und der kapitalistischen Wirtschaft durch die Massen der Arbeiter*innen und Bauern. Angeführt von der bolschewistischen Partei stellten die darauffolgenden sozialistischen Maßnahmen einen neuen Maßstab für sozialen Fortschritt dar. So war es auch der erste Arbeiter*innenstaat der Welt, der vor 100 Jahren eine unschätzbare Pionierarbeit für die Rechte von LGBTQ-Personen leistete. Das revolutionäre Russland war weltweit das erste Land, das Homosexualität und die gleichgeschlechtliche Ehe legalisierte. Auch geschlechtsangleichende Operationen und die Eintragung des anderen Geschlechts im Pass wurden ermöglicht. Inter- und transsexuelle Menschen erhielten medizinische Behandlung und Forschungen zu diesen Themen wurden staatlich finanziert. Offen homosexuelle Menschen konnten in Regierungsämtern und öffentlichen Positionen arbeiten, wie zum Beispiel Georgy Chicherin, der 1918 Außenminister wurde. Es begann eine breite gesellschaftliche Diskussion zu Themen wie Beziehung und Sexualität. Die Zwangsinstitution der heterosexuellen bürgerlichen Kleinfamilie sollte aufgehoben werden – nicht wiederum durch Zwang, sondern durch die Vergesellschaftung der Hausarbeit durch kommunale Wäschereien, Kindergärten und Kantinen.
Aber die Folgen des 1. Weltkrieges, der nachfolgende Bürgerkrieg und imperialistische Interventionen, kombiniert mit der vor der Revolution unterentwickelten Wirtschaft und dem Ausbleiben von erfolgreichen Revolutionen im Rest Europas trieben das Land in Isolation und Mangel. Das führte zur Herausbildung einer bürokratischen Diktatur in Form des Stalinismus. Es war Ausdruck der Degenerierung der Sowjetunion, dass u.a. LGBTQ- und Frauenrechte im Zuge der stalinistischen Konterrevolution in den 1930er Jahren wieder abgeschafft wurden. Der Stalinismus setzte Homophobie sogar bewusst als Propagandainstrument ein. Das war der Anfang vom Ende – der kapitalistischen Restauration mit all den homophoben und reaktionären Auswüchsen, die wir heute in Russland sehen.
Doch der revolutionäre Geist lebt in der Vision, die diese Erfahrung gezeigt hat, weiter. Denn abgesehen davon, dass solche Verhältnisse zu jener Zeit in jedem anderem (bürgerlichen) Land unvorstellbar waren, stellen viele der damaligen Errungenschaften auch noch heutige Staaten in den Schatten. Die Perspektive, die die Russische Revolution aufgezeigt hat, nämlich die Möglichkeit der Arbeiter*innenklasse, die Herrschaft der Oligarchen und Konzerne zu stürzen und selbst eine demokratische Gesellschaft frei von Ausbeutung und Unterdrückung aufzubauen, gibt uns Hoffnung. Wir wissen: Der Kapitalismus und sein Establishment kann uns kein Leben in Würde bieten. Doch wir sind es, die ihn stürzen können.
Zum Weiterlesen:
Queer stellen! – Broschüre der SAV, deutsche Schwesterorganisation der SLP - hier per E-Mail bestellen!
Gemeinsam kämpfen – gemeinsam gewinnen!
Konzerngesponserte Party-Umzüge haben wenig mit dem Aufstand am Christopher Street Day 1969 zu tun.von Flo Klabacher
Der Kapitalismus braucht Spaltung, um von den wirklichen Problemen abzulenken. Er braucht das Idealbild der traditionellen Familie, um Hausarbeit an unbezahlte Frauen auszulagern. Auch wenn Teile der herrschenden Klasse Profite aus dem LGBTQ-“Markt“ schlagen und Liberale wie Neos oder Grüne eine rechtliche Gleichstellung herstellen wollen: Insgesamt setzen herrschende Klassen weltweit vermehrt auf Sexismus, Rassismus – und auch Hetze gegen LGBTQ-Personen.
