Mi 30.01.2013
Es ist der Endpunkt einer unfassbaren Geschichte: Am 19. Juni 1933 tritt in Berlin die letzte Reichskonferenz der Sozialdemokratie zusammen. Hitler ist seit beinahe fünf Monaten Reichskanzler, die KPD ist unterdrückt, die Gewerkschaften aufgelöst, SozialdemokratInnen und KommunistInnen fürchten um ihr Leben und der Vorstand der SPD ist nach Prag geflüchtet. Und während Jüdinnen und Juden den Terror der Nazis zu spüren bekommen, beschließt die SPD-Versammlung die Wahl eines neuen Parteivorstands, Direktorium genannt. Keines der Direktoriumsmitglieder sollte jüdische Wurzeln haben, ein Zugeständnis an die neuen Machthaber. Das Reichstagsmitglied Ernst Heilmann kommentierte diesen Schritt damit, dass man den „[…] Faden der Legalität weiterspinnen […]“ müsse, „[…] solange er weitergesponnen werden kann.“
Doch der SPD half auch diese Selbstverleugnung nichts mehr. Am 22. Juni erklärte die Regierung Hitler sie für verboten. Die letzte deutsche Arbeiterorganisation verließ die Bühne wie alle anderen vor ihr – wie eine Statistin. Der große Abwehrkampf gegen die Nazis, drei Jahre hindurch immer wieder angekündigt, er wurde ersatzlos gestrichen.
Von braven Hunden und gezähmten Wölfen
Es gibt jenes Gleichnis von den Sozialdemokraten als gehorsamen Hunden und Kommunisten als wild gebliebenen Wölfen. So wie der Hund aus dem Wolf entstand, so hatte die SPD der Weimarer Republik, ihre Wurzeln in der kämpferischen SPD des 19. Jahrhunderts. Doch dann kam der Erste Weltkrieg und die SPD ermöglichte mit ihrer Zustimmung zu den Kriegskrediten die reibungslose Durchführung des großen Sterbens.
Der 4. August 1914, gewiss war er ein Wendepunkt in der Geschichte der SPD. Die Richtungsentscheidung fiel jedoch früher. Nichtsdestotrotz, als der Krieg mit einer handfesten Revolution in Deutschland endete, wäre eine entschlossene Führungskraft dringend von Nöten gewesen. Aber während die einfachen SPD-Mitglieder Kaiserreich und Kapitalismus, Krieg und Ausbeutung zum Teufel wünschten, sich an den revolutionären Erhebungen beteiligten, Räte bildeten und sich bewaffneten, half die Führung der SPD – ganz Wachhund geworden – im Einklang mit reaktionären Freikorps und den alten Eliten, die Aufstände niederzuschlagen.
Ausgewiesene Linke, wie Rosa Luxemburg, Leo Jogiches und Karl Liebknecht wollten diesen Weg nicht mitgehen und gründeten an der Jahreswende 1918/19 die Kommunistische Partei Deutschlands. Sie wollten Wölfe bleiben. Doch wie der Wachhund das Haus seines Herrn verteidigte, so verteidigte die SPD-Führung in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg die Eigentumsverhältnisse in Deutschland. Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Leo Jogiches und mit ihnen ungezählte RevolutionärInnen wurden mit ihrer Hilfe oder wenigstens mit ihrem Wissen ermordet. In den darauf folgenden Jahren verpasste die KPD eine Gelegenheit nach der anderen die Revolution in Deutschland zum Sieg zu führen.
Leo Trotzki, Mitorganisator der Oktoberrevolution und Gegner des Stalinschen Regimes in der UdSSR, fasste die Parabel von den Hunden und Wölfen auf seine Art zusammen: „Die Sozialdemokratie, die […] geholfen hatte, den Krieg bis zum tragischen Ende zu führen, verbot dem Proletariat, nun seinerseits die Revolution bis zum Ende zu führen. […] Die Kommunistische Partei rief die Arbeiter zu einer neuen Revolution, erwies sich aber als unfähig, sie zu führen.“
Der neue Feind der Arbeiterbewegung
Spätestens seitdem die Faschisten in Italien herrschten, musste sich die Arbeiterbewegung mit diesem Phänomen auseinandersetzen. Doch die stalinistische Clique, die in Moskau und der Komintern seit Mitte der 20er Jahre das Sagen hatte, erwies sich als dazu kaum in der Lage. Es waren vorrangig oppositionelle KommunistInnen, die sich mit dem Faschismus und National-„Sozialismus“ auseinandersetzten.
Leo Trotzki stellte dabei den sozialen Charakter der „Braunhemden“ in den Mittelpunkt seiner Untersuchung. Sie rekrutierten sich vor allem aus dem Kleinbürgertum, also den Bevölkerungsteilen, die zwischen Arbeiterklasse und Kapitalistenklasse standen: kleine Gewerbetreibende, selbständige Handwerker, Kleinbauern, höhere Beamte etc.. Damals machte diese Schicht noch über 30 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung aus, heute sind es kein 15 Prozent mehr. In ihm herrschten widersprüchliche ideologische Tendenzen. Einerseits hatten viele Kleinbürger ein – eher krudes – antikapitalistisches Weltbild. Der kleine Handwerker schielte voller Existenzangst auf die Profite der großen Unternehmen. Eigentlich hätte die Arbeiterbewegung politische Anknüpfungspunkte an dieses Bewusstsein finden müssen, besonders da das deutsche Kleinbürgertum durch die Hyperinflation des Jahres 1923 riesige Einbußen hatte hinnehmen müssen. Der kapitalistisch-demokratischen Republik schenkten die deutschen Kleinbürger ihr Vertrauen nicht mehr.
Doch die Fehler von KPD und SPD zerstörten das Vertrauen großer Teile des Kleinbürgertums in die Fähigkeit der ArbeiterInnen den Kapitalismus auf revolutionärem Wege abzuschaffen. Gerade deshalb betrachtete Trotzki die Politik der KPD als katastrophal. Denn wenn das Kleinbürgertum, aufgrund seiner Existenznöte, nach radikalen Lösungen suchte, von der Arbeiterbewegung jedoch nicht angezogen wurde, dann war es reif für reaktionäre Strömungen. Wenn die KPD die Partei der „[…] revolutionären Hoffnung […]“ sei, sei „[…] der Faschismus als Massenbewegung die Partei der konterrevolutionären Verzweiflung“, so Leo Trotzki. Und das Kleinbürgertum zog seit 1928/29 in Scharen zur NSDAP – und mit ihm nicht wenige junge, an- und ungelernte ArbeiterInnen.
Trotzki sagte voraus, dass die Versprechungen, die die Nazi-Führer während des Machtkampfes dem Kleinbürgertum gaben, schon bald nach deren Sieg vergessen sein würden. Von der Zerschlagung der großen Warenhäuser zu Gunsten des „Tante-Emma-Ladens“ würde Hitler bald nicht mehr sprechen. Die Basis seiner Macht würden dann nicht mehr das Kleinbürgertum, sondern die großen Unternehmer sein.
An der Rolle des National-„Sozialismus“ würde dies weder in der „Kampfzeit“ noch nach der Übertragung der Macht an die Clique Hitlers etwas ändern. Die Nazis wollten die Arbeiterbewegung zerschlagen. Dabei machten sie keinen Unterschied zwischen SPD und KPD. Das machte den besonderen Charakter des Faschismus im Vergleich zu anderen Formen repressiver bürgerlicher Herrschaft aus: aufgrund seiner militanten Massenbasis sollte er in der Lage sein, die organisierte Arbeiterbewegung nicht nur zu verbieten und zu unterdrücken, sondern physisch zu zerschlagen.
Diesen Umstand gedachte Trotzki auszunutzen, um die SPD in eine Einheitsfront mit der KPD zu zwingen, selbst, wenn die SPD-Führung dies ablehnen würde. Dabei war Trotzki dafür sowohl an die SPD-Mitgliedschaft zu appellieren gemeinsam gegen die Bedrohung durch die Nazis zu kämpfen, als auch mit der Führung der Sozialdemokratie in Verhandlung über gemeinsame Schritte im Kampf gegen die Nazis zu treten. Sein Konzept der „Einheitsfront von oben und unten“ unterschied ihn von der Führung der KPD, die lediglich mit den SozialdemokratInnen eine „Einheitsfront von unten“ schmieden wollte, die die Politik der SPD-Bürokratie ablehnten. Alle anderen waren nach dem Duktus der KPD „Sozialfaschisten“.
Die „Sozialfaschismustheorie“ der KPD
Sommer 1928, Moskaus Gebäude versanken in einem Meer aus roten Fahnen. Der VI. Weltkongress der Kommunistischen Internationale tagte in der sowjetischen Hauptstadt. Stalin, der die Komintern hasste und sie bestenfalls als Instrument seiner Außenpolitik begriff, ließ sich auf dem Kongress kaum sehen. Dafür verkündete Bucharin den Beginn einer ominösen „Dritten Periode“. Einer Phase, in der der revolutionäre Umsturz angeblich unmittelbar bevorstand. Thälmann bezichtigte die SPD, die zu dieser Zeit den Reichskanzler stellte, gar der Kriegsvorbereitung gegen die UdSSR und hielt fest, dass sich der „Reformismus zum Sozialfaschismus“ entwickelt habe.
Als die deutsche Delegation nach Hause zurückkehrte rieben sich viele GenossInnen die Augen. Der Begriff „Sozialfaschismus“ wollte den meisten nicht einleuchten.
Für den ersten Mai 1929 verhängte der Berliner Polizeipräsident, Zörgiebel, in Absprache mit dem preußischen Innenminister Albert Grzesinski ein Demonstrationsverbot für die Hauptstadt. Die beiden SPD-Mitglieder gaben vor, damit die im Wachsen begriffenen Nazis stoppen zu wollen. Getroffen wurde jedoch lediglich die Arbeiterbewegung. Die KPD wollte sich diesem Diktat nicht beugen und rief zu Demonstrationen auf. Eiskalt hatten Zörgiebel und Grzesinski genau darauf spekuliert und die bis an die Zähne bewaffnete Hauptstadtpolizei aufgehetzt. Die Folge waren Zusammenstöße von furchtbarem Ausmaß. Die Polizei griff noch am Vormittag des ersten Mai zur Schusswaffe. Die Beamten töteten 32 Menschen, Hunderte wurden verletzt. Über drei Tage und Nächte hinweg wurden Berlins Arbeiterviertel behandelt wie besetztes Feindgebiet: Razzien, Straßensperren, Verhaftungen und Stromsperren.
Organisierte Gewalt, Umsturzversuche oder Barrikadenkämpfe gingen von der Seite der Demonstranten – wenn auch häufig behauptet – nicht aus. Der links-intellektuelle Herausgeber der „Weltbühne“, Carl von Ossietzky, vermerkte als Motiv der SPD-Mitglieder Zörgiebel und Grzesinksi: „Als Sachwalter des sozialdemokratischen Parteivorstandes hat Herr Zörgiebel den Maiumzug verboten, […]. Weil […] gefürchtet wurde, die Kommunisten könnten […] glanzvoller aufziehen als die Sozialdemokraten, […].“
Die politischen Folgen dieses „Blutmai“ hätten dramatischer kaum sein können. Auf dem letzten Parteitag der KPD, wenige Wochen nach den Ereignissen, rief Thälmann in seinem einleitenden Referat den Delegierten zu: „Während der Faschismus in Italien und in anderen Ländern in seiner reinen Form zur Diktatur gelangt ist […]“, gäbe „[…] es in einigen Ländern eine besonders gefährliche Form der faschistischen Entwicklung, die Form des Sozialfaschismus […].“ KommunistInnen, die derartig fatalen Äußerungen der Parteispitze entgegentraten, wurden einfach gefragt, was denn ihrer Meinung nach der Mai 1929 gewesen sei.
Die Sozialfaschismustheorie verhinderte nicht nur eine Einheitsfrontpolitik auf Seiten der KPD, sie führte auch dazu, dass die KPD-Mitgliedschaft die besondere Bedrohung, die durch die Nazis für die Arbeiterklasse ausging nicht erkannte. Wenn die SPD faschistisch war, wieso sollte Hitler dann so viel schlimmer sein? Auch die Hitler vorausgehenden Reichskanzler Brüning und von Papen wurden von der KPD so bezeichnet. Diese Unterschätzung der Nazi-Gefahr gipfelte in der Losung „Nach Hitler kommen wir“, die die KPD-Mitglieder nicht darauf einstellte, dass der Kampf zur Verhinderung von Hitlers Machtergreifung tatsächlich die Entscheidungsschlacht darstellte.