Das Referendum zur „Ehe für alle“ in Irland entlarvte das Märchen, dass Arbeiter*innen, weil „primitiv“ und ungebildet, besonders anfällig für homophobe Hetze seien. Im Gegenteil, die Vorsitzende der größten „Yes“-Kampagne erklärte: „Es schien, dass Haushalte mit viel Geld, vor denen zwei Autos geparkt waren, einfach weniger offen für eine Ja-Stimme waren“. Die Viertel, die am stärksten von der Wirtschaftskrise getroffen waren, stimmten mit den größten Mehrheiten von bis über 90% für eine Legalisierung. Kein Zufall: In genau diesen Gegenden wurde zeitgleich der Kampf gegen die geplante Wassersteuer geführt, die eine enorme Belastung für Arbeiter*innenfamilien darstellen würde. Ein Boykott der Steuer, begleitet von Massendemonstrationen und Nachbarschaftstreffen, angeführt von den Sozialist*innen der „Socialist Party“ (irische Schwesterpartei der SLP), wurde zur größten sozialen Bewegung seit Jahrzehnten. Dieser Kampf zeigte den Arbeiter*innen und sozial Schwachen deutlich, dass nicht Kolleg*innen und Nachbar*innen mit LGBTQ-Hintergrund, sondern die Parteien und Vertreter*innen des Kapitals ihre Gegner*innen sind. Während diese Bewegung im Gange war, fand das Referendum zur „Ehe für alle“ statt. In ihrer Kampagne legte sie einen Fokus darauf, den Zusammenhang vom Wassersteuer-Angriff und dem Versuch, Betroffene durch Homo- und Transphobie zu spalten, aufzuzeigen. Die Arbeiter*innenklasse in all ihrer Vielfalt nutzte das Referendum, um den konservativen Eliten einen Schlag zu versetzen. Viele wurden dabei zum ersten Mal in ihrem Leben politisch aktiv: Die Kampagne wurde zu einer sozialen Bewegung.
Die bürgerlichen Konzepte von Familie und Ehe müssen in einer freien Gesellschaft überwunden werden. In der aktuellen kapitalistischen Gesellschaft muss jedoch die volle rechtliche Gleichstellung von LGBTQ-Personen auch bei der Ehe eine Forderung der Arbeiter*innenklasse sein. Denn wehren sich verschiedene Gruppen gegen Benachteiligung und Unterdrückung, wird für Betroffene sichtbar, dass sie im Kampf gegen die Eliten nicht alleine sind und eine Verbindung der Kämpfe sie schlagkräftiger macht – Solidarität ist eine starke Waffe. Das erkannten auch die Aktivist*innen von „Lesbians and Gays Support the Miners“ (LGSM) bzw. „Lesbians Against Pit Closures“: LGBTQ-Aktivist*innen wurden von Massenmedien ganz im Sinne der Thatcher-Regierung als „Perverse“ beschimpft. Sie erkannten: Nicht nur sie, sondern auch die um ihre Jobs kämpfenden Bergarbeiter*innen wurden von Thatcher und Medien attackiert. Sie begannen, Geld für die Streikenden zu sammeln, besuchten ihre Treffen und organisierten Soli-Events. Nach jahrelangem Kampf wurde die Bewegung der Bergarbeiter*innen besiegt. Doch die Solidarität der LGBTQ-Aktivist*innen wurde von den Gewerkschaften erwidert. Sie führten Pride-Paraden an, setzten in der Labour-Party eine pro-LGBTQ-Position durch und legten so den Grundstein für rechtliche Verbesserungen für LGBTQ-Personen in Großbritannien.
Auch im vermeintlich reaktionären Polen führte die Tatsache, dass man sich der selben reaktionären Regierung und ihren Angriffen gegenüber sah, dazu, dass 2006 Bergarbeiter und ihre Familien die Pride vor Angriffen von Faschisten schützten.
Dass sich die rechtliche Situation verbessert und sich immer mehr Leute gegen die Diskriminierung von LGBTQ-Personen stellen ist gut und wichtig. Doch es bedeutet nicht, dass sich die Situation aller Betroffenen verbessert. Die Auswirkungen der Krise treffen uns als Lohnabhängige alle, aber bestimmte Gruppen besonders. Hohe Arbeitslosigkeit, teure Mieten, prekäre, schlecht bezahlte Jobs, Arbeitslosigkeit, Armut – je weiter unten wir auf der sozialen Stufenleiter stehen, desto härter betrifft uns das. Der größte Teil der LGBTQ-Personen ist Teil der Arbeiter*innenklasse und überproportional stark betroffen. Denn trotz rechtlicher Verbesserungen existiert die Diskriminierung in der harten Realität (durch Chef*in, Vermieter*in,…) weiter und wird durch die rechte Hetze noch angefeuert. Gibt es ausreichend Jobs und Wohnungen, fehlt eine Grundlage für die Diskriminierung. Eine wirkliche Gleichstellung erreichen wir nicht mit Pride-Partys, sondern durch den stolzen Kampf gegen den krisenanfälligen Kapitalismus. Der Mensch als Mensch in seiner Buntheit und Vielseitigkeit kann sich erst in einer Gesellschaft entfalten, in der die Bedürfnisse der Menschen und nicht Profite das Wesentliche sind – eine demokratisch geplante, sozialistische Wirtschaft.