Weltweite Krise
Im Herbst 1929 stürzte die Weltwirtschaft ruckartig in die tiefste Krise seit Bestehen des Kapitalismus. In der Woche vom 24. zum 29. Oktober brachen in den USA die Börsenkurse ein. Infolge dessen sank die Industrieproduktion. Jeder vierte in den USA stand ohne Job da. Löhne und Gehälter befanden sich im freien Fall.
Die US-Wirtschaft versuchte die Krise abzufedern, indem sie Kredite aus dem Ausland, besonders aus Deutschland zurückzog. Dort war der wirtschaftliche Aufschwung der zwanziger Jahre auf Pump finanziert worden. Die Wirtschaft hatte sich von den Kriegsfolgen noch nicht erholt und Reparationen belasteten den deutschen Haushalt. Der Abzug der US-amerikanischen Finanzen stieß die deutsche Ökonomie in den Abgrund. In keinem anderen Industrieland zeitigte die Weltwirtschaftskrise solch schreckliche Folgen.
Bis 1932/33 stiegen die Arbeitslosenzahlen auf über sechs Millionen an. Das Arbeitslosengeld und die Krisenunterstützung der Kommunen reichten nicht um das Nötigste zu bezahlen und wer auch die nicht bekam, der stand in langen Schlangen vor Suppenküchen. Hunger und Armut regierten.
Wenn man, wie die Psychologie, jede Krise als Chance begreifen will, so hätte dieses ganze Elend zumindest die Chance auf die sozialistische Revolution und somit die Chance auf das Ende von Hunger, Krieg und Massenarmut geboten. Doch gerade die KPD war mit dieser Herausforderung vollkommen überfordert und so wurden andere die Profiteure der Krise von 1929!
Wie die herrschende Klasse einen Staatsstreich vorbereitet
Seit ihrer Gründung war die Republik von Weimar ungeliebt. Die Arbeiterklasse wollte mehrheitlich den Sozialismus. Die Eliten – in ihrer Stellung in Militär, Wirtschaft, Justiz, Beamtenapparat und Politik weitgehend unangetastet geblieben – hassten den neuen Staat.
So formierte sich die herrschende Klasse zu einem Schlag zur Abschaffung der Republik und der Verfassung. Dabei wurden das Reichswehrministerium und dort besonders General Kurt von Schleicher zum harten Kern der antidemokratischen Verschwörung. Seit 1928 suchte von Schleicher im Auftrag des greisen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg Mitstreiter für den angestrebten Umbau des Staates. Die waren schnell gefunden: Konservative Politiker und ehemalige Militärs, zwielichtige Gestalten, die die illegale Wiederaufrüstung Deutschlands vorantrieben. Leute wie Friedrich Freiherr von Willisen, der sich der Luftrüstung verschrieben hatte; oder Gottfried Treviranus, der Vorsitzende der monarchistischen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), der unlängst durch den Medienzar Alfred Hugenberg vom Parteivorsitz verdrängt worden war; oder Otto Meißner, Staatssekretär im Reichspräsidentenpalais. Und natürlich der zu Berühmtheit gelangte Zentrumspolitiker Heinrich Brüning.
Die Ziele der Verschwörer waren durchaus verschieden: Von Schleicher schwebte ein klerikal-faschistischer Ständestaat, nach Vorbild von Mussolinis Italien, vor. Die Militärs erstrebten vor allem den Revanchekrieg und Heinrich Brüning wollte tatsächlich den Kaiser zurück haben. Zudem war die Front der Verschwörer durch persönliche Eitelkeiten zerfressen. Einmütigkeit herrschte hingegen darin, jede Form der Demokratie zu beseitigen und vor allem die Arbeiterbewegung entscheidend zu schwächen. So geriet auch die SPD ins Visier der Verschwörer.
Es wäre falsch sich die SPD der 30er Jahre wie die SPD der Gegenwart vorzustellen. Heute ist die SPD eine durch und durch bürgerliche Partei, das war sie in der Endphase der Weimarer Republik keineswegs. Schon damals bestand die Führung der Sozialdemokraten aus Menschen, die den Salons und Festlichkeiten der bürgerlichen Gesellschaft sehr viel näher standen, als den Betrieben und Kohlegruben. Der Charakter der SPD-Führung war bürgerlich, ihre Mitgliedschaft proletarisch. Und auch über die direkten Mitglieder hinaus sahen Massen von ArbeiterInnen die Sozialdemokratie als ihre politische Interessenvertretung. Somit hatten sie unterschiedliche Ziele: Die Mitgliedschaft erstrebte die sozialistische Gesellschaft, die Führung den Erhalt des Kapitalismus.
Genau dieser Charakter, einer bürgerlichen Arbeiterpartei, machte die SPD für die Verschwörer verdächtig. Ihr Einfluss in Staat und Gesellschaft sollte getilgt werden. Nur wie? Es gab weit und breit keine Kraft, die an der Spitze des Staates im Sinne der alten Eliten hätte agieren können.
Der Startschuss zum Staatsstreich kam vom Reichsverband Deutscher Industrieller (RDI). Der forderte bereits im Dezember 1929, unter dem Eindruck der globalen Rezession, die Abkehr vom Parlamentarismus. Auf einer Versammlung des RDI im gleichen Monat erklärte einer der Redner gar, man müsse alle führenden Parteifunktionäre aus Deutschland ausweisen, um wieder zu wirtschaftlicher Prosperität zu gelangen. Seine Zuhörer dankten es ihm mit Bravo- und Mussolinirufen! Noch vor Jahreswechsel trotzte der RDI der Deutschen Volkspartei (DVP), die zusammen mit Zentrum/BVP (Vorläufer der CDU/CSU), der DDP und der SPD in der Reichsregierung saß, das Versprechen ab, bei nächster Gelegenheit die Koalition mit den Sozialdemokraten platzen zu lassen. Und schon am zweiten Weihnachtsfeiertag einigte man sich im Kreise der Verschwörer auf Brüning als neuen Reichskanzler.
Im Streit um die Arbeitslosenversicherung stellte die DVP derart unerhörte Forderungen, dass die SPD die Koalition am 27. März 1930 aufkündigte. Brüning wurde drei Tage später durch Reichspräsident von Hindenburg zum Reichskanzler einer konservativen Regierung, die im Parlament keine Mehrheit hatte, ernannt. Der einfachste Weg Gesetze zu verabschieden bestand für dieses Kabinett darin, den Reichspräsidenten darum zu bitten, dieselben auf dem Weg der „Notverordnung“ mit Artikel 48 der Verfassung zu verabschieden.
Falls, wie im Juli 1930 geschehen, der Reichstag, mit den Stimmen von SPD und KPD, die Aufhebung einer Notverordnung oder gar die Abwahl eines Reichskanzlers verlangte, dann zückte dieser flugs die Auflösungsurkunde des Reichspräsidenten. Der Reichstag ging nach Hause und wurde neu gewählt.
Als der im September 1930 neu gewählte Reichstag erstmals zusammentrat, bezogen, statt wie bisher zwölf, 107 NSDAP-Abgeordnete in SA-Uniform die Sitze im Plenum. Die NSDAP hatte ihren Stimmenanteil auf 18,3 Prozent ausgebaut und wurde somit zweitstärkste Kraft hinter der SPD, die 24,8 Prozent der Stimmen holte und riesige Verluste hatte hinnehmen müssen. Aber auch die KPD stieg in der Wählergunst. Sie gewann 1,3 Millionen Stimmen hinzu und stieg auf 13,1 Prozent. Hitlers Erfolg war vorrangig ein Sieg über die bürgerliche Mitte. Deren Parteien waren, abgesehen vom Zentrum, faktisch zertrümmert worden. Das Medieninteresse an seiner Person und seiner Herkunft schnellte in die Höhe.
Wer war eigentlich dieser Adolf Hitler?
„Nicht jeder erbitterte Kleinbürger könnte ein Hitler werden, aber ein Stückchen Hitler steckt in jedem von ihnen“, schrieb Leo Trotzki im Juni 1933 über den schnauzbärtigen Diktator. Und zweifelsohne, ein erbitterter Kleinbürger war Hitler allemal.
Er entfloh sehr früh der elterlichen Enge nach Wien. Dort schlug sich Hitler bald mehr schlecht als recht durch. Sein Lebenstraum Künstler zu werden zerplatzte nach zwei Ablehnungen durch die Wiener Kunsthochschule. Mit dem Abmalen von Postkarten und allerlei Gelegenheitsarbeiten kam Hitler irgendwie über die Runden. Bei einer dieser Gelegenheiten versuchte er sich als Hilfsarbeiter auf dem Bau und erschrak über die angebliche Ignoranz seiner Kollegen. „Man lehnte alles ab: die Nation, als eine Erfindung der ‚kapitalistischen‘, wie oft musste ich allein dieses Wort hören! Klassen; das Vaterland, als Instrument der Bourgeoisie zur Ausbeutung der Arbeiterschaft; die Autorität des Gesetzes als Mittel zur Unterdrückung des Proletariats; die Schule, als Institut zur Züchtung des Sklavenmaterials, aber auch der Sklavenhalter, die Religion als Mittel der Verblödung des zur Ausbeutung bestimmten Volkes; die Moral als Zeichen dummer Schafsgeduld […]“, vermerkte er später in seinem wenig lesenswerten Buch „Mein Kampf“.
Dieses Ereignis wirft Licht auf Hitlers politisches Weltbild: Er war kein Feind der bürgerlichen Gesellschaft. An dieser störte ihn vor allem, dass er nicht dazu gehören durfte. Wie gern hätte er sich in teurem Zwirn mit reichen Freunden an einem prasselnden Kaminfeuer in Bonmots verloren. Stattdessen stand ihm das Wasser bis zum Hals. Und so packte ihn ein krankhafter Ehrgeiz.
Politisch verstand er sich sehr früh als Antisemit, in den von Hitler bewunderten Kreisen eher eine übliche Einstellung, als ein Tabubruch. Selbst der Wiener Oberbürgermeister aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg bekannte sich zum Antisemitismus.
Seinen Segen suchte Hitler im Weltkrieg. Hoch dekoriert, mit dem „Eisernen Kreuz“ zweiter und erster Klasse und dennoch nur als Gefreiter, kehrte er nach München zurück. Dort erlebte er die Zeit der Revolution und Konterrevolution. Man sah Hitler damals mit einer roten Binde am Arm. Er wurde zum Sprecher seiner Einheit gewählt. Dahinter steckte kein Sinneswandel, sondern blanker Opportunismus. Kaum dass die konterrevolutionären Truppen gesiegt hatten und in München ein Blutbad anrichteten, schlug er sich auf deren Seite und half bei der Verfolgung und Aburteilung von Revolutionären.
Das bayerische Reichswehrministerium dankte es ihm und sandte ihn aus, um Kontakt zu rechtsradikalen Gruppierungen herzustellen. So gelangte er zur neugegründeten Deutschen Arbeiterpartei (DAP). Hitler war also eine Art „V-Mann“. Und wie man unlängst aus den Vorkommnissen um den rechten Terror des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) weiß, dienen „V-Männer“ nur selten der Gefahrenabwehr. Hitler hatte die Aufgabe, die Verwendbarkeit der DAP im Kampf gegen die Arbeiterbewegung auszuloten. Dabei stellte er sich so gut an, dass er bald den Vorsitz der Partei übernahm und ihre Umbenennung in „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“ veranlasste.
Das bayerische Reichswehrministerium rüstete Hitler aus: Es stellte ihm ungeheure Geldmittel zur Verfügung. Aus schwarzen Kassen der Reichswehr wurde der Kauf des „Völkischen Beobachters“ finanziert. Eines antisemitischen Hetzblattes, das in München zu einigem Ruf gelangt, aber fast pleite war. Hitler machte es zu seiner Parteizeitung. Das Reichswehrministerium schickte auch Personal. Und selbst die Entente-Staaten, die nach ihrem Sieg gegen Deutschland nun die sozialistische Revolution fürchteten, öffneten für Hitler ihre Brieftaschen.
Nach drei Jahren Aufbauarbeit glaubte Hitler, seine Zeit sei gekommen. Im Bunde mit dem bayerischen Diktator von Kahr und der Reichswehr versuchte er am 9. November 1923, mit einem Marsch auf die Hauptstadt die Macht an sich zu reißen. Allerdings wollten die Bürgerlichen nicht zweite Geige spielen und schossen das wenig aussichtsreiche Unternehmen noch in München zusammen. Hitler wanderte ins Gefängnis, wo er fürstlich residierte, Gäste empfing, „Mein Kampf“ schrieb und nach wenigen Monaten bereits wieder in die Freiheit entlassen wurde. Nun galt er in nationalen Kreisen als Märtyrer.
„Sozialfaschisten“ und „Nationalfaschisten“
Während oppositionelle Kommunisten wie Leo Trotzki, angesichts der von der NSDAP ausgehenden Gefahr, von der KPD konkrete Schritte zur Herstellung einer antifaschistischen Einheitsfront forderten, verrannte sich die Führung um Thälmann in immer krudere Abenteuer. Im Juli und August 1931 unterstützte die KPD sogar den von NSDAP, DNVP und dem Stahlhelm initiierten Volksentscheid zur Auflösung des preußischen Landtags. Ziel war es die preußische SPD-Zentrum-DDP-Regierung auszuhebeln. Schließlich seien „Sozialfaschisten“ und „Nationalfaschisten“ die beiden Armeen der bürgerlichen Konterrevolution und die KPD müsse beide gleichermaßen schlagen. Darin glaubten Thälmann und Co. die Verwirklichung der „Einheitsfronttaktik von unten“ zu erkennen.
Joseph Goebbels, der NSDAP-Gauleiter von Berlin, höhnte im Sportpalast, wenn die KPD so dumm sei, den Nazis unter die Arme zu greifen, dann werde man sie nicht daran hindern, sich selbst an den Galgen zu bringen.
Trotzki verurteilte die kommunistische Politik in einer fesselnd geschriebenen Broschüre: „Wieso die Beteiligung am Volksentscheid, Seite an Seite mit den Faschisten gegen Sozialdemokratie und Zentrum, eine Anwendung der Einheitsfrontpolitik gegenüber den sozialdemokratischen und christlichen Arbeitern sein soll, – das wird keinem Arbeiter in den Kopf gehen.“ Er nannte konkrete Schritte, um den gemeinsamen Kampf von KPD und SPD gegen die Nazis zu ermöglichen. „Wir sind bereit“, sollten die KommunistInnen den SozialdemokratInnen zurufen, „gemeinsam mit Euch jedes Arbeiterhaus, jede Druckerei einer Arbeiterzeitung gegen faschistische Angriffe zu verteidigen. Und wir fordern, dass Ihr Euch verpflichtet, uns zu Hilfe zu kommen, wenn unsere Organisationen bedroht sind.“
Doch die KPD-Führung blieb taub für diese Appelle. Dem politischen Instinkt der KPD-Arbeiter ist zu verdanken, dass der Sturz der preußischen SPD-Regierung 1931 noch nicht erfolgte. Sie blieben in Scharen zu Hause. Nicht ganz unberechtigt sprach der „Vorwärts“, die Zeitung der SPD, von einem Generalstreik der kommunistischen Wählerschaft.
Der „Antikapitalismus“ der Nazi-Bewegung
Hitler wurde für Reichskanzler Brüning sehr schnell interessant. Und während dieser der SPD das Zugeständnis entlockte, keiner seiner extrem harten Sparmaßnahmen Widerstand entgegenzusetzen, weil sonst der Sturz seiner Regierung und damit ein Reichskanzler Hitler drohe, während die SPD-Führung gegen erheblichen Widerstand in den eigenen Reihen diese „Tolerierungspolitik“ durchsetzte, verhandelte Brüning mit Adolf Hitler. Sie kamen schon im Oktober 1930 zu einer Abmachung: Hitler solle zunächst die Rolle der unversöhnlichen Opposition spielen und hiernach in einer zweiten Phase in die Regierung eintreten, um dieser so eine Mehrheit zu beschaffen! Brüning und die Verschwörer um das Reichswehrministerium hofften, mit der NSDAP jene Kraft gefunden zu haben, die die Absicht des autoritären Staatsumbaus mit einem Massenanhang ausstatten konnte. Hitler willigte ein, obwohl er schon damals sehr viel weitergehende Ziele verfolgte.
Für die Chefetagen der deutschen Banken und Unternehmen war weitaus interessanter, wie Hitler überhaupt zum Kapitalismus stand. In ihren Augen gab es da widersprüchliche Tendenzen. Einerseits gab es schon früh spendable Geldgeber in ihren Reihen, die der NSDAP, Hitler und dessen Schlägertruppe SA Geld gaben: Etwa der Pianofabrikant Bechstein oder der Lokomotivenhersteller Borsig. Fritz Thyssen beschaffte Hitler einen Kredit über 400.000 Reichsmark zum Kauf des „Braunen Hauses“ in München. Er bürgte für diese Summe, obgleich er davon ausgehen musste, dass die NSDAP sie nicht begleichen würde. Noch einmal 400.000 Reichsmark wird Thyssen für die umfangreichen Umbauarbeiten der Parteizentrale zur Verfügung stellen. Und selbst der US-amerikanische Autobauer und Antisemit Henry Ford gehörte zu Hitlers Duzfreunden und Geldgebern. Derartige Verbindungen ließen die Kapitalisten hoffen.
Doch im 25-Punkte-Programm der NSDAP klangen auch andere Töne an: „[…] Abschaffung des arbeits- und mühelosen Einkommens. Brechung der Zinsknechtschaft […]“, oder die Forderung nach „[…] Verstaatlichung aller (bisher) bereits vergesellschafteten (Trusts) Betriebe […]“. Zwar waren diese Punkte bewusst so gehalten, dass sich jeder alles darunter vorstellen konnte und Goebbels pflegte gern zu witzeln, der Einzige, der brechen müsse, sei der, der sich den Unsinn von der Brechung der Zinsknechtschaft anhören müsse. Doch die Kapitalisten wollten absolute Klarheit.
Emil Kirdorf, der „Multi-Manager, der deutschen Montanindustrie, unterbreitete Hitler 1927 den Vorschlag, seine ökonomischen Ansichten in einer Broschüre darzulegen, die er an seine Geschäftspartner und Freunde verteilen werde. Hitler willigte natürlich ein, und so konnten Deutschlands Industrielle lesen, dass Hitler Arbeitslose – ganz im Stile heutiger pro-kapitalistischer Politiker – als faul beschimpfte, dass er das Privateigentum an Produktionsmitteln nicht antasten und Deutschland in einen Eroberungskrieg führen werde. Die Begeisterung war verhalten, noch war Hitler ein kleines Licht. Das änderte sich mit dem Wahlerfolg vom September 1930. Nun speiste Hitler mit Menschen wie Ritter von Stauß. Das Vorstandsmitglied der Deutschen Bank ließ sich bescheinigen, dass selbst die propagandistischen Angriffe der NSDAP auf das „raffende Kapital“, die Bankenwelt, nur Phrasen seien.
Der „Erfolg“ dieses Protegierens war schnell erkennbar: Der Terror gegen die Arbeiterbewegung nahm bürgerkriegsähnliche Zustände an. Besonders arbeitslose Mittelständler, die ihr Geschäft verloren hatten, deren Beamten- oder Angestelltenverhältnis gekündigt wurde, traten zahlreich in die Sturmabteilungen ein. In den SA-Heimen gab es, finanziert mit dem Geld der deutschen Unternehmer, Suppen und Unterkunft. Die SA-Uniformen wurden jedoch bei Hugo Boss geschneidert und mussten von den SA-Mitglieder dort für viel Geld gekauft werden!
In diesen Uniformen zogen die Nazi-Banden dann durch die Straßen und terrorisierten ArbeiterInnen. 400.000 Nazis in SA und SS schreckten vor keiner Gewalttat zurück. Allein im Juli 1932 ermordeten Nazis 86 ArbeiterInnen, die demonstrierten oder streikten. Genau in solcherlei Aktionen lag für die Kapitalisten der Wert der Nazi-Bewegung: Sie wollte die Arbeiterbewegung zerschlagen und konnte den Kapitalisten damit helfen Löhne zu drücken, Arbeitsbedingungen zu verschlechtern und somit die Profite zu erhöhen. Ohne den faschistischen Terror hätten die Kapitalisten das alleine nicht erreichen können. Denn die Arbeiterbewegung war ihrerseits stark: 100.000 waren im kommunistischen „Kampfbund gegen den Faschismus“, 3,5 Millionen im sozialdemokratischen „Reichsbanner“, 400.000 in den „Schutzformationen“. Und in die Arbeiterklasse drangen die Nazis nicht tief ein: selbst bei den Betriebsratswahlen im Herbst 1933, also nach der Machtergreifung, errangen sie nur 3 Prozent der Stimmen.
Die NSDAP diente sich bei den herrschenden Kapitalisten an. Endgültig gebrochen wurde das Eis aber erst bei der Rede Hitlers vor dem „Industrieklub“ am 26. Januar 1932. Der Saal im Düsseldorfer Parkhotel war brechend voll. Während vor dem Gebäude Polizei und SA Hand in Hand gegen antifaschistische GegendemonstrantInnen vorgingen, stellte Hitler ein auch heute noch nachdenklich machendes Gleichnis her: Die NSDAP sei eine Partei, die die Autorität einer auserwählten Führerpersönlichkeit in den Mittelpunkt ihres politischen Wollens rücke. Die Demokratie ersetze in der Politik die Qualität des auserwählten Führers durch die Quantität der Masse. Was in der Politik die Demokratie sei, sei in der Wirtschaft der Kommunismus. Denn Verstaatlichungsmaßnahmen würden die Qualität des kapitalistischen Unternehmers durch die Quantität der Arbeiter ersetzen, denen dann die Betriebe gehören würden. Ergo seien Demokratie und Kommunismus Brüder und müssten beide vernichtet werden, wolle man wirtschaftlich gesunden. Der Applaus toste durch den Saal.
Die Logik des „kleineren Übels“
Als Hitler im März und April 1932 in zwei Wahlgängen gegen Paul von Hindenburg um das Amt des Reichspräsidenten kandidierte, bat Brüning die SPD um Hilfe. Und…, die SPD willigte ein, ihre WählerInnen zur Wahl Paul von Hindenburgs aufzurufen. Unter dem Slogan „wählt Hindenburg, schlagt Hitler!“ forderte die Führung der Sozialdemokratie die ArbeiterInnen nicht einfach nur auf einen Kandidaten zu wählen, der 1925 als Mann der Ultrakonservativen ins Amt gehievt wurde, sie unterstützte nicht nur einen General, der vor dem ersten Weltkrieg Listen angelegt hatte mit Namen sozialdemokratischer Politiker, die im Kriegsfall zu verhaften seien. So machten die ultralinke KPD-Politik und die Anbiederung der SPD-Führung an das Bürgertum auch auch eine gemeinsame Kandidatur der beiden Arbeiterparteien um das Amt des Staatsoberhauptes unmöglich..
Paul von Hindenburg siegte im zweiten Wahlgang und ließ Brüning fallen. Er war enttäuscht davon, dass die SPD noch immer eine derart bedeutende Rolle in der deutschen Politik spielte und holte mit Franz von Papen einen Reichskanzler, der noch weit engeren Kontakt zu den Nazis suchte.
„In sechs Monaten haben wir Hitler“
Franz von Papen handelte sofort mit der Partei Hitlers ein stillschweigendes Übereinkommen aus. Er löste den Reichstag auf und verhalf den Nazis so zu einem atemberaubenden Wahlerfolg: 37,4 Prozent gaben der NSDAP ihre Stimme. Trotz Verlusten der SPD (-2,9 Prozentpunkte), konnten die Arbeiterparteien ihre Stimmanteile durch Zugewinne der KPD (ein Plus von 1,2 Prozentpunkten) in etwa halten.
Weit schlimmer wirkte sich der andere Teil dieses Übereinkommens aus: Die Erledigung der preußischen SPD-Regierung. Die Preußen hatten einen neuen Landtag gewählt und die bisherige Regierung aus SPD, Zentrum und DDP, hatte ihre Mehrheit verloren. Sie blieb allerdings geschäftsführend im Amt, bis eine neue Mehrheitsregierung gebildet sei. Dies stand allerdings nicht in Aussicht.
Schon bald pfiffen sich die Spatzen von den Dächern zu, dass von Papen diesen Zustand nicht weiter hinnehmen werde. Otto Buchwitz, Mitglied des Parteiausschusses der SPD, fuhr zu Carl Severing, dem SPD-Innenminister von Preußen, der auf Buchwitz‘ Nachfrage, was er gegen die drohende Gefahr zu tun gedenke, angab, er werde das Reichsbanner, die Schutztruppe der SPD, zur Hilfspolizei ernennen, falls eine Absetzung seiner Regierung drohe und er werde nur der Gewalt weichen.
Am 20.Juli 1932 kam die Gewalt in Form von zwei Polizisten in sein Büro, die ihn aufforderten auf Weisung des Reichspräsidenten von Hindenburg seinen Posten zu räumen. Der sozialdemokratische Ministerpräsident Otto Braun befand sich an diesem 20.Juli, dem Tag der staatsstreichartigen Absetzung seiner Regierung, ohnehin im Urlaub!
Die sozialdemokratischen Arbeiter wussten hingegen worum es ging und strömten in die Berliner Innenstadt, viele von ihnen unter Waffen. Doch der Vorstand ihrer Partei beschwichtigte sie mit einer Verlautbarung, in der man lesen konnte: „Der Kampf um die Wiederherstellung demokratischer Rechtszustände in der deutschen Republik ist zunächst mit voller Kraft als Wahlkampf zu führen.“ Die Weigerung des Parteivorstandes dem als „Preußenschlag“ in die Geschichte eingegangenen „Papen-Staatstreich“ auch bewaffnet die Stirn zu bieten, veranlasste selbst den eher gemäßigten Sozialdemokraten Kurt Schumacher zu dem frustrierten Ausspruch: „In sechs Monaten haben wir Hitler!“
Die KPD-Führung unterbreitete der SPD und den Gewerkschaften an diesem Tag endlich ein Kampfangebot, das sogar dazu getaugt hätte, die Basis der Sozialdemokratie, unabhängig von deren Führung, in den Kampf gegen den Staatsstreich von Papens hineinzuziehen. Doch nach ihrer „Sozialfaschismus“-Propaganda gegen die SPD und der Beteiligung am Volksentscheid der Rechten ein Jahr zuvor, war bei den sozialdemokratischen ArbeiterInnen jedes Vertrauen in die KPD dahin.
Zudem sah sich die SPD-Führung in ihrer legalistischen Taktik eher bestätigt: Die Klage vor dem Leipziger Reichsgericht gegen die Absetzung der Otto-Braun-Regierung in Preußen wurde gewonnen. Und als nach einem Misstrauensvotum gegen die Regierung von Papen der Reichstag zum zweiten Mal in einem Jahr aufgelöst wurde, hatte die SPD zwar Stimmenverluste zu verzeichnen (ein Minus von 1,2 Prozentpunkten). Doch die Nazis verloren bei den Novemberwahlen gut zwei Millionen Stimmen. Die KPD kletterte von 14,3 auf 16,9 Prozent.
Jeder Chef ein Hitler
Für die Unternehmer wurde die Nazi-Diktatur vor allem ihre eigene Diktatur im Betrieb. Die Zerstörung der Gewerkschaften und Betriebsräte unter der Terrorherrschaft sorgte für Ruhe statt Klassenkampf. Offiziell gab es gar keine Klassen mehr – Deutschland wurde eine „Volksgemeinschaft“. In Wirklichkeit gab es eine Klassenherrschaft so krass wie noch nie. Das „Führerprinzip“ hieß, dass jeder Firmenchef ein kleiner Hitler wurde.
Das „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ von 1934 regelte die absolute Unterwerfung der großen Mehrheit der Bevölkerung unter die Kapitalisten: 1. Im Betrieb arbeiten die Angestellten und Arbeiter als Gefolgschaft … 2. Der Führer des Betriebes entscheidet der Gefolgschaft gegenüber in allen betrieblichen Angelegenheiten…“
Die Naziherrschaft war im wahrsten Sinne des Wortes eine goldene Zeit für den deutschen Kapitalismus:
- Beim Bankenkrach 1931 wurden die Banken nur durch eine Teilverstaatlichung gerettet. Jetzt wurden den Bankiers der Dresdner, Commerz und Deutschen Bank ihre Anteile für’n Appel und ‘n Ei zurück geschenkt.
- Privatisierung wurde groß geschrieben – die sehr profitablen kommunalen Versorgungsbetriebe wurden verramscht.
- 1934 wurden Steuererleichterungen in Höhe von 500 Millionen Mark durchgeführt, „um das Geschäft wieder in Schwung zu bringen.“
- Der Tariflohn eines Facharbeiters sank von 101 Pfennigen 1929 auf 81,6 Pfennige 1932 und 79 Pfennig 1939.
- Zwischen 1932 und 1938 stieg der Anteil der Kapitalisten am Volkseinkommen von 17,4 auf 26,6 Prozent.
- Hitler gab als Kriegsvorbereitung enorme Summen für die Aufrüstung aus. Die Gewinne der Schwerindustrie stiegen zwischen 1933 und 1938 von 6,6 auf 15 Milliarden Mark.
Sehenden Auges in die Katastrophe
Angesichts dieser Situation wurden die Eliten der Weimarer Republik nervös. Am 19.November übergaben führende Industrielle Paul von Hindenburg eine als „Industrielleneingabe“ bekannte Note. Die Erstunterzeichner lasen sich wie das „Who is who“ der deutschen Wirtschaft: An erster Stelle der frühere Reichsbankpräsident und spätere Wirtschaftsminister unter Adolf Hitler, Hjalmar Schacht. Unter dessen Namen stand Friedrich Reinhardt, Chef der Commerzbank und Aufsichtsratsmitglied bei AEG. Kurt Freiherr von Schröder, Privatbankier aus Köln; Erich Lübbert, Generaldirektor des Baukonzerns Dywidag; natürlich Fritz Thyssen und so weiter und so weiter… Sie alle forderten die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler.
Franz von Papen schlug von Hindenburg vor, eine Militärdiktatur zu errichten. Obwohl dies auch den Plänen des umtriebigen Kurt von Schleicher entsprach, wies der General eine Unterstützung solcher Pläne durch die Reichswehr zurück. Er verfolgte ganz eigene, ehrgeizige Ziele und unterbreitete dem Staatsoberhaupt die Idee einer Querfront von den gemäßigten Teilen der NSDAP bis zum sozialdemokratischen Reichsbanner. So wurde von Schleicher Reichskanzler, was wiederum Franz von Papen gegen diesen aufbrachte.
Zusammen mit Kurt Freiherr von Schröder organisierte von Papen in dessen Kölner Villa im Januar 1933 das entscheidende Treffen mit Hitler. Dort wurde entschieden, dass der Führer der NSDAP Reichskanzler werden sollte, was am 30. Januar dann geschah. Noch hofften die Konservativen ihn „einzurahmen“ und zu bändigen. Schließlich sei ja neben Hitler nur noch ein NSDAP-Mitglied in der Regierung: Frick, der Innenminister wurde.
Doch damit hielt Hitler die Schlüsselpositionen der neuen Regierung und verstand sie zu nutzen. Der Terror gegen die organisierte Arbeiterbewegung überschlug sich: Razzien, Festnahmen, Morde. Besonders nach dem Reichstagsbrand am 28.Februar, in dessen Folge alle Grundrechte außer Kraft gesetzt wurden, konnte man sich als sozialistisch gesinnter Arbeiter nicht mehr sicher fühlen.
Dennoch gab es Ansätze zum Widerstand. Als am 31. Januar die SA mit einem Fackelzug paradierte, versammelten sich in ganz Berlin – ohne Weisung ihrer gelähmten Führungen – Sozialdemokraten und Kommunisten und lieferten sich Straßenschlachten mit SA und Polizei. In Hannover hingen noch im April allerorten rote Fahnen, die Arbeiterhäuser waren vom Reichsbanner besetzt und mit Stacheldrahtverhauen geschützt.
Doch die gemeinsame Erklärung von SPD und KPD zum bewaffneten Widerstand blieb aus. Der Forderung der Mitgliedschaft, endlich Waffen auszugeben, wurde nie entsprochen. SozialdemokratInnen und KommunistInnen wurden reihenweise verhaftet. Im März waren neue Reichstagswahlen angesetzt. Die NSDAP siegte, doch blieb sie weit unter ihren Erwartungen. Sie hoffte auf die verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit und bekam nicht einmal die absolute Mehrheit. Zwar stimmten 43,9 Prozent der WählerInnen für Hitlers Partei, aber eine Mehrheit für ein „Drittes Reich“ fand sich unter den Deutschen nicht!
Doch wieder kamen Hitler die Bürgerlichen zu Hilfe: Am 23.März stimmten sie für das Ermächtigungsgesetz, dass alle gesetzgeberischen Kompetenzen des Reichstages auf Hitlers Regierung übertrug. Einzig die SPD stimmte gegen dieses Gesetz. Die KPD war längst unterdrückt, ihre Sitze für ungültig erklärt.
Am ersten Mai 1933 kapitulierten die Gewerkschaften vor Hitler. Sie riefen ihre Mitglieder auf, sich an den Maifeierlichkeiten der Nazis zu beteiligen. Sie hofften, auf diese Weise ins „Dritte Reich“ integriert zu werden. Es nutzte nichts. Am zweiten Mai wurden die wenigen noch nicht durch die SA gestürmten Gewerkschaftshäuser von Hitlers Sturmabteilungen besetzt und die Gewerkschaften aufgelöst. In den Kellern der Gewerkschaftshäuser richtete die SA die ersten KZ’s ein. Am 22.Juni wurde die SPD für verboten erklärt – die Niederlage der deutschen Arbeiterbewegung war endgültig.
Die Frage der Verantwortung
Bis heute ist Schulbuchwissen, dass die Weimarer Republik zwischen den Extremparteien von links und rechts zerrieben wurde. Man rechnet die Stimmenanteile von NSDAP und KPD zusammen und – siehe da – seit der Reichstagswahl vom Juli 1932 hielten sie die Mehrheit in Reichstag, was die Bildung einer demokratischen Regierung verhindert habe.
Die Anhänger dieser Theorie übersehen gern, dass es die Protagonisten eines autokratischen Staatsumbaus waren, die schon seit 1930 die Bildung einer Mehrheitsregierung unmöglich machten. Nicht das Agieren der so genannten politischen Extreme hat die Weimarer Republik destabilisiert und Hitler den Weg bereitet. Auch die Kollektivschuldthese, die allen Deutschen die Schuld am Faschismus zuschreibt, soll nur von den wahren Verantwortlichen ablenken. Schließlich hatte die NSDAP niemals eine absolute Mehrheit bei Parlamentswahlen. Entscheidend für seinen Aufstieg war die Schützenhilfe aus Wirtschaft und antidemokratischen Führungsschichten. Sie legten die Macht bewusst in die Hände der Nazis.
Kann man daher die KPD von jedem Vorwurf frei sprechen? Keineswegs! Sie hätte die Verantwortung gehabt, die Einheitsfront der Arbeiterorganisationen gegen die Nazis zu schmieden. Dass sie sich dabei nicht auf die SPD-Führung verlassen konnte war von vornherein klar. Aber de facto auf die Einheitsfrontpolitik zu verzichten war pflichtvergessen! Trotzki hat einmal formuliert, man müsse der SPD-Führung die Einheitsfront aufzwingen, keinerlei Bedingungen stellen, einfach nur den gemeinsamen Kampf an praktischen Beispielen vorschlagen. Dass die KPD-Führung diesen Weg nicht beschritt, der nicht nur die Nazi-Diktatur verhindert hätte, sondern auch über kurz oder lang die Mehrheit der ArbeiterInnen an die KPD gebunden hätte, bleibt ihre historische Verantwortung. Die Schuld am 30.Januar 1933 trägt jedoch nicht sie, sondern all die Kurt von Schleichers, Franz von Papens, Thyssens, Schachts und Krupps.